Übersicht
trinitarisch | übernatürlich | magisch | psychologisch | Relevanz | sozial | philosophisch | Destillat | |
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Deutsch | ||||||||
Polnisch | ||||||||
Slowakisch | ||||||||
Tschechisch |
de:12345678
pl:1234567
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cz:1234567
Sprachvergleich
Geist – duch – duch – duch
Das Wort steht für einen der Kernbegriffe in der Religion und im spirituellen Denken. Es ist zugleich stark polysem, was auch als Zeichen seiner Zentralität interpretiert werden kann. Viele Erläuterungswörterbücher der untersuchten Sprachen unterscheiden im Gegensatz zu SuP nur zwischen einem religiösen und einem säkularen Profil, was aber lediglich eine andere lexikographische Praxis widerspiegelt, die nichts an der Stabilität der im vorliegenden Wörterbuch dokumentierten Verwendungsbereiche ändert. Im vorliegenden Wörterbuch wurden acht Profile ausgegliedert, davon sind sieben allen Sprachen gemeinsam. Die Einzelbedeutungen kommen insbesondere in Kollokationen, Phraseologie und der Wortbildung in allen Sprachen zur Geltung. Grammatikalisch lässt sich zwischen einem Singularetantum und einem im Numerus flektierbaren Substantiv unterscheiden, was semantisch als zählbar (konkret) und nicht zählbar (abstrakt oder amorph, gestaltlos; aber auch Nomen proprium) zu deuten ist. Die semantische Gesamtstruktur kann man mit Hilfe eines holistischen Netzwerksmodells mit mehreren Knotenpunkten zusammenfassen, d. h. es ist heutzutage umstritten, welche der Bedeutungen primär ist (siehe die Graphik unten). In der Umgangssprache mag das psychologische Profil überwiegen, die religiös-trinitarische Bedeutung ist in dem nicht nur auf christliche Kreise beschränkten Journalismus eher selten. (Es sei denn, es handelt sich um geflügelte Worte, die eine publizistische Karriere gemacht haben, wie die berühmte Äußerung von Johannes Paul II. während seines historischen Polenbesuchs 1979: Niech zstąpi Duch Twój i odnowi oblicze Ziemi – tej Ziemi!) Zwischen dem religiösen und psychologischen Profil, die zwei getrennte semantische Pole darstellen, sind noch das übernatürliche und das magische Profil zu platzieren, die sich morphologisch von sonstigen Verwendungen durch die volle Flektierbarkeit in Numerus unterscheiden (vgl. dt. Geisterstunde, poln. godzina duchów, slow. hodina duchov, tschech. hodina duchů). Dir beiden Letzten sind der religiösen Domäne entsprungen und sind im Volksglauben, in Märchen, Fantasy-Literatur etc. verbreitet. Da es sich um bestimmte Wesen handelt, die Menschen als Gespenst, verdammte Seele, ein Ungeheuer etc. erscheinen können, taucht die Frage nach ihrem Geschlecht auf. In in den slawischen Sprachen wird es flexionsmorphologisch differenziert und zwar neben der Opposition "belebt - unbelebt" kennt die Westslavia noch weitere Unterscheidungen: "Mensch - Tier" und "männlich - nicht-männlich", vgl. Nom. Pl. im slowakischen: duchovia (die Endung -ovia ist den Personalmaskulina vorbehalten). Im Polnischen benutzt man dennoch die nicht-männlich-personale Form, vgl. (te) duchy, nicht: *ci duchowie ( aber anieli, diabli, d.h. die männlich-personalen Form von 'Engel' und 'Teufel' sind möglich, obwohl diese Wesen zu Geistern gehören).
Die Benennungen der Profile sind selbstverständlich konventionell – die Unterscheidungsmerkmale können sich überlappen (in meisten Fällen handelt es sich ja um übernatürliche Phänomene). Der Geist-Begriff ist für Durchschnittssprecher ziemlich verschwommen. In der slawischen Etymologie des Wortes duch sind solche Bilder spürbar, die man als kognitive Metaphern deuten kann, wie ‘Luft’, ‘Wind’, ‘Hauch’, ‘Atem’. Es steckt die (richtige) aus Erfahrung resultierende Vorstellung dahinter, dass ohne Luft (Atem) kein Leben möglich sei – vgl. poln. wyzionąć ducha/ tschech. vypustit ducha (buchsprachlich oder salopp für ‘sterben’, scherzhaft euphemistisch auch für ‘furzen, pupsen’ [wörtl. ‘den Geist aushauchen’ = sterben]. Darauf basiert die Ausdehnung des Wortes auf Bereiche mit Merkmalen ‘wesentlich’, ‘unsichtbar, im Inneren seiend’, und generell ‘positiv bewertet’ – in SuP sind es das Relevanzprofil (Weltanschauung, Überzeugungen oder eine markante Eigenschaft von Menschen oder einer Epoche, vgl. etw. widerspricht dem Geist des Gesetzes, im Geist von etwas) und das soziale Profil (Gesamtcharakter, Stimmung, Atmosphäre einer Gruppe, vgl. Der Geist im Verein stimmt). Die positive Axiologie des Geistes überwiegt in allen Sprachen, vgl. poln. W duchu przyjaźni/ porozumienia, aber nicht *w duchu wojny.
Mit duch ist auch im Slawischen dusza/ duša/ duše ‘die Seele’ (→ Etymologie von dusza) verwandt, die in der Bedeutung ‘psychisches, inneres Leben des Menschen’ viel häufiger als duch vorkommt. Die Wörter können sich z. T. gegenseitig ersetzen, beiden ist auch die Polysemie des Typs sakral–säkular eigen. Da manche religiösen Praktiken (wie z. B. die Beichte) in der modernen Gesellschaft mit psychotherapeutischen Leistungen verwechselt werden, bleibt offen, was die Sprechenden unter Wörtern wie Geistlicher, poln. duchowny, slow. duchovný, tschech. duchovní verstehen.Es ist nicht auszuschließen, dass sie in Bezug auf ihre geistige Verfassung – also psychologisch – verstanden werden. Diese Adjektive (auch in substantivierter Form) gehören dennoch der sakralen Sphäre an, im Unterschied zu dt. geistig, poln. duchowy, tschech. duševní, zum Teil auch duchovní, die das breite Spektrum nichtmaterieller menschlicher Güter bedienen. Die letzte Form wird von manchen Menschen als obsolet empfunden. Schuld daran sind auch ideologische Bemühungen aus sozialistischer Vergangenheit, wo anstelle von duchowy anthropozentrische Bezeichnungen wie poln. humanistyczny, slow. humanitný bevorzugt wurden (vgl. dt. Geisteswissenschaften und poln. nauki humanistyczne, slow. humanitná veda).
Auch im Deutschen lässt sich eine nahe Verwandschaft der Konzepte Seele und Geist feststellen, was sich vor allem in Wortbildungen zeigt, in denen Überschneidungen und Doppelungen bestehen, vgl. beseelen und begeistern.
Die religiöse Komponente ist für die praktische Lexikographie der Nachkriegsjahre problematisch gewesen. Im slowakischen SSJ wird z. B. im Stichwortartikel duch als Nummer 6 unter dem Decknamen „philosophisch“ die religiöse Bedeutung folgendermaßen definiert: ‘nichtmaterielle Grundlage des Seins (im metaphysischen, religiösen Sinn)’. Als letzte kommt noch in SSJ die trinitarische Bedeutung Duch Svätý ‘dritte göttliche Person in der christlichen Glaubenslehre’. Das Herauskristallisieren des Dreifaltigkeitskonzeptes kann man theologisch weiterverfolgen, aber auch dort wird von demselben Konzept im Alten und Neuen Testament ausgegangen (vgl. AT Gen 1,1: Finsternis lag über der Urluft und Gottes Geist schwebte über dem Wasser; NT Joh 1,32: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm). Linguistisch gesehen ist dennoch die phrasematische Gebundenheit von Geist in der trinitarischen Bedeutung verhältnismäßig problematisch (duch allein wird in erster Linie als ‘Gespenst’ verstanden). Es gibt aber auch andere Attribute, die die Lesart des Substantivs als ‘Gott’ ermöglichen, vgl. poln. Duch Boży/ dt. Gottes Geist.
Der dualistische Charakter der Wirklichkeit ist Gegenstand des philosophischen Diskurses, was im philosophischen Profil als fachsprachliche Bedeutung festgehalten wird (Gegensatz zu 'Stoff' oder 'Materie'). Abgesehen von variierender Bewertung des philosophischen Materialismus bzw. Idealismus konnten keine Unterschiede in der Handhabung des Begriffs beobachtet werden, die in die Allgemeinsprache eingedrungen wären. Das philosophische Geistes-Konzept befand sich unter dem starken Einfluss der deutschen idealistischen Philosophie des 19. Jhs. (Hegel).
Ganz am Rande der Verwendungsmöglichkeiten des Lexems, nur im Deutschen, steht das Profil Destillat, wodurch metaphorisch die sensuelle Wahrnehmung von Spirituosen betont wird, wobei dem Alkohol metaphorisch eine Art Beseelung, Beflügelung zukommt. Auf lat. spiritus (‘Geist’) gehen im Slawischen die materiellen Entlehnungen poln. spirytus, slow. und tschech. špiritus, die jedoch nicht als semantische Lehnprägung in das Lexem duch eingegangen sind. Als Dublette ist es auch ins Deutsche die Entlehnung Spiritus eingegangen (vgl. auch Brennspiritus).
Bedeutungsdifferenzierend kann auch die Wortstellung sein. Im trinitarischen Profil bewirkt der Unterschied in der Reihenfolge der Kollokatoren eine Bedeutungsdifferenzierung: tschech. duch svatý ‘Heiliger Geist (trinitarisch)’; die Umstellung tschech. svatý duch ‘Fest des Heiligen Geistes, Pfingsten’ zeigt dagegen eine metonymische Erweiterung der Wortbedeutung, die weniger auf das christliche Fest selbst Bezug nimmt als einen bestimmten Kalendertag oder Zeitraum anzeigt. Im Slowakischen ist für die Bezeichnung des Zeitraums auch die elliptische Form möglich: na (svätý) Duch ‘zu Pfingsten’ oder auch do (svätého) Ducha ‘bis Pfingsten’. Im Polnischen hat Pfingsten eine säkulare Bezeichnung Zielone Swiatki 'grünes Fest', was an alte Bräuche erinnert.
Geist – Semantikmodell