Übersicht
religiös-göttlich | religiös-anthropologisch | religiös-kultisch | ethisch | Tabu | intensivierend | |
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Deutsch | ||||||
Polnisch | ||||||
Slowakisch | ||||||
Tschechisch |
de:123456
pl:123456
sk:123456
cz:123456
Sprachvergleich
heilig – święty – svätý – svatý
In allen hier miteinander verglichenen Sprachen existieren die folgenden sechs Profile von heilig: ein religiös-göttliches, ein religiös-anthropologisches, ein religiös-kultisches, ein ethisches, ein Tabuprofil sowie ein intensivierendes Profil. Von dem Adjektiv ist durch affixlosen Wortartenwechsel (Konversion) ein selbständiges Substantiv entstanden, vgl. dt. (der) Heilige, poln. święty, slow. svätý, und tschech. svatý – wir haben also mit der grammatischen Homonymie zu tun. (Als Substantiv ist dieses Wort nicht in Genus flektierbar, daher sind feminine Formen (die) Heilige/ święta/ svätá/ svatá als sekundäre Frauenbezeichnungen in der Wortbildung der Einzelsprachen neben der männlichen Varianten erfasst.)
Im Slowakischen und Polnischen finden sich in den Erläuterungswörterbüchern nur jeweils zwei religiöse Bedeutungen, die uneinheitlich definiert sind, da entweder heilig in Bezug auf Gott und Menschen zu einer Bedeutung zusammengefasst wird oder aber die Eigenschaft eines Menschen, heilig zu sein, herausgestellt ist. Alle weiteren religiösen Verwendungsbereiche werden als eine einzige (kultische oder zeremonielle) Bedeutung behandelt. Selten wird heilig als eine Eigenschaft Gottes lexikographisch erfasst (beispielsweise geschieht dies im SSJ).
Im vorliegenden SUP wurde Aufteilung des Adjektivs in drei religiöse Profile durchgeführt:1) als eine essentielle Eigenschaft Gottes (inkl. der numinosen, d.h. furchtbaren und unheimlichen Aspekte der Gottheit), 2) anthropologisch als eine besonders hohe Qualitätsstufe des Menschen vor Gott und den Mitmenschen sowie 3) auf Gegenstände bezogen: die Eigenschaft der Tauglichkeit von Artefakten für den liturgischen Gebrauch. Im religiös-kultischen Profil können auch magische Vorstellungen und heidnische Riten erfasst werden, wie folgende Kollokationen zeigen: poln. święta liczba/ heilige Zahl, święty gaj/ heiliger Hain, święty ogień/ heiliges Feuer.
Unabhängig von der lexikographischen Erfassung sind alle in SuP ausgegliederten Profile in den betrachteten Sprachen miteinander vergleichbar und in ihrer Verwendung stabil. Für das intensivierende Profil ist für alle Sprachen festzustellen, dass die Ausdehnung auf weitere Verwendungskontexte eingeschränkt ist und ehemalige Spontanbildungen heute bereits Phraseme geworden sind. (vgl. tschech.: svatá prostoto!/ heilige Einfalt!,svatý hněv/ heiliger Zorn,svatý klid ‘absolute Ruhe’,svatý pokoj ‘absolute Ruhe’, dt. hoch und heilig versprechen, heilige Hallen, heilige Stille, poln. dać święty spokój ‘jmdn. (endlich) in Frieden lassen’,dla świętego spokoju ‘um des lieben Friedens willen’, mieć święty spokój ‘seine Ruhe haben’, (o) święta naiwności! ‘Ausruf der Verwunderung über jmds. große Einfalt’ najświętsze słowo (honoru)/Ehrenwort, święta racja ‘heiliges Recht’, slow. sväté ticho ‘heilige Stille, heilige Ruhe’, svätý boj za spravodlivosť ‘heiliger Kampf für die Gerechtigkeit’, svätý hnev/ ‘heiliger Zorn’, zahorieť svätým hnevom ‘sich sehr erzürnen’).Vergleichbare Adjektive mit intensivierender Funktion aus dem religiösen Wortschatz wie göttlich und himmlisch erschließen sich dagegen nach wie vor neue Domänen.
Heiliggehört in allen Sprachen zum religiösen Kernwortschatz. Auch in den säkularen Profilen ist die Herkunft aus der religiösen Sphäre und die semantische Bindung an das Sacrum noch deutlich zu erkennen und den Sprechern bewusst. Losgelöst davon erscheint es semantisch nur im intensivierenden Profil, in denen die Bedeutung stark vom substantivischen Kollokator abhängt (vgl.: poln. święta niewinność kobiety ‘die heilige Unschuld einer Frau’, dt.heilige deutsche Kunst,heilig hehre Erinnerungen,slow. svätý okamih ‘heiliger Augenblick’). Da es sich aber fast ausschließlich um Phraseme handelt, ist hier in der näheren Zukunft wenig Innovationspotenzial zu erwarten.
Für das Tschechische ist darauf hinzuweisen, dass Impulse für neue Verwendungen von svatý und seine Derivate aus dem Reservoir des ethischen und des religiös-kultischen Profils schöpfen, so im Sportslang, vgl. dazu svatyně ‘Heiligtum, Tempel, übertragen und hyperbolisch für Tor’ und svatostánek ‘Tabernakel, übertragen und hyperbolisch für Tor’ im Fußballslang. Im dt. ist evtl. Heiligtumals okkasionelle Bezeichnung für das Tor vorstellbar. Als Bedeutungsäquivalente werden jedoch eher die Bildungen Kasten und Kahn verwendet, die auf ein anderes religiöses Lexem, nämlich auf Arche Noah,Bezug nehmen.
In der Wortbildung sind für das Tschechische und das Slowakische die Fähigkeit zur Bildung von relationalen Adjektiven aus Heiligennamen als Derivate von svatý charakteristisch, vgl. tschech. svatojánský ‘zum Hl. Johannes gehörig’, svatopetrský ‘zum Hl. Petrus gehörig’, svatováclavský ‘zum Hl. Wenzel bzw. Vacláv gehörig’; slow. svätoštefanský ‘zum Hl. Stephanus gehörig’, svätovojtešský ‘zum Hl. Adalbert gehörig’. Im Deutschen kommt eine Vielzahl von substantivischen Komposita im religiös-anthropologischen Profil vor, meist mit Heilig(en)- in Erststellung, seltener erscheint heilig in Zweitstellung wie z.B. in Erz-, Eis-, Säulen- und Scheinheilige. Komposita des ersten Typs waren in älteren Sprachstufen in den slawischen Sprachen ebenfalls möglich, der Wortbildungstyp ist aber in der Gegenwartssprache nicht mehr produktiv (vgl. tschech.:svatokrádež/ poln. świętokradztwo ‘Blasphemie’; svatokupectví/ poln. świętokupstwo ‘Simonie, Ämterkauf in der Kirche’, tschech. svatostánek ‘Tabernakel’, slow. svatoziařa/ tschech. svatozář ‘Heiligenschein’, slow. svätorečenie/ tschech. svatořečení ‘Heiligsprechung’ im religiös-kultischen Profil). Besonders reich ausgebaut sind die durch Präfigierung erzeugten Verbderivate im religiös-kultischen Profil, die aber auch den slawischen Entsprechungen von weihen zugeordnet werden können, da święcić, svätiť, světit ihrerseits selbst Derivate von święty, svätý, svatý sind. Für die Adjektivbildung sind Fügungen auffällig, die die Heiligkeit noch einmal steigern, was entweder durch Wortverdoppelung (vgl. das Adverb slow. svätosväte ‘überaus heilig’ bzw. tschech. svatosvatě ‘überaus heilig’, im Deutschen hochheilig, hoch und heilig, die syntaktisch eingeschränkt sind (vor allem im Phrasem: hoch und heilig versprechen/ tschech. svatosvatě slibit) neben dem regelmäßig gebildeten allerheiligst) oder durch zweifache Präfigierung erreicht wird, was eine elativische Funktion hat: przenajświętszy ‘hochheilig’, im Tschechischen einfache Präfigierung: přesvatý, oder Elativ nejsvětější. Solche Bildungen sind im religiös-göttlichen und religiös-kultischen Profil möglich und treten zumeist in phrasematischen Wendungen auf (z. B. tschech. Nejsvětější Srdce Páně ‘das Allerheiligste Herz Jesu’).
Die Phrasematik ist in allen Sprachen vor allem im religiös-kultischen Profil und auch im intensivierenden Profil ausgebaut. Im Deutschen sind auch im religiös-personalen Profil viele Derivate aufgrund der Fähigkeit zur theoretisch unbegrenzten Bildung von Komposita vorhanden. Eine über die Grundsemantik von heilig hinausgehende Bedeutung lässt sich dabei nur in Ausrufen des Erstaunens beobachten, vgl. Heilig’s Blechle!, heiliger Bimbam!, heiliges Kanonenrohr!, heiliger Strohsack!, die im Deutschen zur Meidung eines Fluchs oder einer Lästerung verhüllend eingestzt werden; poln.: Matko święta! ‘Heilige Mutter (Gottes)!’. Im Tschechischen gibt es demgegenüber außer Svatá prostoto! wörtlich: Heilige Einfalt! kaum Flüche mit dem Lexem svatý.