Sprachvergleich
Karma – karma – karma – karma
Der aus dem Sanskrit stammende Begriff des Karmas, ursprünglich karman, gelangte spätestens im 19. Jhd. in die europäischen Sprachen. In der Ausgangssprache bedeutete er ‘Machen, Tun’ aber auch ‘Handlung, Tat’, woraus in der konzeptuellen Weiterentwicklung durch die brahmanischen Gelehrten die metonymische Bedeutung ‘Folge, Echo, Effekt der Tat im Leben der Seele’ wurde. Karma ist ein Schlüsselbegriff des Hinduismus, Jainismus und Buddhismus und zahlreicher weiterer religiöser, spiritueller und weltanschaulicher Richtungen, die ihren Ausgangspunkt im Buddhismus oder den alten indischen Religionen haben. Er unterliegt zahlreichen, sehr verschiedenen, historisch und regional abhängigen Deutungen. Die europäisch-transatlantische („westliche“) Rezeption buddhistischer, ayurvedischer und anderer indischer Lehren entwickelte eine starke Eigendynamik, aus der neue Rezeptionsweisen und angepasste Praxen hervorgingen. Die Bearbeitung in deutschsprachigen theologischen Enzyklopädien weist gesichertes und kompakt erschlossenes Wissen vor, LTK und RGG widmen dem Begriff ausreichend Platz für die Komplexität des Konzepts. Dies zeigt, dass der Begriff bereits seit langen im europäischen philosophisch-theologischen Diskurs angekommen ist und sein Verständnis auf eine wissenschaftliche, breite Basis gestellt wurde. Eigene ältere Rezeptionslinien gibt es im Englischen, Deutschen und anderen europäischen Sprachen, vgl. für das Deutsche die Rezeption des Brahmanismus bei Schopenhauer. Eine Minimaldefinition der religiös-theologischen und philosophischen Grundbedeutung von Karma könnte folgendermaßen lauten: „diejenige Handlung, welche den Menschen in den Kreislauf der Wiedergeburten (samsara) einbindet“ (RGG5). Alle abweichenden Varianten wären dann hierauf zu beziehen. Der Begriff bleibt aber eine religionswissenschaftliche und philosophische Herausforderung, an der „westlichen“ Übersetzung und Auslegung des Karma-Konzeptes wird von vorwiegend asiatischen Vertretern bereits traditionell Kritik geübt, vgl. folgenden Beleg aus dem deutschsprachigen Diskurs:
Karma bedeutet also keineswegs das Ergebnis des Wirkens, oder gar das Schicksal von Menschen oder ganzen Völkern, wie unter dem Einflusse der Theosophie die beinahe allgemeine Auffassung im Westen ist. (http://www.palikanon.com/wtb/karma.html)
Diese historischen und konzeptuellen Grundlagen tragen wesentliche Implikationen zum Erfassen der lexikalisch-semantischen Dimension des Begriffes und insbesondere für den Zugang zum Sprecherverständnis in aktuellen Gebrauchsweisen des Lexems mit sich.
Vergleicht man etwa das Deutsche mit dem Tschechischen, wo der Suchbegriff im entsprechenden Hauptkorpus jeweils 3256, bzw. 4600 mal aufgefunden wurde (nur geschätzte 50-70% der Belege entsprechen allerdings im Tschechischen dem tatsächlichen Lexem, der Rest entfällt auf die Bezeichnung eines Wärmegeräts), so zeigt sich eine geringe, aber stabile Verbreitung in der Gemeinsprache im Gegensatz zu einem exponierten Stellenwert in der theologischen, philosophischen und religionswissenschaftlichen Diskussion.
Das religiöse Profil liegt semantisch nahe an der oben beschriebenen konzeptuellen Definition. Im Diskurs der hier verglichenen Sprachen treten im religiösen Profil viele Metakommentare auf, in denen das Konzept erläutert und verhandelt wird. Sprachliche Kollokationen wie gutes Karma und schlechtes Karma, in allen hier verglichenen Sprachen im religiösen Profil auffindbar, zeugen von einer ethisch-moralischen Rezeption der Lehre vom Karma. Lexikalische Relationen zu anderen (alt)indischen Schlüsselbegriffen wie dharma und samsara zeigen wie das Lexem im tatsächlichen Sprachgebrauch in Bezug zu den Ausgangskonzepten gesetzt wird. Typisch ist etwa für das religiöse Profil die Gleichsetzung von Karma mit dem Phrasem Lehre vom Karma und christlichen Konzepten wie göttliche Vorsehung, Begriffen der Hoch- und Gemeinsprache wie Los, Vorhersehung, Schicksal etc. und im säkularen Profil die Synonymie zu Aura und Charisma.
Trotz dieser Affinität zu anderen „asiatisch klingenden“ Begriffen geht im säkularen Profil der konzeptuelle, als auch der geographisch-historische Zusammenhang zu den indischen Lehren gänzlich verloren, das Profil lebt semantisch von der Unkenntnis, bzw. absenten Kenntnisnahme der Herkunftsbedeutung und von der Gleichsetzung mit Synonymen wie Schicksal, Pech oder auch Ausstrahlung, Charisma. Was bleibt ist aber die exotische Konnotation mit etwas Fremden und Unbekannten, weshalb die Verwendung von Karma gegenüber den Synonymen präferiert wird. Die Wortwahl hat somit insbesondere einen pragmatisch-stilistischen Effekt und erregt mehr Aufmerksamkeit, es handelt sich um einen modischen Neologismus. Auffällig ist etwa die Verwendung in der slowakischen Internetsprache, wo die beitragenden Autoren oder Forenmitglieder nach einem karma genannten Punktesystem bewertet werden, vgl. Zaujímavé je ajhodnotenieautora podľa karmy (http://www.itnews.sk). Diese Verwendungsweise fügt sich aber in ein breiter gestreutes Muster ein, dass in allen Sprachen aufgefunden werden kann [Polnisch???], Karma wird hier in der Politik und im Sport im Sinne einer Voraussetzung für das weitere Gelingen der Karriere oder als Ursache für ein Aus und zusätzlich in der Bedeutung ‘guter/ schlechter Ruf’ gebraucht. Seltener als bei anderen nichtchristlichen Neologismen aus dem Bereich des Sacrum (vgl. Guru, koscher) und im Gegensatz zum religiösen Profil sind ironische und andere eindeutige distanzierenden Bezugnahmen. Karma wird überraschend ernst genommen, wohl weil es mit magischen Denkmustern gut kombinierbar ist. Dagegen ist aber die Kollokation gutes Karma typischer für das religiöse Profil, im säkularen Profil überwiegt die Aktualisierung schlechtes Karma.
Die vergleichende Untersuchung der Derivate zeigt, dass das Lexem in allen Sprachen durch regelhaft gebildete Adjektive karmisch – karmiczny – karmový - karmický/ karmový/ karmanovýund Adverbien mit der größten historischen Varianz im Tschechischen im lexikalischen System aller vier Sprachen verankert ist. Phraseme beschränken sich auf typische Wendungen wie Gesetz des Karma oder Lehre vom Karma, die zwischen den Sprachen kaum variieren. Zu den typischsten Kollokationen, im Deutschen meist entsprechende Komposita gehören neben gutes/ schlechtes Karma noch weitere allgemeine Zuordnungen wie Familienkarma oder persönliches Karma. Die überwiegende Mehrheit dieser Bildungen ist dem religiösen Profil zuzuordnen, was auf höhere Stabilität und Alter dieses primären Profils hinweist.
Lexikalisch-semantisch gesehen bieten die verglichenen Sprachen ein sehr einheitliches Bild. Obwohl sich die freieren Kollokationen stärker unterscheiden als die Phraseme und Derivate handelt es sich auch hier eher um Feinheiten ohne systematische semantisch-pragmatische Implikationen. Allenfalls handelt es sich um diskursive und domänenspezifische Unterschiede, was besonders am Slowakischen herausgearbeitet wurde und eine eigene und ältere Rezeptionstradition, wie sie neben dem Deutschen auch das Tschechische am sprachlichen Material zeigt. Von Interesse für die weitere Entwicklung wird die Dynamik des säkularen Profils sein, die bisher nur im Ansatz erkennbar ist. Hierbei ist vor allem das Übergreifen auf neue Domänen und die Bildung neuer Phraseologismen zu beachten.