Übersicht
religiös | moralisierend | disziplinär | verbos | |
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Deutsch | ||||
Polnisch | ||||
Slowakisch | ||||
Tschechisch |
de:12
pl:12
sk:1234
cz:124
Sprachvergleich
Predigt – kazanie – kázeň – kázání
Im vorliegenden Wörterbuch sind vier Profile von Predigt verzeichnet. Für alle Sprachen können ein religiöses und ein moralisierendes Profil dokumentiert werden.
Nur im Slowakischen und im Tschechischen existiert zusätzlich noch ein verboses Profil; das Zuchtprofil ist ausschließlich im Slowakischen vorhanden.
Für alle hier betrachteten Sprachen kann eine weitgehende Übereinstimmung für das religiöse Profil festgestellt werden. Im religiösen Profil findet die aktive und beherrschende Rolle der (katholischen) Kirche beim gesellschaftlichen Wandel seinen Ausdruck darin, dass relativ häufig kirchliche Predigten einen politischen Inhalt haben, vgl. Dopolitycznych kazańproboszcza już przywykliśmy.‘An die politischen Predigten des Propstes haben wir uns schon gewöhnt.’;[Tischner]wygłosił słynnekazanie Solidarność sumień podczas którego pytał: "Co znaczy [...]słowo "solidarność"? ‘[Tischner] hielt seine berühmte Predigt „Solidarność sumień”, in der er fragte: „Was bedeutet […] das Wort "Solidarność“?’ Im deutschen Sprachraum ist die enge Verquickung von christlichem Bekenntnis und politischer Agitation früher ebenfalls üblich gewesen, seit dem 2. Weltkrieg aber verpönt.
‘Predigt’ wird im moralisierenden Profil in allen Sprachen in salopper oder abschätziger Weise verwendet und ist vor allem in die Publizistik eingedrungen. Mit dem Konzept Predigt werden tendenziell negative evaluative Aspekte verbunden: derjenige, der predigt, verhält sich autoritär, belehrend, ist übertrieben selbstüberzeugt und emotional, verletzt die Würde seiner Kommunikationspartner. Eine Predigtin diesem Sinne findet typischerweise gegenüber Kindern Anwendung oder wird in der Arbeitswelt von Vorgesetzten benutzt, um Mitarbeitende ‘abzukanzeln’. Die relativ zahlreichen substantivischen Komposita im Deutschen drücken zumeist diesen Aspekt von Predigt aus. Die negative Konnotation kann allerdings durch Mittel der Ironie oder Hyperbolie Hyperbel abgeschwächt werden. Für das Deutsche ist jedoch als Besonderheit festzustellen, dass Predigt auch ohne besondere ironische oder hyperbolische Konnotation für eine politische oder gesellschaftliche Ansprache verwendet werden kann, die einen vom Sprecher vertretenen und zumindest von Teilen der Öffentlichkeit akzeptierten Anspruch auf Autorität besitzt.
Das verbose Profil ist nur im Slowakischen und Tschechischen vorhanden. Es bezeichnet eine weitschweifige Rede. Es hat ebenso wie im moralisierenden Profil eine negative Konnotation: Predigten werden oft als repetitiv, einschläfernd und vorhersagbar empfunden, sind also langweilig und zu lang. (vgl. folgende Beispiele aus dem Slowakischen: vypočuťnudnúkázeň ‘eine langweilige Predigt anhören’;Urobil im [siaho]dlhú kázeň.) ‘Er hielt ihnen eine lange [weitschweifige] Predigt.’ Das Profil fehlt im Deutschen und Polnischen. Als Äquivalente stehen im Deutschen die Wörter (Volks-)Rede zur Verfügung;im Polnischenkann man den Inhalt in etwa durch das Verbperorować ‘bramarbasieren, Volksreden halten’ oder salopp durch ględzić ‘faseln, schwafeln, labern’ wiedergeben.
Das disziplinäre Profil ist dagegen lediglich für das Slowakische bezeugt. Es handelt sich in synchroner Perspektive um ein Homonym, was man daran sehen kann, dass zwei Wörter, die im Tschechischen getrennte Lexeme sind, im Slowakischen zusammenfallen. Das Wort kázeň existiert in der gleichen Bedeutung wie im Slowakischen auch im Tschechischen (‘Disziplin, Zucht’), das Predigt entsprechende Lexem lautet dort aber kázání. Beide Lexeme gehen auf das Verb tschech. kázat, slow. kázať zurück, das im Laufe der Entwicklung zwei semantische Stränge entwickelt hat: Zum einen erzählen,reden, zum anderen zeigen,befehlen,jmdm. etwas heißen. Letzteres liegt dem disziplinären Profil im Slowakischen zugrunde. Das deutsche Wort Predigt/ predigen, dass auf das Kirchenlateinische praedicare > ‘öffentlich verkündigen, ausrufen’ zurückgeht, weist ebenfalls beide semantischen Komponenten auf: in der Bedeutung erzählen,verkündigen, andererseits in der Bedeutung verbindlich sagen,vorschreiben,eine Weisung erteilen.
Neue Tendenzen, Entwicklungen, Säkularisierung: Das Lemma entstammt in allen Sprachen dem religiösen Wortschatz und erfährt im moralisierenden und im verbosen Profil metaphorische Bedeutungserweiterungen. Der Prozess der Säkularisierung ist in allen betrachteten Sprachen bereits abgeschlossen und es liegt einzelsprachlich jeweils eine stabile Polysemie vor. Von daher sind in den untersuchten Sprachen keine Bedeutungserweiterungen des Lemmas bzw. wesentliche Veränderungen in der Wortverwendung zu erwarten. Auffällig ist allerdings die Verwendung von Predigt in Komposita im Sportslang, vgl. dt. Kabinenpredigt und Pausenpredigt. In dieser Domäne werden gegenwärtig viele aktuelle Bezüge zum Sacrum hergestellt. Dies ist einerseits ein Ausdruck für die in der Publizistik typische Hyperbolisierung. Andererseits zeigen diese Komposita, wenn auch durch ironische Markierung abgemildert, Sakralisierungsvorgänge im Sport und insbesondere im Fußball an, der von vielen Fans quasireligiös verehrt wird.
Abgesehen der hohen Zahl von Substantivkomposita im Deutschen existieren nur wenige Derivate, einige substantivische Derivate wietschech. kazatel ‘Prediger’, kazatelna ‘Kanzel, Predigtstuhl’, äquivalente Derivate in den anderen Sprachen anführen, z. B. dt. Prediger / slow. kazatel / tschech. kazatel ein Verb dokázat ‘die Predigt zu Ende halten’, auf Tschech. vor allem ‘beweisen’ und ‘schaffen’ Die Bedeutung ‘zu Ende predigen’ ist m. E. veraltet. Im Slowakischen sind Ableitungen nach dem gleichen Muster vorhanden, auch wenn sie nicht direkt von kázeň abgeleitet sind, sondern Entlehnungen aus dem Tschechischen darstellen vgl. slow. kazateľský ‘relational zu kazateľ; predigend, Prediger-’. Es handelt sich eigentlich um suppletive Wortstämme, die allerdings auf dem gleichen Grundetymon (tschech. ich weiß nicht, welche Abkürzung besser ist, ich verwende immer „tschech.“ kázat, slow. kázať) beruhen. Sie erfüllen aber die gleiche Funktion wie (potentielle, d.h. nicht belegte) reguläre Derivate von kázeň und sind deshalb in die Wortbildung aufgenommen worden. Im älteren Slowakischen tauchten in dieser Funktion Lehnwörter aus dem Lateinischen auf, z.T. über deutsche Vermittlung: predikant ‘protestantischer Prediger’, predikantský ‘predigend, Prediger’, kanceľ ‘Kanzel’.
Lediglich im Zuchtprofil des Slowakischen sind einige Substantive vorhanden, die aber als vom oben erwähnten gemeinsamen Stamm kázat abgeleitet verstanden werden müssen und hier aber keine Verbindung zum Lexem Predigt haben. (vgl. Wortbildung im Zuchtprofil des Slowakischen). Okkasionell tauchen Diminutive auf, vgl. poln. kazanko ‘kurze Predigt’. auch auf Tschechisch gäbe es bestimmt kázáníčko, Johannes verzeichnet es aber nicht..
Die wenigen Phraseme und Kollokationen sind in den einzelnen Sprachen im religiösen und moralisierenden Profil vergleichbar. Am häufigsten ist das für das moralisierende Profil typische poln. prawić komuś kazanie/ slow.držať/ (robiť) niekomu kázeň/ jmdm. eine Predigt haltenslow. und tschech.? dát někomu kázání und das religiöse und unmarkierte głosić/ wygłosić/ wygłaszać kazanie/ eine Predigt halten (tschech. mít kázání) sowie Kázání na hoře/ Bergpredigt. Für das Polnische taucht umgangssprachlich siedzieć jak na tureckim kazaniu/ nur Bahnhof verstehen auf.