Meinem teuren Gülchen
Vorwort
Ein Büchlein, das nur von der Liebe handelt - wer sollte ihm eine
bessere Patin sein als du, liebes Kind, bist du doch hübsch und jung
und voller Schelmerei, wie es der alte Publius Ovidius Naso so gern hatte,
bist du doch das rege, geschäftige Leben, das der Zeit nicht achtet,
die über die Dinge hineilt. Hier bleibe andächtig stehen und
schweige, denn das Werkchen, das ich in deine Hände lege, hat 2000
Jahre gesehen und ist nicht verwittert.
Ovids Liebesbüchlein oder auf lateinisch Amores,
was - wie jedes Mädchen weiß - die Mehrheit von Amor ist, hat
einen gar merkwürdigen Mann zum Verfasser. Das Problem der Liebe beschäftigte
seine Seele zeitlebens, sei es daß er die alte Heldensage, sei es
dass er seine eigenen Erlebnisse ins Auge faßte, und er hat auch
eine gewise Lösung dafür gefunden: die Liebe ist - eine Kunst.
Lache ihn nur gründlich aus, mein Kind, du
weißt es ja besser; um aber gerecht zu zu sein, wirst du den Mann
im Geiste seiner Zeit betrachten müssen.
Ovid lebte von 43 v. Chr. bis 17 nach Chr. während
der Blütezeit der römischen Kunst, der langwierige Kampf, der
die neue Gestaltung der Dinge vorbereitet und eine militärische Weltmonarchie
geschaffen hatte, war zu Ende. Es gab keinen Brutus mehr, nur seine Epigonen
verstanden es als Soldaten oder Beamte sich mit dem Kaiserregiment recht
gut abzufinden. Die jungen Leute hatten materielle Ziele; sie liebten,
praßten und ließen im übrigen den lieben Herrgott einen
guten Mann sein. In der Stadt, in welcher die Kulte aller Religionen gepflegt
wurden, in Rom, waren demnach die furchtbaren Worte, denen der Historiker
Tacitus später mit kaltem Blute Ausdruck verlieh, inhaltlich allgemein
anerkannte Münze: "Nicht um unser Entstehen, noch um unser Ende,
noch überhaupt um Menschen bekümmern sich Götter." In einer
solchen eleganten, blasierten Welt lebte der Dichter.
Wer einmal die süditalischen Städte besucht
hat, hat wohl mit Verwunderung die mannigfache, treue Bewahrung des alten
Römertums wahrgenommen. Vielleicht hat er auch einen Abstecher nach
dem kleinen Sulmona gemacht, das inmitten schroffer Bergmauern unter den
Hochgipfeln der Majella in idyllischer Abgeschiedenheit ruht. "Körper
und Geist - so schreibt ein Reisender - erliegen beinahe unter dem überschwänglichen
Eindruck dieser Natur. Aller Feldbau wird hier zur Gärtnerei; zwischen
den Weinlauben und den dunklen Pappeln ragen die Maisstauden empr; ganze
Feldstrecken sind mit blühendem Crokus bedeckt, denn seit dem Altertum
liefert Sulmona als Handelspflanze den Saffran. Diese Fruchtbarkeit hat
das Ländchen seinem unerschöpflichen Wasserreichtum zu danken."
Sulmona, das früher Sulmo hieß, ist die Geburtsstadt unseres
Dichters und fürwahr, es ist wert die Heimat eines Dichters zu sein.
Bis heute haben die Einwohner das Angedenken Ovids treu aufbewahrt, schondadurch,
daß sie auf Stadtwappen die Initialen Ovidischer Worte S. M. P.
E. d.i. Sulmo mihi patria est (Sulmo ist meine Vaterstadt) schreiben.
Mit dem Ovid des Altertums ist freilich eine Änderung vorgegangen,
wie jeder erfahren kann, der die Landfrau, die ander sprudelnden Quelle
am Abhang der Majella die Wäsche spült, zur Rede stellt. Fragen
wir nach dem Namen des Brunnens, so erwidert sie aufblickend: Fonte
d'amore, Quell der Liebe. Und sie erklärt uns auch, daß
der Zauberer lo Viddio, der oben auf den Bergen gewohnt hat, hier seinen
Ruhesitz hatte und zuweilen noch jetzt in der Nacht die Luft durchfahre,
bald Unhel stiftend,bald sich gnädig erweisend. Ein Blick auf die
Urkunden, die in das dreizehnte Jahrhundert reichen, belehrt uns, daß
schon damals für jene Quelle der Name fons amoris gebraucht
ist. Doch das ist noch nicht alles. An lauen Sommerabenden erklingen als
Refrain oft die Worte, mit denen der Dichter seine Heimat gepriesen, in
die wohltönende Sprache seines Landes übertragen:
"Sulmona bella, ove Vidio nacque
Cinte da monti e copiosa d'aque."
Seltsam! Gleich Vergil ist auch Ovid im Mittelalter
zum Zauberer geworden, und wenn auch die Behörde von Sulmona in der
Vorhalle des Liceo Ovidio genannten Gymnasiums die aus dem funfzehnten
Jahrhundert stammende Bildsäule des Dichters aufgestellt hat, welche
uns diesen in der Gestalt eines Humansten mit einem mächtigen Folianten
zu seinen Füßen zeigt, so weiß doch das Volk wenig damit
anzufangen, rückt wohl, wie man wenigstens aus alter Zeit erzählt,
wenn es hier vorbeikommt, respektvoll den Hut, mag aber des Glaubens sein,
daß der gelehrte Mann dort nichts als ein Ratherr sei.
Aus diesem Sulmo, wo seine Eltern, einer wohlhabenden
Ritterfamilie angehörig, ein beschauliches Leben führten, langte
Ovid eines Tages in Rom an, um seine Erziehung zu vollenden, und entzückte
allgemein durch seine wunderbare Art, die Begebenheiten der Welt leicht
zu erfassen und mit reicher Phantasie künstlerisch darzustellen. Seine
Belesenheit war erstaunlich. Seine Formgewandheit verleitete ihn selbst
zu dem Eingeständnis, daß ihm die Verse ohne Zwang aus dem Munde
kämen. Seine Grazie ließ in nicht vor dem schwierigsten Stoff
zurückschreicken, und so versuchte er sich in allem - überall
Schüler, in Einem unbestreitbarer Meister, auf dem Gebiete der Liebeslyrik.
Er hat das Gebiet nach allen Richtungen durchstreift
und, weil die Sache die jeunesse doreé interessierte, sich
nicht gescheut, die lascive Seite zu betonen und eine Kunst zu suchen,
wo ein Gefühl herrschen sollte. Darum ist auch die Patronin seines
Liebesbüchliens die heitere Muse. Weil aber Ovid zum Glück ein
wahrer Dichter ist, hat man nur nötig das einzelne Anstößige,
wie das hier geschah, zu entfernen, um den geistigen Inhalt des Ganzen
umso reiner genießen zu könnn. Wenn wir die Gedichte, im Original
durch mehrere Abteilungen verstreut, im organischen Zusammenhang betrachten,
um das Bild eines Liebeslebens von Anfang bis Ende zu gewinnen, so kommen
wir zu dem Resultat, daß der Dichter am liebsten einer Sklavin, mag
er sie nun Corinna oder anders nennen, sein Herz zuwendet und ihr niedliches
Füßchen, ihr langes Haar, ihre quellenreinen Augen nicht genug
zu rühmen weiß. Vermutlich waren die dienenden Mägde zu
jener Zeit nicht die schlechtetsten Vertreter des schönen Geschlechts
oder aber Ovid schrieb Satire. Ihm ist der Liebende ein Soldat, das Liebeslied
eine Waffe, der Liebesgenuß ein Sieg, und der kleine Liebesgott Eros
ein Triumphator, der trotz einem Cäsar seinen siegreichen Einzug hält;
alles Züge, die dem militärischen Geiste des Jahrhunderts entsprechen.
Man hat sich im Cirkus gesehen, Brieflein und Rignlein gewechselt udn ein
Stelldichein gewählt. Aber die Herzen sind nicht treu, der Charakter
fehlt der entnervten Zeit. Das Weib läßt sich durch eine Kupplerin
bethören, heuchelt Eifersucht und wendet sich dem Reichen zu. Der
Mann, nicht frei von Schuld, klagt die ganze Welt an und wird Philosoph.
Das scheint sehr traurig, ist es aber nicht. Denn mit aristophanischem
Witz wird den Liebesscenen die heitere Seite abgelauscht und einstörende
Bild durch ein gutes Wort in versöhnende Harmonie aufgelöst.
Ovid war dreimal verheiratet, zuletzt mit einer
Witwe, durch welche er, da sie mit der Tante des Augustus befreundet war,
mit dem Hof in Berührung kam. Das war zu seinem Unheil. Er geriet,
man weiß nicht aus welcher Ursache, bei dem Kaiser in Ungnade und
wurde in das römische Sibirien, nach Tomi, einem kleinen Orte am Schwarzen
Meere, verbannt, wo er unter barbarischem Volke, voll Sehnsucht nach seinem
Vaterlande und seiner Familie neun qualvolle Jahre lebte und den Tod, er
ihn 17 n. Chr. im Alter von sechzig Jahren dahinraffte, als Erlösung
betrachten mußte.
Ovid ist der begabteste, gesitreichste und natürlichste
aller römischen Dihter, und es ist, wenn man davon ausgeht, daß
die alte Poesie einem modernen Publikum nur mit modernen Mitteln verständlich
gemacht werden kann, keine leichte Aufgabe, die zierlichen römischen
Distichen in deutsche Reime zu übertragen. Wenn du, liebes Kind, das
Buch darauf hin ansiehst, so vergiß nicht, daß die neue Form
nur durch Aufopferung der Modezuthaten, des mythologischen Apparates und
der Breite der Ausführung möglich war, aber sei versichert, daß
er Inhalt des Originals geblieben ist. Ich hoffe, daß du und alle,
die diese Blätter in die Hand nehmen, daran Freude haben und ihr Verständnis
für das römische Altertum erweitern werden. -
Berlin, im Wonnemonat 1891.
Dr. Fr. Herz
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