Der Forschungsprozess ausgestellt
Zeit der Unruhe. Über die Internationale Kunstausstellung für Palästina 1978 im Haus der Kulturen der Welt
Lianne Mol
Jeder, der sich schon einmal praktisch mit Archivrecherche beschäftigt hat, weiß, wie kompliziert dieser Forschungsprozess sein kann. Noch schwieriger ist es, wenn es eigentlich kaum Forschungsmaterial gibt, weil der größte Teil in der Vergangenheit zerstört wurde. Und ebenso aufregend ist es, gegen alle Erwartung auf interessante Entdeckungen zu stoßen. Diese Aufgabe zeigt Zeit der Unruhe.
Die Ausstellung Zeit der Unruhe handelt von der Internationalen Kunstausstellung für Palästina (Beirut, 1978). Sie zeigt die wichtigsten Ergebnisse der jahrelangen Forschungsarbeit der Kuratorinnen und Forscherinnen Kristine Khouri und Rasha Salti. In einem einzelnen Raum des HKWs sind digitale Reproduktionen von Bildern, Dokumenten, Zeitungsausschnitten, Postern, Pamphleten, Kunstwerken usw. ausgestellt, um den BesucherInnen einen Überblick der Recherche zu bieten. Die Forscherinnen haben sich entschieden, das komplizierte Netzwerk hinter der Kunstausstellung für Palästina freizulegen.
Diese Ausstellung wurde im März 1978 an der Beirut Arab Universität eröffnet. Sie war eine Initiative der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und umfasste Arbeiten von etwa zweihundert KünstlerInnen aus dreißig Ländern. Das Ziel dieser internationalen Kunstausstellung war, ein Gefühl von Solidarität mit dem palästinensischen nationalen Konflikt zu bewirken. Sie entstand in Einklang mit der weltweiten antiimperialistischen Bewegung der 1960er und ’70er Jahre, insbesondere den vielen kritischen Kunstausstellungen, die außerhalb den Museen stattfanden.
Was Zeit der Unruhe ausstellt, ist nicht so sehr eine Geschichte oder Erzählung, sondern der Forschungsprozess selbst. Die Kuratorinnen haben versucht, den historischen, politischen und kulturellen Kontext, in dem die Kunstausstellung für Palästina entstand, durch die Angaben zu deuten, die sie vorgefunden haben. Sie laden die BesucherInnen ein, „in diese Welt der Anekdoten, Erinnerungen, Bilder und Dokumente einzutauchen, eigene Spekulationen daran anzuknüpfen und selbst zu entscheiden, was sie von alledem im Gedächtnis behalten wollen“ (Ausstellungsbroschüre). Die/der BesucherIn wird in den Forschungsprozess mit einbezogen.
Heute gibt es jedoch leider nur noch den Ausstellungskatalog der Internationalen Kunstausstellung für Palästina, weil das Gebäude, in dem die Arbeiten und Ausstellungsdokumente der Ausstellung für Palästina untergebracht waren 1982 durch die israelische Armee bombardiert wurde. Deshalb hatten Khouri und Salti am Anfang ihrer Forschung nur den Katalog zur Verfügung, auf den sie in einer Galerie in Beirut gestoßen waren. Und genauso wie die Forscherinnen angefangen haben, beginnt auch die Ausstellung: mit einer Projektion, in welcher die Seiten des Katalogs eine nach der anderen umgeschlagen werden. Ausgehend von dieser Entdeckung haben Khouri und Salti sich damit beschäftigt, Verbindungen zwischen der Kunstausstellung in Beirut und anderen Ausstellungen, Personen und Kollektiven zu ziehen. Dieser Prozess wird ausdrücklich in einer zweiten Projektion visualisiert, die zeigt, wie ein Wort-Netz mit den wichtigsten Akteuren und Projekten gezeichnet wird. Dieses Wort-Netz verkörpert das kuratorische Konzept der Ausstellung: alle KünstlerInnen, AktivistInnen, Kollektive, aber auch die Ausstellungen und Veranstaltungen, die in Zeit der Unruhe gezeigt werden, haben einen Platz in dem Netzwerk und sind miteinander verbunden.
Der Ausgangspunkt dieses Netzwerkes war der französischen Künstler Claude Lazar, eine wichtige Person in der Ausführung der Internationalen Kunstausstellung für Palästina. In den 1970er Jahren stand er palästinensischen AktivistInnen nahe und ermutigte zahlreiche KünstlerInnen dazu, an der Ausstellung mitzuarbeiten. Die Forscherinnen besuchten ihn im Juni 2011, um seine Erinnerungen an die Ereignisse zu hören. Bilder von dem Gespräch können in Zeit der Unruhe angeschaut werden, ebenso wie Videos von Gesprächen mit anderen Beteiligten. Es handelt sich hier am ehesten um persönliche Erinnerungen an die Kunstausstellung für Palästina, weniger um die Rekonstruktion einer faktischen Geschichte.
Ein großer Teil der aktuellen Ausstellung stellt Informationen über die anderen Kollektive, die an der Realisierung der historischen Ausstellung beteiligt waren, zur Verfügung. Außerdem zeigt Zeit der Unruhe Bilder, Poster und Plakate von ähnlichen Ausstellungen, um so einen Überblick des Ausstellungsfelds und kritischen Diskurses der 1970er und ’80er Jahre zu ermöglichen. Was hier deutlich wird, ist die Verbreitung und Globalisierung der antiimperialistischen Bewegung in der Kunstwelt. Dies wird umso klarer durch eine Weltkarte, die die Wanderausstellungen der 70er bis zum Jahr 2000 mit ihren weltweiten Standorten verbindet.
Ganz hinten in dem Ausstellungsraum gibt es eine Wand gefüllt mit Index-Karten, auf den die Namen von KünstlerInnen, die an der Internationalen Kunstausstellung für Palästina teilnahmen, geschrieben sind. Sie erinnert an eine Wand im Büro der Forscherinnen. Dazu kommen alle Informationen, die verschiedene Datenbanken über diese Personen ausgewiesen haben. Sie sind geordnet nach Herkunftsland, was enthüllt, dass es bedeutend mehr Informationen über westliche als über nicht-westliche KünstlerInnen gibt. Es ist auffällig, dass die Erkenntnisse, und nicht die Folgerungen ausgestellt sind. Die Kuratorinnen ermöglichen den BesucherInnen, ihre eigenen Feststellungen aus den gegebenen Informationen zu ziehen.
Was Zeit der Unruhe so vor allem darstellt, ist der Verlauf von Ausstellungsrecherche selbst. Sie bietet einen Blick hinter die Kulissen der Forschungspraxis. Es handelt sich dabei nicht nur um die Internationale Kunstausstellung für Palästina, sondern um die ganze Kunstwelt und das politische Klima, in dem diese Ausstellung ins Leben gerufen wurde. Trotzdem verschafft die aktuelle Ausstellung kaum ein Bild davon, wie die historische Ausstellung 1978 aussah. Dies ist vor allem dem Bombardement des Archivgebäudes geschuldet. Die BesucherInnen erfahren hierdurch auch die Anstrengung der Recherchearbeit, bei der es einfach kaum Anhaltspunkte gibt. Die Lücke im Kanon wird deshalb durch die Abwesenheit von authentischen Objekten fühlbar gemacht. Das Ergebnis ist, wie die Kuratorinnen es selbst ausdrücken, „eine eklektische Sammlung von Geschichten und Anekdoten“, nacherzählt mit ihren eigenen Stimmen und denen der Beteiligten (Ausstellungstext).
Zeit der Unruhe. Über die Internationale Kunstausstellung für Palästina 1978
19. März bis 09. Mai 2016
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
www.hkw.de