"In Abwesenheit" - Alicja Kwade
in der Berlinischen Galerie
Anna Weber
Die Ausstellung In Abwesenheit stellt das Selbst, den Körper, die Biologie, die Chemie, den Klang der Alicja Kwade selbst und des Menschen vor. Sie beschäftigt sich mit der Frage danach, „[…] wie sich der Mensch und seine physische Präsenz im Raum auf Grundlage unterschiedlicher methodischer Betrachtungen beschreiben lassen.“ Aber weiß man am Ende des Ausstellungsbesuches wirklich mehr über sie und über sich selbst, als vorher?
Ich stehe im Becken eines verlassenen, mit grauen Kacheln gefliesten Schwimmbades, in dem alte rostige Geräte zurückgelassen wurden. Jemand hat vergessen, den Strom auszuschalten. Grelles, kühles Licht strahlt durch einzelne Deckenstrahler von oben in den Raum hinein. Bei näherem Betrachten mutieren die Fliesen zu unzähligen A4-Blättern, auf denen sich die Buchstaben ACGT in einer sich ständig verändernden Ordnung aneinanderreihen. Die rostigen Geräte entpuppen sich als scheinbar wahllos an den Außenseiten des Raumes platzierte Kupferkisten, welche Schreibtischschubladenschränken ähneln, von denen manche mit Papier gefüllt sind. Weiterhin befinden sich im Ausstellungsraum raumbildend arrangierte Kupferskulpturen, die an DNA-Doppelhelix-Strukturen erinnern und aus aufeinandergestapelten Abgüssen von Handys bestehen.
Der Raum wird sowohl visuell und auditiv von einer sich im Zentrum befindlichen, bis zur Decke reichenden kreisförmigen Stahlkonstruktion dominiert. An diesem massiven Ring sind 24 Lautsprecher befestigt, von denen einzelne Kabel spinnwebenartig herunterbaumeln um sich in einem weiteren in der hinteren Ecke des Raumes platzierten Lautsprecher zu bündeln. So beschallt der Herzschlag der Künstlerin mit an aneinandergeschlagene Kokosnüsse erinnernden Lauten pulsierend den Raum.
Alle Elemente wirken sehr bedacht arrangiert: wie in einem schicken, überteuerten Innenraumdesign-Geschäft, in dem keine der Kund:innen wirklich wissen, welchen Zweck die Gegenstände haben, sich aber trotzdem angeregt darüber unterhalten, welchen tieferen metaphysischen Sinn man hineininterpretieren könnte. Folgendermaßen könnte der Gedankengang einer dieser Kund:innen verlaufen: Hier ist ein Objekt, dessen Sinn ich nicht verstehe. In welchem Zusammenhang steht es zu den anderen Objekten? Könnte es sein, dass es sich hier um eine Hommage an eine bestimmte philosophische Theorie oder an die Arbeit anderer Kunstschaffender handelt? Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte ja sein, dass die Künstlerin auf die Theorie x hinweisen will und eine Hommage an Künstler:in y leistet. Vielleicht ist das genaue Gegenteil von dem gemeint, was wir glauben zu verstehen. Ist das ihre Absicht? Auf mich wirkt es etwas prätentiös und berechenbar.
Van Gogh ohne Ohr, der finstere Blick von Otto Dix, Frida Kahlo mit Katze und Affe auf den Schultern, Selfies von uns selbst, Glasampullen mit chemischen Elementen aus denen sich der menschliche Körper zusammensetzt. Eines dieser Beispiele tanzt aus der Reihe: Die Arbeit, die Alicja Kwade als Selbstportrait tituliert, zeigt 24 aneinander gereihte Glasampullen, gefüllt mit der Reinform derjenigen chemischen Elemente, aus denen der menschliche Körper besteht. Insofern könnte diese Arbeit also auch unser aller Selbstportrait sein, abhängig davon ob wir es als solches bezeichnen würden. Die Künstlerin spielt mit der Definition von Selbstportraits. Stellen sie dar, was wir mit allen anderen Menschen gemeinsam haben, oder soll es uns in unserer Essenz, und damit auch in unserer Einzigartigkeit und Besonderheit darstellen? Vor allem, weil die Arbeit Selbstportrait aus neun nebeneinander hängenden identischen Rahmen mit Glasampullen besteht, stellt sich die Frage ob sie Individualität und Einzigartigkeit hinterfragen will. Warum verwendet sie sonst die Bezeichnung Selbstportrait?
Die Arbeit, Gegebenenfalls die Wirklichkeit ist vielleicht schon eher eine Darstellung dessen, woraus nur Kwade selbst besteht. An den vier Wänden des langen, rechteckigen Raumes und in einzelnen Bronze-Stelen befindet sich ihr eigenes auf mehr als 300.000 A-4 Seiten gedrucktes, komplett ausgelesenes Genom (in dem natürlich auch über 99% der Eigenschaften ,+- identisch mit anderen Menschen sind). Vielleicht ist es die Beziehung zwischen Individualität und Gemeinsamkeit, Einzigartigkeit des Individuums und dem was wir alle auf einer chemischen-biologischen Ebene gemeinsam haben, das Verhältnis, das sie hervorheben möchte. Vielleicht ist das Selbstportrait für sie ein Bild in dem sich jede:r wieder erkennen kann.
In Marina Abramovićs Arbeit The House with the Ocean View kann man intime Momente (Duschen, Toilettengänge) der im Raum anwesenden Künstlerin live beobachten. In Kwades Ausstellung In Abwesenheit fühle ich trotz ihrer physischen Abwesenheit, als erlebe ich ebenso persönliche, intime Aspekte ihrer Person. Die Vibration der Laute lassen mich ihren Herzschlag anfangs bewusst, später unbewusst in meinen Füßen und auf meiner Haut spüren. Alle Arbeiten wirken abstrakt und klinisch oberflächlich, aber doch sehr intim, als würde man sich mit dem Betreten des Raumes in ihren Körper, in ihr Inneres begeben.
Vor allem wegen dieser intimen Stimmung denke ich, einen tieferen Zugang zu den Arbeiten finden zu können. Aber genau das ist es, was mich stört. Ich habe das Gefühl, alles wurde mit der Intention kuratiert und präsentiert, um mich auf einer Meta-Ebene denken zu lassen. Nach dem Motto „Wenn man lange darüber nachdenkt, findet man immer was spannendes“.
Auf mich wirkt ihre Wahl der Doppel-Helix Skulpturen aus aufeinander gestapelten Abgüssen von Handys berechenbar. DNA ist individuell, aber wir bestehen alle aus den gleichen chemischen Elementen und all unsere Daten und Informationen befinden sind auf unseren Handys über die wir uns vernetzen. Als hätte sie sich die Frage gestellt, was den Menschen ausmacht. Der biochemische Aspekt ist abgehakt, die DNA ist dabei, der Herzschlag addiert eine auditive, körperliche Komponente. Dann fehlt nur noch die soziale Komponente des Menschen in der globalisierten Welt. Einfache Antwort: Smartphones. Werden wir gerade wirklich wieder darauf reduziert?
Vielleicht erschließt sich einem das Konzept besser, wenn man so tut als würde man mit einer imaginären Lupe durch den Ausstellungsraum laufen. Hält man sie an die DNA-Doppelhelix ähnlichen Skulpturen, wird man auf das Genom einer Person verwiesen, das im Detail an den Wänden abzulesen ist. Im weiteren Verlauf könnte man auf die verspiegelte Uhr, deren Zifferblatt nicht sichtbar ist schauen, die an der Wand hängt und darin wiederum auf den Herzschlag der Künstlerin verwiesen werden, der wieder auf das Ephemere menschlichen Daseins aufmerksam macht.
Während die Ausstellung eine extrem detaillierte und persönliche, aber doch un-emotionale und distanzierte Herangehensweise an einzelne Aspekte dessen, woraus Alicja Kwade als einzelne Person und wir als Menschen und bestehen, beschreibt, stellen sich nach dem Besuch eine Reihe von Fragen genereller Natur in Bezug auf Ausstellungen dieser Art.
Offensichtlich handelt es sich hier um eine Ausstellung, die (Kunst)Vermittlung voraussetzt, sei es durch den Klappentext, durch Kunstvermittler:innen in der Ausstellung, durch das Lesen von Rezensionen in Katalogen, Tageszeitungen oder Kunstzeitschriften.
Man stelle sich vor, man betritt diese Ausstellung ohne zu wissen, um was es geht, ohne den Titel oder den Ankündigungstext gelesen zu haben. Ist die Installation prägnant genug, um als ein rein ästhetisches Objekt nur durch die Anmutung auf die Sinne zu wirken, ohne das kunsttheoretische Konzepte ins Spiel kommen? Oder aber, auch wenn man die Botschaft kennt, ist sie in ihrer Form so realisiert, dass sie gleichzeitig einen ästhetischen Anspruch durch die Art ihrer Form und Rauminstallation befriedigt? Auch wenn man die Ausstellung mit einer gewissen Ratlosigkeit verlassen sollte, bildet sie doch einen Ausgangspunkt, über solche Fragen zu reflektieren.
Quellen:
Text zur Ausstellung „In Abwesenheit“ Berlinische Galerie, https://berlinischegalerie.de/ausstellung/alicja-kwade/ letzter Abruf 06.02.2022
Ausstellungsort: Berlinische Galerie, Berlin
Titel der Ausstellung: „In Abwesenheit“ - Alicja Kwade
Laufzeit der Ausstellung: 18.9.21 – 4.4.22
Öffnungszeiten: Mittwoch - Montag 10 - 18 Uhr, Dienstags geschlossen
Webseite: https://berlinischegalerie.de