Zu Hause ist der Hass
Anna Ehrenstein - The Albanian Conference: Home Is Where The Hatred Is in der KOW Galerie Berlin
Kilian Jarvis
Lange ist es her, dass mich eine Ausstellung aus ihrem bloßen optischen Reiz sofort angesprochen hat. Die kleine Soloausstellung im oberen Geschoss der KOW Galerie weist vielfältige Medien und Materialien, bunte Farben und provokativ an die Wand der Galerie gesprayte Schriftzüge auf. Anna Ehrenstein, eine mir bis dahin unbekannte Künstlerin, hat, wie ich bald feststellen sollte, einiges mehr drauf als bloß schrille und unkonventionell installierte Kunst zu schaffen.
Ich betrete die obere Etage der KOW Galerie in Berlin Kreuzberg. Allein der Weg nach Oben über die ausstellungswürdige Stahltreppe ist ein Erlebnis. Oben angekommen heißt mich ein schwarz rotes Graffiti-Tag willkommen:
DEMON
EUROPE,
I SPIT IN
YOUR
FACE
Provokativ; und nicht ganz schmerzfrei. Ich ahne noch nicht ganz, worauf ich mich einlasse, doch muss nicht lange warten bis ich von einem Video, das auf einem Flachbildschirm, der auf einem Home-Fitnessgerät montiert ist, auf die Spur geleitet werde. Die Ausstellung trägt den Namen The Albanian Conference und spielt auf die Afro-Asian Writer’s Conferences an, die von 1958 bis 1979 in verschiedenen Afrikanischen und ehemaligen Sowjetischen Staaten gehalten wurden. Ziel dieser Konferenzen war es den Imperialismus zu denunzieren und kulturelle Kontakte unter den Staaten zu knüpfen, die unter besagtem Imperialismus litten. Anna Ehrenstein, die selbst Deutsch-Albanerin ist, hat sich mit Künstler*innen und Aktivist*innen aus Indien, Nigeria und Ghana zusammengetan, um quasi eine neue Auflage der Afro-Asian Writer’s Conference in Anlauf zu nehmen und sich für eine „fair global collaboration“ und „decolonized relations“ einzusetzen.
Der erste Bildschirm zeigt im stummen Untertitelformat Text, der auf die Geschichte jeglicher Arten von Diskriminierung oder struktureller Lebenseinschränkung, die POCs erfahren, hinweist und wie diese miteinander verknüpft sind. Kolonialismus, Sexismus, Kapitalismus, westliche Hegemonie über den Osten, um nur einige zu nennen. Der Hintergrund, auf den der Text gespielt wird, zeigt eine in Zeitraffer laufende Luftaufnahme eines massiven Waldbrandes, der sich immer weiter auszubreiten droht, aber nie den ganzen Wald erfasst. Eine Allegorie dafür, dass nur zusammen mit vielen Arbeitskräften gegen die Gefahr vorgegangen werden muss, bevor es zu spät ist?
Die nächsten Videoarbeiten sind ebenfalls auf Home-Fitnessgeräten montiert und laufen zum Glück nicht alle gleichzeitig. In dem überschaubaren Raum ist es angenehm nur eine Tonspur auf einem der Bildschirme zu hören, bevor der Monitor schwarz wird und man zum nächsten Werk übergehen kann. Die Fitnessgeräte laden ab jetzt zum Interagieren ein. Auf der Hantelbank Platz genommen sehe ich Musikvideos zu, die musikalisch zwischen Afro-Beat und Trap einzuordnen sind. Songtext und Bild thematisieren die kolonialen Strukturen, die bis heute in Nigeria zu spüren sind, die daraus resultierende Korruption in der Politik und Polizeigewalt. Immer wieder wird das hegemoniale Europa als Täter dargestellt, und ich selbst, als Europäer, bekomme einen gewissen Drang etwas dagegen zu unternehmen.
Zwischendurch werden vom Künstler*innenkollektiv Tanzritual ähnliche Szenen an einem beeindruckenden See in einer Schlucht gezeigt. Sie sorgen für eine kontemplative, fast meditative Stimmung und scheinen hervorheben zu wollen, wie atemberaubend schön unser Planet ist, vor allem wenn wir ihn miteinander teilen. Diese Bilder zu sehen, während ich auf der Hantelbank sitze, hat eine besondere Wirkung. Im Begleittext der Ausstellung wird betont, dass Aktivismus nicht lediglich darin besteht Forderungen zu stellen, sondern auch eine gewisse Körperlichkeit beinhaltet. „Protests [...] should also be seen as a workout program for the body that needs to make its weight felt in the public arena”. Ich fühle mich wie in einer Satzpause im Gym, als würde ich mich bereit machen die bevorstehende Arbeit motivationsgeladen zu vollziehen. Nur ist in diesem Fall die Arbeit nicht für mich, sondern für eine gerechte und vielfältige Gesellschaft.
Dieses Gefühl der Motivation wird auf dem nächsten Bildschirm einen Schritt weitergedacht. Diesmal ist er auf einem Laufband angebracht und es läuft mystische Musik. Man könnte es nahezu als ring walk music für die Kampfarena bezeichnen, zu der man selbst mitläuft. Die Gruppe inszeniert sich in bunten Rave-Outfits, die Videospiel-Avataren ähnlich sehen, inmitten der Ruine einer dem Kolosseum ähnelnden Arena. Aggressiv und fokussiert blicken sie in die Kamera, als wären sie bereit für das, wofür sie einstehen bis zum Tod zu kämpfen.
Eine Collage dieser Szene ist an der Wand daneben angebracht. Im Hintergrund ist die brennende Ruine animiert, von der Decke hängen die leblosen Körper von weißen Männern in Priestergewändern. Die Gruppe aus Aktivist*innen und Künstler*innen in ihren bunten, freizügigen und queer angehauchten Outfits davor positioniert, als würden sie vor ihrer erlegten Beute posieren. Nicht ganz politisch korrekt, aber es hat Schockfaktor und setzt ein Zeichen, dass sich an den kolonialen Strukturen, die bis heute ihre ehemaligen Herrschaftsgebiete unterdrücken, endlich etwas ändern muss. Ein gewagtes Bild, das hier gezeigt wird, doch die Zielgruppe dieser Ausstellung in Kreuzberg wird es Anna Ehrenstein vermutlich nicht übelnehmen.
Beim Verlassen des Showrooms ertönen die Schritte auf der Stahltreppe wie ein rhythmischer Gong. Er ist meine walk out song für den Kampf um Gerechtigkeit in der Welt da draußen. Nachdenklich und ein wenig frustriert trete ich auf die Straße. Ich frage mich wie ich und die Gesellschaft als Kollektiv einen Beitrag zur Lösung dieser massiven Probleme leisten können. Ein sehr bescheidener Gedanke, doch je mehr Augen Ausstellungen wie diese sehen und den Diskurs ankurbeln, desto schneller wird er anfangen Früchte zu tragen.
Anna Ehrenstein - “The Albanian Conference: Home Is Where The Hatred Is”
12.11.2021-29.01.2022
KOW Galerie Berlin
Lindenstr. 35
10969 Berlin
Di.-Sa. 12-18 Uhr
https://kow-berlin.com/exhibitions/home-is-where-the-hatred-is