(Wenn die Fotografie aufdeckt, was die Architektur des White Cube verstecken will)
Borrowed Light Talents 37, Bianca Pedrina/Larissa Kikol im C/O Berlin
Ruri Kawanami
Immer wieder fühlt man sich als Besucher etwas erschöpft, wenn in Ausstellungen – dominiert von der Rede vom Ende der klassischen White Cube-Ausstellung – wiederholt die eigene Ausstellungsatmosphäre thematisiert wird. Dies insbesondere dann, wenn jene Suche nach alternativen Präsentations- und Rezeptionsformaten mit populären und das bedeutet mittelmäßigen Konzepten wie Partizipation, Interaktivität oder Multimedialität ohne kritische Bezugnahme zusammenläuft.
Die Fotografin Bianca Pedrina wirft einen etwas anderen Blick auf den Diskurs des White Cube. Auf verspielte Weise macht sie die architektonischen Grundeigenschaften des Ausstellungsraums mit unerwarteten Großaufnahmen sichtbar und verwandelt so den Ausstellungskubus selbst zu einem ausgestellten Objekt. Für die Ausstellung Borrowed Light am Berliner Amerika Haus, C/O Berlin, hat die Künstlerin speziell drei Großaufnahmen installiert, auf denen jeweils willkürliche Baudetails des Gebäudes mit drastischer Vergrößerung in den Vordergrund gebracht werden.
Die Installation befindet sich in einer winzigen Ecke im Vorraum einer anderen Fotoausstellung. Es verwundert nicht, dass manche Besucher sogar versäumen, den Übergangsflur als eigenständigen Ausstellungsraum wahrzunehmen und schnell zur nächsten Ausstellung weiterlaufen, ohne dem Raum weitere Beachtung zu schenken. Denn die Ausstellung Borrowed Light wirkt zunächst ein wenig wie eine Baustelle: die willkürlichen Aufnahmen erscheinen plötzlich im Flur, hängen da ohne Rahmen. Weder eine genaue Markierung noch eine Beschreibung zu den Objekten ist vorhanden. Insgesamt könnte so auf den ersten Blick ein Gefühl von Unvollständigkeit entstehen.
Doch dieser Effekt ist in der Arbeit der Fotografin Bianca Pedrina und der Kuratorin Larissa Kikol wohl beabsichtigt: Die Ausstellung sollte nicht im klassischen Raum des White Cube stattfinden, gerade weil sie die Grenzen solcher Ausstellungsräumlichkeiten verwischen wollen. Die drei Fotoaufnahme beziehen sich jeweils auf einen bestimmten Bauteil des Ausstellungskubus des Amerika Hauses, der aber in einem völligen anderen Teil des Gebäudes ausgehängt wird. So landet eine Fotoaufnahme des Fußbodens an einer Wand, oder ein unbekanntes Wandstück an einem anderen Teil des Gebäudes – ein subtiler Hinweis darauf, dass die Ausstellung Bezug auf die gesamte Architektur des Hauses nimmt. Die spielerische Selbstbezüglichkeit dieser Installationen erweitert die Wahrnehmung des Ausstellungsraums hinein in eine Domäne jenseits der vier Wände des demarkierten Kubus.
Detail auf Übergröße – Fotographie als „erotische Entblößung“ der Architektur
Pedrinas Beschäftigung mit der Frage, was passiert, wenn nicht die einzelne Arbeit, sondern erst die Räumlichkeit als Ganzes den Inhalt sowie den Kontext einer künstlerischen Arbeit darstellt, bildet einen zentralen Aspekt der Ausstellungkonzept, wie dem Katalog zur Ausstellung zu entnehmen ist. Und diese ergibt sich auch explizit aus ihrer asketisch minimalistischen Darstellung. Ihre klare und kühle Zurschaustellung der Baudetails in Übergröße ist alles andere als verherrlichende Architekturfotografie. Vielmehr wird der glorifizierte Ort Museum/Galerie durch einen wilkürlichen cut-up zu einem gleichgültigen Objekt reduziert, welches, der Kuratorin zufolge, durch die mechanische Gewalt des Fokusses auf zufällige Details die Museumsarchitektur erotisch entblößen und zur Schau stellen soll.
Für die in Wien und Basel lebende Fotografin geht es bei diesem Medium weniger um die Feststellung eines einzigartigen Moments oder die Abbildung realer/fiktiver Wirklichkeiten. Sie beschäftigt sich immer gerne damit, wie “intime Ecken” einer Architektur – wie sie selbst es nennt – über das Medium der Fotografie entlarvt werden können. So hat sie bereits 2014 bei ihrer Ausstellung Intime Architekturphotographie in Basel versucht, durch detailhafte Nahaufnamen des Basler Stadthauses aus dem 14. Jahrhundert architektonische Alterungsprozesse des Hauses im Bild festzuhalten und als eine Semiotik der Nacktheit darzustellen.
Wie man in der Fotografie Dreidimensionalität erreicht
Doch ist die Beschäftigung mit der Frage nach dem Medium Fotografie eigentlich nichts Neues. Eine Zeitlang haben sich Fotografen intensiv mit der Frage nach dem Wesen des fotografischen Mediums beschäftigt, denn sie fühlten sich im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit mehr oder weniger verpflichtet, auf dem Wege der Selbstreflexion das Fortleben der Fotografie als künstlerisches Darstellungsmedium zu bewahren. Dies vor allem dort, wo Smartphones und Apps in den letzten Jahren mit ihrer Schnelligkeit und Billigkeit die technischen Voraussetzungen der Fotografie und mit ihnen auch ihre Ästhetik rasant zu verändern scheinen.
Als Reaktion hat der Begriff der Medienspezifik auch im Diskurs der Fotografie nach wie vor Konjunktur: Viele suchen nach einer neuen Identität über die kritische Befragung des Mediums selbst. Während sich in sozialen Netzwerken noch portraithafte, narrative Bilder häufen, scheint bei Fotoausstellungen die klassische Vorstellung der Fotografie – das Festhalten des einmaligen Moments für die Ewigkeit – keinen Ort mehr zu haben. Vielmehr wächst das Interesse an konzeptueller Arbeit mit dem Medium selbst, wie etwa in der Fotocollage aus gefundenem Material oder dem Fotografieren einer anderen Fotografie.
Was jedoch solche Versuche nach wie vor als Mangel aufweisen ist ihre hartnäckige Abhängigkeit von dem architektonischen Rahmen des White Cube. Die Zweidimensionalität der Fotografie setzt immerhin einen Ausstellungsraum voraus. Sie bleibt das Objekt einer Ausstellung und bleibt so immer allein in Form eines auszustellenden Objekts verfügbar.
Die Fotoinstallation von Bianca Pedrina wird in dieser Hinsicht noch interessanter, gerade weil sie diese zu den medialen Voraussetzungen zählende Zweidimensionalität der Fotografie im Sinne von Clement Greenberg unterbricht und auf eine ganz andere Weise die Horizonte des Mediums Fotografie erweitert. Das Resultat sind Aufnahmen, die selbst zum Bestandteil der Architektur werden.
Während ihre Großaufnahmen spielerisch die “intime Ecke” des Ausstellungsgebäudes offenbaren, stellen sie gleichzeitig die räumlichen Voraussetzungen einer Ausstellung kritisch in Frage. Die haptischen Details in Verbindung mit selbstbezüglicher Medialität machen die Einzigartigkeit ihrer Arbeit aus. Doch am Ende bleibt Borrowed Light gegenüber jedem Urteil gleichgültig. Egal ob es sich um die Neugestaltung des White Cube handelt oder um Erweiterung der Fotografie – ihren Arbeiten ist keine feste Interpretation eingeschrieben. Auf beides wirft sie einen unpersönlichen Blick aus der Ferne.
Borrowed Light Talents 37, Bianca Pedrina/Larissa Kikol
30. April bis 10. Juli 2016
C/O Berlin Amerika Haus
Hardenbergstraße 22-24
10623 Berlin
www.co-berlin.org/