"Am I Dandy?" - Anleitung zum extravaganten Leben
Schwules Museum* Berlin
Ruri Kawanami
Selten fühlt man sich nach einem Museumsbesuch noch verwirrter als zuvor, über die Dinge, um die es gerade in der Ausstellung ging. Das ist aber der Fall bei der neuen Sonderausstellung des Berliner Schwulen Museums, welche, anders als im Titel anklingen mag – Am I Dandy? Anleitung zum extravaganten Leben -, weder Anweisung noch genauere Auskunft über das Dandy-Sein gibt und die Besucher mit ihrem Verständnis gerne in der Schwebe lässt.
In der thematischen Ausstellung Am I Dandy? im Schwulen Museum wird ein großes Ensemble von allen möglichen Dingen präsentiert, die zu Dandys gehören, Dandys repräsentieren und erklären sollen. Bunte Herrenkrawatten und silberne Zigarettenetuis, sowie Handschuhe aus Ziegenleder – teils klischeehafte und allzu denotative Originalwaren aus dem 19ten und frühen 20ten Jahrhundert schmücken die Schauvitrine, während die Bilder und Porträts dandyistischer Persönlichkeiten aus verschiedenen Epochen und Schichten – darunter zum Beispiel der Schriftsteller Oscar Wilde und die Mitglieder der kongolesische Dandygesellschaft Sapeur – , die farbigen Wände der Ausstellungsräume dekorieren. Mit soviel Originalexponaten, unbewegten und sich bewegenden Bildern, und mehreren Zeitungsausschnitten will die Ausstellung jedoch auf eine präzise Definition des Dandys oder gar eine Erklärung zu einzelnen Person verzichten, um sich möglichst vielen Variationen dieses Kulturphänomens anders anzunähern. Stattdessen soll den Besuchern ermöglicht werden, anhand der für Dandys typisch gestalteten Räume im Museum das Dandytum sinnlich und körperlich mitzuerleben. So werden etwa die Ausstellungsräumlichkeiten in vier kleine Themenparks unterteilt – die Straße, das Ankleidezimmer, der Salon und sogar der Laufsteg – in dem jeweils ein eigenes ‚Dandy-Erlebnis’ mit interaktiver und multimedialer Präsentation geschaffen wird.
Präsentation mit Spektakel, Erzählung ohne Narration
Das Highlight markiert wohl der für die Ausstellung speziell präparierte Laufsteg mit einem kleinen Foto-Shooting Set, auf welchem die Besucher sich extravagant ankleiden und für das Publikum zur Schau stellen können. Durch Live-Projektion eigener Cat-Walks an der Wand können die Besucher ihre eigene Selbstinszenierung als Dandy und das Stolzieren auf der Schaubühne auch ethnographisch beobachten.
Trotzdem lässte einen in der Ausstellung das Gefühl nicht los, dass über all diese Objekte und Installationen hinaus nicht mehr entsteht als ein kurzweiliges Themenpark-Erlebnis. Hochkarätige Exponate, ausgewählte Bilder und Zitate aus der Dandy-Literatur an der Tafel, welche auf eine aufwendige und breite kuratorische Recherchearbeit verweisen, scheinen im Raum leider eher der wilkürlichen Dekoration zu dienen, als dass sie Wissen vermitteln oder zum Nachdenken anregen. Dass einzelne Objekte gut recherchiert wurden, gibt die im Ankleidezimmer eingerichtete Duftstation zu erkennen, in der die Besucher verschiedene Parfüms, die sorgfältig nach traditionellen Rezepten des 19. Jahrhunderts hergestellt wurden, probieren können.
Das Problem scheint hier vielmehr in der Art und Weise zu liegen, wie das einzelne, teilweise sogar gut recherchierte Objekt in den musealen Raum eingeliedert wird. Das Nebeneinander der Gegenstände bleibt unüberlegt. So fragt man sich stets während des Parcours: Wieso ist hier plötzlich ein Zitat aus dem 1828 erschienenen Roman Pelhams von Edward Bulwer Lytton zu sehen? Warum sehe ich gerade neben der aktuellen Ausgabe der deutschen Zeitschrift Gala ein italienisches Buch Amori et dolori sacrum? Die ausgestellten Objekte sollen allesamt eigene Geschichten erzählen, bleiben aber letztendlich stumm, denn sie wirken insgesamt wie ein Patchwork: willkürlich und zufällig, von ihrer Geschichtlichkeit isoliert.
Identitätskrise der Museen – zwischen Erlebnisraum und Erkenntnisort
Schließlich weist die Orientierung an neuen Präsentationsformaten der Ausstellung die unumgängliche Herausforderung auf, mit der sich Museen heutzutage konfrontiert sehen: Nämlich, den Museumsbesuch so unterhaltsam wie möglich zu gestalten. Dies gilt auch und sogar mehr für die Museen, die sich als Forschungs- oder Bildungsinstanz verstehen, deren Aufgabe darin besteht, mit ihrem Ausdrucksmedium Ausstellung auf eigene Art Wissen und Denken zu kommunizieren.
Gerade für das Berliner Schwule Museum, eine 1985 gegründete, junge Institution, die sich der „Erforschung und Vermittlung der Geschichte und Kultur der LGBTIQ-Communities“ widmet – so nach eigener Beschreibung des Museums – war die Suche nach einer ihr entsprechenden Kommunikationsform ein wichtiges Anliegen. Während neue Darstellungsformen in ihrer Anpassung an interaktive und multimediale Medien gesucht werden, scheint bei Am I Dandy? eine inhaltliche Auseinandersetzung weniger in den Vordergrund zu treten, als das multimediale Spektakel, das mit Sound, Bildern und sogar mit Geruch auf die Besucher sinnlich eindringt.
Am Ende des Spektakels entsteht, trotz vielfältiger Ausstellungsobjekte und aufwändiger Recherche, kein kohärentes Porträt der Dandys, das womöglich erst durch die Bezugnahme auf seinen kulturellen und historischen Kontext zum Vorschein käme. Da gerade Dandys eine so historisch facettenreiche Erscheinung sind – man denke zum Beispiel an die Figur des Bohémien bis hin zur peinlichen Figur des Hipsters – hätte eine kulturhistorische Perspektive wohl der Ausstellung nicht geschadet. So hätten auch androgyne Figuren wie Femme Dandys und Drag Queens, die bei Am I Dandy? mit großer Geltung auftauchen, ihren kulturellen Wert und Potenz offenbaren können, die kulturgeschichtlich in der von vernehmlich heterosexuellen Normen geprägte Gesellschaften oft unterdrückt blieben. So erfülle die Ausstellung auch die von sich selbst manifestierte Aufgabe des Museums.
Das “Erleben” des Dandy-Seins macht ja Spaß. Man kann es auch für sinnvoll halten, die Frage nach dem Wesen eines solchen Erlebnisses lieber nicht mit einer Definition verderben zu wollen. Aber ohne kritische Intervention läuft die Ausstellung Gefahr, im Endeffekt nur klischeehafte Bilder des Dandys wiederzugeben, ohne sie auf ihre Gültigkeit zu befragen.
„Am I Dandy?“ Anleitung zum extravaganten Leben
24.Juni bis 20.Nov 2016
Schwules Museum Berlin
Lützowstraße 73
10785 Berlin