Die Mauer
Asisi Panorama Berlin
Lori Borrmann
Außenaufnahme der Ausstellung: Aufnahme vom 6. Dezember 2021, Fotografin: Lori Borrmann
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“[1] – So hatte Walter Ulbricht sich noch 2 Monate vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 geäußert. Für 28 Jahre teilte sie Berlin in Ost und West, in Kommunismus und Kapitalismus.
Doch seit 2012 ist die Mauer am Checkpoint Charlie wieder auferstanden, diesmal als Panoramakunstwerk von Yadegar Asisi in der eigens dafür errichteten 18m hohen Stahlrotunde.
Doch bevor der Besucher in das Leben mit der Mauer eintauchen kann, wird er in der Vorhalle mit einer kurzen, doch sehr persönlichen Geschichtsstunde empfangen. Anhand von etwa 80 Fotos und einigen Videos aus privaten Sammlungen wird die Mauer veranschaulicht. Mit jedem Schritt entlang der graffiti-bemalten Wand schreitet man weiter durch die Berliner Vergangenheit, vom Mauerbau 1961 bis zum Fall der Mauer 1989.
Gegenüber liegt das Portal, durch welches man schließlich zu dem 60m langen und 15m hohen Panorama gelangt. Der Blick öffnet sich nicht gleich zum Kunstwerk, vielmehr ist er teilweise versperrt durch das Gerüst der in 4m Höhe gelegenen Besucherplattform. Ob so intendiert oder nur architektonisch bedingt, demonstriert es dennoch eindrucksvoll, wie während der Teilung Deutschlands ein Teil von Berlin verborgen und außer Reichweite war.
Ein herbstlicher Schnappschuss aus dem Jahr 1980. Ein Augenblick, festgehalten in all seinen Einzelheiten auf einer Bildfläche von 900 Quadratmetern. Das immense Panorama thematisiert dabei nicht nur den Todesstreifen mit den Wachtürmen, aus denen Soldaten die Besucher mit Ferngläsern beobachten, sondern insbesondere das Leben an und mit der Mauer. So entdeckt man Alltagsszenen, die fast zeitlos wirken: Menschen reparieren ein Auto, erledigen Einkäufe oder gehen spazieren, Punks stehen an einer Ecke, Graffiti-Künstler bemalen die Mauer, Familien amüsieren sich im Streichelzoo. Der Alltag wirkt ordinär, die Berliner wirken sowohl vertraut als auch arrangiert mit der Teilung der Stadt.
Innenaufnahme, Teil des Panoramas: Aufnahme vom 6. Dezember 2021, Fotografin: Lori Borrmann
Der in Wien als Sohn persischer Emigranten geborene Architekt und Künstler Yadegar Asisi, der seit 1995 Panoramen zu verschiedenen Motiven aus Geschichte und Natur kreiert, beschreibt seine Erinnerung dieser Ära: „Ich bin heute erschrocken über unsere gelebte Normalität in der damaligen Zeit“[2].
Dieser Moment an der Mauer wird einem nicht nur visuell näher gebracht, sondern mithilfe von Soundeffekten taucht man noch tiefer in diese Szene ein. Autohupen, entfernte Gesprächsfetzen bis hin zum Vogelgezwitscher können aus verschiedenen Richtungen der Leinwand verortet werden. Aber die wohl bedeutendsten Ergänzungen des auditiven Erlebnisses, die das historische Gewicht inmitten der Alltagsmomentaufnahme wieder zum Vorschein bringen, sind die eingespielten Tondokumente mit Originalaufzeichnungen von beispielsweise Willy Brandt, John F. Kennedy sowie Erich Honecker aus Reden und öffentlichen Auftritten zwischen 1948 und 1989. Für internationale Besucher gibt es Tafeln mit Übersetzungen in 5 Sprachen. Der Wechsel zwischen Tonaufnahmen und Soundeffekten machen das Panorama genauso lebendig wie der Übergang von Tag und Nacht durch unterschiedliche Lichtverhältnisse. Man fühlt sich als Teil der Szene und dem bunten Treiben der Nachbarschaft zugehörig.
Doch irgendwann gewöhnt sich das Auge an den Trubel auf dieser Seite der Mauer und es schweift ab in die Ferne, vorbei an der Mauer, vorbei an den Wachtürmen und dem Grenzstreifen. Die Sicht ist auf der Ostseite Berlins gelandet, in der Ferne erkennt man den Fernsehturm am Alexanderplatz. Doch vergeblich sucht man die gleiche Lebendigkeit, den Trubel, besondere oder banale Momente des öffentlichen Geschehens, das gleiche Eintauchen in das Leben jenseits der Mauer. Bis auf vereinzelte Gestalten, die am offenen Fenster stehen und gen Westen blicken, wirkt es verlassen und fast wie eine Geisterstadt. Gab es nicht aber auf beiden Seiten ähnliche Schicksale mit ihren Dramen, Hoffnungen, Enttäuschungen, Trauer, Freude und allen anderen Facetten der Menschlichkeit? Diese einseitige Aussicht auf das Leben an der Mauer scheint doch recht eindimensional und voreingenommen.
Aufgeklärt wird diese Perspektive erst, wenn man sich entlang der Mauer-Installation den Weg zum gegenwärtigen Berlin bahnt. Kurz vor dem Ende der Ausstellung wird man in einem letzten kleinen Raum aufgefangen, der unscheinbar wirkt, aber tatsächlich so viele Einsichten in die Absichten und Hintergründe dieser Darstellung gewährt. Hier erfährt der Besucher in kurzen Filmbeiträgen, sofern er sich denn Zeit nimmt, diese anzuschauen, dass die gewählte Perspektive auf die Mauer eine vom Künstler nicht artifiziell inszenierte, sondern subjektiv erlebte war, denn er wohnte selbst in Kreuzberg am Oranienplatz in den 1980er Jahren. Der Besucher wurde somit selbst zum kaffeeschlürfenden Asisi, der aus seinem Fenster heraus das Leben an der Mauer betrachtet und reflektiert. Für einen kurzen Moment wurde man selbst zum Zeitzeugen, der die deutsch-deutsche Teilung hautnah miterlebt.
[1] Walter Ulbricht, aus einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961
[2] Yadegar Asisi, Die Mauer. Leben mit dem Todesstreifen, [Pressemeldung], Bianca Wohlfromm Public Relations
DIE MAUER – Asisi Panorama Berlin
Checkpoint Charlie
Friedrichstraße 205
10117 Berlin
Täglich von 10 – 18Uhr
Die Ausstellung ist temporär, allerdings bisher ohne festgelegten Endzeitpunkt.