Ferdinand Hodler und die Berliner Moderne in der Berlinischen Galerie
Cheyenne Enneper
„Die Empfindung“, „Heilige Stunde“, „Der Tag“, „Der Frühling“, „Lied in der Ferne“ –
die Titel einiger Werke des Schweizer Malers Ferdinand Hodler (1853-1918), die in der aktuellen Ausstellung Ferdinand Hodler und die Berliner Moderne der Berlinischen Galerie zu sehen sind, lassen bereits erahnen, mit welchen Themen sich der Künstler in seinen Gemälden auseinandersetzte. Die symbolistischen und ausdrucksstarken Figurenbilder, Porträts, See- und Berglandschaften drehen sich rund um die Besinnung, das Empfinden von Gefühlen und die Verbundenheit des Menschen zur Natur.
Der Symbolist Ferdinand Hodler wurde 1853 als ältestes von sechs Kindern in Bern geboren und musste sich bereits früh mit dem Tod auseinandersetzen. Seine Kindheit und Jugend wurden geprägt von den frühen und tragischen Verlusten der Eltern und Geschwister. In späteren Werken greift Hodler das Thema Tod wieder auf. Er studiert ab 1872 an der Genfer Kunsthochschule und erweckt in den Folgejahren immer mehr Aufmerksamkeit. Sein Gemälde „Die Nacht“ (1889-1890) stößt zunächst in Genf aufgrund der als anstößig empfundenen naturalistischen Darstellungen von nackten Körpern auf Abwehr, wird jedoch ein paar Jahre später in Hodlers erster Ausstellung in Berlin gezeigt. Es folgen die Mitgliedschaft in der Berliner Secession und weitere Ausstellungen im Berliner Raum, die ihn international bekannt machen. Ferdinand Hodler stirbt 1918 in Genf. Im Laufe seines Lebens entwickelt und verändert sich seine Malerei und als Wegbereiter der Moderne ist er auch heute noch für seinen von ihm erfunden Stil bekannt, den Parallelismus. Der Begriff bezeichnet die rhythmische Aneinanderreihung von ähnlichen Figuren in unterschiedlichen Haltungen und Posen sowie von Elementen in Landschaften.
In Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern und mit Hilfe von Leihgaben privater Sammlungen und öffentlicher Museen stellt die Berlinische Galerie Hodlers Entwicklung und seinen Erfolgsweg in Berlin aus und setzt in vier Räumen 48 Werke, darunter auch Schlüsselwerke des Schweizers, gekonnt in Beziehung zueinander.
Klug hat die Kuratorin Stefanie Heckmann und ihr Team die Ausstellung über Hodler aufgebaut: Die Besucher*innen werden mit einem kurzen Infotext in die Ausstellung eingeführt und erhalten nach Wunsch einen kostenfreien Audioguide in deutscher und englischer Sprache, der zu den einzelnen Werken weiterführende Informationen anbietet. Diese Audiobeiträge und Abbildungen der besprochenen Malereien sind auch per Smartphone abrufbar. Der Treffpunkt für Führungen befindet sich gut zu finden ebenfalls an der Einführungswand.
Die Besuchenden können sich nun entscheiden, rechts bei Hodlers Frühwerken zu beginnen oder links beim späten Hauptwerk. Dem Audioguide folgend fängt der Rundgang in Raum 1 an: Hodlers künstlerische Anfänge. In den abwechselnd angeordneten kleineren und größeren Porträts und Landschaften ist teilweise noch der Einfluss der akademischen Lehre zu erkennen, in anderen lässt sich Hodlers späterer Stil schon erahnen. Von der runden Sitzmöglichkeit in der Mitte geführt, bewegen sich die Besucher*innen in einem Kreis durch den quadratischen Raum. Die moosgrüne Wandfarbe ist abgestimmt auf die grünen Farbtöne in den gezeigten Werken und unterstützt den Naturbezug des Künstlers. Einheitlich in der gesamten Ausstellung befindet sich jeweils eine gut leserliche weiße Texttafel mit den Daten neben dem Gemälde. Neben einigen Werken hängen ebenfalls kleinere hilfreiche Infotexte und die Angabe über die Leihgabe. Für Besucher*innen mit eingeschränktem Sehvermögen liegt im Eingangsbereich eine Mappe mit den Ausstellungstexten zur Verfügung.
Wirkt im ersten Raum die zentrierte Beleuchtung auf die einzelnen Werke aufgrund der grünen Wandfarbe etwas zu dunkel, so werden die Besuchenden im nächsten Raum hell und offen empfangen. Auch hier wurde die hellgraue Wandfarbe farblich abgestimmt auf die zu sehenden Malereien. Zunächst verwirrend, vereint der Raum Gemälde des Schweizers mit Skulpturen und Bildern Berliner Künstler*innen, die zur gleichen Zeit wie Hodler in der Berliner Secession ausgestellt haben. Darunter befindet sich auch die Kalksteinskulptur „Sitzendes Weib“ (1904) von Georg Kolbe, die eine von Gefühlen ergriffene Frau darstellt. Ein ähnlicher Gefühlszustand kann in Hodlers Gemälde „Die Empfindung“ von 1909 schräg gegenüber wahrgenommen werden. Die thematische Gemeinsamkeit der Empfindsamkeit verbindet diese Exponate. Durch die hellblaue eingezogene Wand in der Mitte des Raumes fällt der Blick schnell auf diese Malerei. Sie zeigt vier mit blauen Tüchern halb bedeckte, einzeln schreitende Frauen, die ihre Köpfe leicht von den Beschauenden wegwenden. Hodler betont die Individualität der Frauen, die jedoch gleichermaßen ihre Arme anwinkeln und die Hände zur Brust führen, da sie von der gleichen inneren Empfindung ergriffen sind. In Verbindung mit den Skulpturen werden hier Hodlers Auseinandersetzungen mit den Bewegungen des Körpers beim Fühlen und auch Ansätze seines späteren Stils, dem Parallelismus, deutlich. Auch sein Gemälde „Fröhliches Weib“, welches den Flyer der Ausstellung ziert, kann hier betrachtet werden.
Im dritten Raum, dem „Porträtraum“, kann das Publikum einige Frauen- und Männerporträts, die Hodler im Laufe seines Lebens anfertigte, genauer anschauen. Darunter hängen auch kleinformatigen Bildnisse seiner verstorbenen Liebschaften und Ehefrauen, die sich nebeneinander reihen und so eindrucksvolle Studien in Mimik und Gestik sowie des Malers Umgang mit Krankheit und Tod zeigen.
Raum 4 präsentiert zwei der bekanntesten Werke des Schweizer Künstlers. Die großformatigen Malereien „Der Tag“ (1899-1900) und „Die Nacht“ (1889-1890) hängen sich, dem inhaltlichen Gegensatz entsprechend, jeweils am Raumende gegenüber. Dominant und auffallend bestimmen die beiden Gemälde die Blicke der Besucher*innen quer durch den Raum. Rechts neben dem Eingang hängt „Der Tag“: Fünf nackte Frauen sitzen im Halbkreis und begrüßen mit erhobenen Armen den Morgen. Kleine blaue Blumen schmücken den Boden und umkreisen die Köpfe der äußeren Frauen wie Heiligenscheine. Es sind Wegwarten, Blumen, die am Morgen erwachen und abends verblühen. Der Audioguide gibt Hintergrundwissen und Hodlers Zusammenspiel von Mensch und Natur wird dem Betrachter erneut vor Augen geführt. Die heimatverbundenen Landschaftsmalereien vom Genfer See und den Bergen an der benachbarten Wand gehen zunächst unter, sind jedoch ebenfalls beliebte Motive bei den Besucher*innen.
Im Innenraum der Berlinischen Galerie wird die Biografie Ferdinand Hodlers präsentiert. Ungestört kann das Publikum die Ausstellung abschließen, oder auch beginnen, mit Hodlers Leben und einer hilfreichen Zusammenfassung seiner bekanntesten Ausstellungen im Berliner Raum. Treppen führen zur Dauerausstellung des Museums, deren Besuch im Eintrittspreis enthalten ist.
Für knapp 35€ kann ein Ausstellungskatalog im Museumsshop erworben werden. Er beinhaltet große Abbildungen der Werke und weitere Informationen über Hodler und die Ausstellung. Auf der Internetseite der Berlinischen Galerie kann noch nachträglich der Audioguide angehört werden und auch ein virtueller Rundgang steht zur Verfügung, um in Erinnerung an den Besuch zu schwelgen.
Mit Liebe zum Detail lässt das Kurator*innenteam Ferdinand Hodlers unverwechselbare Bildsprache sprechen und verdeutlicht verständlich die Bedeutung Berlins für seinen Erfolg. Während seiner Lebensphase in dieser Stadt verhalfen ihm zahlreiche Ausstellungen, international bekannt zu werden. Lebensnahe Themen wie Gefühle, die Frage nach der Beziehung zwischen Mensch und Natur sowie die Gegenwart des Todes begleiten die Betrachtenden in der Ausstellung und regen auch nach dem Besuch zum Nachdenken an.
Ferdinand Hodler und die Berliner Moderne
10.09.2021-17.01.2022
Berlinische Galerie. Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin
Mi-Mo 10-18 Uhr
www.berlinischegalerie.de