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Gurbet Şarkıları – Lieder aus der Fremde, Museum für Islamische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin im Pergamonmuseum
Friederike Seidel
Nachdem man sich durch das gesamte Pergamonmuseum durchgeschlagen hat, vorbei an der Alhambra-Kuppel und der gewaltigen Mschatta-Fassade, gelangt man über einen kleinen Flur in den Raum 9a: das MuseumsLab des Museums für Islamische Kunst. Sofort schlägt einem der Kontrast entgegen. Nach all den historischen Funden und erdigen Tönen findet man nun einen kleinen, modernen Raum mit bunten, schallplattenähnlichen Kringeln am Boden. Hier zu sehen ist die Ausstellung Gurbet Şarkıları–Lieder aus der Fremde, die sich mit der deutsch-türkischen Musikgeschichte beschäftigt. Es geht um die Musik, die die sogenannten Gastarbeiter:innen aus der Türkei in Deutschland gemacht und gehört haben und ihre Entwicklung. Häufig ging die Musik jedoch an der deutschen Mehrheitsgesellschaft vorbei und wurde meist nur in der türkischsprachigen Community bekannt. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass sie nur in türkischen Supermärkten statt in Kassettenläden verkauft wurden. Trotzdem erfährt man auch, wie die türkische Musikgeschichte vor allem im Laufe der Zeit in die deutsche eingegangen ist und sich beide Stile beeinflusst haben.
Neben dem Eingang auf der linken Seite findet man einen kurzen Einführungstext auf Deutsch, Türkisch und Englisch. Zusätzlich wird die Ausstellung von einem Medienguide begleitet, der die jeweiligen Stationen nur anzeigt, wenn man direkt davorsteht. So beginnt die Ausstellung mit einem kurzen Ausschnitt aus dem Song „Deutsche Freunde“ von Ozan Ata Canani, Ende der 1970er Jahre geschrieben, der Zeit, in der die „Rückkehr“ der Gastarbeiter:innen in ihr Herkunftsland politisch gefordert wurde. Daneben ist eine Tür, die als Gästebuch dient und voller weißer Klebezettel ist, von denen etwa die Hälfte auf dem Boden verstreut liegt. Abgesehen davon ist der Raum in drei Abschnitte aufgeteilt:
Unter der Überschrift „Was wäre denn ohne Musik unser Leben?“ findet man zu Beginn sechs Kurzbiografien in einem Umfang von etwa ein bis zwei Minuten, in denen besprochen wird, warum und wie die Menschen nach Deutschland gekommen sind. Dazu werden in einem Interviewformat Fragen zu den jeweiligen Musikerfahrungen gestellt. Es werden Fragen besprochen, wie zum Beispiel, welche Musik die Menschen hören, welche Erinnerungen sie mit Musik verbinden oder auch zum Leben zwischen Deutschland und der Türkei. Für alle spielt Musik eine große Rolle im Umgang mit ihrer Sehnsucht und Fremdheit und wird dabei etwas Existenzielles. Eine der Interviewten, Ayşen Harting, drückt es folgendermaßen aus: „Musik bedeutet Leben“. Ähnlich beschreibt es auch Muharrem Doğan: „[…], dass ich jetzt noch lebe, habe ich der Musik zu verdanken.“
Im Anschluss beginnt man eine Reise durch die Jahrzehnte. Anhand von vier Stationen wird man durch die türkische Musikgeschichte in Deutschland von den 1960/70er Jahren bis in die 2000er geführt. Neben jedem Jahrzehnt lernt man zwei dazugehörige, wichtige Künstler:innen kennen. Von Yüksel Özkasap, Tarkan mit „Şımarık“ über Cem Karaca zu Eko Fresh wird so durch eine Vielzahl von Musikgenres geführt. Dazu kann man dann jeweils auf dem Medienguide einen Song der Künstler:innen hören.
Zum Schluss wird ein Dokumentarfilm von Mirza Odabaşı (2021) zu den Wegen türkischer Musik in Deutschland gezeigt. Es wurden Interviews mit verschiedenen Musiker:innen und dem Gründer eines Plattenlabels geführt, der versucht, alte „Gastarbeitermusik“ jetzt noch einmal neu aufzunehmen, um den Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. Außerdem ist unter Anderem noch die erste deutsch-türkische Rapperin Aziza A. zu sehen, die über ihre Erfahrungen als erste türkische Frau im Rap berichtet.
Die Ausstellung zeigt nicht nur den Arbeitsalltag der Gastarbeiter:innen, sondern verdeutlicht, was die Menschen und ihre Musik zum kulturellen Erbe in Deutschland beigetragen haben. Die Musik eröffnet dabei persönliche und emotionale Zugänge und schafft außerdem neue Möglichkeiten der Verbindung und Bezugnahme von Besuchenden, die selbst vielleicht keine türkische Familiengeschichte haben. „Gurbet Şarkıları“, damit wurden unter türkeistämmigen Menschen Lieder bezeichnet, die in Deutschland, der „Fremde“, entstanden sind.
Die Ausstellung wurde von Dr. Deniz Erduman-Calış, Hilal Szegin-Just, Miriam Kurz und Zinaida Ebden kuratiert und sie wirkt sehr liebevoll kuratiert. Jedoch spielt das Thema eine deutlich größere Rolle, als es dieser kleine Raum vermuten lässt. Auffällig war, dass viele Leute nur einen flüchtigen Blick in den Raum geworfen haben und dann direkt wieder gegangen sind. Das verwundert auch nicht, da die Besuchenden zuvor die sehr umfangreiche ständige Ausstellung des Pergamonmuseums durchlaufen haben. Schade nur, dass das Thema und die ihm gewidmete Ausstellung durch diesen Standort nicht den Umfang und die Aufmerksamkeit erhält, die sie haben sollte.
Gurbet Şarkıları ist Teil des Projekts „Gemeinsame Vergangenheit - gemeinsame Zukunft II“, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wurde. In diesem Zusammenhang entstand im November 2021 das Konzert „Deutschlandlieder“ mit dem tollen Song „Hör mir zu – Duy Sesimi“, der auch jederzeit auf YouTube angehört werden kann.
https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/gurbet-sarkilari-lieder-aus-der-fremde/