Helmut Newtons Überfrauen
Helmut Newton’s Private Property und Helmut Newton. Legacy im Museum für Fotografie
Nina Hecklau
„Zu welcher Gruppe gehören Sie? Ich erkenne Sie unter den Masken alle so schlecht“ sagt die fremde Uni-Dozentin genervt zu mir als die schwere Eingangstür des Fotografie Museums leise hinter mir zu schwingt. Ich versichere ihr, dass ich zu keiner Gruppe gehöre und mich ganz allein durch die Ausstellung bewegen werde. Aber sie hört mir schon nicht mehr zu, sondern zählt stirnrunzelnd ihre Student*innen, und somit beginne ich meinen Rundgang ohne die Seminargruppe.
Helmut Neustädter, geboren 1920 in Berlin als Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie, startete seine Karriere 1936 im Fotostudio der ebenfalls jüdischen Fotografin Yva, als er dort mit 16 Jahren eine Lehre begann. Zwei Jahre später bekam Yva von den Nationalsozialisten Berufsverbot und musste ihr Studio schließen. Sie überlebte den Holocaust nicht, 1942 wurde sie im Lager Sobibor in Polen ermordet. Die Neustädters schafften die Flucht. Helmut gelangte über Singapur nach Australien, wo er als Fotograf und Fotojournalist arbeitete. Hier lernte er auch seine Frau June kennen, die später unter dem Künstlernamen Alice Springs selbst fotografisch tätig war, und hier änderte er seinen Namen von Neustädter zu Newton. Der Durchbruch gelang ihm in den siebziger Jahren, seine Mode- und Aktfotografien wurden weltberühmt. Im Jahr 2020 wäre Newton 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass zeigt das Museum für Fotografie zusätzlich zur Dauerausstellung die Retrospektive „Helmut Newton. Legacy“, die sein Werk nach Jahrzehnten einteilt.
Die Dauerausstellung "Helmut Newton’s Private Property" befindet sich im Erdgeschoss und zeigt nicht nur Fotografien von Newton, sondern allerlei private Gegenstände, die mit seinem künstlerischen Schaffen verbunden sind. Manche sind einfach interessant, wie seine Kalender und Notizbücher mit den hastig hingekritzelten Terminen und Ideen, manche wirken ein wenig fehl am Platz, wie der riesige ihm gewidmete Strandbuggy, das „Newtonmobile,“ bei dem man sich fragt, ob man das unbedingt gesehen haben muss, um Newtons Arbeiten zu verstehen, und manche sind einfach ein wenig skurril, wie die Plastiknippel und ein Schamhaartoupet, Requisiten für Newtons oft fetischinspirierte Shootings.
„Barbies“, ist die erste Assoziation, die einem durch den Kopf schießt, wenn man Newtons typische Fotografien sieht, oft schwarz-weiß Fotos von perfekten Frauenkörpern. Humanoide Roboter. Die Frauen von Stepford. Makellose, langbeinige Schönheiten. Nur lächeln sie fast nie, sondern gucken meistens entschlossen, mal in die Kamera, mal in die Ferne. Sie sehen stark aus, unverwundbar. Natürlich kann man die Präsenz des male gaze in den Aufnahmen nicht leugnen, die Frauen entsprechen zu 100 Prozent dem gängigen Schönheitsideal, nie sieht man eine Falte oder Cellulite. Aber grade diese körperliche Perfektion ist es, die die Unverwundbarkeit suggeriert. Den Frauen auf den Fotos scheint nichts und niemand etwas anhaben zu können, auch kein männlicher Blick. Relativ zu Beginn der Ausstellung kann man einen Nachbau von Newtons Büro in Monaco aus dem Jahr 2003 betrachten. Eine nackte Schaufensterpuppe (nun ja fast nackt, sie trägt immerhin Stilettos) balanciert auf den Händen und lehnt sich gegen die Wand. Große, bunte Bilder hängen an den Wänden, ein braunes Ledersofa ist zu sehen, es ist nicht ungemütlich. Und tatsächlich, Barbies scheinen eine Inspirationsquelle für Newton gewesen zu sein. In einem Regal stehen mehrere von ihnen in ihrer originalen Verpackung. Doch auch hier ist es wieder etwas komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Eine von den Puppen ist keine klassische Barbie mit rosa Ballkleid, sondern die 1997 vorgestellte „Share a Smile“ Becky, eine Freundin von Barbie, die im Rollstuhl sitzt.
Helmut Newton starb 2004 im Alter von 83 Jahren in Hollywood bei einem Autounfall in einem Cadillac. Eine lange Wand in der Ausstellung widmet sich den Reaktionen auf seinen Tod: handgeschriebene Beileidsbekundungen an seine Frau June von berühmten Persönlichkeiten aus Mode und Politik, unter anderem Gerhard Schröder. Daneben Titelseiten von Zeitungen aus aller Welt, die über den tödlichen Unfall berichteten. Seine Frau June überlebte ihren Mann um 17 Jahre, sie starb 2021 im Alter von 97 Jahren. Ein Raum der Ausstellung ist ihrem Werk gewidmet. June Newton alias Alice Springs Fotografie ist der Helmut Newtons nicht unähnlich, aber dennoch anders. In Ihrem Raum hängen Portraits, Großaufnahmen von Gesichtern in schwarz-weiß. Niemand ist nackt, und die Persönlichkeit der Abgebildeten steht klar im Vordergrund. Hier sind eindeutig Menschen zu sehen, keine Puppen.
Die wohl berühmtesten Bilder Newtons, die „Big Nudes“ hängen in der Eingangshalle des Museums. Am besten kann man sie betrachten, wenn man eine der zwei geschwungenen Treppen hinaufgeht und sich auf die Empore stellt. Hier findet man sich Auge in Auge mit den überlebensgroßen Drucken der fünf hüllenlosen Models. Wie so oft sind die Fotos schwarz-weiß. Die Frauen sind leicht von unten fotografiert und wirken so noch größer und eindrucksvoller. Die Haltungen sind selbstbewusst, nichts wird verdeckt. Ein Infodruck auf der Wand der Empore, die schon zur „Legacy“ Ausstellung gehört, vermittelt Hintergrundwissen über Newtons Arbeitsweise. Er sei nicht an sehr jungen Frauen interessiert gewesen, sondern vor allem fasziniert von verheirateten Frauen in ihren Dreißigern: „They had all the sex appeal and all the glamour.“. Und das sieht man den „Big Nudes“ auch an. Hier geht es nicht um die Verführung der Jungfrau, die abgelichteten Frauen wirken in ihrer offensiven Sexualität eher einschüchternd.
Zwei ähnlich berühmte Bilder der „Legacy“ Ausstellung im ersten Stock sind die „Sie kommen“ Fotos von 1981. Zwei nebeneinander hängende Fotos im Großformat, im Aufbau identisch, beide beinhalten eine Gruppe von vier Models, die auf die Kamera zulaufen. Der Unterschied: im „Dressed“ betitelten Foto tragen die Models elegante, eher weit geschnittene Kleidung, auf „Undressed“ sind sie nackt. Der Effekt ist verblüffend. Die angezogenen Frauen wirken zwar chic, aber nicht weiter bemerkenswert, eine typische Modefotografie. Ohne Kleidung sind die turmhohen Gestalten plötzlich fast bedrohlich, wie sie gradlinig und mit ihren verschränkten Armen und in die Hüften gestützten Händen auf die Betrachter*innen zumarschieren. „Women are much stronger than men, in whatever situation“ wird Newton auf einer der Ausstellungswände zitiert. Tatsächlich wirken die wenigen Männer, die er fotografiert hat, oft etwas verloren. Der Maler Anselm Kiefer steht auf einem Bild von 1997 barfuß unter einem Kronleuchter, mit hängenden Armen und Mundwinkeln, ganz ohne die Kraft und Intensität der weiblichen Models. Auch der nackte Gianni Versace posiert etwas verkrampft auf seiner Chaiselongue. Der 1983 portraitierte David Bowie hingegen sieht wie immer einfach fabelhaft aus.
„Ich liebe Frauen. Es gibt nichts, was ich mehr liebe.“ sagte Newton einst, und das ist sicherlich viel zu weit gefasst. Die Frauen, die er liebte, entsprachen alle einem extrem eng gefassten Schönheitsideal und bilden nicht mal ansatzweise die Vielfalt aller Frauen ab. Alte Frauen, dicke Frauen, arme Frauen, offen queere Frauen sieht man bei Newton nicht. Aber Weiblichkeit in all ihren Facetten abzubilden war auch nie seine Absicht. Seine Bilder stehen nach wie vor für eine Idee von schwer erreichbarem Glamour und seine Models sind immer mehr als Projektionsfläche für Träume von Sex, Macht und Perfektion inszeniert, als Menschen aus Fleisch und Blut.
Literatur:
https://www.berlin.de/ausstellungen/fotoausstellungen/6336553-2745254-helmut-newton-legacy.html
letzter Zugriff 05.02.2022
https://www.berlin.de/ausstellungen/fotoausstellungen/2775458-2745254-helmut-newton-private-property.html letzter Zugriff 05.02.2022
https://www.ernst-barlach.de/helmut-newton.html letzter Zugriff 05.02.2022
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/autounfall-starfotograf-helmut-newton-toedlich-verunglueckt-1147597.html letzter Zugriff 05.02.2022
https://taz.de/Doku-ueber-Fotografen-Helmut-Newton/!5694257/ letzter Zugriff 05.02.2022
https://themighty.com/2017/05/responding-to-mattel-discontinuing-share-a-smile-becky/ letzter Zugriff 05.02.2022
https://www.vogue.de/mode/artikel/helmut-newton-100-geburtstag-bildband-baby-sumo-film-bad-and-beautiful letzter Zugriff 05.02.2022
"Helmut Newton’s Private Property“
Dauerausstellung
"Helmut Newton. Legacy"
31. Oktober 2021 bis 22. Mai 2022
Museum für Fotografie / Helmut Newton Foundation
Jebensstraße 2
10623 Berlin