Am Ende hat auch Seife eine Seele
„Alles Lebt” von Junko Maruyama im Künstlerhaus Bethanien, Berlin
Nadja Preyer
Anfänge sind so eine Sache. Genauso wie Enden. Die Gruppenausstellung im Künstlerhaus Bethanien hörte an diesem verregneten Sonntag am 6. Februar 2022 auf. Ein letztes Mal waren die VR-basierten Arbeiten von zyprischen Kathedralen der beiden Kunstschaffenden Theodoulos Polyviou und Davis Panayiotoum erlebbar, die sich kritisch mit religiösen Codes beschäftigen. Birgit Diekers körperliche Objekte, irgendwo zwischen Stoff- und Hautfetzen, verwiesen ein letztes Mal auf das Spannungsfeld zwischen innerem und äußerem Erleben, zwischen Sein und Schein. Und auch Kathrin Jaquets psychedelische Doppelbelichtungen, wie Geister aus dem Familienalbum geschnitten, strahlten ein letztes Mal etwas sehr quietschig von den Wänden in den Raum.
Und Junko Maruyama? Die Künstlerin stellte in ihrer Serie „Alles Lebt” einen letzten Tag lang ihre Manonamanamono aus. Kleine Skulpturen aus Seife, Öl und Nylon, die im Ensemble eine anderweltig wirkende Landschaft bilden und dabei ein bisschen wie überdimensionierte Vanillekipferl aussehen, die als Überbleibsel vom Weihnachtsfest 2019 durchgehen könnten. Doch nach Vanille roch nichts beim Betreten des einladenden Zeltes, in dem die kleinen Dinger wie zusammengekehrt in der Mitte ihr faszinierendes Dasein fristeten. Es duftete eher leicht nach Waschmittel. Irgendwie nach Reinheit, Säuberung, ein bisschen nach Linoleum und auch nach altem Fett, aber angenehm. Alles Lebt war Einatmen von alten Zeiten im Kunstunterricht, siebte Klasse. Eine Reminiszenz, wie gemacht für einen dieser verregneten Sonntage mitten in Kreuzberg. Ein Mikrokosmos, der daran erinnert, dass das Leben in allem schlummert. Nicht nur zwischen Instagram Reels und Wolt-Bestellung, sondern eben auch in Vanillekipferl aus Altöl und Seife.
Das Öl ist deshalb ein Teil von Maruyamas Kunst, weil in ihrem Kosmos eben alles lebt und jedes Ding potenziell eine Seele haben kann. Und vermutlich auch deshalb, weil alles immer jedem und jeder zur Verfügung steht. Man muss sich nur im eigenen Alltag umschauen: Was passiert eigentlich mit dem Fett, in dem mein crispy Tofu kross gemacht wurde? Der ganze flüssige Glanz, der tagtäglich in Massen in den Restaurants, Pop-ups und alteingesessenen Imbissbuden der Stadt verbraten wird? In Maruyama’s Welt fährt es nicht mit den orangefarbenen LKW zur BSR. Die Künstlerin entzog dem hyperventilierenden Berliner Gastronomiemüll-Kreislauf ganze 300 Liter Altöl, um daraus unter anderem ihre Manonamanamono zu erschaffen.
Manonamanamono ist eine japanische Wortschöpfung der Künstlerin selbst, die für den Zustand der Flüchtigkeit steht. Für das Sein und das gleichzeitige Nichtsein. Für Anfang oder Ende oder eben beides parallel. Junko Maruyama geht bei all ihren Arbeiten davon aus, das jedem Ding eine „Beseeltheit” innewohnt. Ein spiritueller Zugriff, die durchweg alle Arbeiten der Serie Alles Lebt ausstrahlen. Vom Hautfetzen, der wie ausgelutscht über drei rituellen Stöcken hängt über die Seifenzeichnungen auf Holzplatten bis zu den Manonamanamonos.
Allerdings ist es keine neo-schamanistische, dem Eso-Kapitalimus entsprungene Spiritualität, so Burning-Man-mäßig. Maruyama’s Beseeltheit entspringt dem japanischen Volksglauben namens Tsukumogami. Dieser Glaube geht davon aus, dass potenziell jedes Ding auf dieser Welt eine Seele, einen spirit, in sich tragen kann. Diese Idee hat etwas unmittelbares, was auch Junko Maruyama’s Arbeiten ausstrahlen: Ihre Skulpturen und Seifenzeichnungen wirken ehrlich, greifbar und „ur-echt”. Auf eine Art jedoch auch bemitleidenswert und dabei doch seltsam anmutig und geerdet. Oder wie sie selbst beschreibt: roh und ephemer. Eben Anfang und Ende in einem.
Alles Lebt von Junko Maruyama fand vom 14.01.2022 bis zum 6.02.2022 im Künstlerhaus Bethanien statt.
Kottbusser Straße 10
10999 Berlin
Eintritt frei
www.maruyamajunko.com