Karl Marx und der Kapitalismus
Deutsches Historisches Museum
Max Stuka
„Karl Marx und der Kapitalismus“ heißt die kleine Ausstellung, die vom 10. Februar bis zum 21. August im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums Einzug gehalten hat.
Beim Eintreten wirkt das Gebäude monumental, seriös und lässt mich in keinem Fall erwarten, was ich sogleich erleben werde.
Angekommen im 1. Stock treten mein Mitbewohner und ich durch die Glastür in den Ausstellungsraum. Im Eingangsbereich werden auf einer Leinwand die Ergebnisse einer deutschlandweiten Meinungsumfrage gezeigt. „Hilft uns Karl Marx‘ Kapitalismuskritik heute die Probleme des Kapitalismus zu verstehen?“ 66% der Befragten sagen ja.
Als wir an die erste Infotafel herantreten, komme ich ins Stutzen. Nicht der Inhalt, sondern dessen Präsentation sind der Grund. Es gibt Blindenschrift, Videos mit Gebärdensprache für Gehörlose und einen Infotext in einfacher Sprache für Menschen mit geringer Lesefähigkeit oder die wie ich irgendwann einmal zu faul zum Lesen werden. Der Inhalt wird hierbei auf kurze Sätze reduziert und Schlüsselwörter sind fett gedruckt. Richtig gut, besonders weil es tatsächlich viel zu lesen gibt.
Ganz klassisch wird mit den jungen Jahren des Karl Marx begonnen, seinem Abitur und seinen Studien. Hierbei gibt es originale Dokumente, sein Abschlusszeugnis und einige private Briefwechsel. Auffallend ist der Warnhinweis bezüglich der antisemitischen und rassistischen Sprache, denn Marx hatte zunächst seine Kritik des Geldes mit antisemitischen Argumenten unterfüttert, bevor ihn Friedrich Engels davon abbrachte.
Was sich mir hier bietet ist nicht selbst verständlich. Ich bin beeindruckt. Sowohl von der inklusiven Aufbereitung als auch von der Tatsache, dass Marx‘ Irrtümer nicht nur thematisiert werden, sondern sich ihnen auch sensibel genähert wird.
Dann kommt auch schon eines der Highlights der Ausstellung. Um einen Kernpunkt von Marx‘ Kapitalismuskritik zu verdeutlichen, nämlich die Entfremdung der Arbeiter*innen untereinander und von ihren Waren, ist ein interaktives Werk aufgebaut worden.
Es handelt sich um drei Kabinen mit Arbeitsplatten, auf denen Schuhmaterialien aufgeklebt sind. Die Platten lassen sich umdrehen und zeigen auf ihrer Kehrseite den fertigen Arbeitsschritt. Stellt man sich in eine der Kabinen, erkennt man, dass jede arbeitende Person nur einen einzigen Produktionsschritt beherrscht, außerdem wird auch die Trennung der Arbeiter*innen untereinander deutlich. Das fertige Produkt, der klassische weiße Sneaker, klebt um die Ecke an der Wand. Aus den Kabinen sieht keiner der Arbeitenden je den fertigen Schuh.
Ich verabschiede mich von meinem Plan, alles zu lesen was an den Wänden und Infotafeln steht und schlendere durch die, natürlich in rot gehaltene, Ausstellung. Dieser Ort will erlebt und nicht durchgelesen werden, was nicht bedeutet es wird kein Wissen vermittelt. Marx‘ persönliche und politische Entwicklung wird in den Kontext ihrer Zeit gesetzt, besonders prägend hierbei waren die Industrialisierung, der westliche Imperialismus und die Französische Revolution.
Trotz dieser ernsten Themen herrscht eine lockere Stimmung vor Ort. Das mag an den vielen interaktiven Ausstellungsstücken liegen, die auch einen Austausch der Besucher*innen untereinander anregen. Wer also nicht auf Fremde angewiesen sein will, um beispielsweise das Klassenkampf-Brettspiel zu spielen, sollte sich jemanden mitnehmen, wenn er die Ausstellung besucht.
Mich beeindruckt, wie viele originale Objekte und Dokumente aus Marx‘ Leben ausgestellt sind, unter anderem seine persönliche Ausgabe des „Kapitals“, seines eigenen Buches, die 2013 ins UNESCO Weltdokumentenerbe aufgenommen wurde. Abgesehen von solchen Einzelstücken werden Marx-Expert*innen wahrscheinlich nur wenig Neues lernen. Das Ziel scheint eher zu sein, die Menschen an das Thema heranzuführen, die nicht damit vertraut sind.
Im hinteren Teil der Ausstellung wird sich schließlich dem modernen Kapitalismus, losgelöst von der Figur Marx, gewidmet. Einige Aspekte der kapitalistischen Produktionsweise werden interaktiv verständlich gemacht. Mir persönlich kommt dieser Teil etwas zu kurz, aber ich bin zu glücklich mit meinem Besuch insgesamt, als dass ich mich zu lange daran aufhalte. Wie sich hier dem Ausstellen als interaktive und inklusive Praxis gewidmet wurde, scheint mir beispielhaft zu sein. Zumindest habe ich in noch keiner Ausstellung das Gefühl gehabt, dass schwerpunktmäßig darauf geachtet wurde, für jeden den Zugang zu den Inhalten so breit wie möglich zu gestalten.
Auf den Punkt gebracht wird das Ende der Ausstellung mit der Installation „Gerüche des Kapitalismus“, einer Wendeltreppe, die ins Nichts führt, beziehungsweise gegen eine Wand. Aus kleinen Löchern an ihrem Fuße steigt beißender Geruch, der an Fabriken und Öl erinnert, auf. Oben angekommen, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, wo der ewige Wachstumsgedanke enden soll. Erst im Gehen fällt mir auf, dass dies der einzige nicht barrierefreie Teil der Ausstellung ist. Immerhin, riechen kann man es auch so.
Karl Marx und der Kapitalismus
10. Februar 2022 bis 21. August 2022
Deutsches Historisches Museum
Pei Bau
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Öffnungszeiten: Freitag bis Mittwoch 10-18 Uhr, Donnerstag 10-20 Uhr
Eintritt: bis 18 Jahre gratis, Erwachsene 8€, ermäßigt 4€