Über Wahrheit und Schein
Sara Davidmann – Ken. To be destroyed im Schwulen Museum Berlin
Laureen Schaper
Es begann mit einem Fund. Bei der Wohnungsauflösung, in einer Schublade ihrer Mutter, findet die Künstlerin und Fotografin Sara Davidmann einen Umschlag, beschriftet mit den Worten „Ken. To be destroyed“, sowie eine Vielzahl an Fotos und Briefen. Sie alle dokumentieren das Eheleben von Davidmanns Onkel und Tante, Ken und Hazel, im Großbritannien der 1950er Jahre, das bestimmt wird durch die Transsexualität Kens. Hazel vertraut sich ihrer Schwester an und berichtet vom Geheimhalten, Verzweiflung, Eifersucht und dem Entschluss, Ken trotz alledem nicht zu verlassen.
Sara Davidmann, die selbst fasziniert ist von Transgender und Verbindung zu queeren Szenen hat, ist ergriffen vom Schicksal ihres Onkels und beschließt, durch Bearbeitung der Fotos dieses Projekt zu schaffen, das „K“ posthum die Möglichkeit geben soll, ihre weibliche Identität zu veröffentlichen. In Zusammenarbeit mit den Kuratoren Val Williams und Robin Silas Christian entsteht die Ausstellung „Ken. To be destroyed“ im Schwulen Museum, zu sehen vom 17. März bis 30. Juni 2016.
Vorbei an grellen Plakaten, die die Abschaffung des Paragraph 175 (der homosexuelle Handlungen verbot) fordern, und provokanten Fotostrecken von Männern beim Oralverkehr, gelangt man durch einen sterilen grauen Gang in den Ausstellungsraum. Er ist klein, die Wände blassrosa gestrichen und durch große Fenster blickt man auf Fußgängerweg und Straße. Die bearbeiteten Fotos hängen weiß gerahmt an den Wänden, außerdem gibt es eine Glasvitrine und einen kleinen Bildschirm mit zwei Hockern davor. Auf den ersten Blick eine unaufgeregte, konventionelle Aufmachung einer Ausstellung, die im Gegensatz zur exponierten Sammlung, die man auf dem Weg zur Ausstellung durchschreiten muss, keinen direkten Blickfang bietet.
Die Fotos sind in Serien unterteilt, erläutert durch graue Tafeln mit Begleittexten. Eine der Serien heißt „The Dress“. Es handelt sich dabei um Fotografien von Hazel in einem modischen 50er Jahre Kleid mit dazu passenden Schuhen und einer Ledertasche. Sara Davidmann hat Abzüge in verschiedenen Größen mit Tip-Ex, Kreide und Tinte bearbeitet und dadurch Hazels Gesicht unkenntlich gemacht und das Kleid isoliert und hervorgehoben. Die Motive wirken dadurch fast unheimlich, nehmen den Betrachter gefangen durch die Details der Veränderungen und hinterlassen Bedrückung und Verwirrung: 50 Jahre alte Fotos mit Tip-Ex beschmiert – darf sie das? Der Begleittext ist von Davidmann in der Ich-Perspektive geschrieben und beschreibt ihren Prozess des Bearbeitens. Am Ende stellt sie sich hier die Frage, wie K sich bei der Aufnahme der Fotografie wohl gefühlt haben mag. Dadurch, dass man beim Betrachten des Fotos perspektivistisch durch K’s Augen während der Aufnahme blickt, berührt diese Frage umso mehr.
Der Künstlerin gelingt es, mit ihren bearbeiteten Fotografien in diesem kleinen, unspektakulären Raum eine persönliche, sinnliche Atmosphäre zu schaffen. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die eigens formulierten Begleittexte und die Dokumentation, die auf dem Bildschirm abgespielt wird, in der sie von ihrer individuellen Auseinandersetzung mit den Fotos erzählt und ihrem Ringen mit dem Willen ihrer Mutter, das Geheimnis zu bewahren. So beweist Davidmann, dass es keiner provokanten Bilder oder aufwändiger Installationen bedarf, um den Betrachter mit Schicksalen Transsexueller zu konfrontieren und dadurch Gewahrsein und Toleranz zu fördern.
Die Serie „Closer“ zeigt ein bereits durch Kratzer, Risse und Schimmel beschädigtes Foto des Ehepaares an einem Tanzabend. Ein Fotogramm davon aus der Dunkelkammer wurde so hochauflösend gescannt, dass die extremen Nahaufnahmen, die Davidmann präsentiert, wie der Blick durch ein Mikroskop wirken. Beim Betrachten der Details fragt sie sich, laut Begleittext, warum wir immer davon ausgehen, alles zu sehen, was da ist. Diese reflektierte Modifikation der Fotografien, die allegorisch zum einen K’s Schicksal, zum anderen die Materialität der Fotos spiegelt, durchzieht die gesamte Ausstellung. Die extremen Nahaufnahmen, auf denen das eigentliche Motiv nicht mehr zu erkennen ist, allegorisieren K’s Scheinidentität; und die Bearbeitung durch Tip-Ex, Kreide und Tinte scheint, den Alterungsprozess des Materials nachzuahmen. Schließlich spiegelt der Titel der Ausstellung selbst einerseits den Schriftzug auf dem gefundenen Umschlag wider, der K’s besiegeltes Schicksal in vier Worten so mühelos zusammenfasst. Andererseits schafft Davidmann mit genau diesem Material, das es „zu zerstören“ galt, ein künstlerisches Vermächtnis, das K ihre eigentliche Identität zu schenken versucht.
Das tragische Schicksal K’s – die Davidmann in Texten und der Videodokumentation durchgehend so nennt, um ihre weibliche Identität zu ermöglichen – würde wahrscheinlich auch durch eine filmische oder literarische Bearbeitung Mitleid und -gefühl erregen.
Das spezifische Medium der Ausstellung schafft es darüber hinaus, einen irritierenden Gegensatz zwischen der inhaltlichen Tragödie und dem derben, fast brutalen Umgang der Künstlerin mit dem Material zu evozieren. Dadurch gelingt es ihr, statt einer reinen Aneinanderreihung von originalen Artefakten, die die Fotografien ausschließlich ihrem objektimmanenten Reiz überlässt, eine Fotoserie zu kreieren, die genauso viel Wahrheit und Schein wie K’s und Hazels Leben inne hat.
Sara Davidmann – Ken. To be destroyed
18. März bis 30. Juni 2016
Schwules Museum*
Lützowstraße 73
10785 Berlin
www.schwulesmuseum.de/