Kunst aus dem Holocaust. 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem im Deutschen Historischen Museum
Vivien Buchhorn
Spuren sind es, die auf Zeit einwirken können und mehr noch, die einen unreflektierten Zeitfluss brechen können. Hannah Arendt statuierte in ihrem Bericht Eichmann in Jerusalem, dass der Versuch „Menschen in stummer Anonymität verschwinden zu lassen“, vergebens sei. Denn einer werde immer bleiben, „um die Geschichte zu erzählen“. Die ausgestellten Werke in der Sonderausstellung Kunst aus dem Holocaust sind mehr als Spuren einer menschlichen Materialität, sie sind Bildspuren einer vergangenen Zeit, die heute ihre eigene Geschichte artikulieren können. Vom 26. Januar bis 3. April wurden im Deutschen Historischen Museum Kunstwerke gezeigt, die unter der NS-Diktatur in Ghettos, Arbeits- oder Vernichtungslagern entstanden sind. Nicht nur eine Geschichte hätte hier erzählt werden können, sondern eine Vielzahl von Geschichten.
Wie an einer Perlenschnur drapiert und doch angekettet, schauen die Bilder die Besucherschaft an. Porträts, Stillleben, Landschaften, Innenräume. In einem schwach und fahl ausgeleuchteten Raum hängen Gemälde, Zeichnungen und Skizzen. Die Ausstellung ist in drei Themen unterteilt, die sich auf einer Ordnung der Bildmotivik gründet. Texttafeln und Pressemappe erläutern diese Einordnung wie folgt: Unter Wirklichkeit soll das Motiv des alltäglichen Lebens gefasst werden, welches unter den unmenschlichen Bedingungen der Inhaftierung auf den Bildern gespiegelt wird.
Zu Transzendenz und geistiger Halt wurden Gemälde sortiert, die sich mit dem Glauben und der Landschaft auseinandersetzen. Das Themenfeld Portrait zeigt die Menschen selbst und so auch die Veränderungen des Äußeren. Das Museum schreibt zu diesem dritten Themenschwerpunkt als Erklärung: „Personen mit gelbem Stern, Darstellung des Alters“. Motive werden als Kategorien zugeordnet und in die Räume aufgeteilt. Dabei intensivieren die Werke die Betrachtung gerade nicht durch ihre Gemeinsamkeit, sondern durch die Differenz der Kunst. Sie unterscheiden sich in Perspektivwahl, Farbgebung und Textur. Es vermischen sich anspruchsvolle zeitgenössische Kunststile mit dem, was in den Lagern überhaupt zugänglich war. So bestaunt man neben perfektionierten Arbeiten auf Leinwänden, vor allem unbekannte Wirkungen von Farben auf Leinen oder Jute. Die Texttafeln geben darüber Aufschluss, dass sowohl professionelle KünstlerInnen ausgestellt sind, als auch KünstlerInnen, die erst durch die überlieferten Werke als solche benannt wurden. Auch die Hängung spiegelt dies wider.
So treten bekannte, etablierte Künstler wie beispielsweise Felix Nussbaum, durch die Hängung im Raum stärker in den Vordergrund als andere, die seriell gefasst werden.
Ein grober Eingriff in die Freiheit des Betrachtens sind die Texttafeln. Sie liefern unter jedem Bild detaillierte Bildbeschreibungen sowie abschließende Interpretationen und Ausdeutungen. Die serielle Hängung der Werke in gleicher Höhe, gleichem Abstand und gleichen Rahmen, irritiert und schreckt ab. Die hohe Anzahl der Werke und somit eine Materialüberforderung, verstärkt diesen Eindruck. Man ist geneigt, das Gesehene als eine Schau zu verstehen. Eine Schau von Werken derer, die heute nicht mehr entscheiden können, ob sie gerne ausgestellt worden wären. Und nicht nur ob, sondern vielmehr auf welche Weise.
Wer trifft die Entscheidungen?
Ich kritisiere die Ausstellungsform in hohem Maße, weil die Werke der KünstlerInnen ohne Kontextualisierung ihres Gesamtwerkes ausgestellt werden und nur auf die Lebensstation und Zeit in Ghettos oder Konzentrationslagern reduziert werden. So haben die AusstellungsmacherInnen die Kunst nicht in ihrer außergewöhnlichen künstlerischen Reife erkannt. Die ausgestellten Werke, und zwar nicht nur die der professionellen KünstlerInnen, geben lohnende Einblicke in malerische Technikentwicklung und zeigen progressive Bildmotive. Auch ein Vergleich mit ihren ZeitgenossInnen würde einen kunsthistorisch blinden Fleck füllen. Hier werden jedoch die KünstlerInnen erneut von anderer, etablierter Kunst ausgegrenzt. Dabei wird die Opferrolle verteilt, ohne andere Zuschreibungen überhaupt in Erwägung zu ziehen. Diese Rolle scheint hier als sichere Haltung gewahrt werden zu müssen, da das eigentliche Ereignis die bloße Existenz der Ausstellung ist. Dass durch dieses unproduktive Vorgehen Ungleichberechtigung in der Wahrnehmung sowie Stagnation in der Forschung befördert wird, bleibt unerkannt. Zitate wären der Beginn von etwas, das ich als freie Meinungsäußerung der KünstlerInnen einfordere, die hier aber nur abgekapselt am Rande des Ausstellungsweges Platz finden. Die Idee einer dreifachen Übersetzung der Videozitate von Hebräisch, Deutsch und Englisch scheint folgerichtig und respektvoll, jedoch hinkt auch hier die Umsetzung. Der Wechsel zwischen den Sprachen dauert so lange, dass das Interesse am Verweilen gebremst wird. Übersetzungen in Museen müssen unauffällig sein und dürfen nicht nur als gut gemeintes Vorzeige-Tool ihre Kraft verwirken.
Unklar bleibt, welche Werke Originaltitel tragen und welche Werke nachträglich von AusstellungsmacherInnen betitelt wurden. Hierbei wird erneut in die künstlerische Freiheit eingegriffen. Oftmals werden Gemälde wahllos nach Motiv betitelt und somit einer Ordnung unterworfen. Die KuratorInnen nutzen ihre Machtposition gegensätzlich zur eigentlichen Motivation der Ausstellung. Sie wollen den ZuschauerInnen und – was viel fataler ist – somit auch den KünstlerInnen ihr Kunstverständnis aufzwängen. Dazu passt auch, dass, wie am Beispiel Nussbaum aufgezeigt, nur künstlerische Nobilitierung durch Etablierung eine bessere Positionierung erlangt. Der Kunststatus wird hier als Tauschwert für Individualität im Ausstellungsgefüge eingesetzt. Vollkommen unverständlich bleibt, wie man auf eng bedruckte Tafeln neben den Bildangaben vorgefertigte Bildanalysen zwängen kann, die keinerlei Raum für eigene Interpretationen oder Empfindungen zulassen. Alles wird gesagt, angeblich aufgeschlüsselt und Wissen somit fertig verpackt und bereit zum Konsum.
Erstaunt es, dass die größte populistische Tageszeitung Deutschlands als Initiator dieser Ausstellung auftritt? Zeitung und insbesondere Verlag erproben sich in geübter politischer Seriosität durch den Erfolg dieser Ausstellung, ohne zu bemerken, wie banal das zugrunde liegende Ausstellungskonzept auf methodischer Ebene ist.
Denn die Ausstellung versagt methodisch genau dort, wo sie der Kunst aus dem Holocaust Raum geben möchte. Sie schafft durch die Gleichsetzung der so vielfältig ausgestellten Kunstwerke als eine Kunst erneut Diskriminierung. Kuratorisch gelingt es nicht, die Chance zu nutzen, eine kanonische Geschichtsschreibung zu bereichern und die entstandene Kunst auch kunsthistorisch gleichberechtigt erfahrbar zu machen. Der Ordnungsdrang, der sich nach der Motivauswahl richtet, setzt Stigmata. Es scheint als würde diese auf den ersten Blick einfache Verständlichkeit der Ausstellungsführung eine Hilfestellung an die Besucherschaft sein.
Genau darin liegt die Gefahr, denn ein historisch-wissenschaftlich geprägtes Museums sollte nicht der Verführung erliegen, einfach und schematisch zu agieren, sondern den Anspruch haben, die Besucherschaft mit einem kritischen Blick zu befähigen. Der Ausstellungsraum entwickelt sich im Deutschen Historischen Museum zu einem Ort, der Machtverhältnisse reproduziert und somit vergrößert und auswendig lernen lässt. Mit Arendt lässt sich dieses Ausblenden der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten als einen Moment lesen, in dem „das Wort versagt und […] das Denken scheitert“. Es ist das Symptom eines reaktionären Museumsbetriebs, der die Ausstellungsidee als politischen Akt feiert und dabei eine kritische Entwicklung der Ausstellungsmethode vernachlässigt.
Kunst aus dem Holocaust. 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem
26. Januar bis 3. April 2016
Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
www.dhm.de