NO IT IS! William Kentridge im Martin-Gropius-Bau
Jaana Heine
Tick, Tock goes the clock…
…oder in diesem Fall das Metronom. Gleich neun dieser mechanischen Geräte werden an die mit weißem Papier beklebten Wände in einem der Seitenflügel des Martin Gropius Baus projiziert. Sie ticken zunächst synchron, um dann immer schneller durcheinanderzuschlagen. So beginnt William Kentridges Videoinstallation The Refusal of Time.
Dass diese umfangreiche Multimedia-Arbeit am Ende der Retrospektive steht, hat seinen guten Grund. Hier kulminiert ein Großteil jener Elemente und Ideen, die den BesucherInnen in den vorausgegangenen fünf Räumen der Ausstellung NO IT IS! als paradigmatisch für Kentridges Schaffen präsentiert werden – so man von paradigmatisch sprechen kann angesichts eines Künstlers, dessen umfangreiches Werk sich vor allem durch die Ablehnung jeglicher Eindeutigkeiten auszuzeichnen scheint. Denn der Südafrikaner zieht Prozesshaftigkeit und Ungewissheit statischen Auffassungen und Autoritäten vor. Er möchte verstehen „wie wir unsere Geschichten konstruieren und was wir mit ihnen anfangen.“[1] Im Zuge des Erforschens und Umkreisens dieser Thematik hat Kentridge sich vieler verschiedener, sich überlagernder Medien, Techniken und Inszenierungsformen bedient und mit diesen experimentiert. Seine Welt und ihre Bilder sind dabei immer im Werden begriffen und was in einem seiner Trickfilme gerade noch ein Telefon war, ist im nächsten Moment vielleicht eine Katze.
Obwohl der Künstler sich auch digitaler Methoden völlig selbstverständlich bedient und deren Bedingungen am besten gleich mitreflektiert, wahrt seine Arbeit, durch den umfassenden Einsatz analoger Mittel wie Collagen, Lithografien oder Kreide- und Kohlezeichnungen, doch stets eine gewisse Obsoleszenz. Angesichts dieser Ästhetik wundert es auch nicht, dass zwei der Räume von NO IT IS! ein solch überholt anmutendes Ausstellungskonzept wie das der Wunderkammer zitieren. Doch wer an dieser Stelle ein völlig überfülltes Kuriositätenkabinett erwartet, der irrt. Aus dem Dunkel des vorausgegangenen Kinos treten die BesucherInnen in einen weitläufigen Raum. In warmes Licht getaucht, beherbergt die erste dieser Kammern eine Sammlung von Zeichnungen, Collagen, Studien und anderen kleinformatigen Arbeiten, von denen viele Grundlage für Kentridges filmische Werke sind. Sie werden an Wände gepinnt oder auf Tischen präsentiert, vor denen hölzerne Drehstühle stehen. Beklebte Büsten aus Pappe oder Bronze verweisen auf die Vision, das Bild im Kopf, das jedem Kunstwerk notwendigerweise vorausgeht. In der Mitte des Raums ist außerdem ein Modell der Ausstellung selbst zu finden. Ergänzt wird diese Sammlung durch Videoaufnahmen aus Kentridges Johannesburger Atelier. Doch nicht nur seine eigenen Arbeiten sind vertreten, sondern auch solche von Goya, Beckmann oder Dürer, die aus der Sammlung des Künstlers stammen und ihm als Inspirationsquelle dienen. So wird das Prinzip der Wunderkammer mit dem des Künstlerstudios verschaltet. Es realisiert sich an dieser Stelle vor allem im Hinblick auf die Idee eines Assoziationsraums, der aus einem sehr individuellen Verständnis dessen heraus entsteht, was ausstellungswürdig ist. Damit feiert Kentridge auch hier die Mehrdeutigkeit von Welt, die konstitutiv ist für seine künstlerische Praxis.
Die räumliche Trennung von Hell und Dunkel, die sich aus der Kombination der lichten Wunderkammern und düsteren Videoräume ergibt, nimmt das Begleitheft der Ausstellung durch schwarze und weiße Seiten wieder auf. Es findet so einerseits eine bewusste Trennung beider Sphären statt, wobei die eine Ort des Entstehens und die andere Ort des Ergebnisses ist. Andererseits treten diese sodann in eine Spannungssituation, bedingen sie doch einander: Während die Ergebnisse innerhalb der Wunderkammern auf ihre Einzelteile zurückgeführt und damit dekonstruiert werden, wird deren Entstehungsprozess gleichzeitig selbst zum Kunstwerk erhoben. Kentridge spricht den Bildern in ihrer Entstehung eine gewisse Eigenständigkeit und Fluidität zu und fragt gleichzeitig, was mit dieser passiert, sobald sie durch die Einbettung in einen größeren Kontext, eine umfassendere Arbeit oder eine Ausstellung an Komplexität gewinnen.
Indem die Ausstellung, die ansonsten nicht chronologisch vorgeht, nun The Refusal of Time (2012) ans Ende stellt, wird das gesamte Œvre des Künstlers als Prozess ausgestellt. Diese Arbeit vereint nicht nur verschiedenste Medien und Techniken, mit denen Kentridge im Laufe seiner Karriere gearbeitet hat, sondern sie verhandelt, indem sie thematisch die Zeit ins Zentrum rückt, auch eine Größe, die maßgeblich an der Konstruktion von Welt beteiligt ist. Kentridge hat diese Installation gemeinsam mit Peter Galison, Professor für Physik und Wissenschaftsgeschichte in Harvard entwickelt. Die BesucherInnen tauchen hier für knapp dreißig Minuten ein in eine inhaltliche sowie visuelle Abhandlung über die Zeit, die Geschichte ihrer Normierung, physikalische Eigenheiten und Fragen über deren Determinismus. Vor allem im Hinblick auf den afrikanischen Kontinent, der bei Kentridge zumeist im Fokus steht, kann die normierte Zeit und deren Aufzwängen als Stellvertreter für die Moderne und den Kolonialismus verstanden werden. Geht man davon aus, dass die Institution des Museums, die sich primär im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhundert etablierte, in ihrer Organisation und Präsentation nach wie vor auf Kategorien der Moderne fußt[2], wirft The Refusal of Time eine Frage auf, die auch für die Praxis des Ausstellens allgemein von Relevanz ist. Denn die Arbeit gibt uns den Raum zu fragen, welches Wissen eigentlich generiert wird, wenn wir nicht nur die Zeit, sondern alles Erfahrbare in Raster unterteilen, die Dinge ordnen und kartieren und welche Lesart der Welt womöglich eine andere im Keim erstickt.
[1] Christov-Bakargiev, Carloyn: Über Tränen und Risse. In: Rosenthal, Mark (Hg.):William Kentridge: 5 Themen, Ausst.-Kat. Albertina, Wien, Ostfildern: Hatje Cantz 2010, S.110.
[2] Vgl.: Muttenthaler, Roswitha & Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld: transcript, 2006, S.23.
NO IT IS! William Kentridge
12. Mai – 21. August 2016
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin