Alles nur Hype?
„Machine Hallucinations: Nature Dreams“ – Refik Anadol in der König Galerie, Berlin
Anna Weber
Es scheint, als würde die neue Einzelausstellung „Machine Hallucinations: Nature Dreams“ des türkisch-amerikanischen Medienkünstlers Refik Anadol der ganzen Stadt Berlin auf Instagram oder in einschlägigen Blogs als eine ganz besondere Empfehlung für die Wochenendgestaltung vorgeschlagen.
Es empfiehlt sich, die Ausstellung unvoreingenommen als Laie:in der maschinellen Intelligenz zu besuchen, ohne sich vorher mit ihren theoretischen Grundlagen und Konzepten vertraut gemacht zu haben und so die Kunst unmittelbar auf sich wirken zu lassen, um ein ganz subjektives Verständnis, Unverständnis oder Missverständnis zu entwickeln. Dieser Zugang zu den künstlerischen Arbeiten Anadols, wird einem fast schon vorgeschlagen, während man sich auf den Weg zum brutalistischen Gebäude der Galerie König - der ehemaligen St. Agnes Kirche in Kreuzberg - mit dem aus der Ferne sichtbaren angestrahlten Kirchturm und den davor wartenden Menschenmassen macht.
Wie in vielen Warteschlangen und besonders auch bei Ausstellungen üblich, gibt es hier den obligaten Smalltalk, vielleicht über das bevorstehende Wochenende oder über das schon zu Sehende und noch zu Erwartende, während man noch schnell die letzte Kippe dreht. Aber anders als in jeder anderen Warteschlange befindet man sich beim Warten auf die Ausstellung schon mitten in der Ausstellung. Als hätten Kurator und Künstler Besucherströme und lange Wartezeiten bewußt in die Inszenierung des Geschehens eingeplant, beginnt die Ausstellung bereits draußen mit der Datenskulptur „Winds of Berlin“, die als Echtzeit-Projektion basierend auf den spezifischen Wetterdaten von Berlin auf den Turm projiziert wird. Ohne zu verstehen, wie diese Animation aus Wetterdaten zustande kommt, sieht man intensive, sich ständig verändernde Farbverläufe, die sich bei näherem Betrachten als eine endlose Vielzahl kleiner Kugeln herausstellen. Diese wirbeln mal schneller, mal langsamer durcheinander und bilden dabei immer wieder neue Bildverläufe. Bei keinem Schnappschuss wäre die Projektion gleich - perfekt für einen Instagram Moment!
Nach Einlass in die Galerie gelangt man in die Nave, die riesige, als Raum an sich schon beeindruckende Haupthalle. Meterhohe Decken, graue Wände aus rohem Beton, polierter Zementboden und eine getäfelte Holzdecke - ein ehemaliges Kirchenschiff. Die gesamte Fläche der dem Eingang gegenüberliegenden Wand ist zum riesigen Bildschirm geworden, auf dem sich kontrastierend zur natürlichen, gedämpften Farbigkeit des Raumes strahlende Farbverläufe bewegen. Es wirkt, als hätte man einen großen Lichtkasten in den Raum gestellt, der einerseits dazu verlockt hindurchzulaufen, aber andererseits auch eine klare unüberwindbare Grenze darstellt. Die KI-Datenskulptur „Nature Dreams“, die ebenso wie die Projektion „Winds of Berlin“ als NFT-Unikat (Non-Fungible Token) angeboten wird, zieht die Blicke im Raum auf sich. Im Ausstellungstext wird „Machine Hallucinations: Nature Dreams“ als „[…] architektonische Ausstellung synthetischer Realitätsexperimente auf der Grundlage von GAN-Algorithmen, die von künstlicher Intelligenz entwickelt wurden und von der Strömungslehre inspiriert sind“[1] beschrieben. Auch wenn man vielleicht nichts über GAN-Algorithmen weiß und jedes dritte Wort im Text wie ein Fremdwort klingt, kann man doch einen eigenen Zugang zu dem Gesehenen finden, ohne dies zwangsläufig wie intendiert verstehen zu müssen. Klar wird jedoch, dass die Datenskulptur auf fotografische Datensätze zurückgreift, die ab und zu für einige Sekunden erkenntlich sind bevor sie abstrahiert und im Dauerloop abgespielt werden.
Im ersten Moment wirkt es so, als würde ein Farbeimer so perfekt landen, dass sich Farbtentakel in Zeitlupe in alle Richtungen ausstrecken, möglichst viel Raum einzunehmen und dann wider Erwarten wieder zurück in die Tiefen des Eimers zurückfallen, ohne dass das Umfeld befleckt wird. Irgendwie möchte man in den Sud hineingezogen werden, statt weiterhin unbeteiligt im Raum zu stehen. Das sich bewegende Bild versucht immer wieder, den Rahmen zu sprengen und sich in den Raum hineinzuarbeiten.
Was man sieht, ist schwer zu beschreiben, weil es nichts Konkretes, Greifbares ist. Vielmehr entstehen Assoziationen aus einer subjektiven Perspektive, die alles mögliche in die Abstraktion hineininterpretiert. Im Raum hört man zwischendurch von Besucher:innen: Windows-Bildschirmschoner, Monets Wasserlilien, Sonnenuntergang in Kalifornien mit Palmen, Waldbrand, sich wiegende Algen in Wasser, Schrubber in einer Autowaschanlage. Die Ausstellung scheint das Bedürfnis zu wecken, die Unklarheit des Dargestellten durch Assoziationen zu realen Dingen zu klären.
Die Geräuschkulisse, das Gemurmel der Besucher_innen, die in kleinen Gruppen, oder einzeln auf dem Fußboden sitzend den ganzen Raum einnehmen, und die leise Musik, die Meditationsmusik ähnelt, trägt zu einer ganz speziellen Stimmung bei, die ebenso wie Refik Anadols Arbeit nicht klar zu beschreiben ist.
Vor dem Besuch der Ausstellung hatte ich den Eindruck, sie sei zu sehr mit der Absicht konzipiert worden, Bilder zu produzieren, die gut als Social-Media Hintergrund funktionieren aber darüber hinaus wenig Bedeutungsgehalt hervorbringen können. Man kann nicht bestreiten, dass sich die Arbeiten in der Ausstellung perfekt für eine Social Media Inszenierung eignen, aber es sind nicht nur Flächen mit Farben, vor denen man sich fotografieren lassen kann, sondern auch inhaltlich ansprechende Werke, die das Potenzial haben, besondere, situationsabhängige Emotionen hervorzurufen. Trotz des schwer verständlichen Konzepts schafft die Galerie König einen Raum, in dem jede Person auch ohne Hintergrundwissen einen individuellen Zugang zur Ausstellung finden kann.
[1] Ausstellungstext „Machine Hallucinations: Nature Dreams“ König Galerie, Berlin 2021
„Machine Hallucinations: Nature Dreams“ – Refik Anadol
6.11.–17.12.2021
König Galerie
Alexandrinenstraße 118-121
10969 Berlin
https://www.koeniggalerie.com