Nothingtoseeness. Leere / Weiß / Stille in der Akademie der Künste, Berlin
Ellena Stelzer
„Nothingtoseeness“ lautet der Titel, den Kuratorin Anke Hervol und Kurator Wulf Herzogenrath ihrer Ausstellung in der Akademie der Künste gegeben haben – ein Titel, über den man beim ersten Hören oder Lesen womöglich erst einmal stolpert. Ist das ein richtiges Wort? Ein Info-Text vor dem Eingang im Haus am Hanseatenweg liefert die Erklärung: bei dem Begriff handelt es sich um eine Wortneuschöpfung von John Cage, um damit das Äquivalent der Stille in den visuellen Künsten zu umschreiben; und zwar nicht im Sinne einer Situation, in der es nichts zu sehen gäbe, sondern vielmehr im Sinne einer Strategie, mit der das Nichts über das Sehen und Fühlen erfahrbar wird. Das Kurator*innen-Duo greift diesen Neologismus nun auf und präsentiert in sechs Räumen eine umfangreiche Auswahl an „still“ und „leer“ anmutenden und insbesondere monochrom-weißen Arbeiten von 75 internationalen – allerdings überwiegend europäischen und amerikanischen – und teils durchaus sehr namenhaften Künstler*innen aus der Zeit der 1950er Jahre bis in die Gegenwart. Die Absicht dahinter: die Besucher*innen dazu anzuregen, „genauer, präziser und intensiver zu sehen und wahrzunehmen“.[1]
Unsichtbarkeiten
Beim Betreten der Ausstellung versperrt gleich hinter der Glastür zunächst eine weiße Wand die Sicht auf den sich anschließenden ersten Raum. „Nichts zu sehen, eben“, denkt man vielleicht und möchte schon um die Ecke biegen. Doch hier versteckt sich bereits das erste Ausstellungsstück der Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn – die Adresse der Akademie, in mehreren Schichten weißer Wandfarbe als Basrelief aufgetragen – und fordert gleich zu Beginn zu eben jenem genauen Hinsehen auf. Dahinter nähern sich dann ebenfalls Yves Kleins Untitled White Monochrome (1958) und Karin Sanders Wandstück (1986) der Unsichtbarkeit an, indem sie mit den weißen Wänden zu verschmelzen scheinen – und dabei die Wahrnehmung des Raums als White Cube intensivieren.
Hervol und Herzogenrath möchten den Besucher*innen ihrer von Künstler*innengesprächen, Konzerten, Lesungen und einem Filmprogramm begleiteten Ausstellung offenbar eine möglichst abwechslungsreiche Erfahrung ermöglichen. Mal durch weitere, mal durch engere Bewegungsräume wird man durch die wohl durchdachte Ausstellungsarchitektur geleitet. Die präsentierten Werke umfassen verschiedenste künstlerische Ansätze und Medien: von Gemälden, Skulpturen und Installationen über Lichtkunst, Videokunst und Sound-Arbeiten zu aufgezeichneter Performancekunst und fotografischen Serien. Je Werk sind lediglich Titel, Künstler*in und Entstehungsdatum handschriftlich auf den hellen Wänden notiert, weitere Informationstexte folgen nicht mehr. Einige der präsentierten Ausstellungsstücke lassen sich daher möglicherweise nur schwer allein durch Betrachtung erschließen; an manchen Stellen würde man sich dann doch etwas mehr Informationen wünschen, um die Arbeit vor Augen besser zu verstehen oder besser im Kontext des Ausstellungsthemas verorten zu können. Hier ist möglicherweise im Vorteil, wer entweder bereits Vorwissen mitbringt oder wer sich vorab informiert hat und auf die begleitende Ausstellungswebseite mit weiterführenden Informationen im Werkverzeichnis gestoßen ist. Andererseits werden die zahlreich bestückten Räume so nicht durch zusätzlichen Text überladen und die ästhetische Wirkung der Werke kann sich ungestört entfalten – dabei zeigt sich, dass der Fokus dieser Ausstellung doch stark auf das Formalästhetische gerichtet ist.
Spielräume des Weißen
Das Prinzip „nothing to see“ begegnet den Betrachtenden in der Ausstellung primär als Umsetzung im Sinne von Monochromie und der „Abwesenheit von Farbe“ in Form eines allumgebenden Weiß. Dass eine solche „leer“ erscheinende Ästhetik aber nicht automatisch mit Inhaltslosigkeit gleichzusetzen ist, beweist zum Beispiel eine Auswahl an monochromen, aber experimentierfreudigen Arbeiten aus den 1950/60er Jahren: präsentiert werden etwa Enrico Castellanis und Lucio Fontanas Spiele mit der gespannten, durchstochenen, aufgeschlitzten Leinwandoberfläche oder Günther Ueckers Spiel mit dem Umgebungslicht im Ausstellungsraum in Bezug zur von ihm dreidimensional gestalteten Bildoberfläche. Als ebenso inhaltsreich erweisen sich beispielsweise auch die humorvollen Instruction Pieces von Yoko Ono oder Nam June Paiks wohlbekannte Videoarbeit Zen for Film (1962–64).
Der Bezug zwischen Paiks Projektion und Rosa Barbas Video-Installation Stating the Real Sublime (2009) im Nebenraum dient als gutes Beispiel für die interessanten Dialoge, die teilweise zwischen einzelnen Kunstwerken der Ausstellung angestoßen werden: so greift Barba einerseits Paiks Idee der Projektion eines Klarfilms auf, rückt jedoch nicht wie dieser die allmähliche Veränderung des projizierten Films durch Staub und Kratzer in den Fokus, sondern stattdessen das Eigenleben des Projektors, der in ihrer Arbeit am Filmmaterial selbst aufgehängt ist und dadurch das projizierte weiße Bild auf der Wand auf ganz zufällige Weise in Bewegung versetzt.
Ebenso wenig wie der Inhaltslosigkeit entspricht das Weiße einem Stillstand, wenn beispielsweise Hans Haackes Wide White Flow (1967) eine stille Dynamik in den Ausstellungsraum bringt: mittels Ventilatoren bewegt sich dort kontinuierlich eine 4×7 Meter große hauchdünne, weiße Seidenstoffbahn in sanften Wellen dicht über dem Boden. Eine Verbindung der zurückgenommenen, weißen Ästhetik mit einem bewusst kritischen Inhalt erfolgt in Ulrike Draesners Arbeit Be-Sprechbarkeit (2021), die mittels geschriebenen und gesprochenen Wortes Gewalt an Frauen thematisiert.
Entleerung
„Ist die Stille also weiß?“, kann man sich mit Blick auf John Cages „Nothingtoseeness“-Begriff nun fragen. Für die Schau in der Akademie der Künste diente die Frage vielleicht als Ausgangspunkt. Es zeigt sich, dass sich die Ausstellung neben dem Phänomen der Stille aber gleichermaßen um künstlerische Auseinandersetzungen mit der Leere und insbesondere um den Gebrauch der Farbe Weiß – als Stellvertreterin des Zurückgenommenen, Leeren, Puren, Leisen – dreht.
Auf dem Weg durch die Ausstellungsräume durchläuft man jedoch auch eine meditative Klangatmosphäre der klirrenden Weingläser aus Inge Mahns Installation Stuhlkreis (2000) und begegnet farbigen Papierarbeiten von Katharina Grosse. Abgeschlossen wird die Ausstellung mit Isaac Juliens fast fünfzehn-minütiger drei-Kanal-Video-Installation The True North (2004). Vom Weiß ins Schwarz des abgedunkelten letzten Raums eingetreten, begibt man sich, begleitet von wummerndem Sound Design, auf eine letzte visuelle Reise durch eine karge Eislandschaft.
Vielleicht könnte man sagen, der gemeinsame Nenner des weiten Spektrums der präsentierten Werke in „Nothingtoseeness“ liegt in einer visuell-formalen Entleerung, die ebenso dröhnend, bewegt und farbig wie leise, statisch und weiß funktionieren kann.
[1] https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=62812 (Letzter Zugriff am 10.12.2021).
Nothingtoseeness. Leere / Weiß / Stille
15.09.2021-12.12.2021
Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
Öffnungszeiten: Di-So 11-19 Uhr
Eintrittspreise: 9€, ermäßigt 6€; am ersten Sonntag im Monat und dienstags ab 15 Uhr freier Eintritt
www.nothingstoseeness.de