Schrecklich schön? Eine Ausstellung der Gegensätze
Schrecklich schön. Elefant – Mensch – Elfenbein im Humboldt Forum Berlin
Alicia Dengel
Montagabend - ein nahezu leeres Humboldt-Forum. Eine Triggerwarnung vor dem Einlass in die Ausstellung. Der Raum überraschend klein. Dunkel. Hohe Decken. Ein lautes, leidvolles Stöhnen, dessen Quelle noch gänzlich unsichtbar ist.
Bereits im Moment des Eintritts wird eine gewisse Spannung spürbar. Die Frage, woher dieses unangenehme, dauerhaft wahrzunehmende Geräusch kommt, lässt mich nicht los. In Verbindung mit eindrucksvollen Exponaten, wie Schädel- und Kieferknochen von Flusspferden, Walrossen und Pottwalen, dem gigantischen Stoßzahn eines über 10.000 Jahre ausgestorbenen Mammuts und der Replik einer vor ca. 40.000 Jahren aus Mammutelfenbein gefertigten, winzigen Mammutfigur, gelingt der Einstieg in das Thema Elfenbein und die damit verbundenen Paradoxien, die auch schon im Titel der Ausstellung anklingen. Die Außenwelt ist vergessen, der Kopf sofort voll und ganz bei der Sache. Das Humboldt-Forum wagt sich unter dem Titel „Schrecklich schön. Elefant - Mensch - Elfenbein“ an ein heikles Thema, das für Ausbeutung und Tierquälerei steht.
Nachdem die Besucher*innen durch den ausgestellten Elefantenstoßzahn schließlich auf den besonderen Fokus der Ausstellung, Elefantenelfenbein, hingewiesen werden, können sie sich nun, von schwarzen Markierungen auf dem Boden geleitet, durch den Raum bewegen und verschiedene historische, kultur- und gesellschaftswissenschaftliche, politische aber auch medizinische Aspekte der komplexen, gewaltvollen Beziehung zwischen Menschen und Elefanten betrachten.
Die meisten Ausstellungsstücke sind, anders als die Tierschädel und -zähne zu Beginn, in Glaskästen präsentiert, was leider der genaueren Betrachtung feiner Verzierungen von Schmuckdosen oder Figuren aus Elfenbein entgegenwirkt. Eine abwechslungsreiche Auswahl an Exponaten aus verschiedenen Bereichen wie Kunst, Naturwissenschaft, Medizin aber auch Fotografie und Design erfüllt die nötigen Vorraussetzungen, ein solch vielschichtiges Thema in angebrachter Tiefe erörtern zu können. Außerdem hält sie das Interesse der Besucher*innen durch die gesamte Ausstellung hinweg aufrecht. Unterstützt wird dies auch durch die angemessene Mischung aus Informationstexten und interaktiven, multidimensionalen Wegen der Wissensvermittlung in Form von Audiobeiträgen, Selbstexperimenten, anschaulichen Videos, Grafiken und Spielen.
Besonders aufschlussreich ist die Installation „Voices of Ivory“, bei der verschiedene Akteur*innen von verschiedenen Kontinenten, wie auch aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen zu Wort kommen: Vom Zollbeamten in Berlin, über den Professor am Indian Institute of Science in Bangalore und einen ehemaligen illegalen Wildjäger aus Sambia, bis zur Rangerin eines kenianischen Nationalparks. Den Personen wurde eine Auswahl an Fragen zum Thema Elfenbein gestellt. Die Besucher*innen können selbst auswählen wessen Antworten auf welche Fragen sie besonders interessieren. Im Anschluss besteht die Möglichkeit über die eigene Meinung zur Thematik zu reflektieren und sich auf einem Touchpad selbst zu Fragen wie „Finden Sie Elfenbein schön?“ oder „Sollte man Elfenbein ausstellen dürfen?“ zu positionieren, wie auch die Antworten anderer Besucher*innen einzusehen. Die Installationen schult das eigenständige Reflektieren und Einordnen von Informationen, sodass Besucher*innen dabei an die Hand genommen werden, sich eine differenzierte eigene Meinung zu einer komplexen Thematik wie Elfenbein bilden zu können. Außerdem werden die Besucher*innen dazu angeregt ihre eigenen Vorannahmen zu hinterfragen.
Die Frage nach dem Ursprung des leidvollen Atmens, von der die gesamte bisherige Ausstellung begleitet wurde, wird in einem dunklen, abgetrennten, kleinen Raum beantwortet. Die Video- und Soundinstallation „A Sporadic“, aufgenommen von der Künstlerin Liesel Burisch, zeigt den qualvollen Tod einer Elefantenkuh, dessen Ursache unbekannt, jedoch nicht gewaltvollen Ursprungs ist. Das Betrachten der Installation löst ein zutiefst bedrückendes Gefühl aus, was ihre unbegreiflich starke Aussagekraft deutlich macht. Dennoch bleibt es extrem geschmacklos, nahezu widerlich, den grausamen Tod eines Lebewesens öffentlich zur Schau zu stellen, unabhängig davon, welchen eindrucksvollen oder lehrreichen Effekt dies auch haben kann. Die Frage nach der Gesamtproblematik rund um das Ausstellen von Artefakten und Installationen, die auf gewalttätigen Handlungen, wie Tod, Armut und Ausbeutung , aufbauen, zieht sich durch die gesamte Ausstellung.
Der Titel „Schrecklich schön“ beschreibt Ambivalenz, eine Beziehung, die von Gegensätzen geprägt ist. Dieses Verhältnis lässt sich auch auf die Umsetzung der Ausstellung übertragen. Die Aufarbeitung der Thematik gelingt den Kurator*innen zumindest auf inhaltlicher Ebene. Auch die farbliche Gestaltung des Raumes, der mit der roten Wandfarbe eindrücklich auf die blutrünstigen Taten von uns Menschen verweist, kann zugleich beeindrucken und schockieren. Einige praktische Mängel lassen sich jedoch leider nicht ausblenden: Völlig unkommentiert fehlt ein Teil der interaktiven Installation „Wunderkammer“. Die schwache, punktuelle Beleuchtung der Ausstellungsstücke führt zu erheblichen Schwierigkeiten der Lesbarkeit von Textschildern, welche teils auf Kniehöhe angebracht und somit nur gebückt oder kniend lesbar sind. Die Abbildung „Verbreitungsgebiete von Elefanten“ ist aufgrund der schwarzen Färbung Europas und Australiens in der Miniaturkarte oben rechts, die der Legende nach die aktuellen Verbreitungsgebiete des afrikanischen Savannenelefanten aufzeigen soll, unklar und irreführend. Auch das Thema Raubkunst findet, vor allem in Anbetracht der Kontroverse um das Humboldt-Forum und dessen, oft als unzureichend kritisierte, Transparenz im Bezug auf die Herkunft von Objekten, die in der Kolonialzeit unrechtmäßig erworben wurden, leider nur halbherzig Beachtung. So lassen sich an einigen Stellen Schubladen aus den Wänden ziehen, die mit dem, einigen Besucher*innen womöglich unbekannten, Schlagwort „Provenienz“ gekennzeichnet sind und in denen Unklarheiten im Bezug auf die Herkunft ausgewählter Exponate genauer erklärt werden sollen. Doch müsste diese brisante Problematik, unter deren Schatten die Eröffnung des Humboldt-Forums noch immer steht, nicht besser für jeden auf den ersten Blick sichtbar, statt in einer Schublade versteckt, thematisiert werden ?
Die Ausstellung weist barrierearme Aspekte auf, sie ist ebenerdig, besitzt einen Fahrstuhl am Ausgang und verfügt über einen Guide, der sich mit einem QR-Code öffnen und in Form eines Audioguides oder eines Guides in Gebärdensprache nutzen lässt. Auf die Bemühungen, die Ausstellung barrierearm zu gestalten, lässt sich wohl auch die niedrige Anbringung einiger Textschilder zurückführen. Mithilfe von herausnehmbaren Textkarten sollte umgangen werden, dass Besucher*innen sich bücken müssen um diese Texte lesen zu können, doch dies scheitert an der Unauffälligkeit und Unvollständigkeit jener Textkarten. Eine Auswahl an Kinderbüchern und kindgerecht erzählter Geschichten über Elefanten am Ende der Ausstellung, soll wohl den Eindruck erwecken, man habe versucht, diese familienfreundlich zu gestalten, was sich im gesamten Rest der Ausstellung allerdings wenig bemerkbar macht. Das gewisse Fingerspitzengefühl fehlt letztlich auch bei der Auswahl des Ausstellungsraumes: Eine Ausstellung, die sich unter anderem mit Themen wie Ausbeutung auseinandersetzt, in dem einzigen Raum des Humboldt-Forums einzurichten, dessen Ausgang unmittelbar an den Museumsshop anschließt, ist einfach nur taktlos.
Die Kurator*innen haben sich mit Elfenbein an ein brisantes Thema gewagt. Aus einer breiten Auswahl an Blickrichtungen betrachtet, gelingt es ihnen, der Thematik die nötige Multiperspektivität zu geben, der es bedarf, um solch komplexe Gegenstände aufzuarbeiten. Leider wirkt die praktische Umsetzung an einigen Stellen nachlässig, vor allem im Bezug auf die räumliche Gestaltung, wie den unbefriedigenden Umfang der Auseinandersetzung mit „Provenienz“. Sie kann der aufschlussreichen und vielseitigen inhaltlichen Arbeit und Sorgfalt praktisch nicht gerecht werden.
Schrecklich schön. Elefant - Mensch - Elfenbein
20.07.2021 bis 23.01.2022
Humboldt Forum
Schloßplatz
10178 Berlin