Räume statt Mut
millionaires can be trans* // you are so brave* im Schwulen Museum*
Jaana Heine
„I read that Caitlyn Jenner has a bodyguard; we’d all deserve one, but I don’t know if we’ll ever get what we deserve and this truth is larger than life. I see you staring at me on the subway, LAUGHING. I am not a laughing matter.“[1]
Im Sommer 2015 outete sich der ehemalige Zehnkämpfer Bruce Jenner in der Reality Show „Keeping up with the Kardashians“ als transsexuell. Geschlechtsangleichende Operationen folgten kurze Zeit später und erregten große mediale Aufmerksamkeit. Das erste Mal als Caitlyn zu sehen, ist Jenner dann auf dem Juni-Cover der Vanity Fair. Auf Instagram titelt sie: „Welcome to the world Caitlyn. It feels so good. Can’t wait for you to get to know her/me.“ Es folgen zahlreiche emotional aufgeladene Interviews und eine eigene TV-Show. Die Reaktionen in den sozialen Medien sind gemischt. Einige wünschen Caitlyn das direkte Ticket in die Hölle während andere die Entscheidung unterstützen und als mutigen und heroischen Akt ausstellen. „You are so brave!“ heißt es immer wieder.
Der Titel der Ausstellung, millionaires can be trans* // you are so brave*, rekurriert auf zwei in der Medienöffentlichkeit dominante Aspekte, die auch anhand Caitlyn Jenners medialer Inszenierung deutlich werden: Als Exoten wahrgenommen, wird exponierten trans*-Menschen und deren Geschichten aktuell große mediale Aufmerksamkeit zu Teil. Allerdings hat die Realität meist wenig mit den Fiktionen des Medienspektakels gemein und bedeutet nach wie vor einen Kampf gegen strukturelle Unterdrückung. Der zweite Teil des Titels, you are so brave*, ist ein ironischer Verweis auf cis-Perspektiven, die trans*-Leben als heroischen Akt deklarieren und gleichzeitig darauf reduzieren.
Vor diesem Hintergrund möchte die Ausstellung, laut eigener Aussage, traditionelle trans*-Narrative überschreiten, wobei traditionell in diesem Fall einen Zustand der Pathologisierung, Desexualisierung, Exotisierung und Fetischisierung von trans*-Menschen meint. Transgression bedeutet dabei nicht nur die Kritik an dominanten Strukturen, sondern auch deren Umarbeitung im Sinne alternativer Varianten von Sexualität, Begehren, Liebe und Familie.
Der Prozess der Überschreitung geschieht in der Ausstellung selbstbestimmt von innen heraus. Die 16 gezeigten Positionen stammen ausschließlich von trans*-KünstlerInnen und auch das Kurator*innen Team ist transgender oder non-conforming. Durch diese Selbstreferenzialität wird der Akt des Ausstellens hier zu einer Geste des Sich-Selbst-Zeigens. Diese Strategie vermeidet so weit wie möglich die Gefahr der Objektivierung, die immer dann droht, wenn menschliche Subjekte, deren Lebensweise und Kultur zum Gegenstand wissenschaftlicher und musealer Forschung und Ausstellungspraxis werden. Gleichzeitig werden so Lebensentwürfe jenseits der herrschenden Norm von den Rändern in die Mitte verlagert und Perspektiven und Erkenntnisse eröffnet, die Außenstehenden sonst nicht zugänglich wären.
Obwohl es sich bei den ausgestellten Arbeiten primär um künstlerische handelt, wäre es zu kurz gegriffen, millionaires can be trans* // you are so brave* als Kunstausstellung zu begreifen. Schon allein die räumliche Anordnung, die den einzelnen Positionen relativ wenig physischen Platz lässt, macht deutlich: Kunst ist hier keinesfalls allein des „interesselosen Wohlgefallens“ wegen präsentiert. Vielmehr dient sie in gesteigertem Maße als Träger und Repräsentant von Inhalten und Geschichten. Und diese dürfen, ja sollen sogar, dicht sein.
In dem eng bespielten Raum werden multimediale Arbeiten, die Film, Installation, Malerei, Fotografie und Text umfassen, gleichberechtigt nebeneinander präsentiert. Die meisten von ihnen sind an den schlichten weißen Wänden angebracht, an denen sich die Besucher*innen nach und nach entlangbewegen. Nur wenige Arbeiten ragen in den Raum hinein, die Mitte bleibt weitestgehend leer – fast niemand wagt sie zu kreuzen. Nur dann und wann geht jemand zu dem Telefon, das im hinteren Teil des Raums steht. Dieses Telefon klingelt unablässig. Doch kommt man ihm zu nah, hört es auf. Wer es dennoch rechtzeitig schafft abzunehmen, der hört, wie jemand an der anderen Seite auflegt. Noah Riesers „ phone I“ wird zur Manifestation einer konstanten Misskommunikation.
Einen Bruch mit der übergeordneten Ästhetik sowie den dominanten Inhalten stellt allein die „trans*- and gender non-conforming chronology“ dar. Dabei handelt es sich um eine Timeline, die im Sinne einer Historisierung aufzeigt, dass trans*- und nicht-geschlechts-konforme Menschen nicht nur schon immer existiert haben, sondern auch, wie deren Wahrnehmung sich – parallel zur Entwicklung einer patriarchalen Klassengesellschaft – verschoben hat. Hier wird bereits deutlich, dass die Ausstellung Sexismus nicht isoliert betrachtet, sondern Diskriminierung intersektional denkt, sodass die Frage um eventuelle Haupt- und Nebenwiedersprüche gar nicht erst aufkommt. Arbeiten wie „where we were not; feeling reserved, alexus’ story“ von Jess Maccormack und Alexus Young thematisieren Rassismus an erster Stelle. Die sechsminütige Videoarbeit handelt von sogenannten „starlight tours“, eine Praxis der Polizeigewalt, die sich gegen die kanadische Urbevölkerung richtet. Erzählt wird diese Geschichte von Alexus, die in Saskatoon selbst Opfer dieser systematischen Gewalt wurde und durch Glück überlebte. Mit den Behörden über die Ereignisse zu sprechen und die Verantwortlichen anzuklagen scheint ihr jedoch unmöglich.
Diese wie auch ein Großteil der anderen Arbeiten zeichnen sich durch hohe Emotionalität aus. Das liegt neben der inhaltlichen Anbindung an Themen wie Liebe, Sexualität und Familie auch an der persönlichen Ebene, die vielen der künstlerischen Positionen eigen ist. Einige von ihnen lassen lediglich Rückschlüsse über die Biografie der Künstler*innen zu, während andere sich explizit selbst thematisieren oder zumindest von einer Ich-Perspektive ausgehen. „I have always wanted to be both. The strongest and richest parts of my mother and my father“, heißt es beispielsweise in Neelu Bhumans Videoarbeit „love letter / prema lekha“. Gerade bei den Videoarbeiten ergibt sich eine sehr intime Rezeptionssituation, weil zu jeder Arbeit nur ein, höchstens zwei Kopfhörer vorhanden sind. So finden sich die Rezipient*innen – auch wenn die Personen in den Videos oftmals abstrahiert oder anonymisiert dargestellt werden – allein und vis-à-vis mit dem Gezeigten und Gesprochenen wieder.
Die Emotionalität verstellt den Blick jedoch nicht. Immer wieder brechen eher theoretische und analytische Arbeiten mit der affizierenden Ebene des Narrativs: In „the miss a broadcast (no.1)“ von Olivia Sparrow, referiert Sparrows Persona, das Cam Girl „Miss A“, lakonisch über die Performativität von Gender und Sexualität. Josch Hoenes und Tomka Weiß beschäftigen sich in „the layers of gendered clothing“ mit kulturell geprägten Wahrnehmungs–, Darstellungs- und Ausdrucksmustern.
Es wird also viel erzählt in dieser Ausstellung und dennoch stellt sich für millionaires can be trans* // you are so brave* die grundlegende Frage: Wer soll und möchte hier eigentlich mit wem kommunizieren?
Es kann wohl kaum darum gehen, cis-Menschen die eigene Voreingenommenheit vor Augen zu führen, schließlich würde dadurch vor allem eine Form des Essentialismus vorangetrieben. Näher liegt, dass gerade jetzt, wo trans*-Menschen über eine nie dagewesene Sichtbarkeit verfügen, der eigenen Community eine Plattform geboten werden soll, auf der sie sich nicht nur präsentieren, sondern auch selbst verhandeln kann. Das Medium Ausstellung, sowie die ergänzenden Vorträge, Performances und Filmvorstellung machen diesen Prozess theoretisch für jeden zugänglich. Durch die Ausstellung als inklusiven queeren Ort können „Freiräume zum Ausloten neuer Denk- und Handlungsräume geschaffen werden, die […] emanzipatorische und gesellschaftspolitische Fragen aufs Tapet [bringen].“[2] So zeigt sich: Nicht den Mut von Millionären sondern Räume braucht der Kampf gegen strukturelle Unterdrückung.
[1] Alex Alvina Chamberland: a hot temper is its own romance.
[2] Muttenthaler, Roswitha & Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld: transcript, 2006, S.15.
millionaires can be trans* // you are so brave*
20.Mai – 18.September 2016
Schwules Museum*
Lützowstraße 73
10785 Berlin