Spaces/Traces – Das Museum als optische Maschine
1887–2058 Dominique Gonzalez-Foerster, K20, Düsseldorf
Alisha Danscher
,,Every field needs to be disturbed by other discourses. I don’t believe that art is a meta-field of knowledge that stands above all else.“
Zur Retrospektive 1887-2058 der französischen Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster im K20 in Düsseldorf
Ein heller Raum mit quadratischem Grundriss: Die linke Seite besteht vollständig aus bodentiefen Fenstern, sie geben den Blick auf einen begrünten Vorplatz frei, Licht und Schatten fallen hinein. Ihr gegenüber ist eine mit Spiegeln ausgekleidete Wand. Dazwischen und vor den Fenstern stehen Schaukelstühle, der Boden ist mit einem brombeerfarben gemusterten Teppich ausgekleidet, ein Grammophon steht in einer Ecke, daneben liegen Bücherstapel. An der Wand gegenüber des Eingangs hängen in grünen Neonlettern die Worte: Hotel Splendide. Vereinzelte BesucherInnen sitzen in den Schaukelstühlen und betrachten sich im Spiegel. Es ist ruhig.
Ein heller Raum mit quadratischem Grundriss: Die linke Seite besteht vollständig aus bodentiefen Fenstern, sie geben den Blick auf einen begrünten Vorplatz frei, Licht und Schatten fallen hinein. Ihr gegenüber ist eine mit Spiegeln ausgekleidete Wand. Dazwischen und vor den Fenstern stehen Schaukelstühle, der Boden ist mit einem brombeerfarben gemusterten Teppich ausgekleidet, ein Grammophon steht in einer Ecke, daneben liegen Bücherstapel. An der Wand gegenüber des Eingangs hängen in grünen Neonlettern die Worte: Hotel Splendide. Vereinzelte BesucherInnen sitzen in den Schaukelstühlen und betrachten sich im Spiegel. Es ist ruhig.
Das Hotel Splendide ist eine Referenz zu der Erwähnung eines Gewächshauses in Arthur Rimbauds Gedicht >>Après la Déluge<< in seinem Buch Illuminations aus dem Jahr 1886. Die französische Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster wählte diesen fiktive Ort als Gegenstand für eine Verräumlichung in ihrer Retrospektive 1887-2058 im K20 in Düsseldorf. Als Besucherin kommt man aus dem Jahr 2066 in den hellen Raum und betritt damit eine Vergangenheit.
Die Arbeit mit dem Titel K.2066 zeichnet ein dystopisches und beklemmendes Zukunftsszenario. In einer großen Halle mit grauem Steinboden stehen gelbe und blaue, metallene Stockbetten ohne Matratzen, einzelne Romane liegen auf den Gestellen. Zwischen den Betten, die an ein Unterkunft für Geflüchtete erinnern, sind überdimensionierte Nachbildungen bekannter Skulpturen platziert: Arbeiten von Alexander Calder, Katharina Fritsch oder Henry Moore, das Nashorn des deutschen Künstlers Johannes Brus. Neben der Anspielung auf den Klimawandel mit einem resultierenden Wuchern der künstlerischen Objekte wird der museale Raum hier auch als Evakuations- und Zufluchtsort inszeniert:
,,Seit Jahren regnet es, kein Tag, keine Stunde ohne Regen. Das unablässige Wässern hat eine seltsame Wirkung auf Skulpturen im öffentlichen Raum gehabt. Wie riesige tropische Pflanzen haben sie zu wachsen angefangen und sind noch monumentaler geworden. Um dieses Wachstum zu stoppen, hat man beschlossen, sie im Innenraum zusammen mit zahlreichen Stockbetten aufzustellen, in denen Tag und Nacht Menschen vor dem Regen Zuflucht suchen.“[1],
heißt es als Vorwort an einer Wand im Foyer des Hauses.
Die Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster hat die beiden Räume von 1887 und 2066 hintereinander positioniert und diese Anordnung ist paradigmatisch für das Verfahren in ihrer Retrospektive. Mit der Intention ein Nebeneinander von verschiedenen Räumen und Zeiten zu schaffen, produziert die Künstlerin einen visuellen, einen verräumlichten Text. So wird ,,das Museum (…) zu einer optischen Maschine, die zurückblickt und dann wieder voraus“[2]. Mit dieser Perspektive entsteht eine collagierte Erzählung mit montierten zeitlichen Anschlüssen. Die häufig wie filmische Stills inszenierten Räume im Düsseldorfer K.20 werden durch die Besucher*innen aktualisiert, die Vergangenheit in ihrer räumlichen Koexistenz mit der Zukunft wird mit dem Betreten der Räume in eine differentielle Gegenwart geholt; in der Dehnung und Wieder-Holung der Zeit werden schließlich Rück- und Vorschau möglich. Der französische Philosoph Gilles Deleuze beschreibt in seinem Buch >>Das Zeit-Bild. Kino 2<< das Wesen der Zeit selbst als subjektiv, nicht chronologisch und gespalten:
,,Sie spaltet sich in zwei dissymmetrische Strahlen auf, von denen der eine die gesamte Gegenwart vorübergehen lässt und der andere die ganze Vergangenheit bewahrt.“[3]
Deleuze attestiert dabei den Bewegungs-Bildern des Films einen dividuellen, also teilbaren Charakter. Die filmischen Bilder sind aus unsichtbaren, beweglichen und unendlich teilbaren Schnitten zusammengesetzt. Diese Bilder gehen ineinander über und widersetzen sich so einem ,,feststellbaren und als eindeutig zu bezeichnenden Ausdruck”[4]. Deleuze setzt die Wesenhaftigkeit des Films als diskretem Medium in Beziehung zu Weisen der Subjektivierung:
,,Wie die menschliche Subjektivierung wird er (der Film, Anmerkung der Autorin) durch immanente Wiederholungs- und Affizierungsvorgänge, durch deren Symbolisierung und Reflexion zusammengehalten. Der Gesichtspunkt des Dividuellen (…) legt wie in der menschlichen Subjektivierung den Akzent auf innere Variabilität, Elastizität und fortgesetzte Umorganisation des Gefüges, auf die notwendige Neuabstimmung der Teilhaben, auf zeitbedingte ästhetische Unterteilung und deren untergründige Verbindungen mit einem Außen, auf Intensitätsdifferenzen, Licht- und Tondivergenzen, die sich einer einfachen Erfassung entziehen.”[5]
Die Eigenschaft des Dividuellen, die von der Philosophin Michaela Ott hier für einen über das filmische Kunstwerk hinausgehenden Werk-Begriff übernommen wird, erlaubt nun eine griffige Analyse der Ausstellungs-Inszenierung der französischen Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster.
In ihrer Arbeit, die sie selbst einmal als unmöglichen Roman beschrieben hat, machen die BesucherInnen nicht nur die Erfahrung, dass sie sich in der Zeit befinden und diese sich variabel rekombinieren und strukturieren lässt. Sondern es stellt sich ein komplexes Verhältnis aus Erfahrung im Raum des Museums, fiktionalen Narrations- und Rezeptionsweisen, sowie dem Moment und der Struktur von Subjektivierungsvorgängen her. Das Gelingen der Ausstellung als optische Maschine von Dominique Gonzalez-Foerster, in der viele Arbeiten nicht zum ersten Mal gezeigt werden, liegt in dieser Syntheseleistung. Die Ausstellung schafft ein variables, bewegliches Gefüge aus eher persönlichen und eher makroskopischen Narrativen, die durch und durch die die BesucherInnen schreiten und die ineinander übergehen und sich verschränken. Und so ist es eben nicht nur die Spaltung aus virtueller Vergangenheit und Zukunft, die die MuseumsbesucherInnen durch ihre Bewegung in den Räumen von Gonzalez-Foerster beständig aktualisieren und verbinden. Sondern das Potential des kompositorischen Vorgehens in dieser optischen Maschine liegt in der Vielfalt rhizomartig angeordneter Narrationen. Es entsteht ein variables Hybrid aus individuellen und kollektiven, kulturellen und historischen Erinnerungsräumen und Zukunftszenarien, das keine Geschlossenheit produziert, sondern mit der Möglichkeit spielt über den musealen Raum beständig neue Rekombinationswege zu finden und zu erproben. Das Credo der Künstlerin:
,,Every field needs to be disturbed by other discourses. I don’t believe that art is a meta-field of knowledge that stands above all else.“[6]
bietet nicht nur den Raum für wechselseitige Störungsverhältnisse verschiedener Disziplinen jenseits eines rein künstlerischen Diskurses.
Vielmehr steht es auch für die Notwendigkeit der Störung durch die BesucherInnen selbst. All diejenigen, die in den Schaukelstühlen im Hotel Splendide andächtig hin- und her wackeln, erzeugen Störung und Spekulation. Sie schauen vor und zurück. Sie verschieben mit ihren Körpern die literarische, fiktionale Vergangenheit in eine wirkliche Gegenwart. Sie produzieren und spekulieren über neue Möglichkeitsräume jenseits eindeutiger Zuweisungen und Konturierungen. Sie sind zugleich in der Zeit, in einer verräumlichten Fiktion, im Museum und in der Gegenwart. Das ist vielversprechend.
[1] Begleitheft zu 1887-2058, Dominique Gonzalez-Foerster, K 20 Kunstsammlung, Düsseldorf
[2] Interview mit Dominique Gonzalez-Foerster, von Oliver Basciano, in: Spike Art Quarterly, Sommer 2015
[3] Gilles Deleuze, Das Zeit-Bild. Kino 2, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1996, S. 111
[4] Michaela Ott, Dividuationen-Theorien der Teilhabe, b_books, Berlin, 2015, S. 179
[5] Ott, Dividuationen, Ebd.
[6] Hans Ulrich Obrist, Dominique Gonzalez-Foerster, The Conversation Series, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008, S. 71
1887 – 2058
Dominique Gonzalez-Foerster
23.04.-07.08.2016
K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
www.kunstsammlung.de