Verstimmung
Candida Höfer. Nach Berlin im Neuen Berliner Kunstverein n.b.k.
Jannik Schäfer
Candida Höfer, Jahrgang 1944, ist die Grande Dame der Deutschen Großformatfotografie. Seit Jahrzehnten schwebt sie durch die Kunstwelt, ihren Bildern eignet eine viel diskutierte Dialektik zwischen fotografischem Blick und Wahrnehmungsblick, gerichtet auf das räumliche Milieu des Menschen. Der Einladung des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) folgend hat sich Höfer nun in aus ihren Bildern weniger bekannte Gefilde hervorgewagt und präsentiert das Resultat vom 03. Dezember 2016 bis 29. Januar 2017 in einer Ausstellung mit dem Titel Nach Berlin.
Inspiration bezieht sie dabei, dem Ausstellungstext zufolge, aus Ideen des 1931 erschienen Filmklassikers “Emil und die Detektive” (basierend auf Kästners gleichnamigem Roman), der sich, unter anderem, durch seine bis dato wenig bekannte dokumentarfilmische Darstellung der Hauptstadtszenerie und seine dramatischen Wendungen aus ungewohnter Perspektive auszeichnet, nämlich der Perspektive von Kindern.1 Die Erzähltechnik unerwarteter, gar dramatischer Wendungen aufgreifend wendet sich Kurator Marius Babias im Ausstellungstext an das Publikum, um deren „enttäuschte Erwartungen“ vorwegzunehmen, die sich, so vermutet er, wohl auf die berühmten Höfer’schen Bibliotheksaufnahmen gefreut hätten.2 Jene um ihr Glück betrogenen Zuschauer erwartet in der Ausstellung eine ungeahnte Welt ‘kleinerer’ Aufnahmen Höfers: Stadtfragmente, verlebte Orte, Innenraum-Gestaltungen und Spuren im Nebel sind in Vitrinen, an Wänden und in drei Projektionen aufgereiht.
Da verwundert es ein wenig, dass die Ausstellung trotz dieser Vorwarnung mit vier großen Werken aufwartet, die in ihrer monumentalen, architektonischen Räumlichkeit das klassische Werk Höfers zu verkörpern scheinen. Menschenleere Orte voll impliziter seelischer Präsenz, die den Betrachter in ihrer Spannung zwischen Materie und Milieu verweilen lassen. Doch wenn gerade diese im Stil bekannteren Werke in Nach Berlin nicht im Vordergrund stehen sollen, weshalb flankieren sie derart prominent die Ausstellung? Läuft Kurator Babias mit dieser Diskrepanz des Gezeigten auf kommunikativer und kuratorischer Ebene nicht Gefahr, die neuen Arbeiten Höfers in den Schatten ihrer großen Geschwister zu stellen?
An der Rückwand des ersten von drei miteinander verbundenen Räumen, hängen sieben Detailfotografien der Maße 80x65cm. Sie tragen Namen wie Cord, Rain oder Lines, sind konkrete Dinge, doch im Bild mehr abstrakte, atmosphärische Fragmente, die fast nichts darzustellen scheinen und doch auf seltsam bekannte Weise gefangen halten. Ein fernes Haus allein auf einer Wiese, versteckt im Regenschleier; ein Stofftuch, ganz nah, hier und da zerschlissen, an seinen Bruchstellen hell ausgefüllt mit Strängen gleißenden Lichts; ein kitschig bestickter Hotelvorhang, eingezogen, links vor rotem Teppich und toter, gelber Tapete. Die Rückwand der Ausstellung eine Sammlung stiller, erst im Detail verliebter Blicke.
Den Raum mittig zerteilend und geradewegs zulaufend auf die Rückwand eine große Vitrine bestückt mit 19 kleinen Aufnahmen unterschiedlichen Formats. Viel Schwarz und Weiß, Wind, Licht und Schatten. Ein verlassener Asphaltparkplatz, umschlungen von wilden Palmen; ein schwarzer Innenraum, zersetzt durch hell erleuchtete Türen, Fenster, Öffnungen; eine weiße, von vielen an ihr vorbei ziehenden Schultern stark verkratzte Wand.
Dazu, ein Dutzend Schritte nach rechts, in der zweiten von drei Parzellen, zwei Projektionen, eine groß, eine klein, senkrecht platziert zum Blickpunkt, der Rest des Raumes nackt, wie auch der gesamte Ausstellungsbereich, mit weißen Wänden über betongrauem Grund. Die beiden Projektionen, “Fotografische Aufnahmen Candida Höfers in Überblendungen”,3 wieder: Kleinstes, lang betrachtet, vielleicht solches was dem fremden Blick zunächst verborgen bleibt, anders als dem Schulkind, welches, verträumt, von Tag zu Tag dem selben Wege folgend, immer wieder darauf stößt: Grün, sich aus Bordsteinbeton zwängend; Fliesen, eingeengt im Kampf mit anderen Straßenfasern, die sich ebenso unermüdlich ihren Weg zu bahnen versuchen; Tropfen auf einer Scheibe, ein schemenhaft vorbeihuschendes Gefährt.
Wie Kommentare, die sich aus den Schritten des Betrachters ergeben, und sich auch in den dritten Raum des n.b.k. verlaufen, der sich mit seinen beiden zwei Meter großen Werken, Rücken an Rücken reibt mit den beiden Kolossen im Hauptraum, die gleichfalls, einander gegenüber hängend, den Raum bestimmen. Hier hängen Neuer Stahlhof Düsseldorf IV & V. Einblicke einer anderen Welt, in der Treppenhäuser, aus der Vogelperspektive und nach grafischer Bearbeitung, wie das Frauengeschlecht geformt stehen. Ihr Schlohweiß durchbrochen von marmornen Treppenstufen und Sicherheitstreppenstufen, die ihren Benutzern auch in rauen Zeiten festen Halt bieten sollen.
Zwischen den Teilabschnitten der Ausstellung lebt ein drittes, rätselhaftes Element: Eine Projektion von 1979 mit dem Titel Türken in Deutschland. Ein 8 Minuten Loop mit 80 Bildern. Scheinbar zusammenhangslos fotografierte Gruppen türkischer Männer und Frauen, aufgenommen auf deutschen Straßen Ende der 1970er Jahre. An Straßenecken, Esstischen, vor Geschäften. Fesche Schlaghosen, bunte Farben, frische Gesichter in biederen, deutschen Straßen, die kess drein blicken, oder einfach ihrer Wege gehen. Der Ausstellungstext sagt: “Eine Reihe von Fotografien aus der bekannten Seite Türken in Deutschland von 1970, die Alltagsszenen aus dem Leben türkischer ‘Gastarbeiter’ in den 1970er Jahren u.a. in Köln, Hamburg und Berlin versammelt.”. Mehr wird nicht preisgegeben, was erstaunt, als sich herausstellt, dass dies Candida Höfers letzte öffentliche Arbeit war, in der sie Menschen statt urbane Räume zeigte, lange noch bevor sie internationale Bekanntheit erlangt hatte.
Was haben diese alten Snapshots von “Gastarbeitern” in der Ausstellung zu suchen? Ist es, wie ein Beobachter anmerkt, das Vergnügen an der Serie? Das scheint zu wenig, angesichts der Raffinesse Höfers, doch die lässt sich nicht in die Karten blicken. Auf Nachfrage spricht Kurator Babias kryptisch von den aktuellen Gegebenheiten, die sich aufdrängen.
Wo die Erklärung sich entzieht, macht sich eine Verstimmtheit bemerkbar. Die Projektion ist räumlich etwas versetzt in die Hauptwand der Ausstellung hinein und leicht versteckt hinter einer Säule platziert. Rechts neben den sieben Detailfotografien und etwa einen Meter tiefer in den Bauch des Gebäudes eingelassen, betont entfernter vom Betrachter, haben die Türken ihren Raum. Höfer schafft ihnen Fläche zum atmen, ganze neun Stühle stehen aufgereiht davor. Hier wird gesessen und zugeschaut, ein Kino für die Betrachtung des Fremden. Im Nebenraum, wo die Überblendungen der Stadtfragmente laufen, steht man mitten im Raum, ganz ungebunden. Hier aber zieht etwas Unerwartetes in den Raum ein, verfremdet seine vermeintliche Form durch neue Anwesenheit, erzeugt Spannung. Ein neues Bild lugt hervor aus dem Nebel der Großstadtfragmente. Höfer greift für Nach Berlin zurück in ihr eigenes Archiv, ihre eigene, jugendlich-faszinierte Fremderfahrung und Begeisterung. Große, kleine, sichtbare, unsichtbare, fremde, unfremde Eindrücke pochen darauf, den Blick zu an diesem Ort der versteckten Straßenzügen noch weiter zu heben. Auf, Nach Berlin. Eine dramatische Wendung. Ganz, wie in Emil und die Detektive.
1 Babias, Marius: Candida Höfer – Nach Berlin. Ausstellungstext. Neuer Berliner Kunstverein. Berlin, 2016.
2 Vgl. Ebd.
3 Ebd.