Brücke-Museum
Ivanka Schmidt
Ganz nah bei der Hauptstraße und doch umgeben von Grün – fast unscheinbar fügt sich das Brücke-Museum in Berlin-Dahlem in seine Umgebung, vor allem, wenn man den Blick zum benachbarten Kunsthaus Dahlem schweifen lässt. Das Museum beherbergt Werke des Künst- lerkollektivs „Brücke“, das Anfang des 20. Jahrhunderts aktiv war und zum Expressionismus gehört. Nicht nur Gemälde, Zeichnungen und Holzfiguren lassen sich hier betrachten – Ob- jekte aus der Sammlung Karl Schmidt-Rottluffs, des Initiators des Museums und Mitglied der „Brücke“, werden nebenan im Kunsthaus gezeigt. Doch eins nach dem anderen.
Seit Dezember letzten Jahres werden in der Ausstellung „Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“ zahlreiche Werke des Kollektivs aus einer kritischen Perspektive und vor dem historischen Entstehungshintergrund während der Kolonialzeit betrachtet. Die Architektur des Museums führt in einem Rundgang durch offene Räume an den vielen Kunstwerken vorbei und lässt dabei zeitgenössische Stimmen in Form von Videointerviews zu aktuellen Themen zu Wort kommen. Auch in der Einleitung wird die Verantwortung des Muse- ums in Bezug auf die Sammlungsgegenstände und das diskriminierungskritische Vorgehen beim Kuratieren betont, bei gleichzeitiger Bewusstmachung der eurozentrischen Blickrichtung.
Wie wird in der Ausstellung mit aus heutiger Sicht problematischen Titeln und Bildern umgegangen? Die Gemälde und Zeichnungen werden, wie der Name der Ausstellung schon sagt, kontextualisiert, während Begriffe und rassistische Bezeichnungen auf den Kopf gestellt werden. Sie ganz zu streichen würde einer Verwischung der Erinnerung gleichkommen, so das Kurator*innen-Team. Mit Pfeilen gekennzeichnete Worte wie zum Beispiel „Kolonialismus“ und „Ethnologie“ werden in einem Glossar näher beleuchtet und sollen „zum kritischen Nachdenken und Austausch anregen.“ Das in Englisch und Deutsch verfügbare Glossar kann man mitnehmen und sich somit auch nach dem Ausstellungsbesuch damit beschäftigen. Einige Abschnitte aus den Leben der Brücke-Künstler und auch kolonialgeschichtliche Punkte werden in einem Zeitstrahl dargelegt, der als Beginn der Ausstellung einen ersten Überblick gibt.
Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Emil Nolde – das sind die Namen der Brücke-Künstler, die zwischen 1905 und 1913 aktiv waren, und sich dabei der Stilmittel der Kunst und Kultur aus Afrika, Ozeanien und Indien bedienten. Man erfährt, dass nur Pechstein und Nolde mit ihren Frauen tatsächlich in deutsche Kolonialgebiete in Papua-Neuguinea und auf die Palau-Inseln gereist sind. Alle hatten jedoch gemeinsam, dass sie sich in den damals noch neuen sogenannten „Völkerkundemuseen“ in Berlin und Dresden intensiv mit den Werken aus dem globalen Süden beschäftigten. Davon zeugen viele Skizzen und Bilder der Künstler. Außerdem besuchten sie Theatervorstellungen, Varietés und Parks, in denen auch Menschen wie Objekte „ausgestellt“ und somit als fremd konstruiert wurden. Das Kurator*innen-Team verweist explizit auf eine Dauerausstellung, die im Rathaus Treptow zu finden ist und detailliert die Erste Deutsche Kolonialausstellung aufarbeitet, während die Biografien und der Widerstand Schwarzer Menschen in den Vordergrund gestellt wird. Auch wurde im Brücke-Museum anhand von Fotografien, Briefen und Zeichnungen das Leben drei Schwarzer Menschen versucht näher zu beleuchten. Nelly, Milly und Sam – wahrscheinlich nicht einmal ihre echten Namen, waren das doch stereotype Bezeichnungen, wie man von der Autorin und Wissenschaftlerin Natasha A. Kelly in einem der Video-Interviews erfährt – sie wurden vor allem von Kirchner gemalt und waren scheinbar oft im Atelier zugegen. Leider erfährt man nicht viel über ihre Leben, was an den wenigen Dokumenten und Aufzeichnungen liegt, die über sie zu finden sind.
Die Ausstellung im Brücke-Museum schafft es, mit Hilfe der ausführlichen textlichen Ausarbeitungen zu den Werken das ambivalente Verhältnis zwischen Inspiration und Bewunderung der Kunst, und rassistischen Stereotypen und der Aneignung von Stilmitteln herauszustellen. Die Künstler imaginierten die Kunst afrikanischer und ozeanischer Kultur als „ursprünglich“, die dort lebenden Menschen als „fremd“ und „wild“. Obwohl die Brücke ihre Sichtweise eher als positiv empfand und sich von der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland abgrenzen wollte, trug diese doch zum Othering der Menschen bei. Auch Pechstein und Nolde, die in deutschen Kolonialgebieten waren, blendeten die Realität und die koloniale Gewalt in ihren Werken aus – Gegenüberstellungen von Fotografien und Briefen zeichnen ein anderes Bild als das der „unberührten“ Natur.
Eine weitere Besonderheit der Ausstellung im Brücke-Museum ist ein begehbarer Leseraum, der sich aus offenen Regalen ergibt. Diese vom Center of Unfinished Business konzipierte Installation beherbergt Bücher zu unterschiedlichen Themen, die aber alle auf eine Art und Weise mit Kolonialismus zu tun haben. Ohne eine bestimmte Nutzungsweise des Raumes vorzugeben, sollen Besuchende dazu angeregt werden, sich dem Thema aus verschiedenen Richtungen zu nähern und weiterzudenken, zu reflektieren. Außerdem ist der Raum übersät von bunten Post-Its mit verschiedensten Gedanken und Kommentaren zum Leseraum, zu den Büchern und zur Ausstellung allgemein. Der Schlusssatz in der Erläuterung zum Leseraum kann auch sinnbildlich für die Aufarbeitung kolonialen Erbes gedacht werden: „Und nun los, auf zur Unvollendung dieser unvollendeten Angelegenheit!“ Die Objekte aus der Sammlung Karl Schmidt-Rottluffs, die im benachbarten Kunsthaus Dahlem in der Ausstellung „Transition Exhibition“ den Werken zeitgenössischer Künstler*innen gegenübergestellt werden, sollen dieses Jahr digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht werden - sowohl um mehr über die Provenienz der Objekte zu erfahren, als auch um zum Austausch einzuladen und an Debatten um Restitution anzuknüpfen.
„Whose Expression? Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext“
18. Dezember 2021 bis 20. März 2022
Brücke-Museum
Bussardsteig 9
14195 Berlin
Mittwoch – Montag von 11-17 Uhr
Kombi-Ticket (inkl. Kunsthaus Dahlem): regulär 8 € - ermäßigt 5 €
www.bruecke-museum.de