Der Wahnsinn des Krieges und andere Angelegenheiten
World Press Photo 2016 im Willy-Brandt-Haus Berlin
Julia Weitzel
Unsere Gegenwart scheint vor allem eines zu sein: geprägt von Krieg, Zerstörung, Flucht, Tod und Trauer. Der weltweit größte und international anerkannte Wettbewerb für Pressefotografie zeigt dieses unverblümte Abbild unserer Zeit auf sehr eindringliche und radikale Weise. Wer sich noch bis zum 26. Juni die Gewinner des diesjährigen Presse Awards im Willy-Brandt-Haus in Berlin anschauen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein. Das was tagtäglich über die unterschiedlichsten Informationskanäle für einen kurzen Moment unsere Aufmerksamkeit erhält, gerät nicht einfach in Vergessenheit, sondern zeigt sich bei der World Press Ausstellung in kuratiertem Gewand und vor allem in geballter Form.
Die sonst stark verstreuten Bildbotschaften werden hier im zweiten Stock der SPD Parteizentrale im White Cube präsentiert. Auf den kargen weißen Wänden, deren Anordnung und Aufteilung im Raum jeglichem ästhetischen und gestalterischen Empfinden entbehrt, hängen, in acht verschiedene Kategorien aufgeteilt, die großformatigen Fotografien. In beinahe allen Rubriken sind Fotos von geflüchteten, verwundeten oder toten Menschen vertreten. Polizeigewalt in den USA, Bandenkriminalität in Honduras, Bürgerkrieg im Sudan, überfüllte Flüchtlingsboote. Und das Thema Nummer eins: Der Syrienkrieg.
Brennende Autos, zerstörte Häuser, komplett zerbombte Straßenzüge. Alles ist Schutt und Asche, nichts scheint mehr an seinem Ort zu sein. Zwischen den Ruinen erkennt man schemenhaft eine einsame Person am Ende der Häuserflucht. Nebel – verzweifelte Gesichter versuchen mit letzter Kraft verwundete Menschen aus der Gefahrenzone zu tragen – vielleicht sind sie schon längst tot. Der Blick auf eine Stadt am Abend. Qualm steigt auf. Ist es die untergehende Sonne, oder eine eingeschlagene Bombe, die den Horizont erhellt, während der sternenklare Himmel unscheinbar und teilnahmslos darüber hängt? Die Bilder des Fotografen Sameer al Doumy zeigen alle einen kurzen Moment während des mittlerweile fünfjährigen Krieges in Syrien, hier in Douma im Südosten des Landes. Die Momente, die hier festgehalten wurden, stellen den Krieg und seine zerstörerische Macht in nüchterner Klarheit aus. Manchmal wirken die Szenen fast wie arrangierte Settings des Kunstfotografen Jeff Wall, der bewusst mit der Unsicherheit des Authentizitätsgehalts von Pressefotografien und insbesondere Kriegsfotografien spielt. Hier verschwimmen die Gattungsgrenzen von Presse-und Kunstfotografie auf eindrucksvolle Weise. So liegt den Aufnahmen des aus Douma stammenden al Doumy, eine bestimmte Botschaft zu Grunde, die auf perverse Weise den Wahnsinn und gleichzeitig die Ästhetik des Krieges herausstellt.[1] Weil ein Mensch mit westeuropäischem Hintergrund sich jedoch meist keine Vorstellung darüber machen kann, was er da vor sich sieht, stehen wir wie unbeteiligte Beobachter am anderen Ende der Welt und können lediglich eine „Verschiebung vom dokumentarischen Sehen zum dokumentarischen Fühlen“ wahrnehmen. [2] Ein Gefühl der Empathie aber auch der Hilflosigkeit wird evoziert.
Auch die Fotografien von Abd Doumany reihen sich in dieses Gefühl der Machtlosigkeit ein. Wie in der Pressefotografie üblich, stehen neben allen ausgestellten Abbildern kurze begleitende Texte mit Informationen zur Entstehung, zum Ort und Datum, die das Bild in einen konkreten Kontext einbinden und eine Art Zeugnis- oder Beweisfunktion innehaben. Doch genau genommen benötigen diese Motive keine Beschriftung oder Erklärung. Der Mann, der den leblosen, toten, blutüberströmten Körper seiner Tochter auf dem Schoß liegen hat und sie mit einem fragenden Blick anschaut, als ob er nicht begreift, was da vor sich geht – dieses Bild spricht für sich, es bedarf keines Nachweises. In ihm spricht der Wahnsinn des Krieges auf so eindringliche und erschütternde Weise, dass das betretende Schweigen im Ausstellungsraum fast schon zu einer Beklemmung wird. Und vielleicht ist genau deshalb der Beweis, dass es sich um authentische Abbilder des Syrienkrieges handelt, nicht notwendig. Diese Fotos scheinen uns eher wie ein Mahnmal zu sein, welches daran erinnern möchte, dass der Krieg eine Kraft besitzt, die der Mensch nicht begreifen kann.
Ist es also eine reale oder konstruierte Wirklichkeit, die von den dokumentarischen Bildern erzeugt wird? Glauben wir der Filmemacherin Hito Steyerl, dann ist jede scheinbare Realität in solchen Fotos ein Konstrukt. „Die dokumentarische Form bildet demnach nicht die Realität ab, sondern ihren eignen Willen zur Macht.“[3] Doch welche Macht geht von diesen Fotografien aus? Die Fotografien haben alle den Anspruch, ein möglichst authentisches Abbild der Wirklichkeit ins Licht zu setzen. Dabei wird dem Fotografen die Rolle eines Zeugen zugeschrieben. Doch bei genauerer Betrachtung sind auch Pressefotografien nichts anderes als Moment-Inszenierungen. Es werden Wirklichkeitsbilder konstruiert, die auf komprimierte Weise einen komplexen Sachverhalt, in diesem Fall den Krieg in Syrien, in einer Fotografie für die Welt zugänglich machen. Sie sollen ein Gefühl transportieren, welches uns die Grausamkeit des Krieges erahnen lässt. Durch das subjektive Auge der Kamera wird ein Bild hervorgebracht, welches die scheinbare Realität von Millionen von Menschen auf die Bildschirme der Nachrichtensender, in die Foren der globalen Social-Media-Communities und auf die weißen, kargen Wände des Willy-Brandt-Hauses bringt.
Brian O’Doherty hätte die Hängung in White Cube Manier der 20er Jahre wahrscheinlich mit einem sterilen Krankenhausflur verglichen.[4] Und angesichts der unglücklichen Anordnung der hochwertigen Pressefotos wäre dieser Vergleich auch angemessen. Ohne jegliche Konzeptualisierung wird auf der einen Seite – wie eben beschrieben – der Krieg in allen seinen Facetten gezeigt und an der gegenüberliegenden Fensterfront hängen wie zum Trotz Sport- und Naturfotografien. Die schwarz-weißen Unterwasserbilder von Anuar Patjane Floriuk zeigen eine Tauchercrew um einen riesigen Wal schwimmend. Ein imposantes Bild. Auf den Aufnahmen von Christian Ziegler zeigt sich die Natur von ihrer kuriosesten Seite. Farbenfrohe Chamäleons in Nahaufnahme. Der Anblick der traumatisierenden Kriegsabbildungen scheint diese Themen jedoch zwangsläufig in den Hintergrund zu drängen – so, als wären es belanglose Angelegenheiten, die in der World Press auch noch irgendwo untergebracht werden mussten.
Hier liegt die Tücke der Ausstellungskonzeption. Anstatt die Kategorien für sich sprechen zu lassen, scheinen sie miteinander zu konkurrieren. Zumindest in der konkreten Ausstellungssituation im Willy-Brandt-Haus. Denn die Wanderausstellung wird in insgesamt 45 Ländern gezeigt. Es bleibt zu hoffen, dass an den anderen Ausstellungsorten eine gelungenere Präsentation der Fotografien zu sehen sein wird. Eine Präsentationform, die allen Rubriken ihren Platz und auch Themen, wie die Rettung von Orang-Utans in den Regenwäldern von Sumatra oder die Synchronschwimmer aus Schweden für sich sprechen lässt. Denn diese Informationen treten nicht nur in der World Press Photo Ausstellung in den Hintergrund, sondern gehen auch meistens in der Nachrichtenflut des Alltags unter. Sollten wir diesen Momenten, die auch unser Leben bestimmen, dann nicht gerade bei solch einer Ausstellung ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken? Vor allem sollten wir sie nicht mit dem Krieg konkurrieren lassen, der unsere Sinne überfordert und keinen Platz mehr für andere Themen lässt.
[1] Auf diesen Grenzgang machte schon Walter Benjamin in seiner medienkritischen Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ aufmerksam. Für weitere Informationen siehe Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders.: Illuminationen, S. 136-169, hier: 168f.
[2] Hito Steyerl (2008): Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien: Turia + Kant, S. 13.
[3] Hito Steyerl (2008): Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien: Turia + Kant, S. 10.
[4] Brian O’Doherty über den White Cube: Brian O’Doherty (1996): In der weißen Zelle. Inside the White Cube“ Berlin: Merve.
World Press Photo 2016
03. Juni–26. Juni 2016
Willy-Brandt-Haus Berlin
Wilhelmstraße 140
10963 Berlin