Kokosnusspokal und Bernsteinaltar
Wunderkammer Olbricht, me Collectors Room
Johanna Bär
Sie starrt einem direkt ins Gesicht. Aus großen braunen Augen, ein gelber Schimmer legt sich um die Iris. Die Augen aber sind nicht echt, sondern aus Glas. Der ausgestopfte Eulenkörper hängt von der Decke und bewegt sich sachte hin und her. Die Klimaanlage ist wohl an, denke ich und wende mich dem nächsten Kuriosum zu.
Die Wunderkammer Olbricht vereint in einer Dauerausstellung 300 Exponate der Renaissance und des Barock, die wirklich verwundern können. Staunen, Entdecken, Verstehen – so der Untertitel der Ausstellung. Und zumindest den ersten zwei Punkten wird allemal Rechnung getragen: Eine Dosensammlung in Sargform, ein Emu-Ei, ein Bezoar, ein Schrumpfkopf − alles findet in schlichten Vitrinen Platz, mal im Ensemble, mal als Einzelexponat. Was nach Hexenküche klingt, sind in erster Linie Dinge, die in der Vergangenheit als Artificialia, Naturalia, Scientifica, Exotica und Mirabilia gefasst wurden und in die Kunst-, Wunder- und Naturalienkabinette der Frühmoderne Eingang fanden.
Diese frühneuzeitliche Klassifikationsidee verweist auf ein uns heute vielleicht fremd gewordenes Ordnungsbestreben. Mit dem Ziel, den Höhepunkt der göttlichen Schöpfung mikrokosmisch zu repräsentieren, entstanden im Laufe der Zeit eine Vielzahl an Sammlungsräumen. Dieses Sammelbestreben lässt sich in Verbindung mit Reliquienkulten bringen, mit den Entdeckungsreisen nach der „Neuen Welt“ und einem Wissensanspruch, der durch die Sammlungsgenerierung erst möglich scheint. Mit Ausdifferenzierung der Wissenschaften wanderten die Objekte dann in neue Kontexte. So würden Schildkrötenpanzer und Bernsteinaltar heute wohl kaum in ein und dasselbe Museum finden. Die Sinnzusammenhänge haben sich verändert und so ermöglichen die wenigen erhaltenen Sammlungen Europas einen Rekurs auf ein differentes Kunst- und Wissensverständnis.
Doch wie sah eigentlich ein frühes Museum aus? Welche An- und Abwesenheiten zeichneten es aus, was ließ sich bestaunen und wie? Der moderne, kontemplative Museumsbesuch, möglichst auf leisen Sohlen und tunlichst ohne Geräuschkulisse, steht in starkem Kontrast zu den Gruppenführungen, mit denen in Renaissance und Barock bedeutende private Sammlungen besucht wurden. Auch wenn der heutige Museumsbegriff nicht ganz passen mag, so finden sich in den Kabinetten und Wunderkammern sicherlich mögliche Vorformen.
Die Wunderkammer der Stiftung Olbricht setzt sich aus vier Räumen, mal mit Flur- und mal mit Kammercharme zusammen. Entlang einer spotartigen Beleuchtung auf die wunderlichen Vitrinenarrangements und vorbei an konservierten Tierkörpern (so die Eule oder wahlweise einem Krokodil, das getreu der Sammlungsfrontispize von der Decke hängt) bewegt man sich durch die Raritäten vergangener Kostbarkeit. Inwiefern erscheinen uns die Objekte heute von Wert? Das Staunen als Vorform der Erkenntnis scheint kaum an Wirkkraft verloren zu haben.
In ihrer jetzigen Präsentationsform erschließen sich die Vitrinenensembles den Besuchenden kaum noch. Die Zusammenstellung wirkt wahllos, zumindest wird nicht erklärt, was warum eine gemeinsame Vitrine bestückt. So ist es freigestellt, ob die Ausstellung primär als Kunstraum beschritten wird oder doch mit Begleitheft und somit Kontextualisierung. Erfahrbar werden soll eine Weltwahrnehmung, die längst abgelöst ist. Wenn es normative Tendenzen und Typologien dieser Anordnung gibt, dann sind diese dem heutigen Empfinden so fremd, dass man sich wirklich nur wundern kann. Und insofern ist eine Übersetzung in heutige Sehgewohnheit vielleicht sogar geglückt. Ich jedenfalls werde die Ausstellung mit mehr Fragen als Antworten verlassen, was mir schon mal ziemlich wertvoll erscheint.
Die Vergänglichkeit als inhaltlicher Schwerpunkt der Sammlung wird zugleich über die Exponatauswahl, die Vanitasmotivik, aber auch das Ausstellungsmedium selbst kommuniziert, insofern sich an die Wunderkammerräume moderne Kunstpräsentation anschließt. Das Ende der Ausstellung führt direkt in die Räumlichkeiten der Wechselausstellungen. Momentan befinden sich die Besuchenden so nach Kokosnusspokal und Korallenkette inmitten Cindy Shermans fotografischen Werken. Hier wird die Frage nach dem Wandel des Kunstverständnisses provoziert, wenn nicht gar bewusst in Szene gesetzt. Ziemlich bizarr, denke ich, als ich vor Shermans Hollywood/Hampton Types stehe und noch einen Blick zurück auf die leicht schwankende Eule werfe.
Die Stiftung Olbricht wurde 2013 gegründet, und neben einer Reihe von internationalen Bildungsprojekten wie Hochschulkooperationen zeigen die Räumlichkeiten in der Auguststraße auch Wechselausstellungen moderner Kunst. So lassen sich momentan neben der permanent zu besichtigenden Wunderkammersammlung, die Thema dieser Betrachtung ist, auch die Ausstellungen Cindy Sherman (bis 28. August 2016) und Private Exposure (27. April bis 22. Juni 2016) besuchen.
Wunderkammer Olbricht
me Collectors Room
Auguststraße 68
10117 Berlin
www.me-berlin.com/wunderkammer