Übersicht
räumlich | religiös | religiös-metonymisch | quasireligiös | axiologisch | psychologisch | Artefakt | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Deutsch | |||||||
Polnisch | |||||||
Slowakisch | |||||||
Tschechisch |
de:1234567
pl:123456
sk:1234567
cz:1234567
Sprachvergleich
Himmel – niebo – nebo – nebe
Das Himmel-Konzept gehört zu den ältesten, ursprünglichsten religiösen Vorstellungen der Menschen. Seine lexikalische Verwurzelung liefert Beweise dafür, dass außernatürliche Kräfte mit den kosmischen Erscheinungen identifiziert wurden und das Jenseits analog zur Architektonik der wahrnehmbaren Wirklichkeit imaginiert wurde. Im Deutschen wie auch im Slawischen deckt das formal selbe Lemma beide Bereiche ab, die z. B. im Englischen als sky vs. heaven differenziert werden. Eine Gegenüberstellung von Himmel und Erde ist sowohl in der profanen als auch der sakralen Dimension nachvollziehbar. (Es kommt auch eine Trias in Frage, vgl. Himmel – Erde – Untererde bzw. Himmel – Erde – Hölle, die konzeptuell eine vertikale Erweiterung mit der Hölle als „unten“ und dem Himmel als „oben“ repräsentiert).
Bei Himmel/ niebo/ nebo/ nebe handelt es sich um als heimisch geltende Wörter. In den slawischen Sprachen ist es die Weiterführung vom urslaw. *nebo (*nebese), uie. *nebhos- ‘Dunst, Nebel, Wolke’, woraus sich die Bedeutung ‘Firmament, Luftraum’ weiterentwickelte. Im Poln. wird niebo prototypischerweise mit einem heiteren Himmel assoziiert. Das urslaw. Wort oblakъ < *ob-volkъ, vgl. dt. Wolke (poln. obłok, slowak., tschech. oblak) wird jedoch als ‘(durchsichtige) Hülle’ gedeutet, für dunkle Wolken gibt es poln., tschech. chmura, slowak. chmúra, chmára. In manchen polnischen Mundarten wird obłok noch im Sinne von ‘Himmelblau, das die Erde überzieht’ benutzt (Słownik stereotypów i symboli ludowych I, 1996: 86). Die Worterklärungen im Slowak. und Tschech. stehen noch dieser ursprünglichen Bedeutung von ‘Wolke’ nahe.
Der religiöse Sinn ‘Gottessitz’ und dann metonymisch ‘Gott’ wurden ins Poln. aus dem Tschech. zusammen mit anderen christlichen Termini übernommen (Boryś 2008: 357). Hinsichtlich des religiösen Gebrauchs von Himmel/ niebo/ nebo/ nebe gibt es Unterschiede zwischen Christentum und polytheistischen Religionen. Als Sitz heidnischer Gottheiten wird er mit dem physikalischen Himmel gleichgesetzt, vgl. die uridg. und agriech. Verehrung vom Himmel/ Gott: Dyâus bzw. Dyâuspitar ‘Vater-Himmel’ im Sanskr., Ζευς πάπας im Griech., Iuppiter im Lat., *Tîwaz im Urgerm. Im uralten Himmelskult gab es noch keine Idee von einem Gott als Person: die von A. Meillet rekonstruierten Urwörter *deiwos ‘Gottheit’ und *dyēus ‘Himmel, Tag’ kann man als ein Konzept ‘Himmel als Kultobjekt’ zusammenfassen (Łowmiański, Henryk, 1986: Religia Słowian i jej upadek. Warszawa: 32–34). Im naiven Volksglauben wird auch heutzutage der christliche Himmel oben platziert, so dass die physische und die eschatologische Dimension verschmelzen. (Solch eine Vorstellung gab Anlass für eine Widerlegung des Glaubens an Gott durch Juri Gagarin, dessen Worte, er sei im Kosmos gewesen und habe Gott nicht gesehen, die Erde umliefen. Sie wurden als Witz verstanden, auch wenn Gagarin es ernst meinte.)
Die etymologische Deutung von dt. Himmel bleibt bisher unklar. Es gibt zwei Hypothesen: entweder ist das Wort Himmel mit Hammer verwandt (‘hart, fest wie Stein’), oder Himmel auf die uie. Wurzel *kem- ‘bedecken’ zurückzuführen, dann mit Hemd verwandt (nach Kluge, 2002, Lemma Himmel). Die zweite Erklärung steht dem Slawischen nahe, es handelt sich dann metaphorisch um eine Hülle über der Erde.
Der physikalische Himmel repräsentiert die prototypische Ausgangsdomäne. In dieser Bedeutung wird das Wort Himmel/ niebo/ nebo/ nebe am häufigsten benutzt. Es ist damit eine positive Bewertung als ‘schön’ verbunden. Im Polnischen ist der heitere Himmel sogar ein Farbprototyp – niebieski (heute meistens ‘blau’, ursprünglich aber ‘himmlisch’ wie slowak. und tschech. nebeský).
Im religiösen Diskurs wird das Wort Himmel eher vermieden, schon wegen seinem metaphorischen Charakter, was mit naivem Glauben assoziiert wird, dass Gott tatsächlich über unseren Köpfen lebt und von dort auf uns herabschaut, vgl.:
[…] denn die Metapher H. ist zwar auch außerhalb des religiösen Kontextes weit verbreitet (Buchtitel, Lieder, Schlager, Redewendungen, Werbung), doch sind die Konnotationen so vielschichtig – z. T. sogar widersprüchlich –, daß die Verkündigung kaum daran anknüpfen kann – zumal vielfach theologisch inadäquate Assoziationen die Vorstellung v. H. prägen. In Schulbüchern u. Predigten wird desh. kaum direkt v. H. gesprochen. Statt dessen werden zunehmend die entspr. bibl. Bilder (Gastmahl, Stadt, Wohnungen usw.) aufgegriffen. [LThK3, Bd. 5, 1996: 120]
Über den Himmel als ‘Ort, wohin die erlöste Seele nach dem Tod des Menschen geht’, wird noch meistens mit Kindern gesprochen. Manche Formulierungen klingen für heutige Sprecher infantil. Sie erfüllen eine euphemistische Funktion, um Kinder nicht direkt mit traurigen Tatsachen zu konfrontieren, vgl. tschech. odejít do nebíčka (mit dem Quasidiminutiv nebe → nebíčko, was für die Kinderwortbildung typisch ist), dt. in den Himmel eingehen/ kommen, slowak. prísť do neba, poln. pójść do nieba.
Man beobachtet auch zunehmend einen quasi-religiösen (bzw. neuheidnischen) Gebrauch des Wortes, wenn von toten Tieren die Rede ist, an deren Weiterleben man glaubt, vgl. dt. Komposita Hundehimmel, Katzenhimmel und ihre Äquivalente poln. psie/ kocie niebo, slowak. psie/ mačacie nebo, tschech. psí/ kočičí nebe. Hier geht es nicht nur um das säkulare ‘Wohlergehen eines Tieres’, ein Äquivalent von im siebten Himmel sein, sondern auch um Ausdruck des Glaubens an das Leben nach dem Tod des Lieblingstieres. Dieses Thema wurde auch in der Popkultur popularisiert (vgl. den Spielfilm des US-amerikanischen Regiesseurs Don Bluth All Dogs Go to Heaven, 1989). Polnische Wörterbücher registrieren eine solche Wortverwendung noch nicht, aber über die Google-Suchmaschine sind feste Phrasen wie psie (seltener kocie) niebo leicht zu finden. Manche Hundebesitzer erleben sogar einen parareligiösen Zwiespalt zwischen Glauben und Zweifel, vgl. das literarische Zeugnis:
Chciałabym myśleć, jak dotychczas, że jest gdzieś i myśli o mnie, jak nie w domu mojego ojca, to gdzie indziej. Ale jest. A jeśli nie tutaj, to tam. Chciałabym uwierzyć w niebo, w psie niebo. Nie potrafię. [‘Ich möchte glauben, dass er irgendwo an mich denkt, wenn nicht im Haus meines Vaters, dann woanders. Aber er existiert. Und wenn nicht hier, dann dort. Ich möchte an Himmel glauben, an den Hundehimmel.’] (NKJP: Izabela Filipiak: Magiczne oko. Opowiadania zebrane, 2006)
Der Himmel wird mit Glamour assoziiert – ein Ort der Angesehenen, Berühmten und Erfolgreichen – nach dem alten Vorbild Olymp, vgl. Kunsthimmel, Literaturhimmel. Damit ist die uralte positive Axiologie des Raums verbunden, wonach „Obensein“ gut und „Untensein“ schlecht bewertet wird. Zu den klassischen Bereichen der Hochkultur, die mit Vorstellungen von einem kulturellen Pantheon zusammenhängen, kommen gegenwärtig neue Domänen hinzu, wie Politik, Sport, Medienwelt, vgl. tschech. filmové/ hudební/ politické nebe, slowak. spevácke nebo, poln. aktorskie/ piłkarskie niebo.
Da der eschatologische Himmel als Belohnung für gutes Leben und höchstes Ziel betrachtet wird, wird der Name auch mit dem ‘Glückszustand’ assoziiert, vgl. sich wie im Himmel fühlen, poln. jak w niebie, dt. im sieb(en)ten Himmel sein, poln. być w siódmym niebie, tschech. být/ citit se (jako) v sedmém/ osmém/ desátém nebi. Der Auslöser des Glücksgefühls kann eine sensorische Wahrnehmung sein, vgl. poln. niebo w gębie (wörtl. ‘Himmel im Mund’ – wenn etwas sehr gut schmeckt). Der mit dem Geschmacksinn verbundene Gaumen heißt auf Polnisch podniebienie, was man als anatomische Metapher deuten kann (die strukturell analogen slowak. podnebie, tschech. podnebí haben die primäre Bedeutung ‘Klima’). Solch eine psychophysische Lesart des Ausgangswortes ist heute relativ selten und auf einige alte Wendungen beschränkt.
Als Himmel oder Paradies wurde auch – meistens ironisch – eine kommunistische Utopie bezeichnet, was aus der Gegenwartsperspektive eine gescheiterte Ideologie bedeutet und im besten Fall eine pathetische Metapher ist – vgl. die Worte eines Literaturkritikers im Polnischen: „Szturmujemy dalej komunistyczne niebo i w tym wielkim szturmie Mickiewicz jest z nami. „Dziady“ są za rewolucją.“ (Polityka 16/ 2015: 85) [‘Wir stürmen weiterhin den kommunistischen Himmel, und bei diesem großen Sturm ist Mickiewicz mit uns. „Die Ahnen” sind für die Revolution’] Dieser metaphorische Wortgebrauch ist für Kritiker totalitärer Systeme wie Nationalsozialismus und Kommunismus spezifisch und eignet sich dafür, auf Affinitäten solcher Ideologien zum religiösen Kult hinzuweisen. Religiöse ‘Frames’ aktivieren ganze Wortketten, wie Himmel – Hölle – Gott – Kult – Erlösung etc., die als kognitive Metaphern gebraucht werden, um die ideologische Zieldomäne kritisch zu beleuchten. Da es sich i. d. R. um eine Fremdzuschreibung handelt, wurde diese Wortverwendung nicht als separates Profil in diesem Wörterbuch dargestellt.
Eine Marginalbedeutung von Himmel ‘Baldachin’ ist neben dem Deutschen auch noch im Slowakischen und Tschechischen zu finden – wahrscheinlich eine semantische Lehnprägung aus dem Deutschen. Im Polnischen ist niebo als ein ‘Stoffdach über einem Bett’ nicht bekannt. Die Metapher ist dennoch nachvollziehbar.
Das holistische Gesamtkonzept von ‘Himmel’ mit seinen metaphorischen und metonymischen Erweiterungen lässt sich graphisch folgendermaßen darstellen:
Himmel – Holistisches Semantikmodell