Übersicht
Sauberkeit | materiell | ideologisch | religiös-sexuell | religiös-moralisch | säkular-moralisch | Anstand | ästhetisch | |
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Deutsch | ||||||||
Polnisch | ||||||||
Slowakisch | ||||||||
Tschechisch |
de:467
pl:1234568
sk:1234568
cz:1234568
Sprachvergleich
Keuschheit – czystość – čistota – čistota
Der religiöse Grundbegriff, der sich hinter diesen Lemmata verbirgt, ist ziemlich verschwommen. Man beobachtet eine Diskrepanz zwischen seiner theologischen Auslegung und alltäglichem Verständnis, was die meisten Gläubigen darunter meinen. Nach der verbreiteten Vorstellung steht dabei die katholische Sexualmoral im Zentrum, weswegen das jeweilige Wort als ein stilistisch gehobenes Synonym zum Latinismus Zölibat, celibat, celibát verstanden wird. Die religiöse Reinheit kennt aber viele, manchmal sehr detaillierte Vorschriften und Riten. Es sind vor allem Reinheitsvorschriften des mosaischen Glaubens unter dem hebräischen Wort košer bekannt, welches inzwischen in viele Sprachen aufgenommen wurde (siehe den Stichwortartikel KOSCHER in SuP). Der tiefgreifende Sinn von Keuschheit kann nicht auf äußerliche Handlungen (oder Verzicht auf bestimmte Handlungen) reduziert werden. In sakraler Bedeutung geht es in erster Linie um eine innere Einstellung des Menschen, um – metaphorisch gesagt – czystość serca ‘Reinheit des Herzens’. Um der zwiespältigen Wahrnehmung dieser essentiellen Eigenschaft gerecht zu werden, wurden in SuP zwei religiöse Profile sowie eine säkulare Lesart im ethischen Bereich vorgesehen (siehe unten).
Es handelt sich um eine abstrakte Domäne, worauf die Wortbildungsstruktur der Benennungen hinweist: die Suffixe -heit/ -ość/ -ota bilden deadjektivische Namen von Eigenschaften und sind für die Buchsprache typisch. In der Umgangssprache werden häufiger ihre Basisadjektive benutzt, hier: keusch, czysty, čistý. Für den Sprachvergleich ist das abstrakte Konzept insofern interessant, als dass hier lexikalische Überschneidungen zu beobachten sind. Entsprechende Wörter decken sich nicht in ganzer Breite ihrer Bedeutungen. In den westslawischen Sprachen haben wir es mit einer Ausdehnung des semantischen Spektrums eines bereits existierenden heimischen Wortes zu tun, im Deutschen dagegen wurde eine Entlehnung aus Latein zum religiösen terminus technicus, vgl. dt. Keuschheitsgelübde, poln. śluby czystości, slow. sľub čistoty.
Die sexuelle Komponente ist im Slawischen unterschiedlich stark ausgeprägt und etymologisch mit dem Schamgefühl verbunden, wie z.B. tschech. cudnost ‘Keuschheit, Scham’ (von cudný als Oppositum zu necudný (nestudný) ‘schamlos’, siehe Machek 1997: 90), poln. cnota, cnotliwość (ursprünglich allgemein eine ‘Tugend, Virtus’, heute in der Umgangssprache ‘Jungfräulichkeit’). Phrasen wie tschech. pohlavní čistota, panenská čistota, poln. czystość przedmałżeńska tauchen im religiösen oder enger kirchlichen Kontext auf. Sonst wird das Substantiv čistota im Tschechischen selten mit der Sexualmoral in Verbindung gebracht. Das Lemma kann im Slawischen auf unterschiedliche Bereiche rekurrieren. Allen hier ausgesonderten Konzeptualisierungen ist gemeinsam, dass fast alle negativ definierbar sind, d.h. sie beziehen sich darauf, was ein X nicht hat, vgl. die Profile:
1. Sauberkeitsprofil: ohne Schmutz
2. Reinheit: ohne fremde Zusätze
3. ideologisch: ohne fremde Einflüsse
4. religiös-sexuell: Enthaltsamkeit (ohne Sex)
5. religiös-moralisch: körperliche und seelische Mäßigung (ohne Sünde)
6. säkular-moralisch: Ehrlichkeit (ohne Schuld)
7. Anstandsprofil: Scham
8. ästhetisch: edle Einfalt (nicht zu viel)
Dieses breite Semantiknetz ergibt sich unter einem Lemma, wenn alle vier Sprachen herangezogen werden. Im Deutschen konnten nur die Profile 4, 6 und 7 belegt werden. Für sonstige gibt es separate Substantive Reinheit und Sauberkeit. Interessant, dass das (siebte) Anstandsprofil nur fürs Deutsche charakteristisch ist. Im Slawischen entsprechen ihm andere verwandten Wörter, vgl. poln. wstydliwość, skromność, slow. slušnosť, poriadnosť. Sie bezeugen, dass die Schampädagogik weiterhin sprachliche Mittel zur Verfügung hat.
Die Bewertungskomponente, die zur Semantik dieses Wortfeldes gehört, ist dennoch positiv, auch wenn der Zölibat und sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe nicht von allen Sprechern als zeitgemäß angesehen werden. In Bezug auf moralische Reinheit als reines Gewissen kann man auch Skepsis beobachten: sie wird nicht vorbehaltlos gut bewertet (siehe Rubrik „Sprichwörter“ PL).