Sprachvergleich
Messias – mesjasz – mesiáš – mesiáš
Die beiden in SuP verzeichneten Profile, das religiöse und das säkulare Profil, sind in allen untersuchten Sprachen vorhanden und es besteht eine stabile Polysemie zwischen beiden Profilen. Im religiösen Profil sind die Bezugnahmen auf den jüdischen Messiasbegriff häufiger als die christliche Bezeichnung für Jesus, für das meist der Ehrentitel Christus verwendet wird. Das säkulare Profil stellt eine metaphorische Erweiterung des religiösen Begriffs dar und ist mithilfe seiner Verwendungsmuster ohne weiteres auf immer neue Domänen und Diskurse übertragbar und gehört zum gängigen Sprachschatz. Die säkularisierte Bedeutung ist in allen Sprachen ironisch markiert oder hyperbolisch und drückt in beiden Fällen eine Distanz des Sprechers zur Person oder zu der ihm entgegen gebrachten Heilserwartung aus.
Im Unterschied zum Lemma Christus, das wegen der fast exklusiven Verwendung für die Erlösergestalt und den Gottessohn in der christlichen Religion einer Tabuisierung unterliegt, ist Messias pluralistischer angelegt. Die Intension von Messias ist zwischen Juden und Christen umstritten und wird dadurch unschärfer. Das ist der Grund, dass sich das Wort verschiedenen Domänen gegenüber öffnen kann. Ein Beispiel für den Plural im Polnischen ist der Titel eines bekannten Spielfilms „Wszyscy jesteśmy Chrystusami“ (dt. in etwa: "Wir sind alle Christusse"), 2006, Regie Marek Koterski, ein Alkoholikerdrama, das aus der Perspektive des Sohnes eines Alkoholikers erzählt wird.
Auch den Christen ist bekannt, dass Juden nach wie vor ihren Messias erwarten, wodurch sich eine zwischen Christen und Juden typische Konkurrenzsituation geteilter Inhalte bei unterschiedlicher und gegenläufiger Interpretation derselben ergibt. Daraus ergeben sich Kollokationen wie falscher Messias in Analogie zu lžeprorok/ falscher Prophet u.Ä. Messias eignet sich wegen dieser Ambivalenz auch gut zur Ironisierung.
In den slawischen Sprachen in der religiösen Bedeutung wird Mesjasz bzw. Mesiáš generell groß geschrieben, im säkularen Profil i.d.R. klein. Insbesondere im Polnischen bestehen allerdings Schwankungen bei der Schreibweise und die Großschreibung ist dort häufig.
Die Wortbildung ist in allen betrachteten Sprachen marginal. Die relativ wenigen Derivate sind fachsprachlich und werden bis auf das Adjektiv mesiášsky, mesjański bzw. messianisch außerhalb der Fachdiskurse nicht verwendet. Einzige Ausnahme und ein bezeichnendes Resultat des sprachlichen Säkularisierungsprozess ist allerdings die im christlichen Kontext (so gut wie) nicht vorstellbare weibliche Form mesiáška, die nur im Tschechischen und Slowakischen belegt ist. Weitere Verwendungsunterschiede zwischen beiden Profilen zeigen sich in den Kollokationen. Häufiger Kollokationspartner sind domainanzeigende Adjektive und nominale Erweiterungen im Genitiv: tschech. hokejový mesiáš ‘Eishockey-Messias’; mesiáš české politiky ‘Messias der tschechischen Politik’; slow. mesiáš latinskoamerickej revolúcie ‘Messias der lateinamerikanischen Revolution’, politický mesiáš ‘politischer Messias’; dt. Messias der Linken, Messias aus Brüssel, politischer Messias; poln. „Mesjasz” niderlandzkich libertynistów ‘Messias der niederländischen Libertinisten’, mesjasz futbolu ‘Fußball-Messias’, czarny Mesjasz ‘schwarzer Messias’ (gemeint ist dabei Barack Obama).
Verwendungsunterschiede zwischen dem religiösen und dem säkularen Profil zeigen sich in allen betrachteten Sprachen bei den Phrasemen, wobei sich die Phraseologie im säkularen Profil durch eine ironische Kennzeichnung auszeichnet, was charakteristisch für das ganze Profil ist. Insgesamt ist die Phrasematik in den untersuchten Sprachen sehr ähnlich und beschränkt sich auf die mit Messias verbundenen Szenarien, die auch im säkularen Profil unverkürzt weiter wirksam sind. Eine Ausnahme stellt dabei allerdings die folgende Metapher dar, die einer im Polen des 19. Jahrhunderts wirkmächtigen Ideologie ihren Namen gab und nicht ironisch gemeint ist: Polska mesjaszem narodów/ Messias der Völker ‘romantische, besonders durch Adam Mickiewiczs „Dziady“ geprägte Vorstellung, dass Polen stellvertretend für die ganze Welt unschuldig leiden muss, wie auch Jesus für die Menschheit gelitten hat’.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in allen untersuchten Sprachen der Säkularisierungsvorgang ähnlich verlaufen ist. Zurzeit kann die Übertragung des Messiaskonzepts auf neue Domänen wie den Sportslang beobachtet werden, wobei sich allerdings die Grundbedeutung innerhalb des säkularen Profils nicht ändert. Neu ist im Bereich der Wortbildung im Slowakischen und Tschechischen die Existenz einer weiblichen Form von Messias: mesiáška. Aktuelle Säkularisierungsvorgänge zeigen sich in Bezug auf das Lemma gegenwärtig eher in solchen Details als in grundsätzlichen Bedeutungsveränderungen oder -erweiterungen.