Übersicht
religiös | psychologisch | personal [ehem. kollektiv] | kardinal | animativ | fachsprachlich | |
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Deutsch | ||||||
Polnisch | ||||||
Slowakisch | ||||||
Tschechisch |
de:123456
pl:123456
sk:123456
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Sprachvergleich
Seele – dusza – duša – duše
Im vorliegenden Wörterbuch SuP kommen in allen betrachteten Sprachen die folgenden sechs Profile vor: das religiöse, das psychologische, das personale, das kardinale, das animative und das fachsprachliche Profil. Zusätzliche Profile wurden für keine der hier untersuchten Sprachen verzeichnet.
Im religiösen Profil wird mit dem Wort Seele eine immaterielle Substanz des Menschen gemeint, die in der Vorstellung der Christen wie auch anderer Religionen unsterblich ist. (vgl. slow. kresťanova duša ide po smrti priamo k Bohu v nebi ‘die christliche Seele geht nach dem Tod direkt zu Gott in den Himmel’). Häufig taucht das Wort in ritualisierten Wendungen auf wie z.B. Gott sei seiner Seele gnädig, Heil der Seele,etw. für die Seele sein; poln. dusze zmarłych ‘Seelen der Verstorbenen’, dusze w czyśćcu cierpiące ‘im Fegefeuer schmachtende Seele’, modlić się za <czyjąś> duszę ‘für die Seele von jmdm. beten’, modlić się za dusze zmarłych ‘für die Seelen der Verstorbenen beten’, modlić się za spokój duszy ‘für den Seelenfrieden beten’, nieśmiertelność duszy ‘Unsterblichkeit der Seele’, zbawienie duszy ‘Erlösung der Seele’, slow.vypustiť duši ‘die Seele aushauchen’, upsat duši čertu/ ďáblu ‘die Seele dem Teufel verschreiben’, odevzdat/ poručit duši Bohu ‘die Seele Gott übergeben/ anheim befehlen’.
Im psychologischen Profil wird – dem religiösen Profil entsprechend – mit dem Wort Seele/dusza/duša/ dušeeine immaterielle Substanz des Menschen bezeichnet. Die religiösen Vorstellungen von Unsterblichkeit und Erlösung treten dabei in den Hintergrund. Es handelt sich um den wertvollen eigentlichen Wesenskern des Menschen. (vgl. slow. z hĺbky svojej duše ‘aus der Tiefe seiner Seele’, Hovorový jazyk pôsobí na dušu čitateľa ešte výraznejšie. ‘Die gesprochene Sprache wirkt auf die Seele des Lesers noch stärker’. Môžete pozrieť do rómskej duše predovšetkým prostredníctvom hudby ‘In die Seele der Roma kann man vor allem mithilfe der Musik blicken’; poln. moc duszy ‘Kraft der Seele’, rany duszy i serca ‘Wunden der Seele und des Herzens’, stan <czyjejś> duszy ‘der Zustand von jmds. Seele’, wielkość duszy ‘Größe der Seele’). Im Korpus weist dieses Profil die höchste Frequenz auf. Gleichzeitig steht das Wort in einer pars-pro-toto-Beziehung für die ganze Person und ist dann ein Synonym zu Mensch bzw. Person, vgl. poln.. artystyczna dusza ‘künstlerische Seele’, dusza utęskniona ‘sehnsuchtsvolle Seele’, dusza wojownicza ‘kämpferische Seele’, poczciwa dusza ‘ehrliche Seele’, pokrewna dusza ‘verwandte Seele’, szczera dusza ‘aufrichtige Seele’; slow. bolesti duše ‘Krankheiten der Seele’, mladá duša ‘junge Seele’ In Phrasemen wird oft in intensivierender Weise die Eindringlichkeit menschlichen Engagements akzentuiert, gl. tschech. ležet někomu na duši ‘jmdm. auf der Seele (=auf dem Herzen) liegen’, dát za někoho duši ‘wörtl. für jmdn. die Seele geben’, (pro)mluvit někomu do duše ‘wörtl. jmdm. in die Seele reden’. Eine weitere Ausprägung ist die Verwendung des Wortes für Verstorbene in Nachrufen, wobei hier eine Überschneidung von psychologischem und religiösem Profil vorliegt: Tak náhle odišla duša Tvoja!‘So plötzlich ging Deine Seele hinweg!’. Die pars-pro-toto-Beziehung kann auch auf (Haus-)Tiere ausgedehnt werden, womit das Menschenähnliche dieser Tiere betont wird. In dieser Verwendung des Wortes werden oft besonders starke Emotionen wie Freude, Melancholie, Trauer und Leiden beschrieben, die diesen Tieren in Analogie zu menschlichen Gefühlen unterstellt werden. (vgl. „Natürlich haben Tiere eine Seele. Schauen Sie ihnen einmal genau in die Augen. Dort können Sie ihre Angst vor dem nahen Tod sehen."; slow. A predsa sa nožom ešte dlho hrabal v kostičkách, kým ich hodil Flokymu, aby ich zožral a na chvíľu prijal do svojej psej duše…‘Er wühlte jedoch noch lange mit dem Messer in den Knochenresten, bevor er sie Floki hinwarf, der sie fraß und für eine Weile in seine Hundeseele aufnahm…’). Im Alten Testament sowie in vielen Religionen findet sich auch die Vorstellung einer von Gott geschaffenen Seele bei Tieren, die aber nicht unsterblich ist bzw. mit der Lebensenergie gleichgesetzt wird, die nach jüdischen Vorstellungen im Blut liegt (s. 3. Mos 17, 10-16): vgl. slow. duša zvieraťa (krv) sa obetuje domácemu duchovi ‘die Seele des Tieres (das Blut) wird dem Hausgeist geopfert’.
Weitere Facetten im psychologischen Profil sind die Wortverwendung in kollektiver Bedeutung (vgl slow. ruská duša ‘russische Seele’), wobei oft auf einen Nationalgenius Bezug genommen wird: vgl. poln. polska dusza ‘polnische Seele’, rosyjska dusza/ russische Seele, dusza narodu ‘Volksseele’. Dieser Wortgebrauch ist in den slawischen Sprachen in Bezug auf das eigene und verwandte Völker häufig, während es im Deutschen über die deutsche Seele selten gesagt wird, und falls doch, zumeist in ironisierender Absicht. In den Belegen finden wir allerdings Beispiele wie: fränkische Seele, österreichische Seele, wo auch ohne ironische Bedeutung auf eine besondere Stimmung oder Veranlagung einer Gegend und ihrer Bewohner Bezug genommen wird.
Das Wort kann aber auch die Atmosphäre bezeichnen (duša starých pokojných čias‘der Geist [wörtl. die Seele] der alten friedlichen Zeiten’).
Oft werden Veranlagung und Gemütszustand eines Menschen mit dem Wort bezeichnet: so smútkom v duši ‘mit Trauer in der Seele’, tma v duši ‘Dunkel in der Seele’, Als wichtigster Bestandteil des Menschen kann es ein hohes Maß an Intensität bezeichnen oder für das Innerste bzw. das Zentrum des Menschen bzw. in verneinten Sätzen für die Abwesenheit von Lebenskraft stehen, vgl. tschech. vytřást z někoho duši ‘die Seele aus jmdm. herausschütteln’, chodí jako bez duše [wörtl. ‘jmd. läuft wie ein Körper ohne Seele’] ‘wie leblos herumlaufen’, vidět někomu až do duše ‘jmdm. (bis) in die Seele blicken’, vložit do něčeho celou duši ‘die ganze Seele in etwas hineinlegen’, vrýt se někomu do duše ‘jmdm. etwas in die Seele schreiben’, být duší i tělem někým ‘mit Seele und Körper jmd. sein, einen Beruf oder eine Lebensaufgabe leidenschaftlich ausüben bzw. erfüllen’, dělat něco celou duší ‘etw. mit ganzer Seele tun’, mít někoho z duše rád ‘jmdn. von ganzer Seele gern haben’, mít duši na jazyku ‘die Seele auf der Zunge haben’, otevřít někomu svou duši ‘jmdm. seine Seele öffnen, sich anvertrauen’; dt. Einblick in die Seele, etw. tut der Seele gut, gesund an Leib und Seele, gut für Körper und Seele, jmdm. die Seele brechen, Körper, Geist und Seele, die menschliche Seele, seine Seele zeigen. Der zugrunde liegende Dualismus zwischen Seele und Körper zeigt sich in Kollokationen und Kookkurrenzen in den Belegen: Seele und Körper, Seele und Geist, Herz und Seele.
Im personalen Profil steht Seele stellvertretend für Mensch. Ein solcher Gebrauch wirkt expressiv, meistens handelt es sich dabei um Phraseme (z. B. treue Seele ‘treuer Begleiter; jmd., der immer dabei ist‘, verwandte Seele ‘über einen Menschen, der sich mit jmdm. anderen sehr gut versteht, ähnlich empfindet’), poln. dobra dusza‘gute Seele’, romantická duša ‘romantische Seele’, harda dusza ‘stolze Seele’, poczciwa dusza ‘ehrliche Seele’, siostrzana dusza ‘schwesterliche Seele’, szlachetna dusza ‘edle Seele’, slow. citlivá duša ‘empfindliche Seele’, drahá duša ‘teure Seele’, je to šľachetná duša ‘das ist eine edle Seele’, prejavovať záujem o každú dušu ‘Interesse über jede Seele zeigen’, spriaznené duše ‘befreundete Seele’, státočná duša ‘tapfere Seele’; tschech. nepotkat (někde) živou duši ‘(nirgendwo) keine lebende Seele treffen’. Daneben ist veraltet oder in stilisierter Redeweise von Seelen als Gesamtzahl der Einwohner eines Ortes die Rede: vgl. 900-Seelen-Dorf, slow. obec s 84 dušami ‘eine Gemeinde mit 84 Seelen’, poln. Wieś liczyła dwieście dusz ‘Das Dorf zählte zweihundert Seelen’.
Im Slowakischen und im Tschechischen wird das Wort häufig auch affektiv als zärtliche Anrede für eine Person benutzt, vgl. slow. milá, drahá duša! ‘Liebe, teure Seele!’, „Moja milá duša!“ ‘Meine liebe Seele!’; tschech. duše moje!‘Meine Seele!’ sowie verkleinert dušinko!‘Seelchen’.
Im kardinalen Profil bezeichnet Seele einen Menschen, der in einem Unternehmen, einem Betrieb, einer Arbeitsgruppe u. ä. das Wesentliche entscheidet, organisiert oder die meiste Arbeit erledigt. Im Deutschen ist diese Bedeutung nur als Phrasem (eine Seele einer Sache sein, eine gute Seele einer Sache sein) vorhanden. Ähnlich in den folgenden Kollokationen, vgl. poln. dusza imprezy ‘die Seele der Party’, dusza <jakiegoś> przedsięwzięcia ‘die Seele <eines> Unternehmens’, dusza towarzystwa ‘Seele der Gesellschaft’,slow.byť dušou klubu ‘die Seele des Klubs sein’, matka je dušou rodiny ‘die Mutter ist die Seele der Familie’; tschech. být duší <něčeho> ‘die Seele von etw. sein’.
Im animativen Profil wird mit Seele der individuelle Charakter einer Sache gemeint. Das Wort taucht seltener im Nominativ auf, sondern typischerweise als (Präpositional-)Objekt, vgl. <coś> ma duszę ‘<etw.> hat Seele’, <coś> z duszą ‘<etw.> mit Seele’, tchnąć <w coś> <nową> duszę ‘<in etw.> eine <neue> Seele einhauchen’, dt. Seele einhauchen, mit (+ ggf. adjektivisches Attribut) Seele usw., vgl. auch slow. Každý obraz má dušu. ‘Jedes Bild hat eine Seele’, predmety s dušou minulosti ‘Gegenstände mit der Seele der Vergangenheit’, tschech. Nemělo to srdce ani duši ‘Das hatte weder Herz noch Seele’, věci, které jak říká "mají duši" ‘Dinge, die, wie er/ sie sagt, „eine Seele haben“’.
Das fachsprachliche Profil bezieht sich auf die Bedeutung des Wortes Seele im Bereich der Waffentechnik (‘das Innere des Laufs oder Rohrs einer Feuerwaffe’), der Musik (‘Stimmstock von Saiteninstrumenten’) und der Seil- und Kabelherstellung und -Anwendung (‘ֹinnerer Strang von Kabeln, Seilen’), vgl. Der Stimmstock – die Seele des Instruments, poln. żelazko na duszę ‘Eisenstab in alten Bügeleisen’, dusza w skrzypcach ‘der Stimmbaum (wörtl. die Seele) in den Streichinstrumenten’, slow. gumová duša ‘Gummischlauch’, tschech. K tomu budou na čas vyřezávat takzvanou duši houslí, která spojuje horní a dolní část nástroje ‘Dazu werde ich möglichst schnell die so genannte Seele der Geige herausschneiden, die den oberen mit den unteren Teil des Instruments verbindet’. Das gemeinsame Benennungsmotiv ist, dass Seele den innersten Teil einer Sache bezeichnet. Den durchschnittlichen Sprechern der hier betrachteten Sprachen ist eine solche Wortverwendung kaum bekannt.
In den slawischen Sprachen ergibt sich in diesem Profil durch die gemeinsame Etymologie und die Wortähnlichkeit mitunter eine Überschneidung der Begriffe duša ‘Seele’ und duch ‘Geist’; in manchen Verwendungen sind beide Wörter (anders als im Deutschen) austauschbar. (Etymologisch und in der Wortbildung ist zusätzlich auch die Abhängigkeit von dech ‘Atem’ zu erkennen.) Nicht nur in den slawischen Sprachen, sondern auch im Deutschen stellen Seele und Geist bzw. ihre Äquivalente in einigen Profilen teilweise Synonyme dar. Beide Wörter stehen dabei jeweils in Opposition zu Körper/ ciało/ telo/ tělo und repräsentieren den wertvolleren Teil des Menschen. Beide gelten in unterschiedlicher Weise als unsterblich, entweder in ideeller und metaphorischer Hinsicht (Geist/ duch/ duch/ duch) oder in eschatologischer und faktischer Hinsicht (Seele/ dusza/ duša/ duše). Allerdings nähern sich beide Konzepte in denjenigen Profilen an, in denen auch Seele in ähnlicher Weise ideell und metaphorisch verwendet wird, vgl. z.B. Seele im kardinalen Profil: Seele eines Unternehmens und im sozialen Profil Geist einer Bewegung (d.h. einer Ideologie). Es wird also Ähnliches mit dem gemeinsamen Bedeutungskern ‘Wichtigstes, Innerstes, Wesentliches, Eigentliches, Essentielles’ ausgedrückt, wenn auch unterschiedliche Facetten dieses Bedeutungskerns akzentuiert werden.
Auf den Prozess der Säkularisierung des Wortes lässt sich das eben Gesagte ebenfalls als zugrunde liegendes Muster übertragen. Es liegt bereits seit langem in allen Sprachen eine stabile Polysemie mit den beiden Polen a) im Wortsinn unsterblicher Teil des Menschen und b) im übertragenen Sinne unsterblicher bzw. essentieller Teil des Menschen vor. Ausgangspunkt ist dabei ursprünglich die religiöse Bedeutung des Wortes. Neben der metaphorischen Übertragung auf andere innerweltliche Sphären des Menschen, die ja bereits durch das Nebeneinandervorliegen bzw. Miteinander-Verwobensein von Geist (Verstand), Körper (Materie) und Seele (verborgener eigentlicher Sinn) im Menschen vorgegeben ist, kann ’Seele’ auch in einem animierenden Sinn auf unbelebte Gegenstände und Abstrakta in mehreren Profilen angewendet werden (vgl. Seele eines Instruments, Haus mit Seele usw.). Dabei handelt es sich aber ebenfalls um alte Übertragungen, so dass der Säkularisierungsprozess gegenwärtig als abgeschlossen betrachtet werden kann.
Zahlreiche Wortbildungen und Phraseme zeigen, dass mit dem Wort Seele in der Regel positive Werte verbunden werden. Die folgenden Beispiele aus der Wortbildung belegen dies: vgl. poln. duszyczka ‘Diminutiv von dusza (religiöses Profil), Seelchen’, duszpasterz/ Seelsorger(in), duszpasterstwo/ Seelsorge, Zaduszki/ Allerseelen: katholischer Gedenktag für alle Verstorbenen, am 2. November’. Im psychologischen Profil poln. bezduszność ‘Herzlosigkeit, Gefühllosigkeit’, dobroduszność ‘Gutmütigkeit’, małoduszność ‘Kleinmut, Engherzigkeit’, małoduszny1 ‘kleinmütiger Mensch’, męczydusza ‘Quälgeist: über lästige Personen’, prostoduszność ‘Treuherzigkeit, Einfältigkeit’, wielkoduszność ‘Großzügigkeit’; im personalen Profil: Krämerseele ‘engherziger, kleinlicher Mensch’, Menschenseele‘Mensch’, zumeist verneint: keine Menschenseele, ohne eine Menschenseele, kaum eine Menschenseele ‘niemand’, Seelchen‘empfindlicher Mensch, aber auch Weichei, d.h. hier mit negativer Konnotation’, Seelchen‘Kind’.
Die Phrasematik drückt entweder ebenfalls diese positive Seite direkt aus oder warnt vor dem Verlust und dem Verschwenden dieses wertvollen Wesenskerns, was durch antithetisch fungierende Verben und Adjektive (mit im Kontexte negativer Axiologie) wie verkaufen/ poln. zaprzedać, lauern/ poln. czyhać, tschech. mít černou duši ‘eine schwarze Seele haben’, mít hříšnou duši ‘eine sündige Seele haben’ und Antonyme und andere Opposita wie Teufel (poln. diabeł), Henker (poln. kat) u.ä. zum Ausdruck gebracht wird.