Vom unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher zum gefährlichen Sexualstraftäter: Sicherungsverwahrung in Zeiten von Corona.

Von Hildegard Wahle und Friederike Faust

Im Jahr 2020 befanden sich in Deutschland 589 Personen in Sicherungsverwahrung, eine davon war eine Frau. Die Sicherungsverwahrung betrifft vor allem jene Personen, die schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen haben und bei denen auch nach Ende der Haftstrafe eine erhebliche Gefährlichkeit vermutet wird. Die Sicherungsverfahrung in Deutschland ist daher der rechtlichen Definition nach keine Strafe sondern eine Maßregel. Da sie sich an eine verbüßte Haftstrafe anschließt, dient sie nicht dem Schuldausgleich sondern der gesellschaftlichen Sicherheit und Prävention. Ihr Maß bemisst sich nicht, wie das der Strafe, an der Schuld des*r Täter*in sondern an seiner*ihrer Gefährlichkeit. Anders als die Haftstrafe kann sie auf unbegrenzte Zeit veranlasst werden. Regelmäßige Begutachtungen entscheiden dann über die Möglichkeit einer Entlassung. 

Hildegard Wahle war lange Zeit für die AIDS-Hilfe Soest tätig. Dort beriet und begleitete sie inhaftierte Menschen in der nahegelegenen Justizvollzugsanstalt Werl. Seit ihrer Pensionierung begleitet und unterstützt sie ehrenamtlich einige Männer in der Sicherungsverwahrung. Hier erzählt sie aus dem Alltag in der Sicherungsverwahrung.

Seit mehr als fünf Jahren begleite ich nun in der JVA Werl zwei unterschiedliche Gruppen in der Sicherungsverwahrung (SV). Einmal im Monat, immer am frühen Abend, treffen wir ehrenamtlichen Betreuer*innen uns für circa zwei Stunden mit den Gruppen in der Anstaltskirche. Die Gruppen existieren schon viele Jahre und werden von Seelsorgern der JVA hauptamtlich begleitet. In der einen Gruppe reden wir über all jene Themen, die die Männer so umtreiben. Sehr persönliche Angelegenheiten werden jedoch vorrangig in Einzelgesprächen mit den Ehrenamtlichen erörtert. Die andere Gruppe beschäftigt sich mit Bibel- und Meditationstexten , wobei aber auch persönliche  Anliegen der SVer immer Vorrang und Platz haben. Nun sind die Herren in der SV  sehr betrübt, weil seit der Coronawelle im März 2020 alle Aktivitäten wie Gruppentreffen, Einzelbesuche usw. nicht mehr stattfinden dürfen. Das Wenige, was die Untergebrachten hatten, ist nun auch erst mal nicht möglich.

Neben der Begleitung der Gruppen habe ich auch zwei Herren in Einzelbetreuung. Kurzzeitig waren Einzelbesuche unter erschwerten Schutzmaßnahmen erlaubt. Doch inzwischen können sie auch nicht mehr stattfinden. Einer der Herren, der sowohl zur Gruppe kommt als auch von mir einmal monatlich besucht wird, hält telefonisch Kontakt zu mir. Er ruft mindestens einmal wöchentlich an. Grundsätzlich wäre es möglich, dass ich ihn anrufen kann, aber der Sicherungsverwahrte hat nicht nur die Kosten für ein Gespräch nach Außen, sondern auch für ein Gespräches von Außen nach Innen zu tragen. Und die Telefonkosten in Haft sind teuer: Die Kosten für eingehende Anrufe belaufen sich auf pauschal 15 € monatlich, die Kosten für die Einheit von der JVA nach draußen belaufen sich auf 0,04 €. Daher verzichtet er darauf angerufen zu werden.

Die Sicherungsverwahrung wurde 1933 mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher entsprechend damaliger europaweiter strafrechtlicher Veränderungen und beeinflusst von der Strafrechtslehre Franz von Liszts eingeführt. Sie reagiert damit auf die damals virulente Figur des unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechers, über die sich die Forderung und Praxis legitimiert, regelmäßig rückfällige Straftäter*innen dauerhaft und unter besonders harten Bedingungen unschädlich zu machen. Die Maßregel der Sicherungsverwahrung wurde schnell von den Nationalsozialist*innen missbraucht: Bereits 1934 wurde sie 3723 mal angewendet und zur Demonstration nationalsozialistischer Ordnungspolitik genutzt. Sie fand vor allem Anwendung bei wiederholter kleinerer und mittlerer Vermögenskriminalität. Auch wenn das Gewohnheitsverbrechergesetz nach 1945 unverändert fortbestand, so ging die Anordnung der Sicherungsverwahrung deutlich zurück und die Gerichte zeigten sich zurückhaltender, einen solch gravierenden Eingriff in die Freiheit anzuordnen. Schließlich wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung sogar verschärft: So wurde Ende der 1960er Jahre entschieden, dass sie nur noch als Mittel zur Bekämpfung schwerster Kriminalität bei nicht besserungsfähigen Täter*innen verhängt werden dürfe; sie wurde zudem auf maximal zehn Jahre beschränkt. Bis 1996 sank die Zahl der Sicherungsverwahrten auf 172. Nun befanden sich hauptsächlich Sexual- und Gewalttäter*innen in Verwahrung.

Die JVA Werl ist die zweitgrößte Haftanstalt für Männer in NRW und die einzige Anstalt des Landes mit einer Sicherungsverwahrung. Für die insgesamt ca. 900 Strafgefangenen stehen drei Häuser mit 686 Einzelhafträumen, 50 Zwei-Mann-Hafträume und 36 Drei-Mann-Hafträume zur Verfügung. Die zusätzlichen 140 Sicherungsverwahrte leben nach Verbüßung ihrer Strafe in einem separaten Wohnheim in Einzelzimmern. Um dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angemahnten Abstandsgebot zwischen Maßregel und Haft gerecht zu werden und den Unterschied zwischen Strafe und SV deutlich zu machen, wird von Zimmern gesprochen, nicht von Zellen. Die Zimmer der Einzelnen sind sehr gut ausgestattet. Sie verfügen über eine große Nasszelle und eine Pantryküche (Miniküche).  So besteht auch die Möglichkeit des gemeinsamen Kochens. Zudem hat jede Abteilung auch eine Gemeinschaftsküche, die nach Absprache genutzt werden kann. Ebenso stehen Gefrierfächer zur Verfügung, um das beim Einkauf erworbene Gefriergut sachgerecht lagern zu können.

Die Zimmer der SVer sind alle mit einem Telefon ausgestattet. Anrufe aus der Anstalt müssen genehmigt werden. Ebenso müssen Personen, die angerufen werden, ihre Zustimmung geben.  Gespräche, die von den Zimmern aus geführt werden,  können abgehört werden. Kontakt über Briefe ist jederzeit möglich, weshalb ich auch hin und wieder schreibe. Die Herren freuen sich immer wieder über Post von Außen, die nicht vom Gericht, der Staatsanwaltschaft oder dem Anwalt kommt. Selber zu schreiben haben sie jedoch keine Lust.

Da tagsüber die Zimmertüren nicht verschlossen sind, können sich die Untergebrachten frei in ihrer Abteilung bewegen. Einige Herren kochen auch gemeinsam, hören Musik oder schauen sich DVDs an. Es besteht die Möglichkeit, sich Musik und Filme über entsprechende Versandhäuser zu besorgen. Damit ist zwar für etwas Kurzweil gesorgt,  nichtsdestotrotz ist die Zeit für die SVer noch schwieriger und einsamer als vor Corona. Einige der Untergebrachten arbeiten in den JVA ansässigen Betrieben wie Holz- und Metallverarbeitung. Einer ist auch als Hausarbeiter tätig. Der Verdienst hierfür richtet sich nach den Tätigkeiten.

Während der Lockdowns fanden Freizeitangebot wie Sport und Gruppentreffen – auch Therapiegruppen – nicht statt.  Eine Zeit lang waren auch die Betriebe geschlossen. Einzig die Bäckerei und Küche wurden betrieben.  Mittlerweile ist auch das Arbeiten unter Einhaltung der sogenannten Corona-Regeln in den Betrieben wieder möglich.

In den 1990er Jahren wird die Sicherungsverwahrung von Politik und Gesellschaft wiederentdeckt. Die kriminalpolitischen Debatten werden fortan vom Thema Sicherheit und Prävention geprägt. Ein Anstieg in der Alltagskriminalität führt zu einer größeren Verunsicherung der Bevölkerung, die Angst vor eigener Viktimisierung steigt. Hohe Rückfallquoten unter Haftentlassenen lassen Zweifel am Resozialisierungsmodell des Strafvollzugs aufkommen. In den Massenmedien dramatisiert sich die Berichterstattung über Kriminalität und die Aufdeckung dramatischer Fälle von Kindesmissbrauch und -tötung schockieren die Öffentlichkeit. Politische Entscheidungsträger*innen geraten unter Handlungsdruck. Ihre Reaktionen zielen vorranging auf die Beruhigung des öffentlichen Unsicherheitsempfindens und orientieren sich weniger an der Lösung bzw. Reduzierung konkreter Gewaltphänomene. In diesem Sinne tritt 1998 das „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ in Kraft, das fortan die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Strafhaft erleichtert; die Höchstdauer von zehn Jahren wird rückwirkend aufgehoben.

Die SVer richten schon seit vielen Jahren Gemeinschaftsfeste wie Frühlings-, Sommer- oder Herbstfest aus, wobei immer auch gegrillt wird. Von einer einheimischen Fleischerei wird entsprechend Fleisch bezogen. Genaue Mengenangaben der Einzelnen werden per Sammelauftrag bestellt. Andere Lebensmittel und Getränke werden über den Anstaltslieferanten bezogen. Im jeweiligen Abteilungsflur werden die Tische themenbezogen eingedeckt. Ein besonderes Highlight ist die Adventsfeier. Zu diesen Festen werden neben Angehörigen auch wir Ehrenamtlichen sowie die zuständigen Betreuungsbeamten*innen und der Anstaltsleiter eingeladen. Wir Ehrenamtliche lernen bei dieser Gelegenheit die zuständigen Beamt*innen, die auch häufiger mal wechseln, kennen.

Wie vieles anderes mussten und müssen auch diese Feste und Veranstaltungen leider Corona bedingt ausfallen. Alle haben die AHA Regeln, also Abstand – Hygiene – Alltagsmaske, einzuhalten. Seit dem 24. Mai 2020 sind einige Fälle von Covid-Erkrankungen in der JVA aufgetreten. Alle Häftlinge und SVer mussten sich daher in ihren Zellen bzw. Zimmern aufhalten. Weder Umschluss noch gegenseitige Besuche waren erlaubt. Inzwischen wurde der größte Teil der Insassen geimpft und Besuche können unter Auflagen wieder stattfinden. Doch die Gruppentreffen bleiben jedoch weiterhin abgesagt.

Literatur

Drenkhahn, Kirstin & Christine Morgenstern 2012. Dabei soll es uns auf den Namen nicht ankommen – Der Streit um die Sicherungsverwahrung. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 124(1), URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zstw-2012-0005/html

Laubenthal, Klaus 2007. Die Renaissance der Sicherungsverwahrung. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 116:3. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zstw.116.3.703/html

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