Here is an overview of outstanding master theses submitted at the Department of Urban Anthropology.
Florian Seitz
Titel: Diversität und Partizipation in kooperativen Stadtentwicklungsprojekten – eine exemplarische Untersuchung anhand des Modellprojekts Rathausblock Kreuzberg
Zweitbetreuer: Dr. Cornelia Kühn
Zusammenfassung:
Im Fokus der Arbeit steht das Stadtentwicklungsprojekt Rathausblock Kreuzberg. Wie bei anderen Berliner Bauflächen, wurde auch hier der Verkauf durch Proteste von Aktivist_innen und Initiativen, die sich im Zuge dessen gründeten, begleitet. Das ehemalige Kasernenareal wurde so zum Politikum und durchlief eine Vielzahl von noch näher zu beschreibenden Eigentumsformen. Letztendlich befindet sich das Grundstück nun im Besitz des Landes Berlin. Erklärtes Ziel des Senats und des Bezirks ist es seitdem, auf dem Gelände Wohnraum zu schaffen, um der angespannten Situation und dem Wohnungsmangel innerhalb des S-Bahn-Rings etwas entgegenzusetzen. Der Senat wusste allerdings um das starke öffentliche Bewusstsein und das Engagement einiger Akteur_innen für das Gelände und einigte sich so
zusammen mit Vertreter_innen der Zivilgesellschaft, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIM), der Wohnungsbaugesellschaft Mitte mbh (WBM) und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf eine Kooperationsvereinbarung, die die Grundlage für ein gemeinwohlorientiertes, kooperatives Modellprojekt in Zusammenhang mit dem derzeit laufenden Sanierungsverfahren Rathausblock schafft. In der Vereinbarung ist eine breite öffentliche Beteiligung angestrebt. Deren zentrales Element ist ein sogenanntes „Städtebauliches Werkstattverfahren“, welches in Form von verschiedenen Veranstaltungen den Sanierungsprozess begleiten, ein städtebauliches Konzept für die Entwicklung des Dragoner Areals (wie das Gelände ebenfalls genannt wird) sowie angrenzender Grundstücke definieren und als Grundlage für den Bebauungsplan dienen soll. Dieses Werkstattverfahren stellt ein zentrales Format für diese Arbeit dar und wird hinsichtlich der artizipationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft untersucht. Des Weiteren wird ein empirischer Blick auf den kollaborativ ausgelegten Planungsprozess eingenommen und mithilfe von Monika Kuraths Modell der „Materiellen Partizipation“ die sozio-technischen Interaktionen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur_innen herausgearbeitet sowie Hierarchien unter den Akteur_innen aufgezeigt. Ein weiterer Fokus richtet sich auf die Diversität des Partizipationsprozesses. Speziell wird danach gefragt, ob es Gruppen gibt, die innerhalb des Projektes unterrepräsentiert sind und welche möglichen Gründe dafür vorliegen. Im ersten Teil der Arbeit wird die Entstehung einer partizipativen Stadtplanung wie wir sie heute kennen als ein Ergebnis verschiedener wissenschaftlicher Interventionen und politischer Kämpfe umrissen und das hier angewandte Partizipationsverfahren in diesen Kontexteingebettet. Daran anschließend wird das Dragoner Areal genauer beschrieben und in einen historischen und stadtpolitischen Zusammenhang gesetzt. Im vierten Kapitel wird die Methodik, die dieser Arbeit zugrunde liegt, mit besonderem Augenmerk auf die verschiedenen Feldzugänge, die über das physisch betretbare Areal hinausgingen, dargestellt. Im Anschluss daran werden die erhobenen Daten analysiert und die Ergebnisse präsentiert. Im letzten Kapitel werden die zentralen Befunde der Arbeit diskutiert in einen breiteren wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext eingeordnet.
Lilian Krischer
Titel: „Wenn nichts mehr geht, geht nur noch gehen“. Spazieren als alltägliche Praktik im öffentlichen Raum in Zeiten einer Pandemie.
Zweitbetreuer: Prof. Dr. Jörg Niewöhner
Zusammenfassung:
Die Masterarbeit bietet empirische Einblicke in eine wichtige Transformation in der Nutzung und Aneignung des städtischen Raums während der Corona-Pandemie in Berlin, nämlich der Bedeutungszuwachs des Spazierens als eine alltägliche Praxis im öffentlichen Raum. Sie stellt dabei eine doppelte Forschungsfrage: Inwiefern wirken die Logiken des alltäglichen Spazierens in Zeiten der Corona-Einschränkungen auf das Selbst; und wie produzieren sie den öffentlichen Raum unter diesen Bedingungen erneut mit. Diesen Fragen wird durch die Analyse von Interviews, Corona-Tagebüchern eines Kunstprojekts und Zeitungsartikeln nachgegangen. Die Forschung zeigt zum einen auf, wie das Spazieren als Ethnomethode fungiert, also als gezielte und reflektierte Praktik der Akteur:innen, um gewisse Effekte zu generieren. Die Rekonstruktion des Alltags in einer Krise geschieht nicht spontan, sie ist eher der Effekt von gezielten Praktiken. Im historischen Vergleich zum Flaneur oder zu den Situationist:innen hat das Spazieren dabei seinen Politisierungs- und Widerstandsanspruch verloren. Als Ethnomethode lässt sich diese Praktik vielmehr als eine Technologie des Selbst beschreiben, die an der Grenze zwischen Freiheit und Zwang, Selbstbestimmung und Disziplinierung liegt. Die Logik der Praktik wird mit einer Unterscheidung zwischen einem „freien“ und einem „angepassten Spazieren“ zusammengefasst, zwischen Ästhetisierung der Existenz und neoliberaler Selbstoptimierung und Selbstsorge. Zum anderen beschreibt die Forschung, wie das Spazieren in Zeiten der Pandemie einen Raum der flüchtigen Begegnungen konstituiert. Dieser widerspricht dem klassischen Verständnis von öffentlichen Raum, das den Aufenthalt als grundlegend für ihn versteht, um einander zu begegnen und miteinander in den Dialog zu treten. Die Form städtischer Sozialität, die deutlich wird, liegt zwischen der urbanen Anonymität und dem intensiven In-Kontakttreten miteinander. Die Möglichkeit dieser flüchtigen, nicht dialogischen Begegnungen, die auf einer gegenseitigen Aufmerksamkeit der Menschen basieren, bildet ein wichtiges Motiv für das Spazieren in Zeiten der Pandemie.