NATUR

MENSCH

Bist du schon einmal einem Waschbären in freier Wildbahn begegnet? Falls ja, wo war es? Und hat es dich irritiert an diesem Ort ein “wildes” Tier zu sehen? Hast du dich gefragt, wie der Waschbär dort gelandet ist? 

Diese Fragen stellen sich die meisten Menschen, wenn sie mit Tieren in der Stadt konfrontiert sind und ihnen begegnen. Wie auch die Geschichte des Waschbären und der Geburtstagsfeier…

Wie hättest du reagiert? Wie würde andere Menschen reagieren? Für einen Großteil der Personen, die in der Stadt leben, ist diese Geschichte außergewöhnlich. Aber ist sie das wirklich? Wir waren Berliner Waschbären auf der Spur und haben Geschichten gehört, die wir selber kaum glauben konnten. Eine weitere dieser Geschichten handelt von einem jungen Waschbären, der hoch hinaus wollte…

An den Rändern Berlins, im Speckgürtel, wie es so schön heißt, lässt es sich gut leben. Die Menschen sind im Nu in der Stadt und genießen die Natur, wenn sie zuhause sind. Es gibt zahlreiche Siedlungen, dort reiht sich Haus an Haus und Garten an Garten. Nicht nur Menschen und ihre Haustiere fühlen sich hier wohl, auch zahlreiche andere Tierarten lassen sich hier entdecken. Der Waschbär ist eine von ihnen.

Einer, der sich auf dem Gebiet der städtischen Wildtiere besonders gut auskennt und bestimmt noch viele wilde Berliner Tiergeschichten erzählen könnte, ist Derk Ehlert. Er arbeitet als Wildtierreferent für das Land Berlin. Eine Stelle, die von der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz ins Leben gerufen wurde. Doch warum eigentlich? Was macht ein Experte für Wildtiere in einer Großstadt wie Berlin?

In den vergangenen 20 Jahren ist die Population von Wildtieren im städtischen Raum stark gestiegen. Mit dem vermehrten Aufkommen der Tiere stieg die Sorge bei den Bewohner*innen und die Frage stand im Raum, wer sich um das Problem kümmert. Eine vermittelnde Person zwischen Stadt, Land, Mensch und Tier musste her. 

Derk Ehlert möchte den Menschen, besonders denen in der Stadt, die Natur näher bringen und vor allem auf die Wildtiere aufmerksam machen. Dass der Wildtierbestand in Berlin gestiegen ist, kann er bestätigen. Doch auch, dass diese eigentlich ziemlich gut ins bunte Berlin passen.

Spuren-Waschbaer
„Mit der Haltung‚Tiere gehören nicht in die Stadt!‘ denken wir in Schubladen. Wir akzeptieren nicht, dass die Stadt auch ein optimaler Lebensraum für sie sein kann und durch klimatische Veränderungen wird diese Entwicklung zunehmen. Das Tempo, in dem sich Arten in Städten ausbreiten, steigt rasant.“

Videoquelle: Youtube – artatme „Waschbär in Berlin“  08.06.2020

Der Wildtierreferent hört den Bewohner*innen zu, nimmt ihre Sorgen ernst und versucht die Menschen zu unterstützen, denn ihre Ängste seien real. Oft entstehen sie durch fehlende Aufklärung, wie in unseren Beispielen vorab: der Waschbär auf dem Balkon. Menschen wundern sich, wie er dorthin gekommen ist, warum isst der Waschbär Torte? Sollte er nicht Nüsse oder andere Tiere fressen? Derk Ehlert sagt dazu, dem Waschbär sei es egal, ob es eine Torte auf einem Balkon oder ein Vogelnest auf dem Baum sei – es riecht beides gleich gut. Waschbären sind Allesfresser und sie sind überall: in der Friedrichstraße, am Nollendorfplatz, am Kudamm.

„Unsere Wildtiere sind in der Stadt zuhause und kommen wieder zurück, manchmal sogar an den gleichen Ort. Sie sind Teil der Stadtnatur und gehören zu Berlin, wie die Touristen.”

Das Zusammenleben zwischen Mensch und Waschbär ist jedoch nicht immer harmonisch. Waschbären richten Schäden an, zum Ärger vieler Hausbesitzenden. Sie erklimmen problemlos Fassaden, Regenrinnen, Balkone, Dächer auf der Suche nach Nahrung oder einem Unterschlupf. Sie besiedeln Dachböden, Garagen, Keller und können materiellen Schaden anrichten. Was kann ich tun, wenn ein Waschbär oder gleich eine ganze Gruppe, es sich in meinem Haus gemütlich macht?

Dieser Frage möchte ein Pilotprojekt der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz ganz pragmatisch begegnen. Die Waschbär-vor-Ort-Beratung [-> Glossar] ist eine Beratungsstelle, an die sich Betroffene wenden können. Dabei gibt es nicht nur Infomaterial und gute Ratschläge am Telefon. Die Waschbär-vor-Ort-Beratung möchte Bürger*innen helfen ihre eigenen Häuser Waschbär-sicher zu machen und so dazu beizutragen, die Tiere zu vergrämen. 

Dafür ist es notwendig, dass der Mensch sein Verhalten gegenüber den Waschbären anpasst und auf seine Fähigkeiten reagiert. Ganz praktisch heißt das: Das Haus oder den Garten so zu sichern, dass dem Waschbären möglichst viele Hindernisse begegnen. Zum Beispiel durch Befestigungen an Regenrinnen, die ihn am Hinaufklettern hindern, oder durch das Verschließen von Eingängen, Katzenklappen und Mülleimern.

„Um diese Förderung des Waschbären zu reduzieren, ist in den meisten Fällen eine Verhaltensanpassung durch uns Menschen unabdingbar.”

MEMORY

Dr. Berit Michler ist Wildtierbiologin und Waschbärexpertin. Sie hat  sechs Jahre lang in einem groß angelegten Projekt im Müritz-Nationalpark den Lebensraum von Waschbären erforscht. Das ist bis dato  das längste und umfangreichste Freilandprojekt zu den Kleinbären (Mehr dazu findest du  hier: https://www.projekt-waschbaer.de/). Das umfangreiche Wissen, das aus dem Projekt im Müritz-Nationalpark entstanden ist, ist in vielen Publikationen veröffentlicht u.a. auch einem Sachbuch für Kinder (“Entdecke die Waschbären”). Berit Michler arbeitet nicht nur als Wildtierbiologin, sondern engagiert sich auch ehrenamtlich für die Tiere: sie besucht Bürgerversammlungen, beantwortet Fragen und vermittelt zwischen Mensch und Tier.

In einem Interview hat Berit Michler uns von ihren Erfahrungen mit den Tieren erzählt und hat uns spannende Erkenntnisse aus dem Waschbär-Projekt  verraten. Sie hat uns Fragen dazu beantwortet,was Stadt- und Landwaschbären voneinander unterscheidet, warum Kot auf dem Rasen wahrscheinlich nicht von einem Waschbär stammt und warum wir Menschen uns an die Tiere gewöhnen sollten.

Das Interview fand im April 2023 in Eberswalde bei Berlin statt.

Schlafplatzwechsel

Waschbären wechseln in aller Regel täglich ihren Schlafplatz. Auch dabei gibt es Unterschiede zwischen Stadt- und Landtieren. Die Stadtwaschbären schlafen nachts vorrangig in Gebäuden, wohingegen die im Randgebiet lebenden Waschbären Bäume als Schlafplatz bevorzugen (Michler, F. 2003). Bei Waschbären in der Stadt kann es vorkommen, dass sie bevorzugte Lagerstätten wählen, die besonders gut geeignet sind, sodass die Tiere auch mal eine zweite Nacht bleiben . Danach  wird jedoch gewechselt.

Ausnahmen gibt es bei den Fähen, den weiblichen Waschbären: Während der Wurfzeit, also wenn der Waschbär Nachwuchs bekommt, sucht sich die Fähe einen langfristigen Schlafplatz. Dieser wird bis zu 8 Wochen genutzt, bis die Waschbärjungtiere alt genug sind, um ihren Bau zu verlassen. Sollte der Ort jedoch aus Waschbärsicht nicht sicher sein, weil z.B. Menschen präsent sind durch Geräusche oder Duft, wird die Fähe schnellstmöglich einen neuen Ort suchen (Interview Michler 33.03-33.40).

Schraube

Waschbären sind ausgezeichnete Kletterer. Wie ausgezeichnet, das hat Berit Michler im Interview verraten:

Über Kot kommunizieren

Berit Michler erzählt, wie Waschbären über Kot kommunizieren und was der Kirschbaum damit zu tun hat.

Lärmempfindlich

Wie kann ich Waschbären vergrämen? 

Latrinen

Hilfe! Ist das Waschbärkot in meinem Garten?

Es ist nicht immer leicht einzuordnen, welches Tier den Kot hinterlassen hat. Bei Waschbären gibt es jedoch ein Indiz, das sie verrät: Waschbären nutzen immer erhöhte Orte wie Dachrinnen, abgeschnittene Baumstämme oder andere stille Orte, die etwas höher liegen. 

(Hören Sie sich dazu auch “Über Kot kommunizieren” an.)



Urbanophil

Gehören „die“ nicht in den Wald?

Pfoten im kalten Wasser

Waschbären können nicht nur gut klettern, sondern auch gut greifen. Sie haben wahnsinnig sensible Vorderpfoten. Es ist ihnen möglich, stundenlang im eiskalten Wasser zu verweilen und nach Stecknadelkopf großen Gegenständen zu greifen. Wenn Menschen ihre Hand in 4 Grad kaltem Wasser halten, dann spüren sie nach 30 Sekunden nicht mehr viel in den Fingerspitzen. Mit den Pfoten können Waschbären außerdem Hebel aufmachen oder um die Ecke greifen, das können wenig andere Tiere (vgl. Interview 52.25 -53:14). 

Parasiten

Im Gegensatz zu Nordamerika, spielt der Waschbär als Parasitenüberträger in Europa kaum eine Rolle. Der einzig relevante Parasit sei hier der Waschbäspulwurm Baylisascaris procyonis, der jedoch äußerst selten auftritt (vgl. Michler et al 2012: 388). So sind in Mitteleuropa seit der Einbürgerung des Waschbären vor über 70 Jahren bislang drei Einzelfälle dokumentiert geworden, bei denen sich Menschen mit den Larven dieses Nematoden infiziert haben – in allen Fällen hatten die Betroffenen engen Kontakt mit handaufgezogenen Waschbären (Michler et al 2012:389). Die Ansteckungsgefahr ist also sehr gering und typische Haustiere wie Katzen und Hunde sind öfter Überträger von Parasiten. Wenn Menschen in Berührung mit Kot kommen, dann sollten Sie sich danach gründlich die Hände waschen, so Berit Michler.

Gesetzesebenen (invasive Art)

Waschbären gelten seit 2015 als invasive Art. Was das mit der EU zu tun hat und warum die Art vorher als heimisch galt, erklärt Berit Michler im Interview:

People Management

Berit Michler beschreibt hier, wie Fütterung von Tieren zum Problem werden kann, wenn bestimmte Tiere wie Vögel und Eichhörnchen gewünscht, aber Tiere wie Waschbären unerwünscht sind. Selektives Füttern sei nicht möglich. Sie spricht davon, ein gutes Miteinander von Tieren und Menschen zu finden. Hier lässt sich ein Zitat von  Dr. WALBURGA LUTZ, einer Pionierin der deutschen Waschbären Forschung, ergänzen: „Es ist müßig zu fragen, ob die Einbürgerung zu begrüßen oder zu verurteilen war, nachdem nahezu das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland besiedelt ist. Die Einbürgerung selbst ist erfolgreich verlaufen und nicht mehr rückgängig zu machen. Wir sollten deshalb lernenmit dem Waschbären leben zu müssen“ (LUTZ 1981).” S.393 [Projekt Waschbär] 

Erhöhte Geburtenrate

Waschbären reagieren mit erhöhten Geburtenraten auf ihre Bejagung, wie funktioniert das eigentlich?

Wann wird der Waschbär zum Problem?

Was kann ich tun, wenn ich einem Waschbär (in meinem Garten) begegne? Und was hat das mit der Leibspeise von Waschbären zu tun? 

Die Mittel, die dafür von der Waschbär-vor-Ort-Beratung getroffen werden, sind Teil der Maßnahme M7, Öffentlichkeitsarbeit zur Verminderung der direkten und indirekten anthropogenen Förderung der Art. Eine Maßnahme der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, die Bürger*innen informieren soll und insbesondere in urbanen Regionen zum Einsatz kommt [1]. Die rechtliche Basis für die Maßnahme bildet der Status des Waschbären als etablierte invasive Art [-> Glossar] , den er auf der Unionsliste [-> Glossar] der EU aufweist. Beim Umgang mit den neuen tierischen Stadtbewohner*innen steht eine Kosten-Nutzen-Analyse im Vordergrund: Wo ist es sinnvoll einzugreifen? Wie wahrscheinlich ist es, dass der Aufwand die Waschbären vergrämt?

Die Frage, ob eine Bejagung der Tiere zur Reduktion der Population führen könnte, wird vielfach diskutiert. Jedoch deuten Studien und Erfahrungswerte von Jäger*innen darauf hin, dass die Bestandsreduzierung durch Bejagung nicht zielführend sei, denn darauf reagieren Waschbären simpel mit einer erhöhten Geburtenrate. Ein Phänomen, das als kompensatorische Fertilität bezeichnet wird [1].

Darüber, wie die gemeinsame Zukunft von Waschbären und Menschen in Berlin aussehen mag, kann man nur spekulieren. Fakt ist jedoch, dass der Waschbär nur eines von vielen Wildtieren ist, das sich längst an das Stadtleben angepasst hat. Mehr noch, scheint das Leben in der Stadt seine Intelligenz sogar zu fördern. Verhaltensstudien der Psychologin und Biologin Suzanne MacDonald zu Waschbären aus den USA zeigen, dass urbane Waschbären verschlossene Mülltonnen deutlich besser öffnen können als ihre ländlichen Genoss*innen. Während 80 % der Stadtbären in die Mülltonne gelangten und sich das darin liegende Futter sichern konnten, schaffte es keiner der Waschbären vom Land [2]

Es scheint an der Zeit, das Bild von Wildtieren, die in der Stadt fehl am Platz sind, zu überdenken. Städte als dynamische Lebenswelten zu betrachten und aufmerksam zu machen auf die Verflochtenheit von Natur(en)Kulturen [-> Glossar] . Es ist an der Zeit für Multispezies-Ethnographie [-> Glossar] .

"Was Wildtiere betrifft, die den Sprung in die Stadt geschafft haben, so ist es laut Expert*innen an der Zeit, sie als Teil von uns zu betrachten." (dt. frei übersetzt)

Videoquelle: Youtube – Jezter TV „Waschbär in Berlin Schöneweide“  02.04.2019

WAS IST MULTISPEZIES-ANTHROPOLOGIE?

Als wir Waschbaerlin begonnen haben, wurden wir häufig mit der Frage konfrontiert, warum sich Anthropolog*innen überhaupt mit Waschbären in der Stadt Berlin beschäftigen. Diese Frage wollten wir diskutieren und haben dafür Christopher Kelty von der University of California, Los Angeles eingeladen. Christopher ist dort Professor am Institut für Gesellschaft und Genetik und Teil des Labyrinth Project. Wir haben mit Christopher über die Bedeutung von Multispezies Anthropologie gesprochen und darüber, was uns ein Blick durch/mit die Multispezies-Linse über das menschliche Leben in der Stadt verrät.

REFLEXION

2022-10-06 20.57.22

Als Anthropolog*innen sind wir geübt, zu beobachten und menschliche Beziehungen zu betrachten. In den letzten Wochen haben wir aufmerksam verfolgt, wie menschliche Akteur*innen (Einwohner*innen, der Berliner Senat, Wildtierexpert:innen und Medien) sich dem Thema “Waschbären” widmen, konnten Konfliktlinien, Lösungsansätze, öffentliche Debatten und lokalpolitische Entscheidungen wahrnehmen, die uns die Relevanz eine anthropologische Untersuchung gezeigt haben.

Dabei ging es uns im Projekt waschbaerlin vor allem auch darum, eine mehr-als-menschliche Perspektive auf die Stadt aufzuzeigen, also das Phänomen nicht nur aus der Sicht der menschlichen Akteur*innen zu untersuchen. Methodisch gesehen, ist das natürlich gar nicht so einfach, denn als Menschen können wir nicht wie ein Waschbär denken, handeln oder uns mit ihnen sprachlich austauschen. Eine methodische Herausforderung, die in der Multispezies-Ethnographie [-> Glossar] debattiert wird.

Mit den ethno-fiktiven Podcasts zu Beginn finden wir einen experimentellen Zugang zu dieser Herausforderung. Die Begebenheiten beruhen auf Geschichten von Berliner*innen, doch mit dem Perspektivwechsel brechen wir das Narrativ des Menschen über den Waschbären auf und nehmen eine Waschbär-Sicht auf Berlin ein. Als Anthropolog*innen ist es uns wichtig, den nicht-sichtbaren und erzählten Perspektiven Raum zu geben – und zwar nicht nur von Menschen.

Die Stadt ist eine besondere Kontaktzone von verschiedensten Akteur*innen und Spezien, in der nicht nur menschliche Berliner*innen Handlungsmacht haben. Folgen wir dem Waschbären und den verschiedenen Akteur*innen, Gesetzeslagen, Medien usw., die sich mit ihm auseinandersetzen, zeigt sich ein komplexes, wechselseitiges Wirkungsgeflecht, welches das Leben von allen Beteiligten beeinflusst. Zum Beispiel, wenn eine Stadt eine neue Stelle schafft, neue Gesetze verabschiedet oder Pilotprojekte durchgeführt werden. Aber nicht nur das, es entsteht auch ein kreativer Moment, wenn Waschbären sich dem Leben in der Stadt anpassen und lernen Mülltonnen zu öffnen und bei den Menschen, die lernen, welcher Fallrohrschutz besonders klettersicher ist.

 

In diesem Geflecht haben zwar einige Entitäten mehr Wirkungsmacht als andere, dennoch ist der Mensch nicht das alleinige Subjekt, das Handlungsmacht besitzt. Diese Denkweise, die in der intellektuellen Tradition der westlichen Natur-und Geisteswissenschaften tief verankert ist, ist von Dualismen geprägt – Mensch vs. Tier, Kultur vs. Natur. Im Gegensatz zu vielen indigenen Kulturtheorien, die diese Dualismen nicht aufweisen. 

Arbeiten über Tiere und Pflanzen in städtischen Umgebungen, zeigen auf, wie sie Lebensräume im Einklang und im Konflikt mit anderen Arten aufbauen, wie sie von Planung und Befriedung betroffen sich dagegen wehren; Wie sie zu Orten der Anfechtung und Politik werden.



Die Website als ein multimodales Medium eröffnet uns als Anthroplog*innen neue experimentelle Wege, um Themen publik zu machen. Über Feedback, Fragen und Anregungen und einen Austausch freuen wir uns! 

WASCHBÄRGESCHICHTEN

GLOSSAR

Unter dem Begriff invasive Art verstehen Naturschützer:innen gebietsfremde Tiere oder Pflanzen, die sich rasant in ihrer neuen Umgebung verbreiten. Indem sie das Ökosystem beeinflussen, können sie eine Gefahr für bereits existierende “heimische” Arten darstellen. In ihre neue Umgebung gelangen gebietsfremde Arten meist durch die Einschleppung von Menschen. Aus Versehen oder mit Absicht eingeschleppt, versuchen die Arten sich letztlich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und zu überleben [3].

Auch der Waschbär gelangte erst durch Menschenhand aus Nordamerika nach Europa. Menschen schleppten ihn für die Pelzzucht ein. Einige Waschbären entkamen den Pelztierfarmen und siedelten sich in Europa und Deutschland an [3]. 1934 wurden zudem bewusst zwei Waschbär-Paare in Hessen ausgesetzt, da die damalige Jagdgesellschaft an neuem jagdbaren Wild interessiert war [1]. Fakt ist also, dass der Waschbär von Menschen nach Europa gebracht wurde und wohl zu den erfolgreichsten tierischen Ausbrecher zählt. Seine gute Überlebensfähigkeit ermöglicht es ihm, sich in nahezu jeder Umgebung anzusiedeln. Heute leben in Deutschland schätzungsweise über eine Millionen Waschbären [3]. Da ein bundesweites Monitoring der Tiere fehlt, kann die genaue Zahl der hier lebenden Tiere nicht belegt werden. Rechtlich hat der Waschbär in Deutschland den Status einer etablierten invasiven Art und steht seit 2016 auf der sogenannten Unionsliste [4, 5].

Die Liste invasiver gebietsfremder Arten, kurz Unionsliste genannt, veröffentlichte die Europäische Kommission 2016. Auf der Liste stehen Tier- und Pflanzenarten, die von anderen Kontinenten in das Gebiet der EU eingeführt wurden und sich in der freien Natur verbreitet haben. Ihre Verbreitung beeinflusst die vorhandenen Ökosysteme und kann der biologischen Vielfalt schaden. 2022 umfasst die Unionsliste 88 verschiedene Arten [5]. Die Unionsliste ist zentraler Bestandteil der rechtlichen Verordnung über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten der EU. Sie trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Diese umfasst ein System zur Vorbeugung, Früherkennung, Beseitigung und Umgang mit bereits verbreiteten invasiven Arten in der EU [6]. International existieren zahlreiche Verträge, europäische und nationale rechtliche Regelungen, die sich mit invasiven gebietsfremden Pflanzen und Tierarten befassen. Die Unionsliste ist also nur ein Mittel unter vielen, mit dem negative Auswirkungen auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt verhindert werden soll [7].

Die Multispezies-Ethnographie betrachtet Beziehungen zwischen Menschen und anderen Lebensformen, wie Pflanzen, Tieren, Bakterien oder Viren. Grundlegend für die Multispezies-Ethnographie ist dabei die Annahme, dass die verschiedenen existierenden Lebensformen untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen [8 – Ameli 2021:82]. 

Der Begriff Multispezien wird genutzt, um zu verdeutlichen, dass Menschen und andere Spezien in enger Verbindung zueinander stehen und leitet sich vom englischen Begriff multispecies ab [8 – Ameli 2021:82]. Forschungen der Multispezien-Ethnographie untersuchen daher vielfältige Dimensionen von Beziehungen zwischen verschiedenen Lebensformen. Starre Grenzen zwischen Menschen, Tieren und weiteren Lebensformen lösen sich auf. Der Ansatz der Multispezien-Ethnographie nimmt also eine mehr-als-menschliche Perspektive (more-than-human perspective) ein [8 – Ameli 2021:80].

Der Multispezies-Urbanismus zeigt auf, dass Städte eine unverwechselbare und dynamische Lebenswelt sind, die von zahlreichen Akteuren, Ökologien und Umwelten gebildet werden [9 – Sharma 2021:2]. Das Urbane wird als Formation betrachtet, in dem das Leben nicht nur von Menschen, Infrastrukturen, Kapital und Strömen geprägt wird, sondern ebenso von der Bodenbeschaffenheit, der geographischen Lage, den Handlungen verschiedener Tierarten, Insekten und Bakterien sowie Pflanzenarten [9 – Sharma 2021:2].

Das Städtische wird nicht als Triumph der menschlichen Kultur und Kreativität über die Natur aufgefasst, sondern als eine besondere Art der Natur, die auch ein unverwechselbarer Ort des Wohnens ist. Aufgezeigt wird, dass die Stadt stets ein artenreicher Raum war und ist, in der verschiedene Spezien Raum und Ressourcen miteinander teilen, mit und gegen die gebaute Umwelt verhandeln und das urbane Leben beeinflussen [9 – Sharma 2021:2]

Das Konzept der NaturenKulturen (engl.:NatureCultures) entwickelte der französische Philosoph und Soziologe Bruno Latour [8 – Ameli 2021:69]. Es geht hervor aus der wissenschaftlichen Hinterfragung von Dualismen (z.B. Natur vs. Kultur / Mensch vs. Tier), die in der intellektuellen Tradition der westlichen Natur-und Geisteswissenschaften tief verankert sind [10 – vgl. Malone/Ovenden 2017]. Natur(en) und Kultur(en) werden als Gegenstände betrachtet, die sich nicht nur gegenseitig bedingen, sondern kreieren [8 – Ameli 2021:73]

Aus anthropologischer Sicht bezieht sich der Begriff (menschliche) Besiedlung auf die Gründung und Organisation (menschlicher) Gemeinschaften oder Gesellschaften an bestimmten geografischen Orten. Die menschliche Besiedlung umfasst verschiedene Aspekte, darunter die physische Umwelt, die soziale Organisation, kulturelle Praktiken und wirtschaftliche Aktivitäten einer bestimmten Gemeinschaft oder Gesellschaft [12 – Escwa 2023 ].

Michel Foucault betrachtet Human Governance (menschliche Regierungsführung) als ein zentrales Konzept in seiner Philosophie und Analyse der Machtbeziehungen. Für Foucault geht es bei der menschlichen Regierungsführung um die Art und Weise, wie Menschen durch verschiedene Techniken und Praktiken der Machtregulierung gesteuert und kontrolliert werden.

Foucault argumentiert, dass Macht nicht als etwas betrachtet werden sollte, was von einer bestimmten Instanz oder Regierung ausgeübt wird sondern als ein komplexes Zusammenspiel von Beziehungen, das in verschiedene soziale, politische und institutionelle Strukturen eingebettet ist. In diesem Kontext umfasst human governance die spezifischen Mechanismen und Praktiken, die verwendet werden, um Individuen zu lenken, zu kontrollieren und zu regieren.

Foucault betont, dass die menschliche Regierungsführung nicht nur auf staatliche Institutionen beschränkt ist, sondern auch in verschiedenen sozialen Bereichen und individuellen Beziehungen auftritt. Er betrachtet Macht als ein komplexes Zusammenspiel von Praktiken und Diskursen, das auf subtile Weise auf individuelle Körper, Verhalten, Wissen und Identitäten wirkt [13 – vgl. Foucault 2020][14 – vgl. Foucault 2004][15 – Treibel 2006]

Der Begriff impliziert die Notwendigkeit, über eine oberflächliche Analyse hinauszugehen und die tieferen Motivationen, Werte und Strategien zu verstehen, die das Regierungshandeln bestimmen. Er legt eine kritische Untersuchung der verborgenen oder impliziten Annahmen, Strukturen und Dynamiken nahe, die die Regierungsführung prägen und die Entscheidungsprozesse beeinflussen.

Im Zusammenhang mit der Regierung mehrerer Arten in Städten können mit der Betrachtung tieferen Regierungslogiken zugrundeliegenden Prinzipien, Ideologien oder Rahmenbedingungen analysiert werden, die die Art und Weise bestimmen, wie Städte regieren und mit nicht-menschlichen Arten interagieren.

Die Untersuchung der Art und Weise, wie Städte auf nicht-menschliche Arten zugehen und mit ihnen interagieren, wirft ein Licht auf umfassendere Prinzipien, Werte und Machtverhältnisse, die Regierungspraktiken und -politiken beeinflussen [16 – Shingne/ Reese 2022].

In der Biologie bezieht sich der Begriff Koexistenz auf das gemeinsame Überleben und Zusammenleben von Arten in einem bestimmten Lebensraum. Koexistenz bedeutet, dass verschiedene Arten in einer Gemeinschaft oder Ökosystem zusammen existieren können, ohne dass eine Art die andere vollständig verdrängt oder auslöscht [17 – Spektrum 2023].

Im städtischen Kontext bezieht sich der Begriff Koexistenz zwischen Menschen und Tieren auf das Zusammenleben beider Gruppen in urbanen Lebensräumen. Da Städte oft Lebensräume sind, die stark von menschlicher Aktivität geprägt sind, kann es zu Interaktionen zwischen Menschen und Tieren kommen, sei es absichtlich oder zufällig.

Unter koloniales Erbe versteht man die dauerhaften Auswirkungen und Folgen des Kolonialismus auf Gesellschaften und Regionen, die einst kolonisiert wurden. Diese Hinterlassenschaften können sich auf unterschiedliche Weise manifestieren und verschiedene Aspekte der Gesellschaft beeinflussen, darunter politische Systeme, wirtschaftliche Strukturen, soziale Hierarchien, kulturelle Normen und Identitätsbildungen.

(Verb): vermenschlichen; menschliche Eigenschaften auf Nichtmenschliches übertragen
(Substantiv): meint die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Nichtmenschliches – zum Beispiel auf Tiere [18 –Duden 2023].

LITERATUR

  1. Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität. (2022): “Waschbär-Vor-Ort-Beratung Berlin”, Zwischenbericht zum Pilotprojekt 2022:16. Zugegriffen am 5. Oktober 2022. [Link zum Bericht]
  2. Dell’Amore, Christine. (2016): “Wild Animals Are Hacking Life in the City.” National Geographic. 18. April 2016. [Link zum Artikel]
  3. Voss, Jens. (2022): “Tierische Einwanderer: Waschbär, Marderhund und Mink breiten sich aus.” National Geographic. 8. März 2021. Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zum Artikel]
  4. Lamm, Lisa. (2022); “Der Streit um invasive Arten.” National Geographic. 2. Februar 2022. Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zum Artikel]
  5. Nabu. (2022): “Marderhund und Götterbaum unter besonderer Beobachtung.” Zugegriffen am 29.September 2022. [Link zur Seite]
  6. Neobiota. (2022): Bundesamt für Naturschutz. “Unionsliste.” Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zur Seite]
  7. Neobiota. Bundesamt für Naturschutz. (2022): “Rechtliche Rahmenbedingungen.” Zugegriffen am 29.9.September 2022. [Link zur Seite]
  8. Ameli, Katharina (2021): Multispezies-Ethnographie. Zur Methodik einer ganzheitlichen Erforschung von Mensch, Tier, Natur und Kultur. Bielefeld: transcript (Kultur und soziale Praxis). [Link zum Buch]
  9. Sharma, Avi (2021): The City under Stress: Waking to a Multispecies Urban[Link zum Artikel]
  10. Malone, Nicholas/ Oveden, Kathryn (2017): Natureculture.[Link zum Artikel]
  11. Michler F.U.; Michler B.; Tharandt (2012): Ökologische, ökonomische und epidemiologische Bedeutung des Waschbären (Procyon lotor) in Deutschland – eine aktuelle Übersicht. In: Beiträge zur Jagd- und Wildforschung, Bd 37 (2012) 385-395. [Link zum Artikel]
  12. Escwa (2003): [Link zum Artikel]
  13. vgl. Foucault, M. (2020): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses (18. Auflage). Suhrkamp-Taschenbuch: Vol. 2271. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [Link zum Buch]
  14. Foucault, M. (2004): Die Geburt der Biopolitik: Vorlesung am Collège de France, 1978 – 1979 (1. Aufl.). Geschichte der Gouvernementalität / Michel Foucault. Hrsg. von Michel Sennelart: Vol. 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [Link zum Buch]
  15. Treibel, Annette. (2006): Diskurstheorie, Disziplinargesellschaft und Gouvernementalität (Foucault). In: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart (pp. 53–80). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. In: Treibel, Annette (2006): Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. 7., aktualisierte Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss (Einführungskurs Soziologie / hrsg. von Hermann Korte, Bd. 3 
  16. vgl. Marie Carmen Shingne & Laura A. Reese (2022): Animals in the city: Wither the human-animal divide, Journal of Urban Affairs, 44:2, 114-136, DOI: 10.1080/07352166.2020.1779006 
  17. Spektrum. (2023): Lexikon der Geographie:
    Koexistenz [Link zum Artikel]
  18. Duden. (2023): Anthropmorphismus [Link zum Eintrag] 
  1. Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität. “Waschbär-Vor-Ort-Beratung Berlin”, Zwischenbericht zum Pilotprojekt 2022:16. Zugegriffen am 5. Oktober 2022. [Link zum Bericht]
  2. Dell’Amore, Christine. “Wild Animals Are Hacking Life in the City.” National Geographic. 18. April 2016. [Link zum Artikel]
  3. Voss, Jens. “Tierische Einwanderer: Waschbär, Marderhund und Mink breiten sich aus.”National Geographic. 8. März 2021. Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zum Artikel]
  4. Lamm, Lisa. “Der Streit um invasive Arten.” National Geographic. 2. Februar 2022. Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zum Artikel]
  5. Nabu.“Marderhund und Götterbaum unter besonderer Beobachtung.” Zugegriffen am 29.September 2022. [Link zur Seite]
  6. Neobiota. Bundesamt für Naturschutz. “Unionsliste.” Zugegriffen am 29. September 2022. [Link zur Seite]
  7. Neobiota. Bundesamt für Naturschutz. “Rechtliche Rahmenbedingungen.” Zugegriffen am 29.9.September 2022. [Link zur Seite]
  8. Ameli, Katharina (2021): Multispezies-Ethnographie. Zur Methodik einer ganzheitlichen Erforschung von Mensch, Tier, Natur und Kultur. Bielefeld: transcript (Kultur und soziale Praxis). [Link zum Buch]
  9. Sharma, Avi (2021): The City under Stress: Waking to a Multispecies Urban[Link zum Artikel]
  10. Malone, Nicholas/ Oveden, Kathryn (2017): Natureculture.[Link zum Artikel]

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