Sprachliche Säkularisierung
1Etymologie des Terminus. Abgrenzung zu verwandten Begriffen
2Lesarten
2.1Institutionell
2.2Gesellschaftlich-kulturell
2.3Religionssoziologisch
2.4Linguistisch
2.4.1Säkularisierung als Erneuerung der religiösen Sprache
2.4.2Profanisierung – Übertragung religiöser Sprache auf weltliche Domänen
3Dialektik der sprachlichen Säkularisierung
4Säkularisierung in Sprachsystem und Text
ILiteraturauswahl
IIAnmerkungen
1 Etymologie des Terminus. Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Säkularisierung, wie auch die morphologischen Varietäten Säkularisation, Säkularismus, geht auf das lateinische Wort saeculum ‘Zeitalter, Jahrhundert’ zurück. Das darauf basierende Adjektiv saecularis wird ins Deutsche als ‘weltlich’ii Im Polnischen gibt es zwei Ableitungen von świat/ Welt: światowy und świecki, welche die in Frage kommende Bedeutungen (1. ‘Welt-, weltweit, weltgewandt, mondän’, vs. 2. ‘laizistisch, säkular’) differenzieren. Im Deutschen entscheidet der Kontext über die Lesart, vgl. Welthandel, Weltmann vs. Weltgeistlicher, weltliche Gewalt. übersetzt, weil zeitliche Begrenztheit für das irdische Leben, für Diesseits – in Opposition zum unveränderlichen Jenseits – gilt. Die Säkularisierung bezieht sich auf Rechtsvorgänge und Prozesse der ‘Verweltlichung’ verschiedener Bereiche, die ursprünglich von der Religion/ Kirche dominiert waren und nun auf immanente Welt kontingentiert werden. Von zunächst neutraler rechtstechnischer Bezeichnung hat sich die Säkularisierung zum komplexen und ambivalenten, ideologisch aufgeladenen Begriff entwickelt.
Man tendiert dazu, die morphologisch nahe stehenden Termini – der Funktion der Unterscheidungssuffixe entsprechend – semantisch zu differenzieren. So wird Säkularisation als konkreter rechtlicher Vorgang gedeutet, wohingegen Säkularisierung vielseitige Prozesse bezeichnet, die dazu führen, dass die unbefragte Akzeptanz der Religion in einer pluralistischen Gesellschaft nicht weiter als solche bestehen kann (vgl. LThK3, Bd. 8 [1999], Sp. 1467-1468). Säkularismus wird dann zu einer (manchmal tatkräftig forcierten) Ideologie, die auf die konsequente Trennung zwischen Staat und Religion pocht.
Es gibt eine Reihe von Termini, die manchmal synonym zur Säkularisierung verwendet werden. Neben den neutralen Verweltlichung und Laizisierung kommen auch stark bewertende Ausdrücke wie Entchristlichung, Entkirchlichung, Dechristianisierung, Desakralisierung, Profanisierung etc. in Frage. Die Präfixe ent- und de- legen nahe, dass es sich um eine Abkehr von der ursprünglichen (christlichen, kirchlichen, sakralen) Ordnung handelt. Möglich sind auch allgemeine Kategorien wie Emanzipation oder Autonomisierung. Geschichtlich gesehen haben wir es mit Prozessen zu tun, die in der Renaissance ansetzten, als die mittelalterliche Christianitas (auf dem Papsttum beruhende christliche Völkergemeinschaft) in Europa ausgedient hat. Der andauernde Säkularisierungsdiskurs der Moderne knüpft an die humanistische Wertorientierung der Neuzeit an. Gesellschaftlich-politische Prozesse des Machtverlustes der Kirche zugunsten des Staates hat die französische Revolution rapide beschleunigt. In Frankreich wurden Kloster aufgelöst, die Kirchengüter nationalisiert. Die von der Revolution begonnene Verdrängung der Religion aus der öffentlichen in die Privatsphäre wird von manchen Menschen als „Dechristianisierung“ inkriminiert. Andere sehen darin nicht nur ein unabwendbares Tribut der Modernisierungiiii Nicht alle Diskursteilnehmer teilen die Meinung, dass Säkularisierung etwas Modernes sei. Auch schon in vormoderner Zeit gab es eine funktionale Differenzierung zwischen der Zuständigkeit von Kirche/ Religion und anderen gesellschaftlichen Bereiche. Darüber hinaus zeigt das Beispiel der USA, dass eine hochmoderne Weltmacht gleichzeitig auch hochreligiös sein kann (siehe Willems 2012: 90–97). Man könnte als weiteres Beispiel auch Russland nennen, ein nach dem Fall des Kommunismus sich modernisierendes Land, in dem Religion und Orthodoxe Kirche nach den Jahrzehnten des Amtsatheismus einen großen Stellenwert genießen., sondern bewerten die Trennung von Altar und Thron als einen für die wahre Religiosität heilenden Prozess. Das Zweite Vatikanische Konzil wertete die Säkularität in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ („Freude und Hoffnung“) 1965 als legitim. Vor diesem historischen Hintergrund seien nun die begriffliche Vielfalt des Fachausdrucks sowie sprachliche Folgen der Säkularisierungsprozesse im gesellschaftlichen Leben thematisiert. Außer Acht lassen wir die von der katholischen Kirche verurteilte theologisch-philosophische Säkularisierungsidee, nämlich die nach Gianni Vatimo (1997) im Inneren der Theologie ansetzende ‘Verweltlichung’ durch die Menschwerdung Gottes – das kenosis-Konzept, d. h. ‘Leerwerden’ von göttlichen Attributen (Vatimo hat so Paulus Brief an die Philipper interpretiert, vgl. Phil 2,5-8).
2 Lesarten
2.1 Institutionell
Am konkretesten ist der juristische Gebrauch des Terminus, wenn er auch immer seltener vorkommt. Innerkirchlich, im kanonischen Recht, wird so der Statuswechsel eines Geistlichen vom Ordens- zum Weltgeistlichen verstanden (poln. świecki ksiądz, engl. secular priest). Im vermögensrechtlichen Sinn bedeutet Säkularisierung die Enteignung kirchlicher Güter und die Ersetzung kirchlicher Macht durch die weltliche (z. B. die Säkularisierung des Kreuzritterordens 1525, d. h. seine Umwandlung in ein weltliches Herzogtum Preußen). Im Allgemeinen ist damit eine institutionelle Trennung zweier Ordnungen – der göttlichen (Kirche) und der weltlichen (Staat) gemeint.
2.2 Gesellschaftlich-kulturell
Unter Säkularisierung wird auch die allmähliche Emanzipation verschiedener Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Kultur, Wissenschaft, Bildung, Moral etc. verstanden, d. h. die Lösung geistiger Aktivitäten der Menschen von alten Bindungen an die Kirche. Die religiöse Weltanschauung wird nicht mehr als allgemeingültig, per default, gesehen. Die Kirche ist nicht mehr der Hauptmäzen der Kunstiiiiii Auch in der sog. religiösen Kunst haben wir dennoch jeweils mit Säkularisierung vom Heiligen zu tun, wenn theologische Ideen für die Sinne zugänglich dargestellt werden müssen und die Künstler Konventionen ihrer Epoche folgen bzw. diese überschreiten wollen. Um der Gefahr der Idolatrie vorzubeugen, verbieten manche Religionen die Darstellung Gottes in der Malerei und Bildhauerei. Dadurch können auch blasphemische Handlungen verhindert werden – unter diesem Verdacht werden nicht selten zeitgenossische Künstler verklagt oder sogar angegriffen (zu solchen Angriffen kommt es heutzutage jedoch nicht von Seite der Christen, sondern der islamischen Fundamentalisten)., die theozentrische, auf der Bibel basierende Weltdeutung ist naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen gewichen, auch Wertsysteme wurden als unverbindlich relativiert. Für die postmoderne Gesellschaft hat Jürgen Habermas (2003: 251) die analoge Bezeichnung Postsäkularismus geprägt und er meinte darunter ein „Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich säkularisierenden Umgebung“ (Habermas 2003: 251). Zum Problem wird die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Es ist notwendig, eine Mittlersprache in öffentliche Debatten heranzuziehen: „Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung“ (ebenda). Dass dies keine leichte Aufgabe ist, zeigt z. B. die erhitzte Diskussion über künstliche Befruchtung in Polen, in der zwei polarisierte Diskurswelten aufeinander prallten: die religiöse (katholische), vgl. solche Stichwörter wie życie poczęte/ das empfangene Leben, godność dziecka/ die Würde des Kindes, zamrażanie dzieci/ Einfrieren von Kindern), und die medizinisch-biologische, vgl. komórka jajowa/ Eizelle, zygota/ Zygote, zamrażanie zarodków/ Einfrieren von Embryonen, płód/ Fötus usw. Wenn es um die Definition von solch unscharfen Begriffen wie Leben geht, scheiden sich die Auffassungen der Biologen, Astrophysiker, Chemiker, Ethiker, Philosophen, Theologen, Juristen etc. voneinander. Auch in Fachdiskussionen ist dabei der weltanschauliche Hintergrund erkennbar.
Der Mainstream in öffentlichen Diskursen ist im Westen weitgehend laizistisch. Die Ethnologen und Soziologen beschuldigen die moderne Vergnügungskultur der geistigen Verarmung und gelegentlich auch der Säkularisierung. In der Massenkultur, in der Unterhaltungsindustrie, in der modernen Kunstszene etc. lassen sich religiöse Weltanschauungen kaum noch finden. Christliche Symbole werden von einigen Künstlern sogar in solch katholisch geprägten Ländern wie Polen provozierend entfremdet (vgl. Osęka 2009). Durch Handel und Konsumrausch verfremdete christliche Feiertage stehen dem Verdacht nah, auf folkloristisch geprägte Figuren und Freizeitaktivitäten reduziert zu sein (vgl. Nagórko 2012). Man meidet manche Gesten in der Öffentlichkeit, wie z. B. das Kreuzzeichen vor dem Essen in einem Restaurant; die polnische Begrüßunsgformel Niech będzie pochwalony Jezus Chrystus wird sogar von Katholiken als für zu persuasiv und zu ostentativ gehalten (anders als süddeutsches Grüß Gott, was nicht als konfessionelles sondern als ethnographisches Emblem gesehen wird.)
2.3 Religionssoziologisch
Diejenige, die von der Säkularisierung im Sinne eines Verlustes der Relevanz von Religion in der sich modernisierenden Gesellschaft als unvermeidlichem Prozess ausgehen, können sich auf den Klassiker der Soziologie Max Weber und seine oft zitierte Metapher der Entzauberung der Welt durch aufgeklärtes, rationales Denken berufen. Der kanadische Philosoph Charles Taylor, der auch auf die „Entzauberung“ zurückgreift, macht in seinem Buch A secular age (2007) dennoch nicht den Konflikt zwischen Glauben und Rationalität für die schleichende Säkularisierung der letzten 500 Jahre verantwortlich. Viel mehr ist es das Resultat einer Wende des Menschen zur Innerlichkeit, zu einem neuen Selbstverständnis: vom früheren „porösen“ (porous) Selbst, welches von der Welt nicht abgegrenzt, dämonischen und kosmischen Mächten ausgeliefert war, zum modernen, „gepanzerten“ (buffered) Selbst, welches Vertrauen in seine eigenen Kräfte hat (dieses Bewusstsein wird als Wegbereiter für exklusiven Humanismus gesehen). Taylor betrachtet sogar die Säkularisierung als Nebenprodukt der christlichen Lehre, da diese die Abkehr von heidnischen Bräuchen und vom Aberglauben verlangte (vgl. Engelbrecht 2009).
Im religionssoziologischen Sinne scheinen zunächst die Kirchenstatistiken aussagekräftig zu sein. Sie sollen solche gesellschaftlichen Prozesse dokumentieren, wie den Rückgang des Glaubens bzw. der religiösen Praktiken, die Marginalisierung der Religion im öffentlichen Leben und folglich ihre Privatisierung, Verdrängung in die Privatsphäre. Objektiv beobachtet man die sinkende Kirchenmitgliedschaft, niedrigeren Kirchenbesuch. Es gibt in Deutschland Gegenden, wo Katholiken eine Minderheit darstellen:
„In den östlichen Bundesländern sind je nach Region zwischen drei und neun Prozent der Bevölkerung katholisch, in den nördlichen Bundesländern zwischen sechs Prozent (Schleswig-Holstein) und 17 Prozent (Niedersachsen). In den südlichen Bundesländern liegt der Katholikenanteil erheblich höher: 54 Prozent in Bayern, 62 Prozent im Saarland.“ (Katholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2011/ 12: 6–7)
Zugleich nimmt die individuelle Religiosität unter deutschen Jugendlichen eher zu. Man spricht sogar von einer Umkehr des Säkularisierungstrends (vgl. Hille 1995: 29). Die Trennung von Kirche und Staat ist also noch kein Indikator für den Grad der Säkularisierung, weil zunehmende individuelle Praktiken und nicht-institutionelle Formen der religiösen Erfahrung die wahre Authentizität des Glaubens unter Beweis stellen. Im Zeitalter des Säkularismus ist der Glaube an Gott zwar eine Option unter vielen; allerdings wurde von Taylor die enorme Vielfalt religiösen Ausdrucks in der westlichen Gesellschaft als eine „spirituelle Super-Nova“ genannt (vgl. Taylor 2007: 300). Religionssoziologische Säkularisierungsthese lässt sich also empirisch nicht bestätigen – stattdessen sollte man eher von dem Gestaltwandel der Religiosität sprechen (s. Willems 2012: 101).
Zivilisatorische Prozesse, denen auch weltanschauliche Positionen ausgesetzt sind, haben dabei ihre nationale Spezifik. So gilt heute Tschechien als weitgehend atheistisch. Eine Untersuchung im Rahmen von „European Value System“ im Jahr 1992 ergab, dass nur 8–9% der tschechischen Bevölkerung christliche Glaubenswahrheiten als teilen (vgl. Prokupek 1995: 101). Der Katholizismus wird als fremd wahrgenommen, als jene Konfession, welche die rege Reformationsbewegung in Böhmen gedämpft hatte und zum Exodus der Landeseliten führte. Die Gebundenheit an die protestantische Tradition tschechischer Länder zeigte im neu nach dem Ersten Weltkrieg proklamierten Staat Tschechoslowakei die Gründung der Tschechoslowakischen Kirche (Církev československá), die seit 1971 das zusätzliche Prädikat hussitisch trägt (Církev československá hussitská). Die Kirche hat allerdings nicht viele Mitglieder, die vor allem in Tschechien leben. In der Slowakei bekennen sich über 80% der Einwohner zu einer der christlichen Kirchen (69,1% sind katholisch, 14,3% zählen zu anderen christlichen Kircheniviv Siehe: www.GAW-Projekte.). Vor diesem Hintergrund fällt Polen mit über 90% Katholiken als am katholischsten auf. Im Hinblick auf die kirchlichen Statistiken unterscheiden dennoch die Forscher zwei Kategorien: „belonging without believing“ und „believing without belonging“ (Davie 1999: 68, 75). Das erste Modell ist für katholische Tradition zutreffend, wo man von dem tradierten Glauben als Teil der ethnischen Kultur ausgehen kann. In der protestantischen Tradition steht der individuelle Bezug zu Gott an erster Stelle.
2.4 Linguistisch
Die Säkularisierung der Sprache mag schon die Konsequenz der oben skizzierten gesellschaftlichen Prozesse sein. Als sprachliches Phänomen gesehen, wird die Säkularisierung auf zwei gegensätzlichen Polen angesiedelt. Erstens – so wie in unserem Projekt – als „diejenige Wortverwendung, in der ein Wort mit religiösem Inhalt zur Bezeichnung eines profanen Gegenstandes oder Sachverhalts wird“ (Kaempfert 1971: 20). Zweitens als Modernisierung der religiösen Sprache, in erster Linie durch neue Bibelübersetzungen, aber auch durch die Aktualisierung liturgischer Formeln und der Sprache der Mission, die an die Empfindlichkeit des modernen Menschen besser angepasst werden (müssen/ sollen). Laut einem radikalen Standpunkt mancher Theologen und Theolinguisten führt jegliche Übersetzung heiliger Texte zwangsläufig zur Profanisierung (vgl. Greule 2012: 15).
2.4.1 Säkularisierung als Erneuerung der religiösen Sprache
Veränderungen tradierter sakraler Texte werden mit Skepsis betrachtet, auch wenn eine Modernisierung des sprachlichen Ausdrucks innerhalb einer Standardsprache tendiert wirdvv Etwas Anderes waren die ersten Versuche, die Sakralsprachen Hebräisch, Griechisch und Latein in damals profane Volkssprachen, wie Deutsch, Polnisch oder Tschechisch zu übertragen. Auf der Startseite des Online-Wörterbuchs „Sacrum und Profanum. Religiöse Lexik in der Allgemeinsprache“ wird parallel ein Zitat aus dem Genesis-Buch in der deutschen Luther-Bibel, der polnischen Jakub Wujeks-Bibel und der tschechischen Kralitzer Bibel angegeben. Diese epochalen Bibelübersetzungen stammen aus dem 16. Jahrhundert und werden noch heute benutzt. Dies ist der gemeinsame historische Kontext unserer Forschung. wie z. B. das protestantische Nowy Testament. Współczesny przekład [Das Neue Testament. Eine moderne Übersetzung], das 1991 von der Biblischen Gesellschaft in Polen herausgegeben wurde. Renata Grzegorczykowa hat am Beispiel der Bergpredigt eine Verflachung der Botschaft im Vergleich mit der – auch modernen – katholischen Biblia Tysiąclecia [Jahrtausend-Bibel] gezeigt (siehe: Grzegorczykowa 2012: 327 ff.). Ganz auf Ablehnung stoßen Experimente, bei denen Milieusprachen wie Jugendjargon bzw. Volksdialekte benutzt werden, vgl. die polnische Dobra czytanka według świętego ziom’a Janka (2005), die deutsche Volxbibel (2005) für den ersten Typus, oder Übersetzungen in den goralischen bzw. den schlesischen Dialekt in Polen für den zweiten: Nowy Testament w przekładzie Marii Matejowej Torbiarz na gwarę górali skalnopodhalańskich z Zakopanego (2005), Biblia Ślązoka von M. Szołtysek (2000)vivi Solche sozio- und theolinguistischen Experimente wurden auf der Berliner Tagung „Wortsemantik im Spannungsfeld zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse“ (4.–7.10.2011) mehrmals thematisiert, siehe den Konferenzband, hrsg. von Nagórko 2012, dort vor allem die Beiträge von Lisowski/Wiatrowski, Rak und Kudyba..
Kritisch wird auch die religiöse Publizistik bewertet, die ein jüngeres Publikum erreichen will und auf die Umgangssprache zurückgreift. Es ist von einer Art Poptheologie die Rede. Gute Beispiele hierfür sind in Polen der populäre Autor Szymon Hołowniaviivii Schon die Titel seiner Bücher sollen den Leser provozieren, vgl. Tabletki z krzyżykiem [Pillen mit dem Kreuzzeichen], 2007, wo es um die Linderung seelischen Schmerzes geht und auf ein früher populäres Mittel gegen Kopfschmerzen angespielt wird, oder: Bóg. Życie i twórczość [Gott. Leben und Werk], 2010, beide im katholischen Znak-Verlag in Krakau erschienen. und in Deutschland die Fernsehsendung „Das Wort zum Sonntag“. In Tschechien bemüht sich die Tschechoslowakische Hussitische Kirche um eine Demythologisierung der Liturgiesprache (siehe Kuße 2011: 70 ff.). In der erneuerten Version vom Glaubensbekenntnis erlöst Christus die Menschheit nicht durch seinen Tod und seine Auferstehung, sondern allein durch sein Leben. Anstelle der Ewigkeit treten allgemeine Werte wie das Gute, die Wahrheit und die Schönheit:
„Věříme v Ježíše Krista, Syna Božího, Světlo ze Světla, Život ze Života, jenž od Otce přišel, životem svým zlo světa i smrti přemohl, aby nám získal králoství Boží věčné. (...) Věříme v život věčný, Dobra, Pravdy a Krásy, tak jako sme přesvědčeni o smrti zla i zlých.“ (Velké vyznání víry – zitiert nach Kuße 2011: 71)
Eine Demythologisierung der Liturgie führt zur Ersetzung der singenden Engel durch Sterne und Lerchen, vgl. in der Praefatio:
„Tebe slaví v tiché noci zástup hvězd zářivých i jásot skřivánčí nad nivou rozkvetlou. K nim druží se i oddaných Ti dítek prostý sbor.“ (Bohoslužebná kniha 1952: XLf. – zitiert nach Kuße 2011: 71)
2.4.2 Profanisierung – Übertragung religiöser Sprache auf weltliche Domänen
Unser Ziel ist es, vor allem die nicht-religiösen Diskurse in Hinblick auf die Verwendung religiöser Wörter, Metaphern, Bilder und Sprechmodi zu untersuchen. Dennoch ist die Grenze zwischen dem Sakralen und dem Profanem in der Sprache diffus, und zwar in vielerlei Hinsicht. Es seien hier zwei der wichtigsten Gründe genannt. Erstens: viele Wörter, die heute als primär religiös gelten, sind diachron gesehen älter als die christliche Religion, vgl. dt. Gnade in der ursprünglichen vorchristlichen Bedeutung ‘Ruhe, Behagen, Freude, helfende Geneigtheit...’, heute ein wichtiges theologisches Konzept (siehe Kucharska-Dreiß 2011: 286). In den slawischen Sprachen haben wir es mit vielen Neusemantismen zu tun, deren Ausgangsbasis frühere „heidnische“ Wurzeln gewesen sind, wie z. B. Bóg/ boh/ bůh ‘Gott’, niebo/ nebo/ nebe ‘Himmel’, piekło/ peklo/ peklo ‘Hölle’. Aus diachroner Sicht können also als primär religiös lediglich materielle Entlehnungen aus Sakralsprachen im Slawischen gelten, die allerdings meistens über das deutsche Medium in Folge der fränkisch-bayerischen Missionierung in westslawische Dialekte kamen (vgl. Hammel 2012: 245 ff.)
Der zweite Grund, warum die Identifizierung der religiösen Lexik problematisch sein mag, ist pragmalinguistischer Natur und bezieht sich auf die Notwendigkeit, die gemeinte Absicht des Sprechers (die sog. illokutionäre Kraft der Äußerung) in der Analyse zu berücksichtigen. Religiösen Aussagen wird ein gemischter assertorisch-bekenntnishafter Charakter zugeschrieben. Anders gesagt sind sie creedal statements (Mananzan 1974), d. h. sie sind erst im Rahmen von Credo sinnvoll. John Austin (1975) zählte das Verb glauben (genauer gesagt sein englisches Äquivalent) zu den expositiven Sprechakten, welche der Darstellung eigener Absichten dienen und metasprachlichen Äußerungen ähneln. Diese sind aber manchmal schwer zu erkennen. Auch Nichtgläubige verwenden religiöse Wörter – sei es als Zitat, als stilistische Figur oder als Metapher, vgl.:
„Das Thema der Entschuldung, das einige Leute in der SPD wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, ist ganz offensichtlich kein Thema, das viele Menschen berührt.“ („Spiegel“ 21/2012, S. 32)
„Einige Redner warfen Lemke vor, sie verlange ein rot-grünes „Glaubensbekenntnis“ und liefere die Partei den Sozialdemokraten aus.“ (ebenda, S. 34)
Solche Ausdrücke, die häufig eine intertextuelle Funktion haben, wie Anspielungen an die in der kollektiven Erinnerung gespeicherten Texte, Parodie einer Gattung, Modifizierung eines geflügelten Wortes etc., werden als Anzeichen der humanistischen Allgemeinbildung bewertet. Sie können distanziert, ironisch, bisweilen sogar blasphemisch klingen. Nicht selten verwenden auch gläubige Menschen religiöse Wörter mit profanem Bezug – z. B. wurden in Warschau die Befürworter des umstrittenen Kreuzes vor dem Präsidentenpalast (eine Form der Würdigung der Opfer der Flugzeugkatastrophe von 2010 bei Smolensk) als krzyżowcy ‘Kreuzfahrer’ bezeichnetviiiviii Nicht alle Christen hielten die Errichtung des Kreuzes vor dem Präsidentenpalast für angebracht.. Diese okkasionelle Metapher hat ein altes Wort wiederbeleben lassen – ob seine neue Bedeutung sich in der Sprache etabliert, ist fraglich. Polemisch motiviert hat die Bezeichnung moherowe berety als eine Figur pars pro toto in den polnischen Massenmedien Karriere gemacht. Sie durchlief eine Verwandlung von der Bedeutung ‘Kopfbedeckung: eine Frauenmütze aus Mohair’ zu ‘Anhängerin von Radio Maryja’ – zunächst als verachtendes Epitheton, dann als stolze Selbstidentifizierung (vgl. Kiraga 2012).
3 Dialektik der sprachlichen Säkularisierung
Die Säkularisierung kann auch als Sakralisierung eines profanen Kontextes wahrgenommen werden, etwa wenn die religiöse Lexik hochtrabend weltliche Referenten bezeichnet. Brisante Beispiele lieferte die Propagandasprache totalitärer Regime, wie die LTI Nazideutschlands („Lingua Tertii Imperii“). Zu ihrem Vokabular gehörten solche metaphysisch anmutende Lemmata wie auferstehen, Blutopfer, Blutsünde, deutschgläubig, ewig, Glaube, gottgesandter Führer, heilig, Heil Hitler, Opfer, (Drittes) Reich usw. (zu diesem Thema gibt es reichlich Literatur – vgl. die Bibliographien bei Dube 2004 und Makowski 2008). Was feierlich und pathetisch wirken soll, kann sich bei Missbrauch in das Gegenteil verwandeln – vgl. quasi-religiöse Bezeichnungen wie Gott (Götter in Weiß), Guru, Messias, wenn darunter Menschen in ihren profanen Rollen gemeint sind. Interessant ist, dass solches Vokabular spöttisch von konservativen, kirchennahen Kreisen gerne in Bezug auf ihre ideologischen Gegner benutzt wird, vgl. die Charakteristik Obamas in der polnischen Publizistik als czarny Mesjasz lewicy ‘schwarzer Messias der Linken’ (auch woanders funktionierte die Metapher – vgl. Der Spiegel 7/11.02.08). Auch der antiklerikale Politiker Janusz Palikot wurde mesjasz lewicy genannt (und sogar lästerlich auf dem Newsweek-Cover, polnische Ausgabe Nr. 38/2011, als Gekreuzigter dargestellt – vgl. Nagórko 2012: 211).
Über die Säkularisierung wird selten wertneutral geschrieben. Manche halten den Prozess für einen notwendigen Tribut der Modernisierung der Gesellschaft – andere widersprechen solchem Gleichsetzen der modernen Welt mit religiöser Indifferenz bzw. Privatisierung der Religion (vgl. Willems 2012: 91 ff.). Sogar katholische Medien sind polarisiert. Ausgewählte Belege aus „Tygodnik Powszechny“ und „Nasz Dziennik“ (zitiert nach Falkowska 2012) mögen den Unterschied zwischen einem „Katholizismus des Dialogs“ und einem „Katholizismus der belagerten Festung“ in Polen veranschaulichen:
„Tygodnik Powszechny“: Sekularyzację trzeba uznać jako pozytywne zjawisko historycznokulturowe polegające na oddzieleniu rzeczywistości religijnej od polityki, Kościoła od państwa. Natomiast sekularyzm oznacza często bardzo agresywną antyreligijną ideologię, którą trzeba ocenić zdecydowanie negatywnie. (TP 05.01.10); [...] rozdzielenie porządku religijnego i świeckiego, których napięcie prowadzi do próby dominacji jednego nad drugim (TP 30.11.10)
„Nasz Dziennik“: sekularyzm, konsumpcjonizm (ND 26/11); …dekadencja i sekularyzacja (ND 271/10); …relatywizm, hedonizm, sekularyzm i anarchia moralna (ND 103/11); …sekularyzm, erotyzm, konsumeryzm i ateizm (ND 103/11); …sekularyzm i chrystofobia (ND 101/11); …sekularyzacja, relatywizm moralny, liberalizm (ND 172/11); …lata sekularyzacji, komunizmu (ND 161/11); …sekularyzacja i relatywizacja (ND 217/10); …sekularyzm, libertyński ateizm, postmodernizm, neomarksizm i tym podobne ideologie (ND 33/10)
Im Krakauer „Tygodnik Powszechny“ wird die Säkularisierung, d. h. die Trennung von Religion und Politik, als eine Chance für die Kirche bewertet und dem aggressiven Säkularismus gegenüberstellt. In der Tageszeitung „Nasz Dziennik“ wird der Säkularismus (wie auch die Säkularisierung) in eine Reihe mit ebenfalls negativ konnotierten, moralisch bedenklichen Erscheinungen gestellt, wie Konsumrausch, Hedonismus, sexuelle Zügellosigkeit, ethischer Relativismus, Liberalismus usw. In unserem Projekt wird die sprachliche Manifestation der Säkularisierung ohne irgendeine Bewertung – weder negativ noch positiv – als ein objektiver Prozess aufgefasst.
4 Säkularisierung in Sprachsystem und Text
Es gibt Wörter, die eine feste, im Wörterbuch fixierte Polysemie des Typs ‘sakral’ : ‘profan’ aufweisen, wie z. B. Himmel ‘Firmament’ und Himmel ‘imaginärer Sitz des Gottes, Paradies, Jenseits’. Diese Art Doppeldeutigkeit, die sowohl für das Deutsche wie auch für die slawischen Sprachen charakteristisch ist, deutet auf den uralten Prototheismus hin – auf den Kult des materiellen Himmels. Hier kann nicht von der Säkularisierung die Rede sein. Die sakrale Bedeutung ist eine Art Metapher, die die Raumorientierung und -bewertung mit der Überzegung oben ist gut widerspiegelt. „Zu fragen, ob die religiöse Vorstellung primär war und dann universal wurde oder ob die Religion einem universalen, im Menschen angelegten Schema folgte, ist wahrscheinlich eine Frage nach Henne und Ei...“ (so Kuße 2012: 131).
Es gibt aber auch Wörter, bei denen die metaphorische Übetragung ohne Zweifel von der religiösen Domäne in die profane Welt führt, vgl. Bibel als ‘christliche Heilige Schrift’ und Bibel ‘ein bedeutsames Buch’, Dekalog ‘die Zehn Gebote, die Mose von Gott bekam’ und Dekalog/ Zehn Gebote ‘Grundregeln in einem Bereich, die man befolgen muss’, Papst ‘das Oberhaupt der katholischen Kirche’ und Papst ‘jmd., der allein eine Autorität auf einem Gebiet beansprucht’, z. B. Modepapst, Predigt ‘Rede des Priesters im Gottesdienst über einen Bibeltext’ und Predigt ‘Ermahnung, Tadel’. Bei solchem semantischen Umkehren können die Äußerungen eine pathetische oder – noch häufiger – eine ironische bzw. parodistische Lesart haben. Die Umdeutung fand bereits Eingang als feste Polysemie in vorhandene Lexika und zwar nicht nur des Deutschen, sondern auch des Polnischen, des Slowakischen und des Tschechischenixix Zum metaphorischen Gebrauch der tschechischen Lemmata, die Textgattungen bezeichnen, wie Bible, brevíř, desatero, kázání etc., siehe Kopecký 2012.. Es handelt sich somit um den sprachenübergreifenden semantischen Wandel, um eine Art Europäismen.
Religiöse Konzepte unterliegen im Sprachgebrauch Veränderungen, religiöse Inhalte werden in den Hintergrund verschoben und verblassen. So z. B. wird Fasten heute seltener als ‘Verzicht auf Speisen aus religiösen Gründen’ und als ‘Zeitraum im liturgischen Kirchenjahr, in dem dieser Verzicht praktiziert wird’ verstanden. Zu dem modernen Lifestyle passt aber Fasten als ‘Mittel zum neuen Erleben des eigenen Körpers oder als Weg zur Ruhe und Entspannung’. Die slawischen Entsprechungen poln. post, slow. pôst, tschech. půst weisen darüber hinaus eine allgemein deprivative Bedeutung auf: ‘Mangel an etwas, Fehlen von etwas, was unangenehm oder peinlich ist’, vgl. post od seksu, kulturný pôst, oscarový půst etc. Diese Profile haben nichts mehr mit der religiös motivierten Askese zu tun (siehe den Stichwortartikel fasten im Lexikon „Sacrum und Profanum...“). Der Aschermittwoch, der die Fastenzeit in der Kirche ankündigt, wurde in Deutschland in eine politische Metapher politischer Aschermittwoch umgewandelt, die den verbalen Schlagaustausch der politischen Gegner vor dem belustigten Publikum bezeichnet (die Parteiklausuren gehen auf die Tradition der Bauernjahrmärkte in Bayern zurück – siehe Nagórko 2011: 449).
Auch das für das Verhältnis des Menschen zu Gott wichtige Sünde-Konzept durchläuft eine Verschiebung semantischer Hierarchien, wie die Korpusanalysen bestätigen. Religiös gesehen ist eine Sünde eine ‘Übertretung eines göttlichen Gebots’. Schon als etwas veraltet verzeichnet die moderne Lexikographie die Bedeutung von Sünde als ‘moralische Verfehlung’. Korpusbelege aus dem Deutschen und Tschechischen (siehe Mikulová 2012) zeigen dabei, wie sich die Bedutung des Substantivs allmählich auf ‘Verletzung des 6. Gebots’xx 6. Gebot: Du sollst nicht ehebrechen (nicht Unkeuschheit treiben). verengt hat. Aber auch die Sexualmoral der Gesellschaft ändert sich: Man spricht nicht mehr von einem unehelichen Kind als Kind der Sünde; die Homosexualität wird nicht von allen Gläubigen als Sünde gebrandmarkt. Gleichzeitig machen sich neue säkulare Gebote breit, wie das „Schlankheitsgebot“. Eine kulinarische Sünde ist ein kalorienreiches Essen. Die Schokoladen-Werbung spielt z. B. mit dem Begriff Versuchung auf religiöse Vorstellungen an, weil diese mit Verlockung zum Bösen, zur Sünde einhergeht. Inzwischen hat sich aber die Bewertungskomponente von „schlecht, moralisch verwerflich’ zu ‘gut, angenehm’ auf der Bewertungsskala verschoben. („Und das schönste an der Versuchung ist, ihr nachzugehen.”) Der Sündenkatalog eines heutigen Sünders hat sich deutlich geändert. Wenn man nach der Häufigkeit der Zusammensetzungen mit dem Zweitglied -sünder beurteilen kann, sind es meistens Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (Geschwindigkeitssünder, Lichtsünder, Mautsünder, Parksünder, Promillesünder, Rotsünder), Umweltschutz (Abfallsünder, Biomüllsünder, CO2-Sünder, Kehrrichtsünder, Klimasünder) sowie Missbrauch von Genussmitteln (Alkohol-/Alkosünder, Cannabissünder, Dopingsünder, Drogensünder, EPO-Sünder, Kokainsünder, Nikotinsünder) (siehe Kiraga, im Druck).
Der beobachtete semantische Wandel, in den nicht nur Sünde, sondern auch benachbarte Begriffe involviert sind, bestätigt die Grundannahmen der sog. Frame-Semantik. Der englische Fachausdruck „Frame“ („Rahmen“) bezeichnet das für die Kommunikation relevante Hintergrundwissen, das von einem Wort aktiviert wird, indem es benutzt wird. Das Weltwissen und das Sprachwissen bedingen sich gegenseitig.
Im Sprachusus zu findende Innovationen werden lexikographisch erfasst, insofern sie eine kritische Masse erreichen, d. h. sich nicht nur als individuelle Einfälle sprachlicher Kreativität erweisen. Sie müssen die soziale Dimension als Verständigungsmittel wenigstens innerhalb eines Milieus oder durch die Gesellschaft hindurch erreichen. Sonst spricht man von okkasionellen sprachlichen Phänomenen. Es gehören dazu nicht selten Wortspiele und begriffliche Erfindungen unter Schriftstellern und Denkern wie die folgenden Zusammensetzungen im Polnischen: wniebowstąpienie/ Himmelfahrt Christi (nach christlichem Glauben) und wniebowzięcie/ Mariä Himmelfahrt (katholisch) wurden in der künstlerischen Prosa als ‘Begeisterung’ (Gretkowska) und wörtlich als Richtungsangabe ‘nach oben, hoch, empor, gen Himmel’ (Stasiuk) benutzt. Wörterbücher registrieren lediglich das Adjektiv wniebowzięty von wniebowzięcie als säkulare Metapher ‘begeistert’. Es gibt auch keine Notwendigkeit, in den Substantiven eine Mehrdeutigkeit zu sehen – der Kontext legt die Lesart nahe, vgl.:
„16 XI. Schodzenie rano do kuchni i wniebowstąpienie kolorystyczne. Mieli rację w średniowieczu – diabeł jest czarny, piękno czerwone. Kolory są widzialnym zapachem rzeczy.“ (M. Gretkowska: Europejka, 2004)
„Podobny do diabła maszynista patrzył na to wniebowzięcie ze swojego okienka i czasem, jeśli miał dobry humor i zamknięty semafor, wypuszczał dodatkowe obłoki.“ (A. Stasiuk: Biały Kruk, 1995)
Kontextgebundene Bedeutung ist im Deutschen anhand der Determinativkomposita zu beobachten, in denen das Zweitglied nur in Verbindung mit dem Bestimmungsglied eine spezifische Lesart bekommt, vgl. -himmel als ‘Ort, an den die Seelen toter Tiere gelangen’. Dieses quasi-religiöses Profil kommt in Verbindung mit Tiernamen zusammen, vgl. Hundehimmel, Kaninchenhimmel, Katzenhimmel. Dasselbe Zweitglied -himmel wird als ‘Ort der angesehenen und erfolgreichen Eliten eines bestimmten Bereichs’ begriffen, wenn das Bestimmungswort den Bereich explizit nennt, vgl. Filmhimmel, Fußballhimmel, Literaturhimmel, Rockhimmel (siehe den Stichwortartikel himmel im Lexikon „Sacrum und Profanum...“) Unter dem Wort Himmel, wie auch seinen slawischen Äquivalenten, verbergen sich noch altertümliche, vorchristliche Vorstellungen, die zwischen Olymp und Paradies variieren. Theologische Kategorien und ihr Ausdruck in der Alltagssprache gehen auseinander, so dass zur schleichender Profanisierung der Inhalte hinzukommt – vgl. das Zitat:
„denn die Metapher H[immel] ist zwar auch außerhalb des religiösen Kontextes weit verbreitet (Buchtitel, Lieder, Schlager, Redewendungen, Werbung), doch sind die Konnotationen so vielschichtig – z.T. sogar widersprüchlich –, daß die Verkündigung kaum daran anknüpfen kann – zumal vielfach theologisch inadäquate Assoziationen die Vorstellung v. H. prägen. In Schulbüchern u. Predigten wird desh. kaum direkt v. H. gesprochen. Statt dessen werden zunehmend die entspr. bibl. Bilder (Gastmahl, Stadt, Wohnungen usw.) aufgegriffen.“ (LTHK3, Bd. 5, 1996: 120)
Bei der Untersuchung der sprachlichen Säkularisierung werden vorhandene Erläuterungs- und Spezialwörterbücher zu Rate gezogen. Wichtig ist aber auch die Beobachtung des aktuellen Sprachusus, was dank modernen elektronischen Sprachkorpora möglich ist, um den sprachlichen Wandel in statu nascendi aufdecken zu können.
I Literaturauswahl
- Davie, Grace 1999: „Europe: The Exception That Proves the Role?“, in: P. L. Berger (Hg.), The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, Grand Rapids (MI), 65–83.
- Dube, Christian 2004: Religiöse Sprache in Reden Adolf Hitlers. Analysiert an Hand ausgewählter Reden aus den Jahren 1933–1945), Kiel.
- Engelbrecht, Jasmin 2009: [Rezension zu:] Taylor, Charles: A secular age, Cambridge, Mass. [u. a.] 2007, in: Kritikon, 06.12.2009. Abgerufen am 12.01.2013. http://www.kritikon.de/issue/200912/53.
- Falkowska, Marta 2012: „Obraz procesu sekularyzacji w tekstach „Naszego Dziennika” i „Tygodnika Powszechnego“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 405–423.
- Greule, Albrecht 2012: Zwischen Arcanum, Sacrum und Profanum. Hypothesen zur deutschen „Sakralsprache“ am Beispiel der katholischen Kirche“ in A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Olms, Hildesheim – Zürich – New York, 13–24.
- Grzegorczykowa, Renata 2012: „O różnych rozumieniach pojęcia sekularyzacji (desakralizacji) i sakralizacji w języku“, in: H. Burkhardt, R. Hammel, M. Łaziński (Hg.) Sprache im Kulturkontext, Frankfurt am Main, 325–333.
- Habermas, Jürgen 2003: Zeitdiagnosen. Zwölf Essays 1980 – 2001, Frankfurt am Main.
- Hille, Barbara 1995: „Lebensperspektiven von Jugendlichen und der Stellenwert von Kirche und Religion“, in: Säkularisierung in Ost und West. Referate des 3. Berliner Staat-Kirche-Kolloquiums vom 18. bis 19. Januar 1995, Berlin, 25–32.
- Kaempfert, Manfred 1971: „Skizze einer Theorie des religiösen Wortschatzes“, in: Muttersprache 1, 15–22.
- Kiraga, Sebastian 2012: „Die ungewöhnliche Karriere der moherowe berety: von der Kopfbedeckung zur Hörerschaft von Radio Maryja“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 261–277.
- Kiraga, Sebastian: „Von gelben Engeln, Streusündern und dem Waschen seiner Hände in Unschuld – Einblick in ein Forschungsprojekt zur säkularisierten Lexik“ (im Druck).
- Kopecký, Jakub 2012: „Metaphorische Verwendung von Bezeichnungen religiöser Texte“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 113–128.
- Kuße, Holger 2011: „Was ist ein religiöser Diskurs und wie kann er aussehen unter den Bedingungen der Säkularisierung“, in: A. Nagórko (Hg.) Sprachliche Säkularisierung (Westslawisch – Deutsch), Hildesheim – Zürich – New York, 57–88.
- Kuße, Holger 2012: „Im säkularen Saeculum. Sakral-metaphorische Antworten von Karel Farský und Paul Tillich bis Benedikt XVI.“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 129–165.
- Makowski, Jacek 2008: Manipulierte Sprache: Religiöser, Kultischer und Mystischer Wortschatz in der Sprache des Nationalsozialismus, Łódź.
- Mananzan, Mary John 1974: The ‚Language Game‘ of Confessing One’s Belief. A Wittgensteinian-Austinian Approach to the Linguistic Analysis of Creedal Statements, Tübingen.
- Mikulová, Anna 2012: „Sünde – die Bedeutung des Wortes und ihre Veränderungen“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 435–448.
- Nagórko, Alicja 2011: „Feste und was davon übrig geblieben ist“, in: A. Nagórko (Hg.) Sprachliche Säkularisierung (Westslawisch – Deutsch), Hildesheim – Zürich – New York, 435–457.
- Nagórko, Alicja 2012: „Der religiöse Wortschatz und kognitive Metaphern“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 197–212.
- Prokupek, Ladislav 1995: „Säkularisierungsprozesse in der ČSSR“ in: Säkularisierung in Ost und West. Referate des 3. Berliner Staat-Kirche-Kolloquiums vom 18. bis 19. Januar 1995, Berlin, 89–102.
- Taylor, Charles 2007: A Secular Age, Cambridge, Mass. [u. a.] [dt. Ausgabe Ein säkulares Zeitalter, 2009, Frankfurt am Main].
- Vatimo, Gianni 1997: Glauben – Philosophieren, Stuttgart.
- Willems, Joachim 2012: „Säkularisierung und der Gestaltwandel des Religiösen“, in: A. Nagórko (Hg.) Wortsemantik zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse, Hildesheim – Zürich – New York, 89–110.
II Anmerkungen
i | Im Polnischen gibt es zwei Ableitungen von świat/ Welt: światowy und świecki, welche die in Frage kommende Bedeutungen (1. ‘Welt-, weltweit, weltgewandt, mondän’, vs. 2. ‘laizistisch, säkular’) differenzieren. Im Deutschen entscheidet der Kontext über die Lesart, vgl. Welthandel, Weltmann vs. Weltgeistlicher, weltliche Gewalt. |
ii | Nicht alle Diskursteilnehmer teilen die Meinung, dass Säkularisierung etwas Modernes sei. Auch schon in vormoderner Zeit gab es eine funktionale Differenzierung zwischen der Zuständigkeit von Kirche/ Religion und anderen gesellschaftlichen Bereiche. Darüber hinaus zeigt das Beispiel der USA, dass eine hochmoderne Weltmacht gleichzeitig auch hochreligiös sein kann (siehe Willems 2012: 90–97). Man könnte als weiteres Beispiel auch Russland nennen, ein nach dem Fall des Kommunismus sich modernisierendes Land, in dem Religion und Orthodoxe Kirche nach den Jahrzehnten des Amtsatheismus einen großen Stellenwert genießen. |
iii | Auch in der sog. religiösen Kunst haben wir dennoch jeweils mit Säkularisierung vom Heiligen zu tun, wenn theologische Ideen für die Sinne zugänglich dargestellt werden müssen und die Künstler Konventionen ihrer Epoche folgen bzw. diese überschreiten wollen. Um der Gefahr der Idolatrie vorzubeugen, verbieten manche Religionen die Darstellung Gottes in der Malerei und Bildhauerei. Dadurch können auch blasphemische Handlungen verhindert werden – unter diesem Verdacht werden nicht selten zeitgenossische Künstler verklagt oder sogar angegriffen (zu solchen Angriffen kommt es heutzutage jedoch nicht von Seite der Christen, sondern der islamischen Fundamentalisten). |
iv | Siehe: www.GAW-Projekte. |
v | Etwas Anderes waren die ersten Versuche, die Sakralsprachen Hebräisch, Griechisch und Latein in damals profane Volkssprachen, wie Deutsch, Polnisch oder Tschechisch zu übertragen. Auf der Startseite des Online-Wörterbuchs „Sacrum und Profanum. Religiöse Lexik in der Allgemeinsprache“ wird parallel ein Zitat aus dem Genesis-Buch in der deutschen Luther-Bibel, der polnischen Jakub Wujeks-Bibel und der tschechischen Kralitzer Bibel angegeben. Diese epochalen Bibelübersetzungen stammen aus dem 16. Jahrhundert und werden noch heute benutzt. Dies ist der gemeinsame historische Kontext unserer Forschung. |
vi | Solche sozio- und theolinguistischen Experimente wurden auf der Berliner Tagung „Wortsemantik im Spannungsfeld zwischen Säkularisierung und (Re)Sakralisierung öffentlicher Diskurse“ (4.–7.10.2011) mehrmals thematisiert, siehe den Konferenzband, hrsg. von Nagórko 2012, dort vor allem die Beiträge von Lisowski/Wiatrowski, Rak und Kudyba. |
vii | Schon die Titel seiner Bücher sollen den Leser provozieren, vgl. Tabletki z krzyżykiem [Pillen mit dem Kreuzzeichen], 2007, wo es um die Linderung seelischen Schmerzes geht und auf ein früher populäres Mittel gegen Kopfschmerzen angespielt wird, oder: Bóg. Życie i twórczość [Gott. Leben und Werk], 2010, beide im katholischen Znak-Verlag in Krakau erschienen. |
viii | Nicht alle Christen hielten die Errichtung des Kreuzes vor dem Präsidentenpalast für angebracht. |
ix | Zum metaphorischen Gebrauch der tschechischen Lemmata, die Textgattungen bezeichnen, wie Bible, brevíř, desatero, kázání etc., siehe Kopecký 2012. |
x | 6. Gebot: Du sollst nicht ehebrechen (nicht Unkeuschheit treiben). |