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sacrum und profanum
religiöse lexik in der allgemeinsprache (deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch)

Was ist religiöse Sprache?

1.Religion und Glaube
2.Heilige vs. profane Sprache(n)
3.Religiöse Diskurse
4.Religiöse Lexik
I.Literaturauswahl
II.Anmerkungen

1. Religion und Glaube

Das At­tri­but re­li­gi­ös geht auf Re­li­gi­on zu­rück, die die Be­zugs­grö­ße für nach­fol­gen­de Er­ör­te­run­gen dar­stellt. Ei­ne al­le zu­frie­den­stel­len­de De­fi­ni­ti­on von ‘Re­li­gi­on’ gibt es nicht. In der For­schung wur­de von der Ur­in­tu­i­ti­on Got­tes aus­ge­gan­gen, die dem Men­schen ei­gen ist (Fried­rich Max Mül­ler 1879: 477). Man­che Nach­schla­ge­wer­ke set­zen das Phä­no­men Re­li­gi­on mit Ideo­lo­gie und Welt­an­schau­ung in Ver­bin­dung. Ide­en, in ers­ter Li­nie po­li­ti­sche ideo­lo­gi­sche Sys­te­me, sind es auch, wo­ran Men­schen glau­ben und wo­durch sie sich im ge­sell­schaft­li­chen Le­ben lei­ten las­sen, aber ihr Gel­tungs­be­reich ist viel en­ger (auch wenn sie An­spruch auf To­ta­li­tät er­he­ben und qua­si-re­li­gi­ö­se Spra­che bzw. Ri­tu­a­le an­wen­den, wie der Kom­mu­nis­mus und der Na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­mus des 20. Jh.ii  Vgl. Ryklin, Michail 2008: Kom­mu­nis­mus als Re­li­gi­on; Kämper, Heidrun 2009: „Qua­si-re­li­gi­ö­se Spra­che am Bei­spiel des Na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­mus“, in: U. Gerber/ R. Hoberg, Hg., Spra­che und Re­li­gi­on, Darm­stadt, 339–357.). Das deut­sche Wort Welt­an­schau­ung kann da­ge­gen als Ober­be­griff so­wohl für ei­ne re­li­gi­ös ge­präg­te als auch für ei­ne nicht-re­li­gi­ö­se Sicht auf die Welt und den Men­schen in ihr ver­stan­den wer­den. Die Nütz­lich­keit ei­nes sol­chen Ter­mi­nus er­weist sich schon da­durch, dass er in an­de­re Spra­chen als Lehn­prä­gung ein­ge­drun­gen ist, vgl. engl. world­view, poln. świato­po­gląd, tschech. svě­to­ná­zor, slo­wak. sve­to­ná­zor. Nach 1945 wur­de in den Ost­block­staa­ten die „wis­sen­schaft­li­che Welt­an­schau­ung“ als Ge­gen­stück zum ir­ra­ti­o­na­len, an­geb­lich rück­stän­di­gen christ­li­chen Glau­ben for­ciert, die Be­zeich­nung be­kam so­mit ei­nen ideo­lo­gi­schen Bei­ge­schmack.

Der Be­griff ‘Re­li­gi­on’ kann weit oder eng ver­stan­den wer­den. Im wei­ten Sin­ne ist hier der Be­zug zur Trans­zen­denz ge­meint: die Über­zeu­gung von der Exis­tenz über­na­tür­li­cher Kräf­te (Sac­rum), die Ein­fluss auf das mensch­li­che Da­sein in der Welt (Pro­fa­num) ha­ben und vom Men­schen be­stimm­te Hand­lun­gen ver­lan­gen (Kult). Bei die­sem Ver­ständ­nis wird der Un­ter­schied zwi­schen dem Mo­no- und Po­ly­the­is­mus so­wie dem Pro­to­the­is­mus (Kult des ma­te­ri­el­len Him­mels, der sich in Gott­heits­kult um­wan­del­te) auf­ge­ho­ben. Die Völ­ker, die die Na­tur­kräf­te ver­ehr­ten, wer­den nicht mehr ab­wer­tend Hei­den (lat. pa­ga­nus, poln. po­ga­nin, tschech. po­han) ge­nanntiiii  Zum se­man­ti­schen Um­fang des Wor­tes po­ga­nin im mit­tel­al­ter­li­chen Po­len sie­he Karpluk (1997: 109–110).. Die­se Be­zeich­nung, die vor al­lem in der Mis­si­ons­li­te­ra­tur ge­braucht wur­de, um­fass­te al­le, die au­ßer­halb der christ­li­chen Kir­che leb­ten, auch die Sla­wen und die Bal­ten vor der Chris­ti­a­ni­sie­rung. Die Re­li­gi­ons­wis­sen­schaft da­ge­gen be­dient sich des Ter­mi­nus Re­li­gi­on auch in Be­zug auf den Volks­glau­ben der heid­ni­schen Sla­wen (vgl. die Un­ter­su­chun­gen von K. Moszyński 1925, L. Moszyński 1992). An­de­rer­seits spre­chen man­che Kir­chen­ver­tre­ter und en­ga­gier­te Pub­li­zis­ten vom Neo-Hei­den­tum – es sind da­mit wei­te Krei­se der west­li­chen Ge­sell­schaft im „post­sä­ku­la­ren“ Eu­ro­pa ge­meint. Zur Neu­evan­ge­li­sie­rung im mo­der­nen Eu­ro­pa hat Papst Jo­han­nes Paul II. im Jah­re 1985 auf­ge­ru­fen.

Von den re­li­gi­ö­sen Prak­ti­ken un­ter­schei­det sich die Ma­gie, ei­ne ur­sprüng­li­che Glau­bens­form (als ein Be­stand­teil der sog. Po­ly­do­xie er­fasst, vgl. Łow­miań­ski 1979: 9), da­durch, dass bei Letz­te­rer der Mensch denkt, selbst die Kon­trol­le über die schick­sals­be­stim­men­de Macht zu ha­ben und nicht von ihr ab­hän­gig zu sein. Die For­men der Ma­gie, die heut­zu­ta­ge in der Folk­lo­re und in der Um­gangs­spra­che noch spür­bar sind (ma­gi­sche Be­schwö­rungs­for­meln, die ei­nen Zau­ber ban­nen, das Pan­op­ti­kum der Dä­mo­nen, Vam­pi­re, Geis­ter etc.iiiiii  Vgl. Slupski, A. 1971: „Sla­visch ‘Zau­be­rer’, ‘He­xe’ und Ver­wand­tes“, in: Zeit­schrift für Sla­vi­sche Phi­lo­lo­gie, 35, 1971, 302–320. In dem Zu­sam­men­hang sind ge­nau­so Exor­zis­men in der Kir­che um­strit­ten, vgl.: „Wir ste­hen im Feld der Ma­gie, und nicht in je­nem der Re­li­gi­o­si­tät, die nie die Macht­lo­sig­keit des Ge­schöpfs und die al­lei­ni­ge Macht­fül­le des Schöp­fers ver­ges­sen kann.“ (Ammon et al. 1987: 84).), wer­den als Aber­glau­be ein­ge­stuft und ge­hö­ren nicht zum re­li­gi­ö­sen Le­ben. Ei­ne hier be­vor­zug­te neu­tra­le Be­nen­nung wä­re quasi-re­li­gi­ös bzw. para-re­li­gi­ös. Die mo­der­ne Mas­sen­kul­tur baut auf sol­che ok­kul­tis­ti­schen und pro­phe­ti­schen Sehn­süch­te, die durch Fan­ta­sy-Fil­me, Co­mics, Bü­cher, aber auch ei­ne Flut von Wahr­sa­ge­rei­en, Ho­ro­sko­pen, Eso­te­rik, Heil­prak­ti­ken etc. ge­sät­tigt wer­den. Sol­che Phä­no­me­ne prä­gen auch die Wort­se­man­tik (vgl. z. B. die Lem­ma­ta → Antichrist, → Himmel, → Teufel).

Im en­ge­ren Sin­ne wird die Re­li­gi­on auf ein the­is­ti­sches Trans­zen­denz­kon­zept von Sanc­tum be­schränkt (per­sön­li­cher Gott als höchs­tes We­sen, Je­mand und nicht et­was wie z. B. ei­ne Kraft, Ener­gie). Die Trans­zen­denz Got­tes ist aber zu­gleich sei­ne Im­ma­nenz in der Welt, weil die Gött­lich­keit sich in je­dem Ob­jekt der Na­tur of­fen­ba­ren kann (sog. Hie­ro­pha­nie bei M. Eliade). Die Gren­ze zwi­schen Sac­rum und Pro­fa­num, wie auch zwi­schen Sa­kra­li­sie­rung und Pro­fa­ni­sie­rung (Sä­ku­la­ri­sie­rung), ist al­so nicht un­über­wind­bar. In der be­rühm­ten Re­li­gi­ons­phä­no­me­no­lo­gie von Ru­dolf Ot­to (1917) wur­de die mensch­liche Be­geg­nung mit hei­li­gen Mäch­ten von ih­rer sub­jek­ti­ven Sei­te her de­fi­niert und zwar pa­ral­lel als mys­te­rium fas­ci­nans und mys­te­rium tre­men­dum. Die Gott­heit – ei­ne apri­o­ri­sche und un­er­kenn­ba­re Ka­te­go­rie – ist nun als Er­leb­nis dem Men­schen ge­ge­ben und als sein ant­wor­ten­des Han­deln da­rauf: das Ge­heim­nis fas­zi­niert, aber es er­weckt auch die Got­tes­furcht. Dies führt zum sen­sus nu­mi­nis, zum Nu­mi­no­sum, dem Ge­fühl des Ver­trau­ens und des Schau­ers zu­gleich an­ge­sichts des Gött­li­chen. Auch wenn die­ser psy­cho­lo­gi­sche Re­duk­ti­o­nis­mus Ot­tos von den Theo­lo­gen kri­ti­siert wur­de, macht er auf die sub­jek­ti­ve Sei­te der Re­li­gi­on auf­merk­sam, die man als Glau­be be­zeich­net. Re­li­gi­ö­se Men­schen be­ken­nen sich zur christ­li­chen Re­li­gi­on als Gläu­bi­ge, poln. wierzą­cy, slowak. ve­ria­ci, tschech. vě­ří­cí. (In den re­li­gi­ös ho­mo­ge­nen Ge­sell­schaf­ten, wie in Po­len, wer­den Gläu­bi­ge mit ‘Ka­tho­li­ken’ gleich­ge­setzt.) Dem in­di­vi­du­el­len Glau­ben wird die in­sti­tu­ti­o­nel­le Re­li­gi­on ge­gen­über­ge­stellt, die die Kir­che mit ih­rer Struk­tur, Leh­re und Or­ga­ni­sa­ti­on des Kul­tes ver­kör­pert. Nicht al­le re­li­gi­ös den­ken­den Men­schen se­hen sich als Mit­glie­der der Kir­che. Es gibt auch sol­che, die sich sel­ber als „nicht-prak­ti­zie­ren­de Gläu­bi­ge“ be­zeich­nen (poln. wierzą­cy, ale nie­prak­ty­ku­ją­cy).

2. Heilige vs. profane Sprache(n)

Die Re­li­gi­on, zu­min­dest in den drei größ­ten mo­no­the­is­ti­schen Sys­te­men (Mo­sa­is­mus, Chris­ten­tum, Is­lam), re­a­li­siert sich in der Spra­che. Man hat im­mer wie­der ver­sucht, den sak­ra­len und den pro­fa­nen Be­reich aus­ein­an­der zu hal­ten. Als hei­li­ge Spra­chen gal­ten die Ori­gi­nal­spra­chen der Bi­bel: He­brä­isch und Alt­grie­chisch (in ge­rin­ge­rem Um­fang auch Ara­mä­isch, die Spra­che, die auch Je­sus ge­spro­chen hat, vgl. sei­ne Wor­te am Kreuz: Eloi, Eloi, lema sabachtani ‘Mein Gott, mein Gott, wa­rum hast du mich ver­las­sen?’ – Mk 15,34), dann wich­ti­ge Über­set­zungs­spra­chen La­tein („Vul­ga­ta”, d. h. ‘die All­ge­mein­ver­brei­te­te’, über­setzt 382–420 von Hie­ro­ny­mus) und noch frü­her Alt­kir­chen­sla­wisch (im Jah­re 863 ka­men die Sla­wen­apos­tel Ky­ril­los und Me­tho­di­os mit von ih­nen über­setz­ten li­tur­gi­schen Bü­chern nach Mäh­ren). La­tein als Li­tur­gie­spra­che des ka­tho­li­schen Ri­tus (bis zum zwei­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zil) und Alt­kir­chen­sla­wisch in der or­tho­do­xen Kir­che ha­ben zur Di­glos­sie ge­führt – ei­ner Sprach­si­tu­a­ti­on mit stren­ger funk­ti­o­na­ler Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen ei­ner ho­hen (sak­ra­len) und ei­ner nied­ri­gen (pro­fa­nen) Va­rie­tät. Auch Bi­bel­über­set­zun­gen in eth­nische Spra­chen der Neu­zeit, die bis da­to be­nutzt wer­den, wei­chen von dem all­täg­li­chen Sprach­ge­brauch ab: das Deutsch der Martin-Luther-Bibel, das Pol­nisch der Jakub-Wujek-Bibel, das Tsche­chisch der Kra­lit­zer Bi­bel, die zu­gleich als Vor­bild für die ent­ste­hen­de slo­wa­ki­sche Hoch­spra­che galt (vgl. → Startseite).

Auch in der Ge­gen­wart wird zwi­schen dem ho­hen und dem nied­ri­gen Sprach­re­gis­ter streng un­ter­schie­den. Vie­le Gläu­bi­ge dis­tan­zie­ren sich von neu­en Bi­bel­über­set­zun­gen (wie der Jahr­tau­send-Bibel 1965 in Po­len), bei de­nen sie die Pa­ti­na der al­ten Spra­che ver­mis­sen. (Ein his­to­ri­sches Bei­spiel ist die Re­form des Pa­tri­ar­chen Ni­kon im Jahr 1652, die zur Spal­tung in der rus­si­schen or­tho­do­xen Kir­che ge­führt hat: die sog. Alt­gläu­bi­gen ha­ben sich der Be­rich­ti­gung der kir­chen­sla­wi­schen Li­tur­gie nach grie­chi­schen Dru­cken wi­der­setzt.) Ex­pe­ri­men­te mit Über­tra­gun­gen in nicht stan­dar­di­sier­te Di­a­lek­te (wie in Pod­ha­la­nisch, 2005) wer­den mit Ar­gu­sau­gen be­ob­ach­tet. Auf der an­de­ren Sei­te spürt man die Un­zu­läng­lich­keit je­des mensch­li­chen – wenn auch aus­ge­such­ten – Idi­oms in der Kom­mu­ni­ka­tion mit Gott. Des­we­gen wird ne­ben dem Spre­chen auch dem Schwei­gen ei­ne we­sent­li­che Rol­le zu­ge­schrie­ben: in kon­temp­la­ti­ven Or­den, wäh­rend des Got­tes­diens­tes, bei Mys­ti­kern usw. Das Schwei­gen ist hier nicht bloß als Pau­se bzw. das Feh­len von Re­de zu in­ter­pre­tie­ren, son­dern es stellt ei­nen se­mi­o­ti­schen Akt dar. Auch ein pri­va­tes Ge­bet in der „in­ne­ren Spra­che“ muss nicht voll ar­ti­ku­liert wer­den, weil Gott an­ders als der Mensch hört und an­ders ant­wor­tet. Sie sind ja un­glei­che Ge­sprächs­part­neriviv  Man hat sich auch we­gen des Schwei­gens Got­tes an­ge­sichts des Übels und des Lei­des in der Welt be­klagt (was von Leib­niz 1710 als das Di­lem­ma der Theo­di­zee dar­ge­stellt wur­de).. Die Theo­lo­gie ver­sucht, die Ver­nunft und den Glau­ben, ra­tio und fi­des, in Ein­klang zu brin­gen. Ra­ti­o­na­les und emo­ti­o­na­les Em­pfin­den ist auch in Kult­hand­lun­gen und der Ver­kün­di­gung der Kir­che zu be­ob­ach­ten, z. B. durch hyp­no­ti­sche Wir­kung rhyth­mi­scher Wie­der­ho­lun­gen in Li­ta­nei­en, im li­tur­gi­schen Ge­sang, und schließ­lich in der Glos­so­la­lie (ei­ne an sich sinn­lo­se Laut­pro­duk­tion, die die re­li­gi­ö­se Ek­sta­se stei­gert). Die re­li­gi­ö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on be­dient sich un­ter­schied­li­cher se­mi­o­ti­scher Sys­te­me und spricht meh­re­re Sin­ne an.

3. Religiöse Diskurse

Re­li­gi­ö­se Spra­che ist ei­ne Sprach­va­ri­e­tät, die sich nicht in al­len ih­ren Ei­gen­schaf­ten von dem ge­ge­be­nen Eth­no­lekt wie Deutsch, Slo­wa­kisch usw. un­ter­schei­det. Sy­no­nym da­zu ver­wen­det man die tra­di­ti­o­nel­le Be­zeich­nung (re­li­gi­ö­ser) Stil (vgl. Mistrík 1992, Ma­ku­chow­ska 2001, Grzelak 2005) oder – zu­neh­mend häu­fi­ger – (re­li­gi­ö­ser) Dis­kurs (Wojtak 2010, Kuße 2011). Die Dis­kurs­ana­ly­se ist aus der Text­lin­gu­is­tik her­vor­ge­gan­gen und wird als Über­win­dung ei­ner en­gen, auf au­to­no­me Sät­ze be­schränk­ten struk­tu­ra­li­sti­schen Me­tho­de ge­wür­digt. Das aus dem La­tei­ni­schen stam­men­de Wort dis­cur­sus be­deu­te­te zu­nächst ‘(ar­gu­men­ta­ti­ves) Ge­spräch, Dis­kus­si­on’ – all­mäh­lich wur­de es als Ter­mi­nus auf das ge­sam­te Text­uni­ver­sum er­wei­tert. Es geht da­bei nicht ein­fach um ei­ne Text­samm­lung (wie et­wa in der Kor­pus­lin­gu­is­tik), son­dern viel­mehr um ge­sell­schaft­li­che Kon­ven­ti­o­nen des Sprach­ge­brauchs, um da­mit ver­bun­de­ne Wert­vor­stel­lun­gen, Nor­men und Zie­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on, die sich im Text als kom­mu­ni­ka­ti­ves Er­eig­nis wi­der­spie­geln. Tex­te wer­den fort­wäh­rend pro­du­ziert und re­pro­du­ziert, sie wer­den im kol­lek­ti­ven Ge­dächt­nis ge­spei­chert und von dort bei Be­darf von den Dis­kurs­teil­neh­mern ab­ge­ru­fen. Ein Text ist so­mit ein Hand­lungs­typ, der laut Halli­day (1978) von sol­chen Ka­te­go­ri­en reg­le­men­tiert wird, wie: the­ma­ti­scher Um­fang (field), ge­sell­schaft­li­che Rol­len der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­teil­neh­mer (tenor) und der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal (mode). Von Bach­tin (1986) stammt der Ter­mi­nus Gen­re, der auch in der Lin­gu­is­tik als Be­zeich­nung ei­nes Dis­kurs­typs ver­wen­det wird. Gen­res be­stim­men die Struk­tur des sprach­li­chen Han­delns: mög­li­che Kom­bi­na­to­rik der Merk­ma­le, die durch in­halt­li­che, struk­tu­rel­le so­wie ge­sell­schaft­li­che Ge­sichts­punk­te vor­ge­ge­ben wer­den. Mar­tin (1992) hat zwei Ebe­nen der Kom­mu­ni­ka­ti­on un­ter­schie­den: den kul­tu­rel­len Kon­text (Gen­re) und den Si­tu­a­ti­ons­kon­text (Sprach­re­gis­ter).

Die Schwer­punkt­ver­schie­bung auf den Dis­kurs be­deu­tet, dass man in den Tex­ten kom­mu­ni­ka­ti­ve Prak­ti­ken sieht, die ver­schie­de­ne Zie­le ver­fol­gen. Ei­nen An­sporn zur wei­te­ren Ent­wick­lung der Dis­kurs­ana­ly­sen gab die ein­fluss­rei­che Sprech­akt­the­o­rie (die Schu­le von Austin, Searle und Grice). Un­ter Sprech­ak­ten kann man frei­lich auch re­li­gi­ö­se Hand­lun­gen fin­den, die oh­ne be­stim­mte For­meln nicht zu­stan­de ge­kom­men wä­ren, wie z. B. das ‘Seg­nen’ (Es seg­ne euch der all­mäch­ti­ge Gott …, poln. Niech was bło­go­sła­wi Bóg wszech­mo­­cy), die ‘Tau­fe’ (Ich tau­fe dich im Na­men des Va­ters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes, poln. Ja cie­bie chrzczę w imię Ojca i Syna i Ducha Św.).Den­noch han­delt es sich hier meis­tens um kom­ple­xe Vor­gän­ge, de­nen ri­tu­a­li­sier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mus­ter zu­grun­de lie­gen. So z. B. be­steht die ‘Beich­te’ aus fol­gen­den Sprech­ak­ten: Be­ken­nen, Fra­gen, Ab­so­lu­ti­on-Er­tei­len, Bu­ße Auf­er­le­gen usw. (Wag­ner 2001: 434). An den ein­zel­nen Sprech­ak­ten sind un­ter­schied­li­che Il­lo­ku­ti­o­nen (Ab­sich­ten des Spre­chers) be­tei­ligt, z. B. zu ‘Be­ken­nen’ ge­hö­ren laut Wag­ner fol­gen­de Kom­po­nen­ten: ei­ne as­ser­ti­ve (Fest­stel­len ei­nes Tat­be­stan­des), ei­ne de­kla­ra­ti­ve (der Akt der Be­kennt­nis) und ei­ne kom­mis­si­ve (Ver­pflich­tung zum zu­künf­ti­gen Han­deln).

Nach der prag­ma­ti­schen Wen­de in der Lin­gu­is­tik der 1970er Jah­re war oft die Re­de von spe­zi­fisch re­li­gi­ö­sen Sprech­ak­ten bzw. glau­ben­den Sprech­hand­lun­gen, wie be­ken­nend-er­zäh­len­de, pro­phe­ti­sche, er­mah­nen­de, trös­ten­de, lob­prei­sen­de usw. (Dalferth 1979: 107). Den­noch lehnt der Au­tor sol­che sprach­li­chen Kri­te­ri­en der Re­li­gi­o­si­tät ab. Re­li­gi­on ist et­was viel kom­ple­xe­res, was meh­re­re Di­men­si­o­nen um­fasst: ri­tu­el­le, my­tho­lo­gi­sche, dok­tri­na­le, ethi­sche, so­zi­a­le, aber auch in­di­vi­du­el­le (Dalferth 1979: 109). Es wä­re falsch, re­li­gi­ö­se Ak­te schlicht und ein­fach mit Sprech­ak­ten gleich­zu­set­zen, vgl.:

„Ent­spre­chend ge­hört es zwar zur sprach­lich-kom­mu­ni­ka­ti­ven Kom­pe­tenz der Spre­cher ei­ner Sprach­ge­mein­schaft, daß sie die Sprech­hand­lun­gen des Bit­tens, Fra­gens, Be­haup­tens usf. be­herr­schen, nicht aber, daß sie be­ten, be­ken­nen und pre­di­gen kön­nen.“ (Dalferth 1979: 113)

Re­li­gi­ö­se Sprech­ak­te sind as­ser­tiv-de­kla­ra­tiv, sie sind creedal state­ments (Mananzan 1974). Es wird be­tont, dass sie in den mo­da­len Rah­men von ‘Cre­do’ ein­ge­bet­tet sind:

„In­halt­lich ist re­li­gi­ö­se Spra­che ge­kenn­zeich­net durch ih­ren as­ser­to­risch-be­kennt­nis­haf­ten Cha­rak­ter: Re­li­gi­ö­se Sät­ze sind im stren­gen Sinn nur sinn­voll un­ter der Vor­aus­set­zung des ‚Cre­do…‘ […] Denn das ‚Cre­do…‘ hält gleich­sam wie­der sym­bo­lisch fest, daß es zwi­schen dem Spre­chen­den und dem von ihm sym­bo­lisch Be­nann­ten um ei­ne Be­zie­hung von be­son­de­rer, viel­leicht so­gar letzt­gül­ti­ger Art geht, ei­ne Be­zie­hung, die sinn­stif­tend und exis­tenz­kon­sti­tu­ie­rend sein kann.“ (Kless­mann 1982: 35)

Es ist of­fen­sicht­lich, dass auch hier aus lin­gu­is­ti­scher Sicht gan­ze Gen­res und un­ser Wis­sen über kom­mu­ni­ka­ti­ve Si­tu­a­ti­o­nen, in de­nen sie re­a­li­siert wer­den, auf­ge­ru­fen wer­den. Es gibt un­ter ih­nen auch re­li­gi­ö­se Text­gat­tun­gen, die in ge­schrie­be­ner Form zu­gäng­lich sind (wie z. B. De­ka­log, Ka­te­chis­mus, Li­ta­nei, Gleich­nis) und/ oder re­li­gi­ö­se Si­tu­a­ti­o­nen, in de­nen pri­mär münd­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on statt­fin­det(wie Beich­te, Got­tes­dienst, Pre­digt). Sie al­le kön­nen durch­aus als Form des Sprach­ge­brauchs bzw. kom­mu­ni­ka­ti­ves Er­eig­nis wahr­ge­nom­men wer­den. Da­bei sind nicht al­le For­men des re­li­gi­ö­sen Dis­kur­ses struk­tu­rell so stark ge­bun­den. Es ge­hö­ren da­zu auch Glau­bens­ge­sprä­che im All­tag (u. a. sol­che, in de­nen Gott an­ge­zwei­felt oder so­gar ne­giert wird), freie Ge­be­te so­wie re­li­gi­ö­se Folk­lo­re (Sac­ro­songs, Be­rich­te über Wun­der, ha­gio­gra­phi­sche Ge­schich­ten, Be­ge­hen von Fes­ten etc.).

In der Fach­li­te­ra­tur sind vie­le An­sät­ze zur Klas­si­fi­ka­ti­on der Dis­kur­se zu fin­den. Der Se­mi­o­ti­ker der be­ha­vi­o­ris­ti­schen Schu­le, Char­les Morris, hat in den vier­zi­ger Jah­ren des 20. Jh. sech­zehn Dis­kurs­ty­pen nach den Modus-Gebrauch-Kriterien un­ter­schie­den, u. a. den re­li­gi­ö­sen Ty­pus mit ei­nem prä­skrip­tiv-in­zi­ti­ven Cha­rak­ter (vgl. Morris 1973: 218). Der re­li­gi­ö­se Dis­kurs legt die Ver­hal­tens­mus­ter fest (prä­skri­biert sie) mit dem Ziel, Men­schen da­zu zu ver­an­las­sen, sol­chen Mus­tern zu fol­gen (in­zi­ti­ver, an­re­gen­der Ge­brauch der Spra­che). Rund um Re­li­gi­on grup­pie­ren sich auch an­de­re Dis­kur­se, wie der wis­sen­schaft­li­che (Theo­lo­gie), der po­e­ti­sche (Dich­tung) oder der tech­no­lo­gi­sche Dis­kurs (er be­schreibt Tech­ni­ken, die da­zu füh­ren, an­zu­stre­ben­de Per­sön­lich­keits­ide­a­le zu er­rei­chen). Sie al­le tan­gie­ren zwar re­li­gi­ö­se Phä­no­me­ne, aber ih­re Sig­ni­fi­ka­ti­ons­mo­di (die Art und Wei­se, wie sich sprach­li­che Zei­chen auf das Be­zeich­ne­te be­zie­hen) und ihre Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zie­le sind nach Morris ver­schie­den. So schluss­fol­gert der Au­tor: „Aber we­der die Theo­lo­gie noch die Dich­tung noch die Tech­no­lo­gie sind pri­mär re­li­gi­ö­ser Dis­kurs.“ (Morris 1973: 243)

Wie Hol­ger Ku­ße (2011: 67) mit Recht be­merkt, lässt sich die Re­li­gi­on auf die­se in­di­vi­du­a­lis­ti­sche Di­men­si­on nicht be­schrän­ken. Sei­ner Mei­nung nach ge­hö­ren noch zwei wei­te­re von Morris selbst vor­ge­se­he­ne Dis­kurs­ty­pen zur Spra­che der Re­li­gi­on: Es sind der my­thi­sche (auf be­stimm­te Art und Wei­se er­zäh­len­de) und der kos­mo­lo­gi­sche (or­ga­ni­sie­ren­de) Dis­kurs. Der Au­tor fügt hin­zu:

„Im Chris­ten­tum ge­hö­ren zum my­thi­schen Dis­kurs die bi­bli­schen Wun­der­er­zäh­lun­gen eben­so wie die reich­hal­ti­ge ha­gio­gra­phi­sche Li­te­ra­tur. Kos­mo­lo­gisch ist das ge­sam­te Sys­tem der christ­li­chen Heils­ge­schich­te, wie sie mar­kant im Pro­log des Jo­han­nes­evan­ge­li­ums, aber auch in den Brie­fen des Pau­lus zum Aus­druck kommt...” (Kuße 2011: 68)

Es ist die Ganz­heit­lich­keit und Un­trenn­bar­keit des all­ge­mei­nen Welt­bil­des, die die Re­li­gi­on be­an­sprucht, wel­che sich der Re­du­zie­rung des Re­li­gi­ö­sen auf ei­ne in­di­vi­du­ell-ethi­sche Di­men­si­on ent­zieht. So kann ein re­li­gi­ö­ser Mensch, wie auch ein Theo­lo­ge, Kon­zep­te wie Mensch, Lie­be, Frei­heit für zen­tra­le re­li­gi­ö­se (und dem­ent­spre­chend theo­lo­gi­sche) Be­grif­fe hal­ten (vgl. Grabner-Haider 1971: 132). Aber auch re­li­gi­ös in­dif­fe­ren­te Spre­cher be­nut­zen die­se Wör­ter. Was ver­ste­hen sie da­run­ter? Wenn ein Papst und ein kom­mu­nis­ti­scher An­füh­rer das Wort Frie­den be­nut­zen, lässt sich da­bei ein kleins­ter ge­mein­sa­mer Nen­ner fin­den? (Vgl. Gehrke 2011.) Las­sen Sie uns nun al­so den Wort­schatz als präg­nan­tes Kenn­zei­chen ei­nes be­stimm­ten Dis­kurs­ty­pen in der ge­misch­ten Po­ly­pho­nie der Stim­men ge­nau­er ana­ly­sie­ren.

4. Religiöse Lexik

Wel­che le­xi­ka­li­sche Ein­hei­ten könn­ten al­so als ‘re­li­gi­ös’ ein­ge­stuft wer­den? In ers­ter Li­nie scheint der Wort­in­halt (In­ten­si­on) als Kri­te­ri­um maß­ge­bend zu sein. Wenn man aber die­sen an­hand der Wör­ter­bü­cher er­mit­telt, stellt man fest, dass es in sei­ner Be­schrei­bung mar­kan­te Un­ter­schie­de gibt – ab­hän­gig da­von, wel­ches Ziel ein Wör­ter­buch ver­folgt. So z. B. wird das poln. Sub­stan­tiv krzyż ‘Kreuz’ im (a) „Alt­pol­ni­schen Wör­ter­buch“ („Słow­nik staro­pol­ski“), Band III, Hg. S. Urbańczyk, Wrocław, 1960–1962 (SłSstp.), und im (b) neu­en Pro­jekt von Ma­ria Karpluk „Wör­ter­buch der äl­tes­ten pol­ni­schen christ­li­chen Ter­mi­no­lo­gie (bis 1500)“ („Słow­nik naj­star­szej pol­skiej ter­mi­no­lo­gii chrześcijań­skiej (do ro­ku 1500)“) (Słtchrz.) un­ter­schied­lich dar­ge­stellt:

(a) SłSstp.: 1. ‘rodzaj szubienicy (mowa głów­nie o tej, na której umarł Chrystus)’ [‘Ei­ne Art Gal­gen (die Re­de ist vor al­lem von dem, an dem Chris­tus ge­stor­ben ist)’], (…) prze­noś­nie ‘ukrzyżowanie, także w ogóle męka’ [über­tra­gen ‘Kreu­zi­gung, auch all­ge­mein Lei­den, Pas­si­on’], (…) 2. ‘przed­miot kultowy… krucy­fiks’… [2. ‘Ob­jekt des Kul­tes, die Vor­stel­lung des Kreu­zes, Kru­zi­fix’]

(b) Słtchrz.: 1. ‘narzędzie śmierci Chrystusa’ [‘Das Werk­zeug des Ster­bens Chris­ti’], 2. ‘ukrzyżowanie, męka Chrystusa’ [‘Kreu­zi­gung, Pas­si­on Chris­ti’], 3. ‘o duchowym na­śladowaniu Chrystusa przez jego wy­znawców’ [‘über geis­ti­ge Nach­ah­mung Chris­ti durch sei­ne Be­ken­ner’], 4. ‘wizerunek krzyża, krucy­fiks’… [‘das Ab­bild des Kreu­zes, Kru­zi­fix’]… (vgl. Karpluk 1997: 106).

Die Be­deu­tung des Kreu­zes als an­ti­kes Tö­tungs­in­stru­ment ge­ne­rell oder als sin­gu­lä­re Re­li­quie – das Kreuz, auf dem Chris­tus hin­ge­rich­tet wur­de – ist heut­zu­ta­ge his­to­risch. Bei­de zi­tier­ten Quel­len re­prä­sen­tie­ren üb­ri­gens Spe­zi­al­wör­ter­bü­cher, wo­bei Letz­te­res die christ­li­che Ter­mi­no­lo­gie im Au­ge hat. Uns in­te­res­siert die re­li­gi­ö­se Le­xik in dem Um­fang, in wel­chem sie in der All­ge­mein­spra­che vor­kommt und wie sie heu­te von den meis­ten Spre­chern ver­stan­den wird. So be­trach­tet hat das Wort Kreuz zu­nächst ei­ne ab­strak­te­re sym­bo­li­sche Be­deu­tung als Zei­chen des ge­sam­ten Chris­ten­tums, wel­ches an den er­lö­sen­den Tod Chris­ti er­in­nert. Ab­ge­se­hen da­von ist es ein mehr­deu­ti­ges Wort, wel­ches ne­ben sak­ra­len auch pro­fa­ne In­hal­te be­dient (vgl. → Kreuz).

Im Fall der fes­ten Po­ly­se­mie wird häu­fig da­von aus­ge­gan­gen, dass die Rei­hen­fol­ge der Be­deu­tun­gen – wie sie in ei­nem Wör­ter­buch fest­ge­hal­ten wird – der Hie­rar­chie der se­man­ti­schen Merk­ma­le ent­spricht. So ge­se­hen soll­te der re­li­gi­ö­se Kern­wort­schatz an ers­ter Stel­le die sa­kra­le Kom­po­nen­te auf­wei­sen, ge­folgt von mög­li­chen pro­fa­nen Be­deu­tun­gen an wei­te­ren Stel­len (vgl. Dube 2004: 61). Man soll­te aber nicht ver­ges­sen, dass die Be­schrei­bungs­ord­nung eher ei­nen tech­ni­schen Cha­rak­ter hat und kein zu­ver­läs­si­ges Kri­te­ri­um für das Aus­lo­ten der re­li­gi­ö­sen Le­xik dar­stellt. Meis­tens wird als Erst­be­deu­tung die ety­mo­lo­gisch äl­tes­te an­ge­führt (vgl. z. B. → Himmel, wo re­li­gi­ö­ser Ge­brauch me­ta­pho­risch aus vor­christ­li­chen Vor­stel­lun­gen her­vor­ging).

Man­che For­scher stüt­zen sich auf die Mar­kie­rung der Lem­ma­ta mit Hil­fe von the­ma­ti­schen Merk­ma­len wie re­li­gi­ös, kul­tisch, kirch­lich, bi­blisch, die man in ei­ni­gen all­ge­mei­nen Wör­ter­bü­chern fin­den kann. Aber auch hier sind die Le­xi­ko­gra­phen in­kon­se­quent. Nicht al­le Er­läu­te­rungs­wör­ter­bü­cher ver­wen­den sol­che Merk­ma­le und wenn, dann sind sie eher als Sig­nal für den Fach­wort­schatz zu deu­ten, al­so für ein­ge­schränk­ten Ver­brei­tungs­grad des Lem­mas, und nicht als aus­rei­chen­de se­man­ti­sche Zu­ord­nung zum Be­reich ‘Re­li­gi­on’ (z. B. hat das poln. Wort krzyż/ Kreuz im MSJP, 1969, kein Merk­mal dieses Typs, aber krzyżmo/ Wei­he­öl wur­de schon mit dem Qua­li­fi­ka­tor kult. (= kul­tisch) ver­se­hen). Um sol­che De­fi­zi­te aus­zu­glei­chen, wer­den wei­te­re le­xi­ko­gra­phi­sche Da­ten he­ran­ge­zo­gen: die Ex­pli­ka­ti­on der Wort­be­deu­tung und – wenn die­se noch nicht aus­sa­ge­kräf­tig ist – wird das Be­leg­ma­te­ri­al un­ter die Lu­pe ge­nom­men (z. B. wird poln. biczować/ gei­ßeln im ISJP, 2000, mit ei­nem re­li­gi­ö­sen Bei­spiel aus dem Je­re­mia­buch be­legt: Z roz­kazu arcy­kapłana Paszehura biczowano Jeremiasza i zakuto w dyby (vgl. Jr. 20,2), wo­bei die Ex­pli­ka­ti­on des Verbs nur all­ge­mein bleibt: ‘jmdn. mit der Peit­sche schla­gen’. Im Chris­ten­tum ist das An­den­ken an die Gei­ße­lung Chris­ti noch im­mer in Wort und Bild le­ben­dig).

Ei­nen Son­der­sta­tus nimmt im christ­li­chen Dis­kurs die Bi­bel ein, die auch das sprach­li­che Welt­bild im All­ge­mei­nen stark be­ein­flusst hat. In der Le­xik wer­den Bi­blis­men un­ter­schie­den, die ja zum Kern der re­li­gi­ö­sen Spra­che ge­hö­ren. Prob­le­ma­tisch ist, dass die Kennt­nis der Bi­bel all­mäh­lich schrumpft, so dass ge­flü­gel­te Wor­te bi­bli­scher Her­kunft nicht mehr als sol­che er­kannt wer­den, vgl. z. B. den Film­ti­tel Raiders of the Lost Ark von Steven Spiel­berg, 1981, der ins Deut­sche schlicht als ­ger des ver­lo­re­nen Schat­zes über­setzt wur­de (nur um ein präg­nan­tes Bei­spiel aus der Werk­statt der Mas­sen­kul­tur zu nen­nen). Sol­che Bi­bel­gat­tun­gen wie Gleich­nis, Pa­ra­bel, Al­le­go­rie be­die­nen sich auch des pro­fa­nen Wort­schat­zes, der von dort aus be­son­de­re se­man­ti­sche (und sti­lis­ti­sche) Kon­no­ta­ti­o­nen ge­winnt, vgl. Hirt, Scha­fe, Senf­kornWein­stock, Ka­mel, Wüs­te, Bräu­ti­gam u.a. Es wä­re aber ver­früht, sol­chen Wör­tern ei­ne se­pa­ra­te sak­ra­le Be­deu­tung zu­schrei­ben zu wol­len. Sie er­ge­ben sich aus den Le­bens­be­din­gun­gen des an­ti­ken Pa­läs­ti­nas und zeich­nen sich durch ei­ne be­stimm­te po­e­ti­sche Au­ra aus. Aber sel­ten wür­den wir sie als Bi­blis­men be­zeich­nen (vgl. Lom­matzsch 2011). Man­che Phra­sen oder Wör­ter ge­hen auf Bi­bel­ge­schich­ten zu­rück, ob­wohl sie dort in der im kol­lek­ti­ven Ge­dächt­nis ge­spei­cher­ten Form nicht vor­kom­men, wie z. B. Frie­dens­tau­be, Apo­ka­lyp­se, Ar­che No­ah (vgl. Lurker 1990: 32–34).

Vie­le Au­to­ren ge­hen da­her von der gra­du­ier­ba­ren ‘sak­ra­len’ Kom­po­nen­te als ei­nem Be­stand­teil der Wort­be­deu­tung bzw. vom Re­li­gi­o­si­täts­grad der Wör­ter aus (Bajerowa 1988: 21, Kaempfert 1974: 68, Kemper 1972: 63 f.). Es ist durch­aus be­rech­tigt, vom re­li­gi­ö­sen Kern­wort­schatz, sog. Key­words, so­wie der pe­ri­phe­ren Zo­ne der Le­xik zu spre­chen. Se­man­tisch müs­sen Key­words für die Spre­cher ein­leuch­tend re­li­gi­ös sein, und zwar un­ab­hän­gig von der Welt­an­schau­ung. Sol­che Wör­ter sind auch fest im Sprach­sys­tem ver­an­kert, was nach fol­gen­den Kri­te­ri­en über­prüf­bar ist:

  1. Sie ge­hen in ein aus­ge­bau­tes Netz le­xi­ka­li­scher Re­la­ti­o­nen ein: Sie ha­ben Syno-, Anto-, Hypo- oder Hy­pe­ro­ny­me etc.
  2. Sie sind in der Wort­bil­dung ak­tiv, bil­den ei­ne Ba­sis für ein wei­tes Wort­bil­dungs­nest mit De­ri­va­ten und Kom­po­si­ta.
  3. Sie sind an der Phra­seo­lo­gie be­tei­ligt.
  4. Sie ha­ben ei­ne re­la­tiv ho­he Häu­fig­keit in Tex­ten.
  5. Sie sind nicht ver­al­tet oder ar­cha­isch, aber auch kei­ne Neo­lo­gis­men.
  6. Sie sind nicht sti­lis­tisch bzw. so­zio­lin­gu­is­tisch mar­kiert (als Fach­jar­gon, Mi­lieu­spra­che usw.).

Nach sol­chen Kri­te­ri­en wur­de die Wahl der Lem­ma­ta zu diesem Le­­xi­­kon ge­trof­fen. Die Lis­te ist nicht voll­stän­dig und kei­nes­falls ab­ge­schlos­sen. Die Grau­zo­ne zwi­schen der sak­ra­len und pro­fa­nen sprach­li­chen Wirk­lich­keit kann auch so­zio­se­man­tisch mit Hil­fe von Um­fra­gen er­mit­telt wer­den (vgl. Burk­hardt 2011). Die oben auf­ge­lis­te­ten In­di­ka­to­ren 1–3 sind be­deu­tungs­spe­zi­fisch, was heißt, dass sich da­mit ein­zel­ne Be­deu­tun­gen (se­man­ti­sche Pro­fi­le) von­ein­an­der un­ter­schei­den las­sen. So z.B. hat das Lem­ma → Himmel un­ter­schied­li­che Sy­no­nym­rei­hen je nach se­man­ti­schem Pro­fil, vgl. Fir­ma­ment, Vor­se­hung, Glück oder Bal­da­chin. Mehr­deu­tig­keit ist eben­falls ein In­diz für die Ver­an­ke­rung des Wor­tes im le­xi­ka­li­schen Sys­tem.

Da von der Ana­ly­se der Dis­kur­se aus­ge­gan­gen wird, ist der Text­ge­brauch ei­nes Wor­tes (und nicht nur sei­ne Po­si­ti­on im Wör­ter­buch) wich­tig. Zu ana­ly­sie­ren sind al­so ne­ben der schon er­wähn­ten In­ten­si­on auch die Ex­ten­si­on (Re­fe­renz) des sprach­li­chen Zei­chens, d.h. die Fra­ge, auf wel­che Ob­jek­te bzw. Sach­ver­hal­te es sich kon­kret be­zieht. Dies hängt wie­de­rum vom all­ge­mei­nen The­ma (field) des Tex­tes und dem kon­zep­tu­el­len Rah­men des Wor­tes (frame) ab so­wie von sol­chen die Kom­mu­ni­ka­ti­on be­stim­men­den Pa­ra­me­tern, wie: Wer spricht, zu wem, auf wel­che Art und Wei­se (Gen­re) etc. (vgl. Kiraga 2011: 148). Welt­li­che Gat­tun­gen, wie di­ver­se Pres­se­tex­te, po­li­ti­sche Re­den, Ro­ma­ne, Un­ter­hal­tung usw. ver­wen­den re­li­gi­ö­se Le­xik nicht sel­ten völ­lig sä­ku­lar, me­ta­pho­risch oder zi­tat­ähn­lich, d.h. dis­tan­ziert. Die Be­ob­ach­tung des re­li­gi­ö­sen Wort­schat­zes au­ßer­halb re­li­gi­ö­ser Dis­kur­se ist ge­ra­de das Haupt­ziel die­ses Le­xi­kons.

I. Literaturauswahl

II. Anmerkungen

i Vgl. Ryklin, Michail 2008: Kom­mu­nis­mus als Re­li­gi­on; Kämper, Heidrun 2009: „Qua­si-re­li­gi­ö­se Spra­che am Bei­spiel des Na­ti­o­nal­so­zi­a­lis­mus“, in: U. Gerber/ R. Hoberg, Hg., Spra­che und Re­li­gi­on, Darm­stadt, 339–357.
ii Zum se­man­ti­schen Um­fang des Wor­tes po­ga­nin im mit­tel­al­ter­li­chen Po­len sie­he Karpluk (1997: 109–110).
iii Vgl. Slupski, A. 1971: „Sla­visch ‘Zau­be­rer’, ‘He­xe’ und Ver­wand­tes“, in: Zeit­schrift für Sla­vi­sche Phi­lo­lo­gie, 35, 1971, 302–320. In dem Zu­sam­men­hang sind ge­nau­so Exor­zis­men in der Kir­che um­strit­ten, vgl.: „Wir ste­hen im Feld der Ma­gie, und nicht in je­nem der Re­li­gi­o­si­tät, die nie die Macht­lo­sig­keit des Ge­schöpfs und die al­lei­ni­ge Macht­fül­le des Schöp­fers ver­ges­sen kann.“ (Ammon et al. 1987: 84).
iv Man hat sich auch we­gen des Schwei­gens Got­tes an­ge­sichts des Übels und des Lei­des in der Welt be­klagt (was von Leib­niz 1710 als das Di­lem­ma der Theo­di­zee dar­ge­stellt wur­de).
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