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sacrum und profanum
religiöse lexik in der allgemeinsprache (deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch)

Biblismen in der Phraselogie

1.Phraseologische Einheiten – qualitative und quantitative Charakteristik
2.Biblismen
3.Säkularisierung der Biblismen und/ oder Unwissen?
I.Literaturauswahl
II.Anmerkungen

1. Phraseologische Einheiten – qualitative und quantitative Charakteristik

Zum Lexikon jeder Sprache gehört auch ihr Phraseologiebestand. Phraseologische Einheiten erfüllen ähnliche Funktionen wie einfache Wörter, sind aber im Vergleich mit ihnen markiert. Ihr Gebrauch setzt eine höhere Stufe der Sprachfertigkeit voraus, zumal sie sowohl in allgemeinen als auch in Spezialwörterbüchern nicht immer gebührend expliziert werden. So z. B. werden in zweisprachigen phraseologischen Wörterbüchern nicht selten nur Übersetzungsäquivalente angegeben, vgl. eine Sünde wert sein und być grzechu wartym (SFNP 1999: 529). Außer dem pragmatischen Merkmal „scherzhaft“ erfährt der Benutzer nichts Weiteres über die eigentliche Bedeutung und Verwendung dieser Phrase (siehe aber die Definition im Stichwortartikel → Sünde (säkulares Profil) im vorliegenden Wörterbuch).

Probleme tauchen schon bei der Erkennung und Identifizierung der Phraseologismen (Phrasemeii  Die synonyme Bezeichnung Phrasem wird im pragmalinguistisch orientierten Ansatz verwendet (siehe Nagórko 2007: 272).) auf. Die wichtigsten Kriterien, die in der Fachliteratur kontrovers diskutiert werden, sind: Polylexikalität („Mehrwortbenennungen“), lexikalische Stabilität und Idiomatizität der Wendungen (vgl. Lipczuk et al. 2012: 14–16). Die erste Eigenschaft ist die auffälligste, aber ihre gängige Bezeichnung als „polylexikalisch“ kann irreführend sein: Phraseologismen stellen ja eine und nicht mehrere („poly“) lexikalische Einheiten dar. Diese bestehen aber aus mehreren graphischen Wörtern. Es handelt sich also um ein rein formales Kriterium, welches im hohen Grad von der orthographischer Konvention einer Sprache abhängig ist, vgl. exklamative Äußerungen wie poln./ dt. Mój Boże!/ Mein Gott!, aber Panie Boże!/ Herrgott!, analog tschech. pánbíčekveraltet, umg. (von pánbíčku = pane na nebíčku/ Herr im Himmel), slowak. prisámbohu (wörtl. Ich schwöre beim Gott), panebože (Panie Boże!/ Herrgott!) usw. Eine der Wortbildungstechniken ist die sog. Zusammenrückung, d. h. die Verschmelzung der Bestandteile einer analytischen Konstruktion, was zu einer Neubildung führt, wie dt. Dankeschön neben Danke schön!, Lebewohl neben Lebe wohl!, tschech. chválabohu neben chvála bohu, zaboha neben za boha. Diese an sich sparsame Technik, die ohne sonstige morphologische bzw. syntaktische Mittel auskommt, ist vor allem im Bereich der Interjektionenund Modalpartikeln produktiv, es gibt aber auch manche alte Substantive dieses Typs, vgl. Hohelied (poln. Pieśń na Pieśniami), Vaterunser (poln. Ojcze nasz bzw. Ojczenasz). In der Schreibweise kann man ein ikonisches Proximity-Prinzip erkennen: von Getrennt- zu Zusammenschreiben als Zeichen der wachsenden konzeptuellen Zusammengehörigkeit. In dem Sinne sind synthetische, zusammengeschriebene lexikalische Einheiten „bessere“, d. h. prototypische Wörter. Analytische, aus mehreren graphischen Wörtern bestehende Einheiten sind weniger typisch, aber sie sind nichtsdestoweniger lexikalische Einheiten – im Unterschied zu syntaktischen Strukturen, die nach grammatischen Regeln immer neu gebildet werden.

Um sie zu bestimmen, müssen mehrere Faktoren im Auge behalten werden. Dabei hat auch dieses Gebiet seinen Kern- und Grenzbereich (Fleischer 1982: 34). Während sich das Zentrum relativ gut erfassen lässt, bleiben noch viele Fragen offen, wo wir es mit einer Verzahnung von Lexikologie, Wortbildungiiii  Dem, was in den slawischen Sprachen phrasematisch ausgedrückt wird, kann im Deutschen ein Kompositum entsprechen, z. B. tschech. Jidášův groš, slowak. judášský groš, poln. judaszowe srebrniki, aber dt.Judaslohn; analog: úhelný kámen/ uholný kameň/ kamień węgielny/ Eckstein; obětní beránek/ obetný baránok/ kozioł ofiarny/ Sündenbock; archa úmluvy/ archa zmluvy/ arka przymierza/ Bundeslade. und Syntax zu tun haben. Ein weiteres Kriterium wäre somit die lexikalische Stabilität. Die Phraseologismen werden nicht jedes Mal ad hoc wie z. B. Sätze gebildet, sondern sie werden im Zuge des Spracherwerbs im Langzeitgedächtnis der Sprecher wie die einfachen Wörter gespeichert und bei Bedarf von da abgerufen. Die o. g. Stabilität kann man psycholinguistisch als Memorisierbarkeit und Reproduzierbarkeit bezeichnen (Nagórko 2007: 259 ff.).

Was wird aber auswendig gelernt? Es können sich auch typische Wortverbindungen (Kollokationen) einprägen, die nicht unbedingt als Phraseologismen gelten, wie heiterer Himmel, auch Floskeln und Routineformeln (Alles Gute!, Gern geschehen!), Initien (Im/ Am Anfang war das Wort…), geflügelte Worte (Sein oder Nichtsein?)iiiiii  Es gibt Spezialwörterbücher, die solches Sprachmaterial registrieren, siehe Büchmann 2005 oder Markiewicz/ Romanowski 2005., stereotype Klischees (Das geht in die richtige Richtung), Sprichwörter usw. – wiederum ein breites Spektrum von sprachlichen Einheiten, aber auch von sprachlichen Produkten (Texten). Theoretisch sind lexikalischen Einheiten keine Grenzen gesetzt – die einzige Beschränkung scheint die menschliche Gedächtniskapazität zu sein. Eine mnemotechnische Hilfe leisten dabei Reim und Rhythmus, typische prosodische Mittel der gesprochenen Sprache, vgl. poln. Modli się pod figurą, a diabła ma za skórą/ dt. Er betet vor dem Christusbild und hat den Teufel doch im Schild. Die Rhythmik ist ein markantes Merkmal des biblischen Stils, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass die Bibel zunächst in mündlicher Überlieferung existierte (auch Jesus hinterließ keine Schriften).

Unter lexikalischer Stabilität wird gemeint, dass solche abrufbaren sprachlichen Gebilde als Bausteine bei der Bildung von Äußerungen dienen können, d. h. sie stellen keine fertigen Sätze dar, die an einen bestimmten Sachverhalt verweisen. Es handelt sich meistens um Verbal-, Nominal-, Adjektiv- oder Adverbialphrasen, die fähig sind, andere Satzkomponenten um sich zu binden, welche als Leerstellen markiert sind (Valenz). Die Letzteren sind dann durch Indefinitpronomina oder Variablen wie x, y gekennzeichnet, vgl. Etwas (x) steigt jemandem (y) in den Kopf. Manche Phrasen sind auch Valenzunabhängig, aber auch sie haben ihre Stelle im Satz, vgl. frisch gebacken, im Großen und Ganzen. Diese Eigenschaft unterscheidet Phraseologismen von Sprichwörtern, die wie sonstige Minitexte (d. h. sprachliche Produkte) behandelt werden, analog zu solchen erlernbaren Texten wie Maximen, Aphorismen, Sentenzen, Zitate, Gebete, Lieder, Kurzwitze usw.

Der Status von Sprichwörtern in solchen Textsammlugen ist umstritten. Manche Autoren zählen diese Gruppe dennoch zur Phraseologie, weil sie sog. propositionalen Phraseologismen (Burger 2010: 37) nahe stehen, die einen satzwertigen Charakter haben. Es handelt sich um vollständige Äußerungen mit Subjekt und Prädikat, vgl. poln. Koń by się uśmiał/ dt. Da lachen ja die Hühner (Nagórko 2007: 262). Dennoch wird im vorliegenden Wörterbuch von dem Standpunkt ausgegangen, dass Sprichwörter eine Klasse für sich darstellen, und eine eigenständige Rubrik „Sprichwörter“ eröffnet. Sie werden traditionsgemäß für Volksweisheiten gehalten, was bedeutet, dass sie allgemeingültige Wahrheiten, jene sprachlich festgehaltene Alltagsphilosophie widerspiegeln, vgl. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Sie beziehen sich nicht auf eine einmalige Situation (siehe das oben zitierte Beispiel Koń by się uśmiał, welches ein ironisierender Kommentar zu etwas Vorhergesagtem ist), sondern sie stellen generalisierende Äußerungen dar, die in einer möglichen Welt wahr sind. Dieser kommunikative Status unterscheidet sie von propositionalen Phraseologismen.

Phraseologie unterliegt denselben Prozessen wie der gesamte Wortschatz, bedingt durch die Beschaffenheit des Gedächtnisses. Es kommen Alterungsprozesse zum Vorschein, komplexe Einheiten verlieren ihre Motiviertheit und werden undurchsichtig. Es entstehen neue Varianten und Modifikationen. Dies betrifft auch – oder insbesondere – den religiösen Bereich, weil wir es hier mit langer schriftlicher Tradition der Bibel zu tun haben, die auch Archaismen aufrechterhält. Das Altern der Phrasematik kann man im vorliegenden Wörterbuch anhand von rot markierten Wendungen innerhalb religiöser Profile beobachten, die längst ihre sakrale Bedeutung verloren haben (vgl. Gott im Himmel!, Grüß Gott!, über Gott und die Welt reden etc. unter dem Stichwort → Gott (religiös-monotheistisches Profil).

Das letzte oben aufgelistete Kriterium der Idiomatizität bezieht sich auf die semantische Kohärenz innerhalb der Phraseologie oder besser besagt auf ihr Fehlen: die Bedeutung eines Phrasems ist nicht additiv, sie ergibt sich nicht aus der Summe der Teilbedeutungen ihrer Komponenten, sondern beinhaltet einen semantischen Mehrwert. Dies ist Grund genug, um solche formal gegliederten Ausdrücke als eine Einheit ins Wörterbuch aufzunehmen, wo die Gesamtbedeutung erklärt werden muss. Um sie zu verstehen, ist häufig eine Portion vom Kulturwissen erforderlich. So z. B. bedeutet die Phrase dt. Perlen vor die Säue werfen/ poln. rzucać perły przed wieprze ungefähr ‘Einer Person etwas geben, das sie nicht zu schätzen weiß; wertvolle Argumente an jemanden verlieren, der nicht in der Lage ist, sie nachzuvollziehen’. Diese Wendung ist in allen europäischen Sprachen belegt – ihre Quelle ist die Bibel, genauer Jesu Worte aus der Bergpredigt (Mt 7,6). Im Bibelkommentar (BT 1988) findet man eine Auslegung dazu: „Das Heiligtum soll nicht einer Schändung ausgesetzt werden“ (einen linguistischen historisch-etymologischen Kommentar dazu siehe Walter et al. 2010: 192–193), was nicht direkt, sondern mithilfe einer bildhaften Metapher ausgedrückt wird. Im Matthäusevangelium steht ein Negationssatz: „(…) eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen“. In der Umgangssprache der Gegenwart ist die Negationspartikel fakultativ, die Bedeutung längst säkularisiert (siehe die Explikation oben). Um die Metapher zu verstehen, genügen profane, in unserem Kulturkreis etablierte Assoziationen mit ‘Perle’ (wertvoll) und ‘Sau’ (schmutzig, minderwertig). Der übertragene – und nicht wörtliche – Sinn bleibt aber bestehen. Die Bildhaftigkeit verleiht phraseologischen Einheiten eine besondere stilistische Färbung: sie wirken expressiv. Die Expressivität ist ein weiteres Merkmal, welches die Phraseologie auszeichnet (vgl. Lipczuk et al. 2012: 17). Dabei können sie unterschiedliche stilistische Register repräsentieren und sowohl umgangssprachlich als auch buchsprachlich („ausgesucht“, „gehoben“) markiert sein.

Die semantische Unregelmäßigkeit ist dennoch kein entscheidendes Argument bei der Bestimmung des Phraseologieinventars. Auch nichtidiomatische Einheiten werden dazu gerechnet. Idiome können synthetische Lexeme (polyseme Simplizia bzw. Derivate und Komposita) sein, deren Bedeutungen auf metaphorischen Bildern beruhen, vgl. dt. spinnen ‘Blödsinn erzählen’, Angsthase, Geburtstagskind (muss nicht im Kindesalter sein), Glückspilz, Geisterfahrer, slowak. duša wörtl. ‘Seele’, lexikalisch ‘das Innere einer Gummiröhre oder eines Gummiballs’ u. v. a.

Als semantisch regelmäßig, und dennoch als phraseologisch einstufen kann man solche Analytismen wie: poln. pójść do spowiedzi/ zur Beichte gehen, wyznawać grzechy/ Sünden bekennen, Wielki Post ‘Osterfasten’, wino mszalne ‘Messwein’, tschech. křestní kmotr ‘Taufpate’, smrtelný hřích ‘Todsünde’, dt. Keuschheit, Armut, Gehorsam (evangelische Grundsätze – siehe → Keuschheit). Manche von solchen Wendungen können auf den Kopf reduziert werden, vgl. křestní kmotr vs. kmotr, oder durch ein Wort ersetzt werden, vgl. zur Beichte gehen und beichten. Trotzdem lässt ihre Form nicht viel Spielraum übrig. Man sagt zur Beichte gehen, seltener auch zur Beichte kommen/ zur Beichte erscheinen, aber schon nicht *zur Beichte schreiten/ sich zur Beichte bewegen. Solche Fälle stehen an der Grenze zu Kollokationen, auch Semiphraseme genannt, d. h. syntaktischen Strukturen, deren Kombinierbarkeit der Bestandteile probabilistisch auf dem Häufigkeitskriterium beruht, wie blau und Himmel (blauer Himmeliviv  Das polnische Adjektiv niebieski ist mehrdeutig: 1. ‘blau’, 2. ‘Himmels-/ himmlisch’, was der starken Assoziation des Himmels und der Farbe blau zu verdanken ist. Diese zweite Bedeutung ist inzwischen allerdings veraltet. Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, verwendet man eher das Adjektiv niebiański ‘himmlisch’.), Wasser und trinken. Im Gegensatz zu Phraseologismen sind Kollokationen keine lexikalischen Einheiten sondern syntaktisch teilbare Strukturen. Anhand der Verbindungen kann man dennoch schlussfolgern, welche semantische Konnotationen dem Bezugswort anhaften, was seinerseits für eine konzeptuelle Vorstellung relevant ist. Man findet z. B. folgende Kollokationen mit dem Wort Gott: ~ anbeten, ~ lieben, ~ lästern, ~ leugnen, ~ anrufen; ~ und die Menschen beleidigen; an ~ glauben; auf ~ vertrauen; zu ~ beten, ~ flehen. Sie spiegeln die Relation Mensch – Gott wider, was eine Definition des religiösen Konzeptes ‘Gott’ nicht vernachlässigen kann (siehe → Gott).

Obwohl Phraseologismen als weniger typische lexikalische Einheiten angesehen werden, ist ihr Vorrat in einer Sprache enorm groß. Nach Schätzungen Mel’čuks (1998: 24) gestaltet sich das Verhältnis zwischen Phrasemen und synthetischen Wörtern wie zehn zu eins. Generell muss man sagen, dass die wirkliche Anzahl lexikalischer Mittel die Kapazität der zur Verfügung stehenden Wörterbücher um das Mehrfache übersteigt (Nagórko 2011b: 247). Die Lexikographie registriert nur einen Bruchteil davon.

2. Biblismen

Unter Biblismen versteht man lexikalische Mittel biblischer Abstammung, die in der Allgemeinsprache verbreitet sind. Auf die formale Komplexität kommt es dabei nicht an. Es können sowohl einfache Wörter als auch Phraseme sein, die von der Sprechergemeinschaft (je nach dem Bildungsniveau jedes Einzelnen) mit der Bibel assoziiert werden. Die erste Gruppe – die der Simplizia – umfasst Eigennamen (Jahve, Jesus, Goliath) sowie Benennungen von Realien, die für levantinische Völker, für ihre Flora und Fauna, ihr Familien- und Berufsleben etc. typisch waren, soweit diese mit bestimmten Bibelstellen in Verbindung gebracht werden, vgl. Hirt („Ich bin der gute Hirt“, Joh 10,11–14), Schaf („Wir alle irrten umher wie Schafe“, Jes 53,6; siehe auch Lk 15,4–7), Wüste („Und du sollst gedenken, des ganzen Weges, den der Herr, dein Gott, dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre in der Wüste“, 5. Mose 8,2), Isop/Ysop („Entsündige mich mit Isop, dass ich rein werde, wasche mich, dass ich schneeweiß werde.“, Ps 50 (51),9) u. v. a. Solche Wörter haben eine tiefgreifende, nicht immer eindeutige Symbolik, in welcher der übertragene Sinn überwiegt, so bedeutet z. B. Wüste ‘Ort der Erprobung’.

Komplexe Einheiten, d. h. die biblische Phrasematik, werden verhältnismäßig weit konzipiert. Dazu gehören auch geflügelte Worte, die als zitatenähnliche Ausdrücke verwendet werden (vgl. Pilatus’ Worte Ecce homo (Joh 19,5), auch als Motiv in der Malerei bekanntvv  Siehe das Ölgemälde „Ecce homo“ (1881) des Künstlers Albert Chmielowski (1989 heiliggesprochen).) oder ironisch paraphrasiert werden (vgl. Nathanaels Worte poln. Czy może być co dobrego z Nazaretu?/ Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen? (Joh 1,46) und Czy może być coś dobrego z Lourdes? – aus der Zeitschrift „Niedziela“). Manche Phraseme stellen verkürzte Benennungen der Ereignisse dar, die in der Bibel als Teil der Heilsgeschichte ausführlicher beschrieben wurden, vgl. dt. der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen/ poln. drzewo poznania dobra i zła (Gen 2,15–17), dt. das Gelobte Land/ poln. Ziemia Obiecanavivi  Je nach Bedeutung groß- (religiös) oder kleingeschrieben (säkular): Ziemia Obiecana/ ziemia obiecana. Als Titel des Romans von Władysław Reymont: Ziemia obiecana (1899), analog der Filmtitel 1974 in der Regie von Andrzej Wajda. (Gen 13,14–18; Ex 6,8), dt. die ägyptischen Plagen/ poln. plagi egipskie (Ex 7,14–11,10), das letzte Abendmahl/ Ostatnia Wieczerza (Mt 26,17–30), Der Kindermord in Betlehem/poln. rzeź niewiniątek (Mt 3,16–18). In dem Zusammenhang wird in der linguistischer Literatur zwischen direkten und indirekten Biblismen (Walter et al. 2010: 19) unterschieden.

Einen bedeutsamen Beitrag zur Fixierung ihrer materiellen Ausdrucksweise leisteten Übersetzer, wobei die Bibelübersetzungen zugleich als Meilensteine in der Entwicklungsgeschichte von „profanen“ Volkssprachen gelten (vgl. Greule 2012). Im deutschsprachigen Raum ist die Autorität der Luther-Bibel unangefochten, fürs Tschechische und Slowakische spielt die Kralitzer Bibel eine vergleichbare Rolle, fürs Polnische die Bibelübersetzung von Jakub Wujek (siehe → Startseite). Obwohl die Erstausgaben allesamt auf das 16. Jh. zurückgehen, werden sie von vielen Sprechern immer noch als kanonisch betrachtet. Neue Übersetzungen werden von ihnen skeptisch wahrgenommen, auch wenn sie sprachhistorisch bedingt notwendig sind. Es entsteht nicht selten eine Diskrepanz zwischen der von der offiziellen Kirche akzeptierten Bibelsprache und ihren Spuren in der Allgemeinsprache. So z. B. bekam das polnische Phrasem ptak(i) niebieski(e) ‘himmlische Vögel’ (in der Übersetzung von Wujek „Spojrzyjcie na ptaki niebieskie, iż nie sieją ani żną, ani zbierają do gumien, a wżdy Ojciec wasz niebieski żywi je.” (Mt 6,26)) eine ganz profane Bedeutung ‘Schmarotzer, Faulenzer’. In der BT (1988) musste die Phrase neu formuliert werden: „Przypatrzcie się ptakom w powietrzu: nie sieją ani żną i nie zbierają do spichlerzy, a Ojciec wasz niebieski je żywi.” (ebenda).

Auf der Text- bzw. Diskursebene haben wir öfter mit Anspielungen, Metaphern und Bildern zu tun, die Bibelmotive aufgreifen, welche sich für den fortwährenden „kulturellen Stoffwechsel“ hervorragend eignen, wie z. B. unzählige Varianten der Friedenstaube (siehe den Umschlag des Konferenzbandes „Sprachliche Säkularisierung (Westslawisch – Deutsch)“, 2011). Auch religiöse Menschen assoziieren das Symbol eher mit Picassos Bild als mit dem Buch Genesis (1 Mose 8,10–11). Weniger bildhaft, aber stilistisch wirksam ist eine Parole Die Frau lebt nicht vom Brot allein (in der Bibel: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (Mt 4,4). Anspielungen an die Bibel waren auch in der Protestbewegung des Wendejahrs 1989 auf Massendemonstrationen in der DDR zu sehen, z. B. Nach 40 Jahren Wüstenwanderung glauben wir nicht mehr an die alten Propheten! – vgl. Zahlen 14,33; Zu viele Wölfe von gestern im Reformerschafspelz von heute – vgl. Mt. 7,15 – als Sprüche auf den Transparenten (Lang 1990: 170).

Eine Vorstellung darüber, welchen Anteil die Biblismen am lexikalischen System haben, können dem Leser zugängliche phraseologische Wörterbücher geben. Die Angaben variieren dennoch von Sprache zur Sprache, was auch mit der Erhebungsmethodik und mit dem (wissenschaftlichen oder popularisierenden) Charakter des Nachschlagewerks zusammenhängt. Grobe Schätzungen gehen von dem Größeninterval zwischen dreihundert und eintausend Einheiten aus (so fürs Polnische: Chlebda 2005)viivii  Das russische „Tolkovyj slovar’ biblejskich vyraženij i slov“ von V. M. Mokienko, G. A. Lilič, O. I. Trofimkina, Moskva 2010, umfasst schon ca. 2000 Einheiten.. Neben Phraseologiewörterbüchern, die das gesamte Sprachmaterial (nicht nach Herkunft/ Bereich sortiert) aufnehmen, gibt es inzwischen auch Lexika, die sich speziell mit Biblismen befassen. Patrik Ouředník (1994) hat ca. 1300 Einheiten aus dem Tschechischen zusammengestellt. Der Titel seines Lexikons enthält eine Anspielung an das Buch Kohelet (1,2–11): „Aniž jest co nového pod sluncem. Slova, rčení a úsloví biblického původu“. Jan Godyń (1995) behandelt in seinem „Od Adama i Ewy zaczynać. Mały słownik biblizmów języka polskiego“ ca. 370 polnische Biblismen, darunter 36 Einzelwörter. Auch vergleichende sprachübergreifende Wörterbücher stehen zur Verfügung. In „Czesko-polski słownik skrzydlatych słów” von Teresa Orłoś und Joanna Hornik (1996) befinden sich 950 tschechische geflügelte Worte sowie ihre polnischen (gegebenenfalls europäischen) Äquivalente. Nach der Selbsteinschätzung der Autorinnen gibt es darunter ca. 40% Biblismen. Der Teil „Europäismen“ im polnisch-russischen „Podręczny idiomatykon polsko-rosyjski“, bearbeitet von Wojciech Chlebda (Heft 5, 2010), beinhaltet 820 Stichwörter. Im Werk „Deutsch-polnisches Wörterbuch biblischer Phraseologismen mit historisch-etymologischen Kommentaren“ von Harry Walter, Ewa Komorowska, Agnieszka Krzanowska und Kollektiv (2010) geben die Verfasser keine quantitative Auskunft, aber aus der Berechnung der im Index (S. 302–309) aufgelisteten deutschen Ausgangsphrasen ergibt sich die Zahl 274.

Das Hauptaugenmerk wird meistens auf genetische Erklärung gerichtet, unabhängig davon, ob die Sprecher sie überhaupt noch mit der Bibel verbinden. So wurde als Biblismus die Wendung Black is beautiful/ Czarne jest piękne eingestuft (Walter et al., 2010: 48 f., vgl. auch Krauss 2007: 31), die zunächst als Parole der Befreiungsbewegung der Afroamerikaner in 1960er Jahren in den USA bekannt wurde, dann ins politische Lexikon der BRD gelangt ist (wo „schwarz“ für CDU/CSU Politiker steht). Die Verfasser bemerken, dass diese Phrase auf das Hohelied zurückgehe (Hld 1,5–6). In der sprachhistorisch angelegten Arbeit von Stanisław Koziara „Frazeologia biblijna w języku polskim“, 2001, wurden 98 feste Wortverbindungen anhand älterer und neuerer Bibelübersetzungen analysiert. Sie werden in allen formalen Varianten zitiert, die im Mittel- und Neupolnischen belegt sind, vgl. Głos wołającego na pustyni (Mk 1,3; Joh 1,23): wołać na puszczy/ wołający na puszczy/ wołanie na puszczy/ ~ na pustyni. Das Wort puszcza als ‘menschenleere Gegend’ ist heutzutage ein semantischer Archaismus und wurde durch pustynia ‘Wüste’ ersetzt.

3. Säkularisierung der Biblismen und/ oder Unwissen?

Was die lexikographische Dokumentation meistens außer Acht lässt, sind die wirkliche, kontextabhängige Bedeutung und pragmatische Funktion eines Biblismus in der Gegenwartssprache. Ihr diachron-kulturelles Gewicht wird manchmal überbewertet. Umfragen, in denen Probanden nach Altersgruppen aufgeteilt befragt werden, zeigen, dass die jüngere Generation die religiöse Sprache im Vergleich zu ihren Eltern und Großeltern in deutlich geringerem Umfang versteht. Aus der Untersuchung unter slowakischen Probanden von Mária Imrichová (2014) geht hervor, das z. B. die religiöse Bedeutung konvertovať na inú vieru ‘zum anderen Glauben übertreten’ weniger geläufig für sie ist als die neue konvertovať text im Jargon der Informatik. Eva Minářová (2011: 196) berichtet über eine Umfrage, die unter tschechischen Studierenden durchgeführt wurde. Zwei Drittel der Befragten gaben zu, die Herkunft folgender Wendungen nicht zu kennen: 1. dvěma pánům nelze sloužit, 2. co je císařovo, císaři, co je božího, Bohu, 3. neházejte perly sviním, 4. nezůstane kámen na kameni, 5. došlo na lámání chleba. Viele sahen ihren Ursprung in Volksdialekten. Bei solchem Unwissen sind der semantische Doppelboden des Textes und intertextuelle Anspielungen an den biblischen Prätext nicht nachvollziehbar.

Biblismen, die in nichtreligiösen Diskursen auftauchen, unterliegen dem Säkularisierungsprozess, was man z. B. in der Presse gut beobachten kann. Es beginnt mit der Kontexterweiterung, vgl. die Schlagzeile „Ziemia obiecana hipermarketom“ (‘Das gelobte Land für Hypermärkte’), führt über wörtliche Lesart des Phrasems, vgl. „Twoja alfa i omega (Überschrift) Samochód Alfa Romeo wygrał (…) Zegarki Omega wygrali…“ (‘Deine Alpha und Omega (…) Den Wagen Alfa Romeo gewann…, Die Uhren Omega gewannen…’), bis zur formalen Dekomposition, wie in der Überschrift Kieszeń Noego (‘Die Tasche von Noah’) (die Beispiele aus Chlebda 2011: 359–362). Strukturelle und semantische Modifikationen können eine phraseologische Einheit unkenntlich machen, sie ganz verstümmeln. Die Ausgangsphrase dient dann als eine Art syntaktische Matrix, vgl.:

„w mojej kartotece wycinków prasowych z lat 2005–2013 chleb <nasz> powszedni staje się między innymi białym chlebusiem, bułeczką, rybą, stresem, strachem, plazmą ‘telewizorem plazmowym’, płotem, stołem (obrad), śmiechem, śmieciami naszymi powszednimi itp.” [In meiner Kartei der Presseausschnitte aus den Jahren 2005–2013 wird <unser> tägliches Brot u. A. zu (unser/e tägliches/ -er, -e) weißes,kleines Brot, Brötchen, Fisch, Stress, Angst, Plasmafernseher, Zaun, Beratungstisch, Lachen, Müll usw.’] (Chlebda 2014: 8)

Die meisten genetischen Biblismen haben schon eine stabile säkulare Bedeutung in der profanen Sprache bekommen, wie z. B. poln. rzeź niewiniątek (wörtl. ‘Das Gemetzel der Unschuldigen’). Die erste säkularisierte Bedeutungsverschiebung war im Jugendjargon zu beobachten, wo rzeź niewiniątek zunächst scherzhaft die Bedeutung ‘Nichtbestehen einer Prüfung, wenn viele Prüflinge durchgefallen sind’ bekam, dann wurde das Phrasem auf Situationen übertragen, wo große Opfer zu beklagen sind, z. B. auf niederschmetternde Niederlage einer Fußballmannschaft. Die katholische Kirche hat diese Phrase in der emotionalen Debatte um die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes sowie um die künstliche Befruchtung in Polen benutzt. In der Internet-Ausgabe der katholisch-konservativen Zeitung „Nasz Dziennik“ (28.12.2012) war von dem Kindermord in Bethlehem die Rede: Powstrzymać rzeź niewiniątek. Gemeint waren in erster Linie die (legalen sowie illegalen) Schwangerschaftsabbrüche, die mit dem Kindermord in Bethlehem verglichen wurden. Chlebda (2014: 4) bewertet diesen Vorgang, wenn eine Rückkoppelung mit dem Primärtext (Mt 2,1–2) zustande kommt, als (Re)Sakralisierung.

Die Bibel als Sprücheschatz wurde auch von der der Religion gegenüber feindlich eingestellten kommunistischen Propaganda als Parolenquelle in ihrem Klassenkampf benutzt, vgl. tschech. Kdo není s námi, je proti nám, slowak. Kto nie je s nami, je proti nám, poln. Kto nie jest z nami, jest przeciw nam, dt. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns (vgl. Mt 12,39); tschech. Oddělit koukol od zrna/ pšenice (siehe die entsprechende Bemerkung im Wörterbuch von Ouřednik), slowak. Oddeliť plevy od zrna, poln. oddzielić ziarno od plew, dt. die Spreu vom Weizen trennen (Mt 13,25) (siehe Nagórko 2011a: 131).

Im vorliegenden Wörterbuch wird die Phraseologie nicht getrennt, sondern unter jeweiligen Stichwörtern in der Rubrik „Phraseme, Kollokationen“ behandelt. Die einzige Ausnahme stellt die symbolträchtige Arche Noah dar, die in einem separaten Stichwortartikel beschrieben wurde.

I. Literaturauswahl

II. Anmerkungen

i Die synonyme Bezeichnung Phrasem wird im pragmalinguistisch orientierten Ansatz verwendet (siehe Nagórko 2007: 272).
ii Dem, was in den slawischen Sprachen phrasematisch ausgedrückt wird, kann im Deutschen ein Kompositum entsprechen, z. B. tschech. Jidášův groš, slowak. judášský groš, poln. judaszowe srebrniki, aber dt. Judaslohn; analog: úhelný kámen/ uholný kameň/ kamień węgielny/ Eckstein; obětní beránek/ obetný baránok/ kozioł ofiarny/ Sündenbock; archa úmluvy/ archa zmluvy/ arka przymierza/ Bundeslade.
iii Es gibt Spezialwörterbücher, die solches Sprachmaterial registrieren, siehe Büchmann 2005 oder Markiewicz/ Romanowski 2005.
iv Das polnische Adjektiv niebieski ist mehrdeutig: 1. ‘blau’, 2. ‘Himmels-/ himmlisch’, was der starken Assoziation des Himmels und der Farbe blau zu verdanken ist. Diese zweite Bedeutung ist inzwischen allerdings veraltet. Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, verwendet man eher das Adjektiv niebiański ‘himmlisch’.
v Siehe das Ölgemälde „Ecce homo“ (1881) des Künstlers Albert Chmielowski (1989 heiliggesprochen).
vi Je nach Bedeutung groß- (religiös) oder kleingeschrieben (säkular): Ziemia Obiecana/ ziemia obiecana. Als Titel des Romans von Władysław Reymont: Ziemia obiecana (1899), analog der Filmtitel 1974 in der Regie von Andrzej Wajda.
vii Das russische „Tolkovyj slovar’ biblejskich vyraženij i slov“ von V. M. Mokienko, G. A. Lilič, O. I. Trofimkina, Moskva 2010, umfasst schon ca. 2000 Einheiten.
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