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sacrum und profanum
religiöse lexik in der allgemeinsprache (deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch)

Religion und Werbung

1Zur Werbung
1.1Einführung
1.2Funktion, Kanäle, Formate
2Werbung und Kunst
3Zusammenwirken von Sprache und Bild
4Religiöse Motive in der Werbung
4.1(Pseudo-)Religiöse Folklore
4.2Unterhaltung
4.3Sakrileg
4.4Eigener Brand (Marke)
4.5Nichtmerkantile Werbung
ILiteraturauswahl
IIAnmerkungen

1 Zur Werbung

1.1 Einführung

Auf den ersten Blick scheinen die beiden im Titel genannten Bereiche weit voneinander entfernt zu sein. Die Werbung hat mit der Vermarktung von Waren, Dienstleistungen bzw. Ideen zu tun und ist am finanziellen Gewinnorientiert. Die Religion willnicht wie eine Ware verkauft werden, auch wenn die apostolische Glaubensverbreitung (Missionierung)iAnders als Missionierung ist der Proselytismus mit negativer Wertung behaftet: Er wird als Abwerben von Gläubigen anderer Konfessionen verstanden, z. B. orthodoxen Christen durch die katholische Kirche. Der Papst Franziskus hat solche Praktiken dezidiert verurteilt. zu den Aufgaben ihrer Bekenner gehört. In dieser Abhandlung steht aber die Werbung im Fokus und insbesondere die Frage, wie religiöse Elemente in der Branche benutzt werden. Ihre Bandbreite weist z. B. eine Sammlung von über 500 deutscher Werbeanzeigen aus den 1990-er Jahren vor, die im Internet zu sehen ist (www.glauben-und-kaufen.de).

Die gesellschaftlich-politische Wende nach 1989, die u. A. eine Rückkehr zu der Marktwirtschaft im Mitteleosteuropa zur Folge hatte, hat in einem bisher nicht bekannten Ausmaß die offensive Präsenz der Werbung im öffentlichen Leben mit sich gebracht. Sie ist allgegenwärtig: auf den Straßen, in Einkaufszentren (selbstironisch als moderne Konsumtempel bezeichnet), in Kinosälen, aber auch zuhause, sobald wir eine Zeitschrift in die Hand nehmen, das Radio oder den Fernseher einschalten bzw. im Internet surfen. Die Medienspezialisten machen sich Gedanken darüber, wie man am besten erwünschte Zielgruppen (target group) erreichen kann. Manche Menschen fühlen sich der aggressiven Werbestrategie hilflos ausgesetzt. Die Werbung hat also keinen guten Ruf, vor allem unter gesellschaftlichen Eliten, die die Werbetreibenden und ihre Auftraggeber der Profitgier und Manipulation bezichtigen. Andererseits wird in der Forschung die Meinung vertreten, dass die Werbung viel über den aktuellen Stand der Gesellschaft aussagt. Wenn man nun das Verhältnis zu Glaubensfragen im Blickwinkel hat, erlaubt eine Analyse von Werbestrategien Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie es um das ‘Image’ der Religion steht. Neben der menschlichen Sexualität ist es ein tabubelasteter Bereich, was naturgemäß noch mehr Interesse unter dem Publikum erregen kann. Stimmen die Faustregeln also: Sex sells sowie Religion sells?  

1.2 Funktion, Kanäle, Formate

Die Werbung als eine Form der Massenkommunikation und Teil der Medienwissenschaften wurde zunächst zum Forschungsobjekt in den USA und im anglo-amerikanischen Sprachraum. Seit einigen Jahrzehnten beschäftigt sie auch Forscher, darunter Sprachwissenschaftler, in Deutschland (z. B. Buschmann/ Pirner 2003, Janich 2013, Sowinski 1998), Polen (Budzyński 1999, Lewiński 1999, Skowronek 1994), Tschechien (Čmejrková 2000, Srpová 2008) und der Slowakei. Es machen sich auch Publikationen bemerkbar, die sich speziell mit religiösen Elementen in der Werbung auseinandersetzten (Bauer 2006, Grygerková/ Lašťovičková 2011, Rybka/ Sławek 2012, Tremel, Hg., 1986, Wacławek 2009)iiEs gibt auch viele Internetseiten, die sich mit der Problematik befassen, vgl. z. B. lehrer-online: Religiöse Motive in der Werbung. . Es sei hier kurz auf die wichtigsten Charakteristika eingegangen, die in der Fachliteratur öfter thematisiert werden.

Die Funktion: In erster Linie geht es um eine persuasive Funktion, die auf den Adressaten gerichtet ist. Es soll sein Gemütszustand verändert werden, er soll anfangen Verlangen nach etwas zu spüren, auch wenn dieser psychische Prozess latent bleibt und zu keiner Handlung führt. Ein geglückter Werbeakt bewegt auch zum Kauf der Ware oder zumindest führt er zur Herausbildung eines positiven Bildes des Produkts in Augen potentieller Kunden. Neben der Persuasion kommt auch eine informative Funktion in Frage, sie ist aber nicht vordergründig. Der Werbetext informiert über neue Technologien, Eigenschaften der Produkte, Preise etc., was eine Orientierung in der ständig wachsenden Konsumwelt leichter macht. Dennoch glauben die Verbraucher nicht besonders an die Objektivität solcher Informationen.

Kanäle: Jede Botschaft erreicht den Empfänger über Seh- (visuell) bzw. Hörorgan (akustisch), meistens aber gemischt über mehrere Sinne (Es kommen auch Geruch- und Tastsinn hinzu, die ebenso für Marketingzwecke entdeckt wurden). Der technische Fortschritt hat zu einem enormen Zuwachs an Kommunikationsmedien geführt. Neben den einst von McLuhan (1964) genannten Gutenberg und Marconi Galaxien (Print- und elektronische Medien) sind es sog. neue Medien, vor allem der Mobilfunk und das Internet, die die Massenkommunikation sprunghaft geändert haben. Heutzutage wird die Werbung über SMS, auf Webseiten, YouTube, durch E-Mails, Chats, Blogs, Twitters etc. verbreitet. Auch die Kirche nutzt die neuen Medien für die Evangelisierung (vgl. Zdunkiewicz-Jedynak 2006).

Formate: Wenn man dabei zunächst an die Größe von Werbetexten denkt, muss man feststellen, dass sie sehr variabel sein können. Möglich sind sowohl kleine Aufkleber auf Laternen und Ampelpfosten (darunter solche wie Jesus liebt dich), als auch riesige Billboards, die ganze Häuser bedecken oder weit sichtbar auf dem Straßenrand platziert werden. In der audiovisuellen Form sind sowohl etwas längere Videos als auch kurze, wenige Sekunden dauernde Werbespots zu sehen. Auch riesige Plastiken erwecken den Verdacht, in erster Linie schon wegen ihres Ausmaßes den Werbezwecken zu dienen (wie die Christus-Figur in Świebodzin, Westpolen, die diese Region – die wagt, sich mit Christus von Rio de Janeiro zu messen – berühmt machen sollte).

Formate im textlinguistischen Sinne bestimmen die Struktur von Werbetexten, die verbale (Sprache) und nonverbale (Bild) Mittel einsetzen. In einer schon etwas zurückliegenden Darstellung von Leech (1966) besteht solche Struktur aus folgenden sprachlichen Teilen: headline (Titel), body (Hauptteil), slogan (Slogan: eine Floskel, welche mit dem Produkt identifiziert wird, wie Nespresso… What else?), Logo (Symbol, wie z. B. der Mercedes-Stern) sowie brand (Marke). Eine solche Gliederung ist vor allem für traditionelle Medien typisch (wie Anzeigen in der Presse) und nicht alle ihre Teile sind obligatorisch. Im Rundfunk und Fernsehen unterscheidet Srpová (2008: 71) zwei Genres: ein Drama (eine gespielte dialogische Szene) und einen Vortrag (von einem ‘Experten’ gehalten). Gemeinsam ist für sie eine narrative Entwicklung, die auch in der statischen Werbung benutzt werden kann, wenn z. B. einzelne Werbebotschaften sequentiell in bestimmten zeitlichen Abständen in einem Periodikum erscheinen.

2 Werbung und Kunst

Die Werbebotschaft ist immer in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext verankert und wird als Teil des fortwährenden Diskurses betrachtet, als Prozess von Verarbeiten und Weitergeben von Texten im weiten Sinne dieses WortesiiiEs sei hier an einen in weiten Kreisen von Intellektuellen geteilten Standpunkt erinnert, wonach die Wissenschaft und Kultur der Postmoderne zu einem riesigen Berg von Texten relativiert werden. . Kein Wunder also, dass man oft mit der Intertextualität auch in der Werbung zu tun hat, wenn im aktuellen Text Anspielungen an einen vorausgehenden Bezugstext, meistens in Form von sog. geflügelten Worten, zu beobachten sind. Die Rolle des Bezugstextes spielt häufig auch die Bibel.

In der Werbebranche wird betont, dass sie keine erzieherischen Ansprüche erhebt. Werbetreibende nehmen die Menschen so wie sie sind. Das Verhältnis der Kirche dazu ist dennoch anders. Sie lehnt solche Strategien ab, die – wenn auch implizit, unterschwellig – an menschliche Habgier und Neid appellieren. Allgemein gilt auch, dass schockierende oder pornographische Elemente nicht geduldet werden.

Das, was besonders geschätzt wird, ist die Kreativität, die aus der Werbung Kunst macht. Beiden ist eine gewisse Neigung zum Provozieren
gemeinsam. Beide spielen auch gern mit religiösen Inhalten, was manchmal an Blasphemie grenzt (und tatsächlich vor Gericht landetivSoweit bekannt, wurde noch niemand in den besagten Ländern verurteilt. Der Gesetzgeber sieht aber Bußgelder bzw. Freiheitsstrafen für Verletzung religiöser Gefühle vor (z. B. in Polen ist es der Artikel 196 des Strafgesetzbuches).). Die moderne Kunst hinterfragt die Glaubensfragen, indem sie die Gesellschaft kritisch seziert. Auf eine Verknüpfung des Marktes und des Religiösen weist beispielsweise das Bild Andy Warhols „Converse extra special value“ (1985/ 86), welches sich in der Sammlung der Münchner Pinakothek der Moderne befindet – siehe Abb. 1:

Abbildung 1.: Andy Warhol, Converse extra special value (1985/ 86)

(Quelle: http://www.allthingskate.com/assets/sites/2/Converse%20Special.jpg)

Der Künstler – wie auch viele vor ihm und nach ihm – war von Leonardos Meisterwerk „Das letzte Abendmahl“ fasziniert, zu dem er in derselben Zeit viele Variationen schuf. Converse-Schuhe gehen mit religiösen Motiven andeutungsweise um. Der Turnschuh wird zum „extra special value“ angeboten. Die Zahl 12 (der Warenpreis) ist eine Anspielung auf die zwölf Apostel in Leonardos Bild. Der Firmenname converse kann (zugegeben, nicht auf den ersten Blick) mit der religiösen Konversion/ konvertieren in Verbindung gebracht werden. Sowohl der abgebildete Schuh als auch der angedeutete Glaube werden hier als Superangebote zur Schau gestellt: sie haben einen herabgesetzten Wert. Wie der Schuhkauf, kann sich auch ein möglicher Übertritt zum anderen Glauben in jeder Hinsicht lohnen. Der Betrachter kann sich dabei in seinem religiösen Empfinden nicht verletzt fühlen, weil jegliche Grenzen – auch die des guten Geschmacks – nicht überschritten wurden.

Das lässt sich nicht über ein Werbeplakat von Otto Kern (1993) sagen, welches Leonardos Bild für eine Jeans-Werbung verzerrte, indem Jesus-Jünger durch halbnackte, nur in Jeans gekleidete Frauen (bzw. Männer in anderer Variante) ersetzt wurden. Diese Werbung wurde vom deutschen Werberat zurückgezogen.

In Polen haben für großen medialen Wirbel das Bild „Ostatnia wieczerza“ („Das letzte Abendmahl“) vom Danziger Maler Maciej Świeszewski (im längeren Zeitraum 1995–2005 gemalt) sowie der auf dieses Ereignis narrativ anknüpfende gleichnamige Roman von Paweł Huelle (2007) gesorgt. Für Jesus-Jünger haben prominente Persönlichkeiten, darunter lokale Politiker, Modell gestanden. Überraschenderweise wurde das Projekt nicht von Kirchenvertretern, sondern von der polnischen künstlerischen Avantgarde und Klatschmedien angegriffen.

Ein provozierendes, bedenklich über das Verhältnis der Religion und Kommerz einstimmendes Bild, lieferte der tschechische Künstler David Černý, indem er den Passions-Christus in Form eines Bastel-Sets darstellte. Religion als Selbstbedienungsladen, wo man einzelne Stücke für sich herauspicken kann?

Abbildung 2: David Černý, Jesus Christ (1993)

(Quelle: http://www.iltempo.it/polopoly_fs/1.175612!/image/image.jpg_gen/derivatives/landscape_660/image.jpg)

Wie man sieht, steht die moderne Kunst kritisch dem traditionellen, zur Selbstreflexion unfähigen Glauben gegenüber. Besonders krass fällt die Kritik von Seite der feministisch betonten Kunst aus, wie z. B. in Werken von Katarzyna Kozyra. Ihre Arbeit Więzy krwi/ Blutsbande (1999) war auf vierhundert Billboards in Polen zu sehen. Sie zeigt, jeweils wiederholt, ein blutrotes Kreuz sowie einen Halbmond dar, auf denen nackte Frauen liegen – eine ist verkrüppelt, sie hat keinen Fuß, die andere ist gesund. Ürsprünglich stehen religiöse Symbole des roten Kreuzes und des roten Halbmondes für humanitäre Organisationen. Das Plakat war als Antwort auf den Krieg zwischen Christen und Moslems in Kosovo konzipiert. Es zeigt, dass im Namen der Religion Kriege geführt, aber auch Menschen geheilt werden können (zum Verhältnis Religion und junger Kunst in Polen siehe Sabor 2009: 74).

3 Zusammenwirken von Sprache und Bild

Schon die oben besprochenen Beispiele führen deutlich genug vor Augen, dass verbale und nonverbale Elemente sich in der medialen Welt und Werbung gegenseitig ergänzen, dass Bilder auch ihre Sprache sprechen. Der Macht des Bildes sind sich die Verleger der Boulevardpresse bewusst, was manchmal schon im Titel der Zeitung als Programm steht (wie die Bild-Zeitung). Aber auch seriöse Printmedien wollen mit einer bildhaften Cover-Story die Leser anlocken. Nicht selten werden dafür religiöse Motive benutzt, vgl. die Abb. 3 unten.

Abbildung 3: Das Cover der Wochenzeitschrift „Polityka“ vom 13.12.2011

(Quelle: http://www.voxeurop.eu/files/polityka.jpg)

Das Cover stellt die Bundeskanzlerin mit zusammengefalteten Händen wie bei einer Anbetung dar. Dieses Bild visualisiert und aktiviert einen komplexen religiösen Rahmen, zu dem solche Elemente gehören wie der Vorname Angela (genetisch von Engel abgeleitet), Patronka Europy („Schutzpatronin Europas“, also eine Heilige), reformacja („Deutsche/ Deutschland bereiten der EU eine neue Reformation vor“). Hinzu kommen noch rein graphische Motive: der Nimbus, der an eine Euro-Münze erinnert und der goldene Hintergrund wie auf einer russischen Heiligenikone. Die Zeitschrift ist an eine besser gebildete, linksliberale Leserschaft gerichtet. Man kann wohl annehmen, dass Katholiken unter ihnen auf das Wort reformacja/ Reformation argwöhnisch reagieren würden. Eine kompakte und reizvolle Botschaft, die dank dem Bild mit wenigen Stichwörtern auskommen kann. Die moderne Semantik geht sogar davon aus, dass Bilder auch die Wortbedeutung, wenigstens die Semantik des Verstehens, maßgeblich beeinflussen. Unser Denken ist ja imaginär, d. h. wir denken in Bildern. Lexikalische Bedeutungen lassen sich am besten durch Abbildungen ihrer prototypischen Denotate erklären – somit sind nonverbale Zeichen auch für die Sprachwissenschaft nicht zu unterschätzen.

4 Religiöse Motive in der Werbung

In der global gewordenen Weltwirtschaft sind auch in der Werbebranche viele Gemeinsamkeiten zu beobachten, vor allem was die Produktpalette anbelangt (überall werden z. B. gleiche Autos und Kosmetika verkauft). Mit denselben Produkten gelangen oft gleiche Schlagzeilen in den Umlauf. Auch in Bezug auf die Nutzung religiöser Elemente kann man von vielen Einstimmigkeiten ausgehen. Lokale Besonderheiten bestehen zwar auch, sie werden aber hier nicht hervorgehobenvSo z. B. kommt bei Polen die Fischwerbung in Verbindung mit Freitag als dem Fastentag gut an, weil Fleischverzicht am Freitag von vielen Katholiken noch praktiziert wird.. Die unten vorgenommene Aufteilung meint in erster Linie allgemeine Mechanismen und Funktionen solcher Werbung, wozu Beispiele aus allen der Untersuchung unterzogenen Sprachen gefunden werden konnten. Sie werden hier nur exemplarisch präsentiert. Man muss damit rechnen, dass die Übertragung sakraler Wörter und Symbole auf die profane Wirklichkeit zu ihrer Säkularisierung beiträgt.

4.1 (Pseudo-)Religiöse Folklore

Manche aus dem religiösen Vokabular stammenden Wörter funktionieren im breiten Kreislauf der Massenkultur längst ihres religiösen Sinnes beraubt. Als Paradebeispiele könnte man Engel und Teufel nennen. (Zur tschechischer Werbung mit anděl und ďábel siehe Grygerková/ Lašťovičková 2011: 402–405.)

Der theologischen Angelologie kann heutzutage die Angelomanie gegenüberstellt werden, weil die Engel-Figürchen überall auf uns lauern: als rundliche Babys, als wunderschöne blonde Frauen (seltener Männer) oder als geschlechtslose Wesen. Die Gottesboten, die Verkörperung des Guten, kommen in der Werbung nicht selten in Begleitung von Teufeln vor, die eigentlich das Gegenteil repräsentieren sollen (siehe die Benetton-Werbung, wo sich zwei Kinder, als Engelchen und Teufelchen gestylet, umarmen – ein Weißes und ein Schwarzes).

Abbildung 4: Benetton-Werbung

(Quelle: http://top10buzz.com/wp-content/uploads/2012/03/benetton-ad-08.jpg)

In der Kinematographie werden Engel sowohl von weiblichen (z. B. die androgyne Tilda Swinton als Gabriel in Constantine, 2005, von F. Lawrence) als auch von männlichen (wie John Travolta in Michael, 1996, von Nora Ephron; Nicolas Cage in City of Angels, 1998, von B. Silberling, Drehbuch nach der Vorlage von Wim Wenders) Schauspielern dargestellt. Als Unterscheidungsmerkmale dienen aus der religiösen Folklore gut bekannte Requisiten: die Flügel und weißes Gewand für Engel, die Hörner und dreizackige Heugabel für Teufel. Die Wirkung des Teufels ist zugestandenermaßen provozierend, diese Figur wird als verführerisch präsentiert, die zur süßen Sünde zu überreden versucht. Es wird eine Assoziationskette mit der Umwertung der Konzepte ausgelöst: verführerisch > sündhaft > himmlisch gut. Als biblisches Symbol der Verführung wird manchmal allein der Apfel benutzt (siehe vw.beetle Lassen Sie sich verführen auf dem Volkswagen Extrablatt – vgl. Gen 3,1–6, die Bibelstelle, wo zum ersten Mal der Teufel auftaucht). Der Engel dagegen wird mit beschützender Rolle in Verbindung gebracht, worauf seine Häufigkeit in der Werbung für karitative Organisationen hindeutet (bzw. diejenige, die sich für solche ausgeben wollen, wie der ADAC – die gelben Engel). Diese Rollenverteilung kann aber auch aufgehoben werden, was die Zigarettenwerbung Test it. von West mit einem männlichen Engel bzw. einer weiblichen Teufelin anschaulich zeigt. Die Engel können sogar zum Alkoholkonsum verführen (siehe Jägermeister-Werbung).

Jedes Jahr kommt der rot gekleidete Santa Claus, von Handelsketten gleich nach dem Halloween-Hokuspokus mit geschmückten Tannenbäumen und sonstigen Weihnachtsdekorationen feierlich eingestimmt, um am Heiligabend für Bescherung zu sorgen. Hier prallen dennoch unterschiedliche, mehr oder weniger laizisierte Traditionen aufeinander. Im katholischen Polen ist es immer noch der hl. Nikolaus (święty Mikołaj), was ein bisschen irritierend ist (der Nikolaustag fällt auf den 6. Dezember, an dem Tag bekommen Kinder Süßigkeiten von ihm). In Tschechien bringt Jesulein (Ježíšek) Geschenke. In Deutschland ist es der Weihnachtsmann, der sich allerdings äußerlich nicht von Santa Claus unterscheidet. Von regionalen Traditionen abgesehen, hat ein Video mit der Coca-Cola-Werbung das Bild dieses Mannes und seines Gespanns – aus riesigen Weihnachtstrucks statt Rentierschlitten bestehend – unwiderruflich geprägt. Trotzdem versucht die Kirche das Andenken an den heiligen Bischof, der ein großes Herz hatte, zu bewahren (auf der polnischen Internetseite www.wiara.pl war ein Banner zu lesen: Uwaga na oszusta! Szukaj… prawdziwego świętego Mikołaja! [Vorsicht, Betrüger! Suche… nach dem wahren hl. Nikolaus] – mehr dazu Rybka/ Sławek 2012: 454).

Auch andere religiöse Begriffe werden auf folkloristische bzw. mythologische Vorstellungen reduziert: Gott wird als bärtiger alter Mann dargestellt, der Himmel als ein kühl-weißer oder blauer unendlicher Raum (siehe die Pralinen-Werbung im Slowakischen: Orion – modre z nebe), die Hölle ist dunkel, nur von Feuerflammen beleuchtet, vor diesem Hintergrund sind teuflische Bestien zu sehen (vgl. die VW-Werbung Willkommen in der Hölle – der Seat Leon Supercopa 2007), das Paradies wird mit dem ‘Himmel’ ganz oben gleichgesetzt oder als mit Bäumen bewachsener Garten Eden dargestellt usw. Da solche Inhalte nicht ernst, sondern augenzwinkernd gesendet und wahrgenommen werden, steht ihr Unterhaltungswert an erster Stelle. Auf eine belustigende Art und Weise hat die BILD-Zeitung um die Gunst der Leser geworben: auf einem Plakat stehen Adam und Eva unter einem Apfelbaum, offensichtlich im Paradies – Eva hält in ausgestreckter Hand einen Apfel. Eine Aufschrift (mit Anführungszeichen, kann ein Zitat aus der Zeitung sein) warnt sie: „Nicht essen!“ Darunter: BILD informiert. Leider erst seit 1952. In der rechten Ecke unten befindet sich noch das bekannte Logo mit BILD Dir deine Meinung!

4.2 Unterhaltung

Unterhaltsam und lustig sind schon Werbefilme und -plakate der ersten Gruppe gewesen. Eine weitere Kategorie, wo Witz und Humor die persuasive Funktion verstärken sollen, präsentieren Spots, die ausgedachte Geschichten erzählen und mit Situationskomik bestechen. Sie wollen als modern und „von dieser Welt“ wahrgenommen werden. So z. B. wirbt ein falscher Priester neue Kunden der ersten elektronischen Bank (mBank) in Polen an (Wacławek 2009: 246). Er sitzt im Beichtstuhl und belehrt den Pönitenten, dass der naive Glaube an Reklame zur Sünde führen könne. Er spielt mit den Wörtern wiara und wierzyć („Viele Menschen glauben, dass Kontogebühren überall bezahlt werden müssen“). Zum Schluss seiner Rede zeigt die Kamera seine Beine: unter der Soutane schauen Jeans und rote Turnschuhe hervor. Der Hochstapler sagt entwaffnend: Ale nie musisz wierzyć reklamie i facetowi przebranemu za księdza [„Aber du brauchst der Werbung und dem Kerl als Priester verkleidet nicht glauben“]. Es gibt auch eine tschechische Variante dieses Videospots (siehe Grygerková/ Lašťovičková 2011: 406).

In einer anderen Story, die dieselbe Bank anpreist, taucht der hl. Christopher auf dem Beifahrersitz in einem Auto auf. Er will den Autofahrer zum Kauf einer supergünstigen Kfz-Versicherung überreden. Christopher ist zwar der Schutzpatron von Reisenden und Autofahrern, aber in der gespielten Szene benimmt er sich so verantwortungslos, dass der Autofahrer ihn inständig bitten muss, sich auf die Straße zu konzentrieren.

Ein komischer Effekt kann auch erzielt werden, wenn die längst verblasste religiöse Bedeutung im neuen Kontext wieder ins Bewusstsein des Rezipienten rückt. Eine Werbung des Schuhreparatur- und Putzservice zeigt in der linken Bildhälfte eine Nahaufnahme eines Mannes im weißen Gewandt, auf seinem Fuß ist ein roter Schuh zu sehen – eine typische Bekleidung von Päpsten. Der kleine Schriftzug informiert zusätzlich: italienische Schuhe. Die rechte Hälfte des Bildes füllt die große Aufschrift TEUFLISCH GUT.

Abbildung 5: Schuhreparatur- und Putzservice Werbung

(Quelle: Foto von Monika Turočeková)

Solche ursprünglich durch Basissubstantive motivierten Relationsadjektive wie teuflisch, höllisch, himmlisch, paradiesisch, göttlich und ihre Pendants im Polnischen (diabelny, piekielny, niebiański, rajski, boski) und Slowakischen/ Tschechischen (čertovský, pekelný, nebeský, rajský, božský) werden heutzutage meistens hyperbolisch als Verstärkung einer Eigenschaft benutzt. Der päpstliche Kontext auf dem Werbeplakat führt das Adjektiv in seinen religiösen Rahmen zurück und belebt somit die primäre Bedeutung mit der frechen Anspielung auf die Macht des Teufels im Vatikan wieder.  

4.3 Sakrileg

Um wahrgenommen zu werden und nachhaltig zu wirken, scheut sich die Werbung auch nicht vor Provokationen. Eine kontroverse Werbekampagne der Modemarke „House – Virginity” wurde 2008 auf den Straßen polnischer Großstädte gezeigt (das Foto unten stammt aus Krakau). Schon der Name Virginity knüpft an die Jungfräulichkeit und somit an ein sexuelles Tabu in der Kirche an. Die Ästhetik eines frommen Öldrucks macht es noch deutlicher. Es stellt ein bildhübsches Mädchen, offensichtlich eine Jungfrau, in Gebetshaltung mit einem Rosenkranz dar, welches sagt „Strzeż mnie ojcze” [„Behüte mich, vater“]. Es wird nicht explizit gesagt, wovor das Mädchen bewahrt werden soll, aber eine intertextuelle Assoziation kann auf das Gebet zum Schutzengel zurückführen: Strzeż duszy, ciała mego/ Behüte meine Seele und meinen Leib.... Die Zielgruppe der Firma sind Mädchen bis 25 Jahre, vermutlich noch ohne sexuelle Erfahrung. Auf weiteren Plakaten House Virginity wurde die Jungfräulichkeit mit frivolen Posen „verteidigt“, was keinen weiteren Zweifel hinterlässt, dass hier etwas anderes als religiöse Erziehung verkauft werden soll.

Abbildung 6: „Strzeż mnie ojcze” Plakat

(Quelle: http://ocdn.eu/images/pulscms/ZGQ7MDQsMCwwLDI5MCwxNzE7MDYsMzIwLDFjMg__/8b803a3686f47e23fad8a8ca4205572d.jpg)

In der Werbebranche wird mit der Nacktheit, dem Tod und Blut gespielt, um Empfänger zu schockieren. Die Werbetreibenden sind sogar bereit, Anklagen wegen Verletzung religiöser Gefühle zu riskieren. Empörung können besonders Spiele mit dem Kreuz hervorrufen, sofern diese an das Jesus-Martyrium und seinen Tod andeuten. Das Symbol des Christentums ist längst ein Schmuckstück geworden, ein Halskreuzchen aus Edelmetall, Bernstein, Holz etc. sagt noch nichts über seinen Träger aus. Aber wenn man an diese geometrische Form etwas Profanes annagelt (nackte Frauenkörper, männliche Genitalien – vgl. Dorota Nieznalskas skandalöses Werk unter dem Titel Passion, 2002), wird prompt an das Kruzifix erinnert, was auch für tolerante und geduldige Christen ein Sakrileg ist. Das Kruzifix mit Christus-Figur wurde in der Werbung der Telefonauskunft „11840 – die billige Nummer der Auskunft“ benutzt, wobei diese Nummer an der Stelle, wo normalerweise die Inschrift: I.N.R.I. (Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum) steht, platziert wurde. Auch eine der Benetton-Reklamen, die Soldatenfriedhof mit einem ganzen Wald von Betonkreuzen zeigt, wirkte schockierend. Soldatentod darf nicht kommerziell missbraucht werden. Skandalwerbungen haben aber einen hohen Wiedererkennungswert.

Auch der Gottesname ist für religiöse Menschen heilig und unantastbar. In der Islamwelt haben schon Mohammed-Karikaturen in der dänischen „Jyllands-Posten“ (2005) für Unruhen gesorgt. Wortspiele mit Gott/ Bóg/ Boh/ Bůh werden zwar geduldet, aber als geschmacklos bewertet. Beispiele:

– Bock sei Dank – Werbung der Brauerei Kneitinger (Bock – an der Stelle von Gott in der liturgischen Formel – befindet sich als Tier im Logo der Brauerei. Es ist zugleich eine Biersorte.
– poln. buk z wami – Werbung für Fußbodenbretter der Firma aus Barlinek, in der auf die liturgische Formel Bóg z wami/ Der Herr sei mit euch angespielt wird (buk ‘Buche’ ist lautlich mit Bóg ‘Gott’ identisch; die Bretter werden u. a. aus Buche hergestellt)
– slow. und tschech. bosch-ské zľavy (slevy) 10 % - vgl. Bosch, Adj. boschský; und Boh, Adj. božský; (dt.: 10%-Preissenkung bei Bosch bzw. göttliche Preissenkung)

Eine Weihnachtskarte mit der heiligen Familie, wo der herangewachsene Jesus und seine Eltern mit Gesichtern bekannter Personen Marihuana rauchen – so sah in Tschechien eine Zeitungswerbung aus (Grygerková/ Lašťovičková 2011: 401), welche in Polen Empörung ausgelöst hätte.  

4.4 Eigener Brand

Diese Art Werbung hängt mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen, die historisch auf die Kirche, vor allem auf die Klöster zurückgeht. Mönche haben im Mittelalter nicht nur den Glauben der einheimischen Bevölkerung mitgebracht, sondern auch die Agrarkultur gefördert. Heutzutage sind es Brauereien, die auf Klöster basieren (siehe Bauer 2006: 273), aber auch die Lebensmittelherstellung unter dem Bio-Label. Die polnischen Benediktiner aus Tyniec bei Krakau geben ihren Namen einer Handelskette, die Agrarprodukte verkauft, u. a. aus der Küche der hl. Hildegard von Bingen („kuchnia Hildegardy“). Konnotationen mit der Kirche wirken sich positiv auf die Verbraucher aus. Werbeplakate zeigen lebensfreudige Mönche, Nonnen, malerische Klosterkreuzgänge, die eine Erholung versprechen. Für Produktnamen werden religiöse Wörter entlehnt, wie der tschechische Biername Opat (Grygerková/ Lašťovičková 2011: 412), der international bekannte Likör Benediktiner, poln. benedyktynka, tschech. benediktýnka, der Name des Pharmaunternehmens Klosterfrau u. a. Vor allem sind es die Braukünste und Kräuterheilkunde, die das gute Image von Ordensleuten in der profanen Öffentlichkeit pflegen. (Die Kräutergeheimnisse waren auch Hexen bekannt. Im Berliner Britzer Garten befindet sich die Hildegard-Beete im Teil namens Hexengarten, was viel zu denken über das Verhältnis zu der Heiligen gibt).

Solche Namen sind längst säkularisiert und manchmal auch völlig lexikalisiert, d.h. sie haben ihre ursprüngliche Motivation verloren. So z. B. wird cappuccino nicht mehr mit dem Kapuziner in Verbindung gebracht. Und auch wenn es so wäre, sind Kapuziner nicht die Eigentümer. Bei dieser metaphorischen Benennung spielte die Kapuze der Mönche eine Rolle, womit das herausragende Sahnehäubchen auf dem Kaffee assoziiert werden konnte. 

4.5 Nichtmerkantile Werbung

Ordnungshalber wird hier noch eine Gruppe der Werbeaktivitäten unterschieden: Werbung in eigener Sache, z. B. um Priesteramtskandidaten oder Ordensberufungen. Es ist eine heikle Angelegenheit, weil geistliche Berufe eigentlich eine Berufung von Gott sind. Trotzdem versucht die Kirche auch in diesem Bereich moderne Mittel ansetzen, die junge Leute ansprechen sollten – vgl. das Werbeplakat des Danziger Priesterseminars:

Abbildung 7: Werbeplakat des Danziger Priesterseminars

(Quelle: http://s-trojmiasto.pl/zdj/c/9/33/800x0/335334-Gdanskie-seminarium-w-nietypowy-sposob-zacheca-maturzystow-by-wstapili-do-kadry__c_0_2_640_382.jpg)

Die Jungs in Soutanen stehen auf dem Rasen des Danziger Stadions. Ihre Botschaft lautet: Dołącz do kadry powołanej przez Boga. [‘Schließe dich dem von Gott berufenen Kader an.’] Von der Bedeutung ‘Arbeitskräfte’ abgesehen, hat das Wort kadra eine besonders stolze Aura im Sport, vgl. kadra narodowa ‘Nationalmannschaft’. Die Wahl des Ortes ist auch sehr gelungen. Sie zeigt, dass zukünftige Priester ganz normale Männer sind, die mal gern den Ball kicken. Wie man sieht, kann auch eine Institution, die als traditionalistisch und erstarrt gilt, auf moderne Werbesprache zurückgreifen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Werbung sich gerne der religiösen Motive bedient, was nicht ohne Folgen für die religiöse Sprache bleiben kann. Nicht immer geht es um Verharmlosung bestimmter Konzepte, wie Sünde, Teufel, Versuchung. Manche Werbekampagnen gehen mit dem Sprach- und Bildmaterial provozierend um und riskieren klagbare Proteste der Gläubigen. Nicht alle religiösen Lemmata eignen sich dabei für Werbezwecke. Wenig Potenzial hätten bei der erfolgsorientierten Gesellschaft z. B. Märtyrer, Demut, Opfer u. ä. – für die christliche Ethik typische Begriffe. 

I Literaturauswahl

II Anmerkungen

i Anders als Missionierung ist der Proselytismus mit negativer Wertung behaftet: Er wird als Abwerben von Gläubigen anderer Konfessionen verstanden, z. B. orthodoxen Christen durch die katholische Kirche. Der Papst Franziskus hat solche Praktiken dezidiert verurteilt. 
ii Es gibt auch viele Internetseiten, die sich mit der Problematik befassen, vgl. z. B. lehrer-online: Religiöse Motive in der Werbung.
iii Es sei hier an einen in weiten Kreisen von Intellektuellen geteilten Standpunkt erinnert, wonach die Wissenschaft und Kultur der Postmoderne zu einem riesigen Berg von Texten relativiert werden.
iv Soweit bekannt, wurde noch niemand in den besagten Ländern verurteilt. Der Gesetzgeber sieht aber Bußgelder bzw. Freiheitsstrafen für Verletzung religiöser Gefühle vor (z. B. in Polen ist es der Artikel 196 des Strafgesetzbuches).
v So z. B. kommt bei Polen die Fischwerbung in Verbindung mit Freitag als dem Fastentag gut an, weil Fleischverzicht am Freitag von vielen Katholiken noch praktiziert wird.
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