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sacrum und profanum
religiöse lexik in der allgemeinsprache (deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch)

Wortbildung und Säkularisierung

1Einführung
2Wortbildungsaktivität religiöser Schlüsselwörter
3Säkularisierende Wortbildungskategorien
3.1Feminativa
3.2(Quasi-)Diminutiva und Elativa
3.3Abstrakta
4Religiöser Frame und metaphorische Motiviertheit
5Interjektionen religiöser Herkunft
6Neologismen im religiösen Bereich
ILiteraturauswahl
IIAnmerkungen

1 Einführung

Sprachliche Säkularisierung – so wie sie hier verstanden wird – ist ein semantischer Prozess des Verblassens religiöser Bedeutung eines Wortes, die in Hintergrund gerät und/ oder durch eine ganz profane Lesart ersetzt wird. Die Frage, die sich in dem Zusammenhang aufdrängt, ist: Gibt es auf der Seite des sprachlichen Ausdrucks formale Mittel, wie etwa grammatische, die solchen semantischen Wandel sichtbar beschleunigen und sogar unausweichlich machen? Im Fokus dieses Artikels stehen Wortbildungsmittel, deren primäre Funktion eine Erweiterung des Vokabulars um morphologisch vernetzte und semantisch gut kategorisierbare Wörter ist. Die Religiosität ist mit Sicherheit keine sprachliche Kategorie (es gibt weder Wortbildungsaffixe noch Flexionsmuster u. ä., die allein dieser Sphäre vorbehalten wären). Die religiöse Erfahrung, wie auch jede andere menschliche Erfahrung, manifestiert sich dennoch auch sprachlich – bejahend oder verneinend, als Gläubiger- oder Ungläubiger-Diskurs – vor allem auf der lexikalischen Ebene.

Im vorliegenden Wörterbuch wurde innerhalb der semantischen Beschreibung jedes Stichwortes die Unterrubrik „Wortbildung“ vorgesehen. Es resultiert aus der allgemeinen Überlegung, dass anhand des Wortbildungspotenzials eines Wortes auf seinen konzeptuellen Rang in einer bestimmten (im konkreten Fall: sakralen) Domäne geschlussfolgert werden kann. Typische religiöse „Keywords“ wie Gott, beichten, Sünde, weihen zeichnen sich durch Bildung ausgebauter Wortbildungsnester aus. Darüber hinaus können jeweils andere Ableitungsserien unterschiedliche Bedeutungen eines Ausgangslemmas zum Vorschein bringen, darunter eine religiöse und eine profane Spur kenntlich machen, vgl. zahlreiche Komposita mit dem Zweitglied -sünder: Ampelsünder, Rot-Sünder, Kfz-Sünder, Dopingsünder, Steuersünder etc., wo der religiöse Sinn des Substantivs irrelevant ist (vgl. Kiraga 2013). Eine Tat, die von so bezeichneten Personen begangen wurde, wird nicht mehr als „Sünde“ konzeptualisiert.

Die im Deutschen sehr produktive Kompositabildung zeigt, welche der Bedeutungen eines Basiswortes profiliert wird, vgl. Beichte:

  1. Beichtgeheimnis, Beichtgespräch, Beichtkind, Beichtstuhl, Beichtzettel; Ohrenbeichte
  2. Lebensbeichte, Liebesbeichte
  3. Dopingbeichte

Die erste Serie (a) illustriert das religiöse Verständnis des Wortes als ‘Sakrament der Versöhnung’. Zwei weitere sind säkularisiert: Unter (b) versteht man ein Bekenntnis, wenn jemand sich über seine Sorgen oder Geheimnisse ausspricht, was wie die Beichte eine befreiende Wirkung haben soll. Unter (c) geht es um ein nicht unbedingt freiwilliges Geständnis über etwas, das für das Subjekt peinlich oder verwerflich ist. Die religiöse Bedeutung verweist auf einen ausgeprägten Frame, dem Bildungen mit dem Erst- (Beicht-) oder Zweitglied (-beichte) folgen, d. h. Beichte kann sowohl das Bestimmungswort als auch das zu bestimmende Grundwort sein. Im profanen Gebrauch ist Beichte immer das Grundwort, die Zusammensetzungen sind meistens okkasionell.

2 Wortbildungsaktivität religiöser Schlüsselwörter

In der Semantikforschung wird meistens zwischen der konzeptuellen und der lexikalischen Ebene unterschieden. Konzepte (Begriffe als mentale Entitäten) und Lexeme (jeweilige Form-Inhalt-Konstellationen, die im Sprachkorpus belegt sind) kann man als voneinander relativ unabhängige Größen betrachten. Dies kommt besonders im Sprachvergleich zum Vorschein. Als prägnantes Beispiel möge hier das Konzept heilig angeführt werden. Lexikalisch wird es als ‘Eigenschaft’ durch ein Adjektiv transportiert, hier dt. heilig, poln. święty, slowak. svätý, tschech. svatý. Das durch dieses Wort symbolisierte Konzept gehört zu den markantesten religiösen Grundbegriffen. Das Wort selbst ist im lexikalischen System fest verankert, u. a. als Wortbildungsbasis für zahlreiche Ableitungen. Um die Übersicht nicht zu sehr zu erschweren, werden unten nur Derivate angegeben, die auf eine der Bedeutungen dieses Lemmas zurückgehen: → ‘religiös-kultisch’ (im vorliegenden Wörterbuch wurden insgesamt sechs Verwendungsbereiche im Stichwortartikel → heilig unterschieden, wobei manche auch aufgrund der Null-Produktivität in der Wortbildung als marginal eingestuft werden müssen, vgl. → Tabuprofil und → intensivierendes Profil).

Auch die unten angegebene Teilliste kann nicht komplett sein. Schon sie zeigt aber, wie relevant das Profil ist. Wenn man Übersetzungsäquivalente miteinander vergleicht, fällt dabei eine ungleichmäßige Verteilung des semantischen Bereichs auf. Was im Slawischen unter einem Ausgangswort (mit morphophonologischen Varianten wie poln. święt-/ święc-/ świąt-; slowak. svät-/ sväc-/ sviac-/ sviat-; tschech. svat-/ svát-/ svět-/ svic-) zusammengehalten wird, ist im Deutschen lexikalisch unter heilig und weihen getrennt. Das nächste slawische Übersetzungsäquivalent zu dt. weihen ist ein deadjektivisches Verb poln. święcić/ slowak. svätiť/ tschech. světit, welches zur vorgenannten Wortfamilie zählt. Solche Situationen, wo Benennungsbedarf durch ein unabhängiges Wort oder durch die Erweiterung eines Wortbildungsnestes gedeckt wird, sind keine Einzelfälle. Das hier untersuchte Material lässt mutmaßen, dass in den slawischen Sprachen die Wortbildungsmechanismen bevorzugt werden (vgl. auch dt. Patetaufen vs. poln. chrzestny (ojciec)chrzcić, dt. GeistSeele vs. tschech. duchduše). Dementsprechend sind auch die Auflistungen von slawischen Derivaten reicher.

Konzeptuell haben wir es mit kultischen Handlungen zu tun, deren markante Objekte, Orte, Zeiten und Akteure sprachlich hervorgehoben und fixiert sind. Aus dem Gesamtbild der Übersetzungen ergibt sich eine Verflechtung solcher Konzepte wie heilig, Weihe(n), Opfer, Sacrifizium, Feier, widmen, (Hin-)Gabe, Geheimnis, Initiation – siehe die Ableitungen unten (in alphabetischer Reihenfolge innerhalb jeweiliger grammatischer Wortklassen zitiert):

Deutsch: heilig

Substantive
Verben
Adjektive

Polnisch: święt(y)

Substantive
Verben
Adjektive
Adverbien

Slowakisch: svät(ý)

Substantive
Verben
Adjektive
Adverbien

Tschechisch: svat(ý)

Substantive
Verben
Adjektive

Der Reichtum an Derivaten und Komposita in allen grammatischen Wortklassen belegt, welch wichtige Rolle das vom Basiswort symbolisierte Konzept im religiösen Denken spielt. Einige Benennungen spiegeln folkloristisch gefärbte parareligiöse Bräuche wider, vgl. poln. świątek, święconka. Die feste Polysemie der meisten zentralen Derivate zeigt anschaulich, dass auch sie vom Säkularisierungsprozess nicht verschont wurden.

3 Säkularisierende Wortbildungskategorien

3.1 Feminativa

Das durch die Bibel überlieferte Gottesbild ist bekanntermaßen androzentrisch – vgl. solche Metaphern wie Vater, Richter, König, Herr, mit deren Hilfe über Gott gesprochen wird (auch Herrentag ‘Christi Himmelfahrt’, ‘Tag des Herrn’, wird im Volksmund als ‘Tag der Männer’ oder ‘Vatertag’ gefeiert). Solche Vorstellungen gehören zu unserem kulturellen Erbe, auch wenn sie heutzutage in Frage gestellt werden. Wie verhält es sich in dem Zusammenhang mit weiblichen Namen, die in der religiösen Sprache etabliert sind und denen, die gebildet werden? Sprengen sie nicht den Rahmen des religiösen Diskurses? Tragen sie zur sprachlichen Profanisierung bei?

Natürlich, nicht alle femininen Bezeichnungen sind sekundäre, von männlichen Basiswörtern abgeleitete Namen. Eine Sonderstellung nimmt im Christentum Maria als Gottesmutter ein, vgl. poln. Bogurodzica, slowak./ tschech. Bohorodička, dt. Gottesgebärerin (siehe den Stichwortartikel → Gott) oder Synonyme, meistens in Bezug auf Motive in der Malerei benutzt, poln. (Maryja) Wniebowzięta, slowak. (Mária) Nanebovzatá, tschech. Nanebovzetá – wörtlich ‘die in den Himmel genommene’ (vgl. auch Nagórko 2010: 183).

Der Name Gott selbst (wie auch seine slawischen Entsprechungen) ist grammatisch gesehen männlich. Seine Movierung Göttin hat gravierende semantische Folgen: im Monotheismus ist solch eine Bildung fehl am Platz. Semantisch, von innen her, ist Sacrum weder männlich noch weiblich. In polytheistischen Religionen dagegen gibt es geschlechtsspezifische Gottheiten, was den Gebrauch des Feminativums rechtfertigt. Ganz säkular kann die Form auch eine irdische Frau bezeichnen, die als besonders schön und unerreichbar angebetet wird.

Es gibt aber auch im engeren sakralen Bereich eine durchaus weibliche Symbolik, die sich sprachlich im poln. gołębica, slowak. holubica, tschech. holubice manifestiert. Die Taube ist eine visuelle Darstellung des Heiligen Geistes (vgl. Mt 3,16). Im Slawischen ist die grundlegende Gattungsbezeichnung poln. gołąb/ slowak., tschech. holub maskulin. Warum die Bibel das weibliche Pendant benutzt, ist schwer zu beantworten. Es überrascht umso mehr, als dass sich das Suffix -ica/ -ice in dieser Funktion hauptsächlich mit Namen von Säugetieren verbindet, die in der biologischen Taxonomie die höchste, dem Menschen am nächsten liegende Stufe einnehmen (vgl. poln. oślica Balaama, dt. Bileams Eselin, aber auch Balaams Esel – Num 22,28).

Viele religiöse Wesen sind körperlose Geister, somit scheint die Frage nach dem Geschlecht irrelevant zu sein (vgl. Slodička 2011). Grammatisch gesehen sind sie meistens maskulin, weil diese Formen in indogermanischen Sprachen primär, d. h. einfacher, sind. Weibliche Ableitungen – wenn vorhanden – beziehen sich nicht mehr auf diese geistartigen Wesen, sondern auf Frauen, vgl. poln. anielicaanioł, diablicadiabeł, analog dt. TeufelinTeufel, slowak. čerticačert, tschech. čerticečert.

Das Suffix -ica ist semantisch auf die Tierwelt, auf Benennungen von Weibchen, spezialisiert und als solches markiert. Derivate, die auf Frauen referieren, klingen distanziert bis herablassend, vgl. poln. papieżyca. Aber auch Bildungen mit Suffixen, die ein breites semantisches Spektrum bedienen, sind nicht ganz neutral, vgl. dt. Päpstin (Margot Käßmann ist nun Päpstin.), slowak. pápežka, tschech. papežka. Sie haben keinen kirchlich-religiösen Bezug mehr (auch die angebliche Päpstin Johanna ist nur eine mediale Legende).

Generell wirken feminine Derivate dann als säkularisiert, wenn das grundlegende Maskulinum religionsgeschichtlich eine weibliche Rolle ausschließt, vgl. poln. apostołka ‘Verkünderin’ ← apostoł, kapłanka ‘Hüterin’ ← kapłan (nur säkulare Bedeutungen wie in apostołka miłości, kapłanka sztuki, kapłanka domowego ogniska/ Hüterin des Familienglücks, Hüterin des heimischen Herdes), analog slowak. apoštolka, dt. Apostelin. Substantive wie Pfarrerin, Priesterin sind im katholischen Milieu fremd. Sie signalisieren, dass es sich um die Organisation der protestantischen Kirche handelt. Es ist schwierig, Übersetzungsäquivalente dafür zu finden.

3.2 (Quasi-)Diminutiva und Elativa

Eine Besonderheit der slawischen Wortbildung sind eine Fülle von Affixen, die es erlauben, sog. Diminutiva (‘Verkleinerungsformen’) zu bilden. Neben der semantischen Modifikation (sie informieren darüber, dass ein Gegenstand X kleiner als die für seine Klasse vorgesehene Norm ist) sind sie (meistens positiv) emotional gefärbt. Nicht selten ist diese emotional wertende Komponente der einzige Beitrag einer Wortbildungsoperation – man kann dann von Quasidiminutiva sprechen. Ihre Basiswörter sind Substantive, für deren Bedeutung die physische Größe von etwas irrelevant ist. (Es können Abstrakta oder Bezeichnungen von Eigenschafts-, Berufs- und Amtsträgern, Einwohnern usw. sein. Es kommt lediglich auf die Haltung des Sprechers zum Gesagten an.) Auch die sakrale Sphäre schließt Verkleinerungsformen aus.

Man kann sie aber in der religiösen Volkssprache finden. Beispiele: poln. aniołek, aniołeczek, Bozia, Boziulka, Boziuchna, cherubinek, diabełek, diablątko, diablik, duszek, duszyczka, grzeszek, Jezusek, Jezusik, krzyżyk, paciorek, piekiełko; slowak. anjelik, anjeliček, diablik, dušička, dúšok, hriešik/ hriešok, krížik, nebičko; tschech. anděliček, andílek, bůžek, čertík, diblík, dušička, hříšek, Jezulátko, křížek, nebičko, pekličko. Solche Formen werden in Gesprächen mit Kindern benutzt. Sie erfüllen eine euphemistische Funktion, wenn über schwierige Themen wie den Tod eines Familienangehörigen die Rede ist, vgl. tschech. odejít do nebička, být v nebičku ‘ins Himmelchen gehen, im Himmelchen sein’. Sie können aber auch in ironischer oder scherzhafter Absicht benutzt werden. Aus theologischer Sicht bewertet führen solche Sprachmittel zu einer unerwünschten Infantilisierung des Glaubens. Im Deutschen ist diese Art von Wortbildung nicht produktiv.

Das Sacrum lässt sich nicht „verkleinern“. Wenn Gott unermesslich ist, ist nur eine Steigerung nach oben denkbar, weil diese keine Grenzen kennt. In der Wortbildung gibt es eine adjektivische Elativkategorie (von lat. ēlatio ‘Emporhebung’), die hier Anwendung finden könnte. Es handelt sich um einen absolut höchsten Grad von etwas ohne vergleichende Bewertung wie beim Superlativ. So kann man Adjektive mit dem Präfix poln. prze-, slowak. pre-, tschech. pře- zuordnen, vgl. poln. przenajświętszy, tschech. přesvatý. Im Deutschen sind es Bildungen mit dem Erstglied aller-, vgl. allerheiligst. Es sei bemerkt, dass als Basis die Form des Superlativs dienen kann, vgl. poln. -najświętszy, dt. -heligst.

3.3 Abstrakta

Das Heilige ist etwas Abstraktes. Es ist also nicht verwunderlich, dass es unter religiösen Schlüsselwörtern relativ viele abstrakte Substantive gibt, vgl. deadjektivische nomina essendi (dt. Keuschheitkeusch, Heiligkeitheilig, slowak. čistotačistý), deverbale nomina actionis (dt. Beichtebeichten, Fastenfasten, Geißelunggeißeln, Glaubeglauben, Taufetaufen. Die grundlegenden Verben in der letzten Serie sind in ihre Prädikats-Argument-Strukturen involviert, z. B. jmd. beichtet etwas vor jmdm. Durch die Substantivierung kann von Argumentstellen abstrahiert werden, vgl. Die Beichte (war kurz). Die Abstrakta werden als verselbstständigte Entitäten, als Hypostasen wahrgenommen. Vom Gesichtspunkt der Säkularisierung her ist interessant, dass solche Abstrakta nicht ohne Weiteres im profanen Kontext auftauchen, vgl. poln. chrzcić benzynę (wörtlich ‘Benzin taufen’, → dilutierendes Profil ‘verdünnen’), aber nicht *chrzest benzyny; dt. Benedikt XVI. geißelt Gottesvergessenheit (→ geißeln – Kritikprofil ‘tadeln’), aber nicht *Geißelung der Gottesvergessenheit.

Dennoch ist die synchrone Ableitungsrichtung bei solchen Wortpaaren Verbabstraktes Substantiv manchmal umstritten. Formale Beziehungen sind nicht immer ausschlaggebend, weil die vermeintlichen Basisverben manchmal morphologisch komplexer sind als die Substantive (vgl. dt. segnen vs. Segen). Auch eine Paraphrase des Verbs mit Hilfe des Substantivs, und nicht umgekehrt, klingt natürlicher, woraus man schließen kann, dass seine Bedeutung ebenso komplexer ist – siehe segnen ‘den Segen geben; den Segen erbitten’, aber auch ‘preisen’. Im polnischen Wortbildungswörterbuch (SGS 2) wurde das Substantiv chrzest ‘Taufe’ als Ausgangsbasis für das Verb chrzcić ‘taufen’ – und nicht umgekehrt – eingestuft (Nagórko 2012: 208). Offen gesagt ist die Lexikographie in dem Punkt inkonsequent. Generell aber gilt: Substantive als Abstrakta eignen sich besser als Repräsentationen religiöser Begriffe.

4 Religiöser Frame und metaphorische Motiviertheit

Die kognitive Linguistik hat die Rolle der Metapher als Denkmuster und Klassifikationsmechanismus aufgewertet, was sich im lexikalischen Bereich unter sog. kognitiven (festen) Metaphern verbirgt. Die Sprachanalysen zeigen, dass auch die religiöse Domäne auf die profane Welt projiziert wird – obwohl diese Projektionsrichtung seltener als die Gegenteilige ist. Somit entstehen religiös fundierte Metaphern. Sie können auch Komposita und Derivate motivieren – solange ihre Struktur für die Sprecher transparent bleibt.

In der Umgangssprache fällt in dieser Hinsicht die Kategorie der Pflanzen und Tiere auf, deren allgemeine Bezeichnungen nicht selten durch religiöse Wörter (Phrasen) motiviert sind, vgl. Engelstrompeten (poln. anielskie trąby), Teufelsabbiss (poln. czarcikęs), Teufelskralle (vgl. „Ihren Namen verdankt die Teufelskralle […] ihren Früchten. Diese besitzen Fortsätze mit scharfen, ankerartigen Haken und sehen wie Krallen aus“ auf der Verpackung eines Arzneimittels), Teufelszwirn; tschech. nebesklič, dt. Himmelsschlüssel (nach Volkssagen wachsen diese Blumen dort, wo einst der hl. Petrus seine Schlüssel zur Himmelspforte verlor). Viele der Pflanzen sind auch Heilmittel, womit sich einst alte Frauen auskannten, denen als Hexen auch die Nähe zu bösen Geistern attestiert wurde. Es ist also kein Zufall, dass hier das Wort Teufel häufig benutzt wird. In der modernen Sprache ging aber ihre Motiviertheit meistens verloren. So z. B. weiß heute niemand mehr, warum der kleine rote Käfer mit schwarzgeflecktem Panzer Marienkäfer, und auf Polnisch boża krówka (wörtlich ‘Gottes Kühchen’) heißt. Etymologische Forschungen helfen zwar, das ursprüngliche Motiv ‘Kuh’ zu entdecken, jedoch bleibt die sakrale Komponente unklar.

Metaphorisch motiviert sind Verben wie dt. himmeln, vergeistern (meistens in Partizipform vergeistert benutzt), vergöttern, verteufeln, weihnachten (über eine Stimmung, die wenig mit Christi Geburt zu tun hat); poln. demonizować ‘dämonisieren’, poświęcić się (von święty), rozanielić się ‘sich in eine glückselige Stimmung versetzen’, ubóstwiać, zbiesić się ‘wütend werden’; slowak. božiť sa, dušiť sa ‘schwören’ (von boh ‘Gott’, duša ‘Seele’), čertiť sa ‘wütend sein’; tschech. andělíčkařit (veraltet, wörtlich ‘Engelchen machen’, d. h. abtreiben helfen), běsnit, čertit se ‘wütend werden’ u. a.

Auch Adjektive können als Vergleichsgröße ein religiöses Ausgangskonzept enthalten, vgl. dt. engelrein, (ihm war) himmelangst, himmlisch (leckere Plätzchen), sündhaft (teuer, dumm); poln. boski, cudowny, diabelski, niebiański, piekielny; analog slowak./ tschech. božský, zázračný, čertovský, nebeský, pekelný. Als religiöse Wörter haben sie eine relationelle Bedeutung: ‘in Relation zu dem vom Basissubstantiv bezeichneten Objekt stehend’. Als säkulare Metaphern wirken sie intensivierend und weisen auf ein überdurchschnittliches Ausmaß von etwas hin. Auch entsprechende Adverbien sind möglich. Dennoch schwindet die metaphorische Motivation allmählich.

5 Interjektionen religiöser Herkunft

Interjektionen stellen eine besondere Wortklasse dar, weil ihnen die Bezugnahme zur objektiven Wirklichkeit abgesprochen wird. Sie werden somit als semantisch leer interpretiert. Ihre Funktion erschöpft sich im Ausdruck von Empfindungen des Sprechers und ist auf die Achse Sprecher–Hörer gerichtet. Für die Wortbildung sind sie wenig interessant, zumal sie oft nicht morphologisch sondern lautmalerisch (konisch) motiviert sind. Nichtsdestotrotz sind Interjektionen – wie jede Wortklasse – auch für Wortbildungsregeln offen. Man kann hier sehr wohl auch Prozesse der Säkularisierung beobachten. Sprechakte wie Verwünschung und Fluchen, wofür Interjektionen eingesetzt werden, haben oft mit dem Bruch religiöser Tabus zu tun. Viele Interjektionen geben deshalb auch religiöse Ausdrücke wieder.

Man kann dabei von der syntaktischen Wortbildung sprechen, wenn eine bestimmte substantivische Kasusform zum selbständigen Wort erstarrt, welches aus dem Satzzusammenhang ausgeklammert wird. In den slawischen Sprachen ist es häufig der Vokativ, vgl. poln. Boże! Jezu! Maryjo! Problematisch ist nun, dass solche Formen häufig als Bestandteil einer längeren Phrase benutzt werden. Wir haben es hier mit einer Grenzzone zwischen der Wortbildung und Phraseologie zu tun, vgl. dt. Zum Teufel! Kruzifix noch mal! Für einige Hörer klingen sie blasphemisch, andere sehen ihren religiösen Ursprung nicht mehr. Die Säkularisierung ist hier längst abgeschlossen.

6 Neologismen im religiösen Bereich

Auch die religiöse Sprache, obwohl sie als konservativ gilt, ist vom Zeitfaktor abhängig. Dies beinhaltet sowohl die Abnutzung einiger Teile ihres Lexikons, als auch die Bildung von Neologismen, die weniger auf die Glaubensdoktrin als vielmehr auf religionssoziologische Phänomene Bezug nehmen. So kann man z. B. eine Reihe von Komposita beobachten, die den religiösen Himmel für verschiedene Tierarten öffnen, vgl. dt. Hundehimmel, Katzenhimmel (siehe → Himmel – quasireligiöses Profil). Auf diese Weise spenden sich Frauchen und Herrchen Trost nach dem Ableben ihrer Lieblinge.

Ein neues soziologisches Phänomen ist in Polen eine Bewegung, die sich um den katholischen Radiosender „Radio Maryja“ gruppiert. Seine Zuhörerinnen sind meistens ältere Frauen. Von ihrer typischen Kopfbedeckung moherowy beret ‘eine Baskenmütze aus Mohair’ wurden zahlreiche Derivate gebildet, die zunächst eine beleidigende Funktion haben sollten, später aber in provozierende Selbstidentifizierung umgewandelt worden sind: moher(owy)anarchomoher, moherek, moherka, moheroberet, moherstwo, moherować, moherowanie, moheryzacja usw. (vgl. Kiraga 2012). Diese sind Personenbezeichnungen bzw. nomina actionis. Mit Glaubensfragen haben sie jedoch wenig zu tun.

I Literaturauswahl

II Anmerkungen

i So wird ein Gebäck genannt, welches zum Fest des hl. Martin in Posen gebacken wird. (Der Kult des Heiligen ist in Posen besonders markant, was man historisch-areal mit dem deutschen Einfluss erklären kann.)
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