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sacrum und profanum
religiöse lexik in der allgemeinsprache (deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch)

Struktur des Wörterbuchs

Diese Seite informiert Sie über die konzeptionellen Prinzipien, die der Strukturierung und Systematisierung des Wörterbuchs „Sacrum und Profanum“ und seiner Abschnitte zugrunde gelegt wurden. Eine bloße Anleitung zur Navigation durch das Wörterbuch erhalten Sie unter → Navigation und Bedienung.

1Stichwortartikel
1.1Semantik
1.1.1Definition
1.1.2Konnotationen
1.1.3Lexikalische Relationen
1.1.4Wortbildungen
1.1.5Phraseme, Kollokationen
1.1.6Belege
1.2Wortindex
1.3Etymologie
1.4Semantischer Wandel
1.5Sprichwörter
1.6Kulturelle Kontexte
1.7Bibliographie
2Erweiterte Liste
3Problemartikel

1 Stichwortartikel

Die Stichwortartikel befassten sich mit sogenannten religiösen Keywords, einem Kernwortschatz, welcher intersubjektiv der sakralen Domäne zugeordnet wird und wichtige religiöse Schlüsselkonzepte repräsentiert. Neben dem allgemeinen, auf begrifflicher Relevanz fußenden Konsens gibt es auch linguistische Kriterien, die diese Zuordnung leichter machen. Die Keywords sind in der Regel heimische Grundwörter (also weder Entlehnungen noch sekundäre Ableitungen), die mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem thematischen Zusammenhang im Text zu erwarten sind. Weitere Merkmale sind:

  1. Keywords gehen ein in ein ausgebautes Netz lexikalischer Relationen, wie Synonymie (vgl. Himmel und Paradies), Antonymie (Himmel und Erde, Himmel und Hölle), taxonomische Relationen der Hypo- und Hyperonymie (Sünde und Erbsünde/ Todsünde) etc. (vgl. Rubrik → Lexikalische Relationen).
  2. Sie sind produktiv, beteiligen sich immens an der Wortbildung und Phraseologie (vgl. Rubriken → Wortbildungen und → Phraseme, Kollokationen).
  3. Keywords sind nicht veraltet oder archaisch, sie sind aber auch keine Neologismen.
  4. Sie sind stilistisch bzw. soziolinguistisch nicht markiert (als Fachjargon, Milieusprache u. ä.) .

Die Listen in „Sacrum und Profanum“ beinhalten auch Lemmata, die diese Kriterien zwar nicht erfüllen, aber aus anderen Gründen den Verfasserinnen und Verfassern als wichtig erschienen – sei es wegen ihrer kulturellen Relevanz (Arche Noah), oder um religiöse Konzepte außerhalb des Christentums vergleichend vorzuführen (Guru, Karma, koscher). Diese Wörter sind nicht besonders tief im lexikalischen System verankert, zudem haben die ersteren einen (fern)östlichen Touch. Ihre Aufnahme erlaubt aber Einblicke in den kulturellen Wandel der (quasi)religiösen Praktiken der modernen Gesellschaft.

1.1 Semantik

In dieser Rubrik wird die Polysemie einzelner Stichwörter in Profile aufgeteilt und separat untersucht. Als Profil wird eine Bedeutung bzw. Bedeutungsnuance bezeichnet, die sich aus der Wahrnehmungsperspektive der Sprechenden auf einen Sachverhalt oder einen Gegenstand (genauer: ihre gedanklichen Korrelate) ergibt. Dabei wird – mit der lexikographischen Praxis konform – von einem holistischen Wortverständnis ausgegangen. In der Lexikographie werden verschiedene Bedeutungen unter einem Stichwort subsumiert. Ein Lemma kündigt semantische Merkmale an, die durch Wortgebrauch – je nach Kontext – in unterschiedlichen Konfigurationen aktualisiert, hervorgehoben oder marginalisiert werden. Den Interpretationsrahmen für die Bestimmung der aktuellen Bedeutung bilden Textdaten, die allgemeine Diskursentwicklung, die erkennen lassen, auf welche Sachverhalte sich das gegebene Wort bezieht und mit welchen anderen Wörtern es ein gesamtes sprachlich fixiertes Wissensnetz abbildet.

Unter einem Profil versteht man also ein Bündel von semantischen Merkmalen, die sich von dem gesamten Interpretationsrahmen abheben und von den Sprechenden als ein zusammenhängendes Ganzes (Kategorie) mit eigener Kontur wahrgenommen werden. Nach der konturgebenden Eigenschaft wird das Profil benannt. Hierbei ist auch von Profilierung die Rede. Die moderne kognitive Semantik unterstreicht damit, dass eine bestimmte Wahrnehmungsperspektive und ein subjektiver Standpunkt der sprechenden (und ebenso der hörenden) Person die Wortbedeutung (Konzeptualisierung) prägen. So z. B. konzeptualisieren Menschen das Wort Himmel u. a. als Teilraum in der unendlichen Kosmosarchitektur, der sich oben über unseren Köpfen als eine Art halbkreisförmiges Gewölbe befindet (was natürlich eine Illusion ist). Die räumliche, physikalische Vorstellung ist hier profilgebend – sie dient zugleich einer Kategorisierung, d. h. der Zuordnung des Konzeptes zu der Kategorie ‘Raum’, die sehr wahrscheinlich eine der Grundideen des menschlichen Denkens ist. Dieses räumliche Profil von Himmel kann je nach Kontext und nach Textsorte noch zusätzlich nuanciert werden, indem bestimmte Bedeutungsfacetten deutlicher hervortreten, z. B.

Vor dem Hintergrund physikalischer Bedeutungen sind dann sakrale und wiederum säkularisierte Profile zu unterscheiden. Das Bindeglied zwischen dem Profanen und dem Sakralen ist die Vorstellung vom Himmel als ‘Sitz der Götter’ bzw. die Vergötterung des Himmels in polytheistischen Religionen. Sprachlich gesehen handelt es sich um Metaphern – wenn von einer physischen Domäne in eine metaphysische übergangen wird – oder um Metonymien – wenn z. B. vom ‘Sitz Gottes’ ein Sprung zu ‘Gott’ gemacht wird.

Da der religiöse ‘Himmel’ als Aufenthaltsort erlöster Seelen, also als Ort des ewigen Glücks nach dem Tod verstanden wird, ist eine säkularisierte, rein psychologische und sich auf das Diesseits beziehende Verwendung des anscheinend selben Wortes möglich, was in solchen Wendungen zum Vorschein kommt, wie im siebten Himmel sein, wie im Himmel, den Himmel auf Erden haben, d. h. ‘glücklich sein’. Manche Menschen glauben offensichtlich auch, dass ihre geliebten Tiere ins Paradies kommen, in den Hunde- bzw. Katzenhimmel, was theologisch zumindest fragwürdig erscheint. Wir hätten hier also mit einem quasi-religiösen Profil zu tun. Es ist mitunter schwer zu beurteilen, ob der Inhalt von der sprechenden Person ernst oder scherzhaft bzw. ironisch gemeint ist. Die einzelnen Profile bedingen sich gegenseitig: In einem Interpretationsrahmen können unterschiedliche Bilder mitschwingen (z. B. motiviert die Metapher oben ist gut den Zusammenhang möglicher Profile bei Himmel). Entscheidend ist aber die Hierarchie der Komponenten, die Frage, was für die Sprechenden in einer kommunikativen Situation im Vordergrund steht.

Profile können völlig konventionalisiert und relativ stabil sein, dann werden sie mit Einzelbedeutungen eines mehrdeutigen Wortes gleichgesetzt. Die Profile werden in (Kon-)Texten aktualisiert, konkretisiert und auch modifiziert. So z. B. zeigt das Adjektiv ewig eine religiöse Dimension erst in solchen Wortverbindungen wie das ewige Leben, in die ewige Ruhe eingehen, wo es sich auf das Jenseits bezieht, auf den Ort, wo die Zeit aufhören wird zu existieren. Aber in säkularen Phrasen wie ewige Liebe, ewiger Streit, ewiger Schnee, ewiger Student handelt es sich doch um Zeitlichkeit, die zwar lang (manchmal mit der Bewertungskomponente ‘zu lang’, ‘lebenslang’) andauert bzw. sich hält, aber doch nicht unendlich ist. Beide Profile konturieren die Zeitdomäne und machen deutlich, wie sich das religiöse und das weltliche Verständnis voneinander unterscheiden. Neben der Umgangssprache taucht das Wort auch in philosophischen Diskursen auf, etwa in der These des philosophischen Materialismus Die Materie ist ewig. Man könnte also von einem religiösen, einem umgangssprachlichen und einem philosophischen Profil von ewig sprechen, je nach dem Kontext und der Textsorte.

In das Lexikon „Sacrum und Profanum“ wurden solche Wörter aufgenommen, die wenigstens zwei Profile aufweisen, d. h. zumindest ein religiöses und ein säkulares Profil, die noch intern weiter differenziert werden können oder müssen.

1.1.1 Definition

Unter dieser Rubrik wird eine Erklärung der Wortbedeutung angeführt, in der die Vorstellung von typischen Merkmalen des bezeichneten außersprachlichen Objekts bzw. Sachverhaltes wie auch einige Gebrauchsbedingungen des Wortes beschrieben werden. Die Definition orientiert sich am Wissen durchschnittlicher Sprechender und nicht an Fachwissen. Im Fall der religiösen Lexik geht es primär nicht darum, wie theologisch geschulte Fachleute bestimmte Begriffe auffassen, sondern wie sie in der Alltagssprache gehandhabt werden. In grammatischen Strukturen, vor allem aber im Wortschatz ist eine bestimmte Sicht der uns umgebenden Welt enthalten, die sich Menschen im Spracherwerb einprägen. Man muss also zwischen dem meist unbewusst tradierten sprachlichen Weltbild einerseits und der selbstreflektierten, individuellen Weltanschauung andererseits unterscheiden. In diesem Projekt steht das in der Sprache erstarrte Weltbild im Mittelpunkt. Auch Nicht-Gläubige verwenden Lemmata wie Beichte, Engel, Gott, Paradies. Religiöse Wörter müssen nicht im konfessionellen Rahmen von ‘Credo’ verwendet werden. Manchmal zeugen sie lediglich vom Niveau der Allgemeinbildung des Sprechers oder der Sprecherin. Auch wenn sie in den Augen atheistischer oder agnostischer Menschen eine Null-Referenz haben und auf nichts Konkretes hinweisen, folgt daraus noch nicht, dass sie keine Bedeutung hätten.

1.1.2 Konnotationen

Unter Konnotationen sollen semantische Assoziationen verstanden werden, die zwar nicht unbedingt zum Bedeutungskern eines Wortes gehören, aber überindividuell und relativ stabil sind. Sie können Auskunft geben über typischen Umgang mit Gegenständen, über kulturelle Praktiken und Normen, gesellschaftliche Wertschätzung usw. So ruft z. B. der Ausdruck Arche Noah nicht nur bei religiösen Menschen solche Konzepte wie Sintflut, Rettung, Tierpärchen, Taube mit Olivenzweig usw. hervor. Konnotationen können auch der Auslöser einer Neubedeutung sein, z. B. mündet die Verbindung der christlichen Hölle in der Phantasie der Sprechenden mit solch profanen Eigenschaften wie ‘heiß’, ‘dunkel’, ‘laut’, ‘chaotisch’ in eine Bedeutung ‘schreckliches Ereignis, verheerender Zustand’, was in solchen umgangssprachlichen Phrasen zu sehen ist, wie die Hölle bricht los, Hölle auf Erden u. a.

1.1.3 Lexikalische Relationen

Gemeint sind semantisch-syntaktische Beziehungen innerhalb einer Wortmenge, die dadurch als ein lexikalisch bestätigtes Begriffsfeld auggefasst werden kann. Zu den häufigsten Relationen gehören Synonyme (fast jedes Wort kann durch ein anderes ersetzt werden, ohne dass die Gesamtbedeutung der Äußerung darunter leidet) und Antonyme oder Opposita im weiteren Sinn. Taxonomische Begriffe, die auf hierarchisch geordnete Kategorien zurückgehen, bilden eine Hypo- und Hyperonymie-Relation. Hyponymie ist eine einseitige Implikation: aus A folgt B (A ist eine Art B, z. B. Die Taufe ist ein Sakrament), aber nicht umgekehrt (*Ein Sakrament ist eine Taufe). Die Hyperonymie stellt eine übergeordnete Superkategorie dar (B umfasst A und C und X…).

Obwohl der Wortschatz in Wörterbüchern alphabetisch geordnet ist, um ihn leichter zu handhaben, werden Wörter im Gedächtnis der Sprechenden nach lexikalisch-semantischen Feldern gespeichert, was psycholinguistische Experimente beweisen. Für eine adäquate Beschreibung eines Konzeptes kann das entsprechende sprachliche Zeichen nicht als isolierte Einheit betrachtet werden. Die Relationen, die sich lexikalisch manifestieren, offenbaren grundlegende angeborene Denkstrukturen (z. B. viele Lemmata definiert man durch Negation ihrer Antonyme, vgl. Antichrist, Unschuld; vermutlich spielen darin versteckte Antinomien in der menschlichen Weltwahrnehmung eine wesentliche Rolle).

1.1.4 Wortbildungen

Die Wortbildungsaktivität eines Wortes, d. h. seine Fähigkeit, als Basis für Derivate und Komposita zu dienen, ist ein Indikator für die konzeptuelle Zentralität eines Begriffes. Aus diesem Grund werden hier unter entsprechenden Stichwörtern ihre Ableitungen registriert. Die Anzahl der Wortbildungen ist bei manchen Lemmata sehr groß, so dass man sich auf direkte Bildungen der ersten Stufe beschränken musste (z. B. dt. SündeSünder, SündeVerkehrssünde, aber nicht mehr → Verkehrssünder).

Das Stichwort, welches einen Lexikoneintrag einleitet, ist in der Regel ein Simplex. Manche der Keywords in dem vorliegenden Wörterbuch sind dennoch abstrakte deverbale Substantive, wie Fasten, Segen, die synchron gesehen von ihren Basisverben – hier fasten, segnen – motiviert sind. Die Wahl des Substantivs hängt mit seiner semantischen Kapazität zusammen. In anderen Fällen – wie beichten, taufen – wurden aus semantischer Überlegung grundlegende Verben als Stichwort gewählt, weil sie einfach mehr Profile aufweisen.

1.1.5 Phraseme, Kollokationen

Phraseme bzw. Phraseologismen sind analytische sprachliche Einheiten, die ähnlich wie einfache Wörter memorisierbar und bei Bedarf aus dem Langzeitgedächtnis abrufbar sind. Im Gegensatz zur traditionellen Meinung stellen sie keine Randerscheinung in der Sprache dar. Ihr Verhältnis zu synthetischen Einheiten schätzte Igor Mel’čuk (Collocations and Lexical Functions 1998: 24) auf zehn zu eins ein – somit tragen sie zu einer gewaltigen Bereicherung des Vokabulars bei. Die auffälligsten Merkmale phraseologischer Einheiten sind ihre formale Gliederung in mehrere (wenigstens zwei) graphische Wörter sowie ihre semantische Unregelmäßigkeit (Idiomatizität). Dieses zweite Merkmal wird allerdings als nicht obligatorisch und als nur komplexen Einheiten vorbehalten erachtet. Dennoch ist der semantische Mehrwert auch bei einfachen Wörtern oder Wortbildungen zu beobachten, derer Bedeutungen auf bildhaften Metaphern beruhen, vgl. poln. judasz im Sinne ‘Guckloch (vor allem in Gefängnissen)’ vom Eigennamen Judasz/ Judas. Zu den Phrasemen werden auch Strukturen gerechnet, die zwar semantisch transparent sind, aber bestimmte Einschränkungen bei der Kollokabilität ihrer Bestandteile aufweisen, z. B. Beichte ablegen ‘beichten’ (und nicht etwa: *Beichte machen, *Beichte bestehen). Semantisch regelmäßige Strukturen können auch auf ihren Kopf reduziert werden, z. B. Arche Noah > Arche. Das geht nicht, wenn die Gesamtbedeutung nicht additiv ist, sondern mehr als eine Verbindung der Teilbedeutungen darstellt, wie z. B. der Heilige Geist, poln. Duch Święty, als ‘eine der göttlichen Personen des dreifaltigen Gottes’. Eine Reduzierung auf Geist bzw. Duch führt zum Verlust der eigentlichen Bedeutung.

Eine Abgrenzung der analytischen von synthetischen Wörtern (im formalen Sinne) ist manchmal schwierig und erweist sich als eine auf den Rechtschreibregeln beruhende Konvention, vgl. tschech. pánbíčekveraltet, umgangssprachlich (von pánbíčku < pane na nebíčku!, wörtl. Herr im Himmelchen!), slowak. panebože!, dt. Herrgott! gegenüber poln. Panie Boże! Es handelt sich um Interjektionen, eine Wortklasse, die auch analytische Formeln umfasst. Was in anderen Sprachen durch ein Phrasem geleistet wird, kann im Deutschen ein zusammengesetztes Wort als Äquivalent haben, vgl. poln. środa popielcowa, tschech. Popeleční středa und dt. Aschermittwoch, poln. Boże Narodzenie und dt. Weihnachten (tschech. Vánoce, slowak. Vianoce sind eine hybride Teilübersetzung aus dem Deutschen, deswegen auch synthetisch). Solche Phraseme sind trotz ihrer syntaktischen Analysierbarkeit lexikalische Einheiten, d. h. sie sind Wörter, wenn auch weniger prototypische. Sie weisen eine feste Reihenfolge der Einzelteile auf, vgl. poln. list pasterski ‘Hirtenbrief’ (nicht: *pasterski list).

Im Unterschied zu Phrasemen sind Kollokationen keine lexikalischen Einheiten. Es handelt sich um häufig auftretende Wortverbindungen, deren Miteinandervorkommen nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch bedingt ist. So z. B. ist der blaue Himmel eine Realisierung der Nominalphrase des Typs Adjektiv + Substantiv. Die Erwartbarkeit eines Farbadjektivs ist aber unterschiedlich: die Farbe Blau ist am häufigsten als Himmelsattribut zu finden, somit kann in diesem Fall nicht nur von der einfachen Nominalphrase, sondern von einer Kollokation die Rede sein. Nicht zufällig bedeutet im Polnischen das Äquivalent niebieski sowohl ‘blau’ als auch ‘himmlisch’. Obwohl Kollokationen als solche nicht erklärungsbedürftig sind, können sie für die Ermittlung semantischer Merkmale der zu analysierenden Konzepte nützlich sein – vgl. die Verbindungen Gott anbeten, Gott lieben, Gott lästern, Gott leugnen, Gott rufen, auf Gott vertrauen etc. Daraus können Schlussfolgerungen über die Haltung des Menschen zu Gott abgeleitet werden, die in die Definition des Konzeptes ‘Gott’ einfließen können.

1.1.6 Belege

Die semantische Analyse stützt sich auf Sprachdaten aus digitalen Sprachkorpora, die in dieser Rubrik exemplarisch angeführt werden. Im Gegensatz zum knappen Illustrationsmaterial in gedruckten Wörterbüchern muss man in einem elektronischen Werk mit Belegen nicht sparsam umgehen. Die zu analysierenden Lemmata werden in längeren Kontexten untersucht, die besser ihren semantischen Gehalt sowie die Absichten der oder des Sprechenden einschätzen lassen. Ergänzend werden Recherchen über die Suchmaschine Google durchgeführt, wenn die Auswertung der Sprachkorpora zu keinem Ergebnis führt.

Welche elektronischen Sprachkorpora konkret benutzt wurden, können Sie der → Gesamtbibliographie des Wörterbuchs entnehmen.

1.2 Wortindex

Der Wortindex eines Lemmas ist eine alphabetische Auflistung aller lexikalischen Einheiten aus der Rubrik „Semantik“, die mit dem Stichwort in Verbindung stehen (als Einzelbedeutungen bzw. Synonyme, Opposita, Derivate, Phraseme) und ein lexikalisch-derivationelles Wortnest bilden. Klicken oder Tippen auf ein beliebiges Wort im Wortindex führt zur entsprechenden Rubrik, in der es beschrieben wird.

1.3 Etymologie

Etymologische Rekurse sind nicht das Hauptziel von „Sacrum und Profanum“. Die kognitive Linguistik verwischt aber die Grenze zwischen Diachronie und Synchronie und geht davon aus, dass die Wortgeschichte in Konzeptualisierungsprozessen eine Rolle spielt. Als psycholinguistisches Phänomen ist eine sogenannte naive Volksetymologie bekannt, wenn sich Laien eine falsche Wortherkunft und somit eine falsche sekundäre Wortstruktur erschließen, z. B. die Struktur von poln. rozgrzeszyć ‘Absolution erteilen’ als roz-grzeszyć analysieren anstelle des korrekten roz-d-rzeszyć (Präfix roz- ‘los; auseinander, entzwei; zer-’, Simplex rzeszyć ‘verbinden’; die moderne Form ist durch Assoziation mit grzech ‘Sünde’ entstanden).

Etymologische Erklärungen stützen sich auf germanistische und slawistische etymologische Wörterbücher neueres Datums (wie R. Derksen, 2008, Etymological Dictionary of the Slavic Inherited Lexicon)

1.4 Semantischer Wandel

Da Säkularisierung ein fortschreitender Prozess ist, muss die Sprache in ihrem Wandel untersucht werden. Gerade in diesem Bereich manifestiert sich die zivilisatorische Entwicklung, Modernisierungsprozesse, die auf ein technologisch-ökonomisch-rationales Denken zielen. Wird das religiöse Weltbild als irrational abgestoßen? Oder nimmt vielleicht der einfache Alltagsglaube mit seinen manchmal bizarren quasi-religiösen Zügen zu? Wie stark wirkt sich die nationale Tradition aus, etwa der kulturelle Katholizismus Polens, die protestantische Tradition in Norddeutschland, die katholische in Süddeutschland oder der religiöse Indifferentismus Ostdeutschlands und Tschechiens?

Nach der Sichtung der zur Verfügung stehenden Wörterbücher kann man beurteilen, ob die moderne Lexikographie dem semantischen Wandel stand- und mit ihm Schritt hält. Es stellt sich die Frage, was aus dem heutigen Usus in Wörterbücher aufgenommen werden soll. Die Wörterbuchschreibung distanziert sich bekanntermaßen von vorübergehenden, okkasionellen sprachlichen Ausdrücken, Neubedeutungen, die noch nicht genug verbreitet sind, von der sprachlichen Mode usw. In „Sacrum und Profanum“ werden aber auch sprachliche Phänomene festgehalten, die vielleicht nicht von langer Dauer sind. Es wird untersucht, wie stabil die für das Lemma ausgesonderten semantischen Profile sind. Für welche Diskurstypen sind welche Profile typisch (Umgangssprache, Politik, Kirche, feministischer Diskurs, Journalismus etc.)? Was ist inzwischen veraltet, was neu? Ist ein fremder Einfluss bemerkbar? Solche und ähnliche Fragestellungen werden in dieser Rubrik erörtert.

1.5 Sprichwörter

Im Gegensatz zur Phraseologie werden Sprichwörter nicht als lexikalische Einheiten eingestuft, aus denen man Sätze bilden kann, sondern als fertige Minitexte. Sie repräsentieren allgemeingültige Weisheiten, Alltagsphilosophie, und werden als Kommentare zu im Diskurs aktuellen Ereignissen angeführt, vgl. poln. Człowiek strzela, Pan Bóg kule nosi., dt. Der Mensch denkt, Gott lenkt. (Sprichwörter sind oft alt, sie wurden mündlich tradiert, deswegen sind viele von ihnen aus mnemotechnischen Gründen gereimt.)

Neben anonymen Sprichwörtern werden in diese Rubrik sogenannte geflügelte Worte aufgenommen, von denen bekannt ist, wer sie ausgesprochen oder geschrieben hat. Es handelt sich um berühmte Zitate, die sich von ihrer Autorin oder ihrem Autor abgelöst haben und ein eigenes Leben führen. Mit der Zeit wird auch der Name des oder der Verfassenden vergessen, vgl. Gottes Mühlen mahlen langsam aber sicher, tschech. Boží mlýny melou pomalu, ale jistě. Dieser Spruch wird Sextus Empiricus (2. Jh. n. Chr.) zugeschrieben, was man heute nur noch in der Literatur nachschlagen kann (siehe: T. Orłoś, J. Hornik, Czesko-polski słownik skrzydlatych słów, Kraków 1996, 151). Geflügelte Worte unterliegen Modifikationen, vgl. Die bürokratischen Mühlen mahlen langsamscherzhaft.

Die Satzwertigkeit kann nicht als ein absolutes Kriterium bei der Unterscheidung zwischen Sprichwörtern und Phrasemen gelten. Auch unter den Letzteren findet man fertige Äußerungen. Sie sind aber pragmatisch markiert und an bestimmte Situationen gebunden, z. B. als Gruß- und Abschiedsformeln: Grüß Gott!, Danksagung: Bóg zapłać!/ Gott vergelt’s!, Entgegnungen, Trinksprüche usw.

1.6 Kulturelle Kontexte

Wir leben in der Kultur des Bildes. Die Sprache wird von der Massen- bzw. Popkultur gravierend mitgeprägt: vom Kino, Fernsehen, Internet, Comics, die mit Bildern kommunizieren und bildhafte Sprache erfinden. Ein Buchcover muss nicht nur mit dem Titel die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser auf sich lenken, sondern auch mit der Graphik (siehe z. B. → Kulturelle Kontexte im Stichwortartikel bóg). Doch auch in der schöngeistigen Literatur und der sogenannten hohen Kultur finden Verwendungsbeispiele religiöser und säkularisierter Lexik. Manche Buch-, Film- und Musiktitel fungieren schon heute als geflügelte Worte. Für die Semantikforschung, die die imaginäre Sphäre der Wortbedeutung beschreiben will, ist dies eine Herausforderung. Das „Sacrum und Profanum“ hält deshalb diese separate Rubrik bereit, in der alle kulturellen Belege eines Lemmas aus Literatur, Musik, Kunst, Film und ähnlichen Bereichen gesammelt werden.

In diese Rubrik gehört auch Werbung mit religiösen Elementen, die im Internet, im Fernsehen oder in den Printmedien als Anzeigen oder Werbespots zu finden sind. Die Verbindung der Werbestrategien mit Religion hat immer Konjunktur. Dies zahlt sich auch dann aus, wenn sich einige der rezipierenden Personen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen und die Werbekampagne an Blasphemie grenzt. In der Werbung, die visuell attraktiv sein muss, vermischen sich Sprache und Bild. Es wird an christliche Symbole angespielt, provokante oder nur scherzhafte Sprachspielereien kommen zum Einsatz. Werbung trägt somit zur Säkularisierung der Sprache bei, zumal sie in ihrer zunehmenden Intensität eine Erscheinung der Wendejahre ist.

1.7 Bibliographie

Dieses Lexikon will der weiteren Forschung dienen, deswegen werden für jedes Lemma – falls vorhanden – bibliographische Daten über monographische Beiträge angegeben, in denen diese religiösen Schlüsselwörter analysiert werden. Allgemeine und Spezialwörterbücher hingegen werden in der separaten → Gesamtbibliographie des Wörterbuchs aufgelistet.

2 Erweiterte Liste

Den einzelsprachlichen Stichwortlisten ist je eine sogenannte erweiterte Liste untergeordnet, die den religiösen Wortschatz – jeweils mehrere Hundert Wörter – enthält, welcher anhand der nationalen mittelgroßen Wörterbücher für die jeweilige Sprache ermittelt wurde. Diese Listen sind weder aus Sicht der jeweiligen Sprache noch des zu Rate gezogenen Wörterbuchs als abschließend anzusehen.

3 Problemartikel

Neben der für Wörterbücher typischen Mikrostruktur, die aus der Beschreibung einzelner Lemmata (in Stichwortartikeln) besteht, wurden in „Sacrum und Profanum“ sogenannte Problemartikel integriert, in deren Rahmen allgemeine, mit dem Forschungsgebiet verbundene Fragestellungen ausführlicher erörtert werden können. In erster Linie geht es um das strittige Problem der sprachlichen Säkularisierung (siehe den Artikel → „Sprachliche Säkularisierung“), ferner um eine Definition der religiösen Sprache (→ „Was ist religiöse Sprache?“). Anders als die Theolinguistik, die religiöse Diskurse im Visier hat, befasst sich das Projekt eigentlich mit profaner Sprache der Alltagskommunikation, der schöngeistigen Literatur, der (Print-)Medien, mit der Werbesprache usw., um das Funktionieren des religiösen Wortschatzes außerhalb der Religion zu beobachten. Damit seine Verweltlichung diagnostiziert werden kann, musste zunächst die sprachliche Dimension der Religiosität festgelegt werden.

Es wurden auch sprachliche Bereiche problematisiert, die am stärksten vom Säkularisierungsprozess betroffen sind: Eigennamen biblischer Herkunft, Phrasematik, Wortbildungsmotivation.

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