Der Stifter als Politiker? Hermann Weil und die deutsch-jüdische (Vor-) Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Über den Einfluss eines deutschliberalen argentinischen Juden auf den Ursprung der Kritischen Theorie
Der 1868 im heutigen Baden-Württemberg geborene jüdische Getreidehändler Hermann Weil stiftete große Summen für die auf deren Emanzipation gerichtete Erforschung der Gesellschaft durch das 1923 in Frankfurt am Main gegründete Institut für Sozialforschung (IfS). Was trieb den Großunternehmer dabei an? Mit der Hypothese einer auf die jüdische Erfahrung zurückgehenden bewussten gesellschaftlichen Anpassung Weils und vor dem faktischen Hintergrund des langjährigen sozialwissenschaftlichen Engagements geht diese Arbeit davon aus, dass er von Anfang an im Bilde war, was es mit dem IfS auf sich hatte, sogar dessen politische Orientierung unterstützte. Darüber hinaus wird sein Leben – von der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis in die Weimarer Republik, von der europäischen bis hin zur südamerikanischen Erfahrung – als Prisma für bisher nicht miteinander verknüpfte historische Konstellationen verstanden, die in einen transkontinentalen Zusammenhang gebracht und reflektiert werden sollen. Denn Weil erlebte nicht allein den nationalistischen Wandel in Deutschland und die Anfänge der europäischen und argentinischen Industrialisierung, sondern auch die jüdische Integration und Migration in Europa und Südamerika. Die biographische Genese wird also zugrunde gelegt, um im Spiegel der Geschichte des deutschen und europäischen Judentums, der Entwicklung der Moderne und des Antisemitismus zu erforschen, wen oder was Hermann Weil auch symbolisch vertritt und wie, vor diesem analytisch ‚erweiterten‘ Hintergrund, seine lebenslange Förderung des IfS zu verstehen sein kann.
Katrin Schuster ist Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES).