Der Paria – Literarisches Motiv und Figur der Moderne. Untersuchung zu einem europäischen Diskurs über Marginalisierung und Ausgrenzung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Wird in Frankreich dem Paria als einer Figur gesellschaftlicher Marginalisierung und Ausgrenzung – im Verständnis von gesellschaftlicher Exklusion als eines Webfehlers der Moderne – aufgrund seiner historischen Beständigkeit und Adaptionsfähigkeit bis in die Gegenwart gerade in den Sozialwissenschaften erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, so gilt dies für Deutschland, wo der Begriff nahezu exklusiv für den Kontext der jüdischen Emanzipation im 19. Jh. reserviert ist, weniger. Allerdings erfährt der Paria bereits zum Ende des 18. Jh. und im Kontext der Forderung nach allgemeinen Menschen- und Bürgerrechten eine von Frankreich ausgehende intensive politische und künstlerische Popularisierung. Diese mündet zum Beginn des 19. Jh. in einem europaweit proliferierenden Diskurs über Marginalisierung und Ausgrenzung von Frauen, Juden, Sinti und Roma, der seinen Widerhall in der zeitgenössischen Literatur und in der Oper findet und in dessen Zentrum die sich als hoch plastisch und widersprüchlich erweisende Figur des Parias steht – eine Figur der Differenz, die auch die Möglichkeit des Wahrsprechens integriert. Diese Wandelbarkeit der Figur des Parias und die vielschichtige und ambivalente Produktivität des ihn durchquerenden sozialen und ästhetischen Diskurses in der ersten Hälfte des 19. Jh. nimmt das Dissertationsprojekt in den Blick. Die Untersuchung geht von der Annahme aus, dass sowohl die Interaktion von Diskurs und Erscheinungsformen des Parias wie auch die Plastizität desselben einer gewissen Regelhaftigkeit folgen und dass die Analyse der strukturellen und semantischen Tiefenfaltungen des Parias diskursive Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung und Marginalisierung zeigen kann, die sich im historischen Verlauf der „Normalisierung“ von gesellschaftlicher Exklusion dem bewussten Zugriff entzogen haben.